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Anemoi

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23.07.2017
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Anemoi

"Ja, Frau Weiser, das wird umgehend erledigt", antwortete Lex Andermann seiner Mutter am Telefon. Täglich dachte er sich einen neuen Namen für sie aus, damit sein Vorgesetzter ihn nicht bei einem ihrer regelmäßigen Kontrollanrufe erwischte. Lex - das Gesetz: Mama Andermann nannte ihn so, in der Hoffnung, dass er genauso wie alle anderen Andermänner Anwalt werden würde. Tja, gejinxt: Lex arbeitete nun bei einem Versicherungsunternehmen. Da halfen auch nicht die täglichen BGB-Lesungen der Mutter statt der Gute-Nacht-Geschichten. Nicht Anwalt zu werden, das war Lex' kleines Stück Rebellion gegenüber den Traditionen und Werten der Familie Andermann.

Ansonsten lief es im Alltag weitestgehend okay für ihn. Minutiös war alles durchgeplant: Gleich 09:45 Uhr, Zeit für seinen typischen Post-Kaffee-Ausflug zur Toilette. Nach sechsundzwanzig Jahren auf dieser Erde war er endgültig mit der koffeinierten Darmperistaltik seines Körpers vertraut. Ein besonderes Gefühl der Macht übermannte ihn bei dem Gedanken. "Selbstoptimierung" war das Stichwort: Selbst das Toilettenpapier konnte man theoretisch bei all der Fehlerlosigkeit seines hinteren Backenpanoramas ein weiteres Mal benutzen. "Probiers mal mit Gemütlichkeit" Lächerlich! Lex hielt Balu aus dem Dschungelbuch für einen Heuchler. Immerhin war er nur ein Bär und schlug sich nicht mit den Unannehmlichkeiten der deutschen Leistungsgesellschaft herum. Hier hatte alles auf die Uhrzeigerbewegung genau zu funktionieren. Vor allem jetzt im Dezember musste alles klappen: Besonders viele Menschen rutschten zurzeit vor Geschäften aus und es wurde gestritten, wer nun für das Glatteis-Drama auf dem Weg verantortlich war. Extraarbeit für Lex' Firma. Um 11 Uhr stand seine zweite Mahlzeit des Tages an: Gemischter Salat mit Hähnchenstreifen, ohne Mais. Kein Mais, weil der ja so rauskommt wie er reinkommt. Die Kakerlake unter den Gemüsesorten, die jedes nukleare Magensäuregewitter überlebte. Nicht ideal, so etwas zu essen, da verschwendete Energie. Suboptimal. Um 12 Uhr rief wieder die Arbeit und bat um allstmögliche Zuneigung.

Lex' Leben war gut, sagten jedenfalls andere. Nur manchmal tauchten Episoden auf, in denen er sich wie in einem Loch fühlte, aus dem es schwer herauszukommen war. Leere füllte ihn, die Kontinentalplatten „Sinn“ und „Leben“ drifteten auseinander. Andere wollte er mit den Gedanken nicht belasten. Überhaupt, ein „Das wird schon!“ seiner Mitmenschen half dabei nicht. Natürlich nicht. So blubberte auch jetzt eine dieser Episoden auf. Frischluft war in den Momenten immer das Beste und so fand er sich auf der Dachterrasse des Bürogebäudes wieder. An der Kante zum Abgrund fühlte sich die Freiheit vom Sein besonders gut an. Einmal wie ein Buchenblatt im Wind wirbeln, in helixförmigen Bahnen in der Unendlichkeit schrauben. Es brauchte nur diesen einen Satz nach vorne. Wie immer breitete er bei diesem Kopfkino seine Arme aus und streckte sie wie Flügel nach hinten. In diese Gegend verirrte sich der Wind selten, was Lex nur noch verrückter werden ließ. Darum wollte er als Kind auch kein Astronaut werden - das Gefühl der Brise im Gesicht hätte er zu sehr vermisst. Doch hier fehlte die Brise auch. Was machte das Leben auf der Erde nun besser als das Leben im Nichts, wenn hier selbst der Wind nicht wehte? Heute würde er den Sprung wagen und die andere Seite sehen. Vergessene Seelen treffen, seine Hände durch das hohe grüne Gras fahren und glücklich sein. Nur einen Schritt nach vorne. Er trat mit beiden Beinen ins Leere und flog tatsächlich. Nach hinten. Eine große Böe erwischte ihn am Punkt des Absprungs und schleuderte ihn zurück in Richtung Dachterrasse. Wie Da Vincis vitruvianischer Mensch lag er in der Luft, steif wie in einem Rhönrad. Für einen kurzen Moment verließ ihn die Erdanziehung, bis er auf seinem Rücken landete und vom Schmerz an sein gewöhnliches Dasein erinnert wurde.

17 Uhr, Arbeitsende - Lex plante, zur Haltestelle zu hasten, die fünfhundert Meter von seinem Büro entfernt war. Die nächste Tram nach Hause musste erwischt werden; immerhin stand in einer Stunde seine Gymsession an und danach gab es Abendessen von Mama. Tätig bleiben, so vergisst man all das Elend! Kaum aus dem Gebäude der „Calabria Versicherungen“ raus, begegnete ihm ein kleines Mädchen mit kupfernem Haar, das zu einer Palme oben zusammengebunden war, in der rechten Hand ein Stieleis mit Schokohülle und in der linken Hand ein ampelroter Luftballon, der selbst im Dunkel des Frühabends befremdlich glühte. Älter als vier Jahre konnte sie nicht gewesen sein. „Mein Warten hat ein Ende: Lex Andermann, ich grüße dich!“, kam es aus ihr raus. Irgendwas an ihr schien Lex nicht richtig; sei es die für ihr Alter ungewöhnliche Art zu reden, das pinke T-Shirt bei Wintertemperaturen – kalt war ihr wohl nicht - oder ihre sonderbare Augenfarbe: Schwarzer Tintenklecks auf klarem Apfelsaft, anders nicht zu beschreiben, und dazu die ockerbraune Haut - nichts wollte passen. Es ließ sie unecht, mystisch wirken. Ganz zu schweigen davon, dass er keinen Schimmer hatte, wer zum Teufel dieses Kind sein sollte?!
„Es spielt keine Rolle, Lex. Ich bin niemand.“. Sie deutete auf ihr angeknabbertes Eis: „Auch einen Bissen?“
„Nee, aber danke.“ Er umfasste seine imaginären Speckröllchen, als würde er einen Rock hochhalten.
„Hast du mal aufs Thermometer geguckt?! Mag sein, dass du niemand sein möchtest, aber du hast einen Namen wie jeder andere Mensch. Wie rede ich dich an?“
„Du tust es gerade.“ Lex' Schultern sackten zusammen. Frustriert ließ er vom Gedanken ab, ihren Namen herauszufinden. Überhaupt hatte er eigentlich keine Zeit für diesen Plausch, er musste nach Hause und danach weiter ins Fitnessstudio.
„Ich, ein erwachsener Mann, mit einem fremden Kind neben sich. Weißt du, wie das für andere Menschen aussieht?“
„Nein. Ich weiß nur, wie es für mich aussieht. Von hier unten seh ich all deine Nasenhaare, hihi.“ Sie kicherte, während sie ein großes Schokoladenstück vom Eis zu zerkauen versuchte. Es stellte sich quer in ihrem Mund, als würde sie eine Frisbeescheibe hamstern, die schlussendlich zerbrach. „Ist aber auch egal, Lex. Merkt eh keiner. Hey, du bist so flott unterwegs, mach langsam, immer so im Stress, atme mal durch, Kerl!“
Das Kind ohne Namen bemühte sich, mit Lex Andermann im Gleichschritt zu bleiben, was mit diesen lächerlich kurzen Beinen schwer genug war. Der Ballon bremste sie beim Rennen auch noch unnötig, aber Loslassen kam nicht in Frage. Wie Götterspeise wackelte ihre Palmenfrisur rhythmisch in der städtischen Feierabendhektik. Gekonnt schlängelten die beiden sich durch den menschlichen Slalomkurs der Fußgängerzone, dünner Schneematsch spritzte durch ihre Schritte auf, in der Ferne hörte man ein Saxophon weihnachtlichen Jazz spielen und zwischen den Häusern wurden große leuchtende Sterne aufgehängt. Irgendwie schaffte das Mädchen es, mit dem Luftballon nirgends hängen zu bleiben. Auf dem Weg musste er ihr eine Packung gebrannte Mandeln kaufen, da sie mit Schreien zu drohen anfing, wenn er es nicht täte. Alle einhundert Meter biss sie von ihrem Eis ab, bis schlussendlich nur noch der Holzstiel übrig blieb, als sie an der Straßenbahnhaltestelle ankamen.
„Schön, mehr Baumaterial für mein Stielhaus“, sagte sie zufrieden und steckte ihn in die rechte Hosentasche. Zur gleichen Zeit kramte sie die gebrannten Mandeln hervor, deren Packung wie ein schussbereiter Merlinhut in der Hose hing. Die Straßenbahn kam, Lex stieg ein und drehte sich an der Türschwelle zum Mädchen um. Im Licht schimmerten die Apfelsaftaugen des Kindes.
„Wie, du hast ein Haus aus Eisstielen?“, fragte er frei von jeglicher Überraschung, da man dieses Mädchen mit dem Wort „normal“ schockieren würde. So fremdartig, wie es für sie klang.
„Du etwa nicht?“, antwortete sie noch zufriedener auf seine Frage und ihr Grinsen hing wie eine Brücke von der einen zur anderen Backe. Die Tür begann sich zu schließen, Lex zückte seinen Hausschlüssel aus der Hosentasche und brachte ihren Luftballon zum Platzen. Das Grinsen verschwand, dessen Symmetrie blieb aber in ihrem begeisterungslosen Gesichtsausdruck erhalten. Entgegen aller Erwartungen weinte sie nicht. Lex lachte auf und machte sich mit der Tram davon. Durch die Glasscheibe sah er, wie sie ihm hinterherschaute und wieder lächelte.

Ohhh! In der hinteren linken Ecke machte die – augenscheinlich frisch geschiedene - Quotenfrau des Hantelbereichs auf eine viel zu suggestive Weise Streckübungen auf einer Yogamatte. Ein modrig-schweißiger Geruch umgab diesen Ort des ästhetischen Gesellschaftsdrucks, in dem jeder sich zu einem tauglichen Fortpflanzungspartner formen wollte, ja, auch der Opa mit verdächtig kurzen Trainingsshorts und dubios langen Strümpfen, der wie ein trocknender Babystrampler an der Klimmzugstange hing. Ohhh! Am Ruderturm in der Mitte des Raumes stöhnte ein Mann außerordentlich laut und ließ keinen Deut leiser die Gewichte fallen. Lex dagegen war sehr für sich: Mit maximalem Fokus trainierte er auf der Langhantelbank seine Brust, währenddessen lief im Raum ein Chart-Hit - zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde. Ein neuer persönlicher Rekord musste her: neunzig Kilo sind zu schaffen. Später geht es nach Hause zu Mamas Essen.
Eiiins
Hantel nicht zu eng gegriffen, beim Belastungspunkt ausatmen und die Ellenbogen nicht zu weit nach außen: Alles einfach. Alles perfekt.
Zweiii
Schon schwerer. Der rechte Trizeps scheint langsam dicht zu machen. Adern suchten den Weg aus seinem Gesicht, das rot anlief, als wäre die Darmperistaltik doch keine verlässliche Konstante in seinem Leben.
Dre ...
„Du schuldest mir einen Ballon.“
Wie aus dem Nichts schob sich die gedrehte Fratze des Mädchens vor sein Gesicht. Fast ließ Lex die Hantel fallen und entging dadurch knapp Darwins Willkür.
„Was machst du hier?“ Die anderen Gäste starrten Lex an.
„Wie gesagt: Du schuldest mir einen Luftballon. Und mir war langweilig, okay, mir war hauptsächlich langweilig. Warum bist du hier, das macht doch keinen Spaß.“
„Es hält mich gesund.“
„Wie hilft dir Gesundheit in einem Leben, das dir nicht gefällt?“
„Lass mich in Ruhe.“

Und das Kind ließ ihn in Ruhe, bis er seine Trainingseinheit beendete. Es folgte ihm bis zur Haustür an diesem verschneiten Winterabend. Dieses Mädchen hatte keine Eltern, keine Freunde, keine Verbindung zu jeglichen irdischen Banalitäten. Ganz sicher nicht. Niemand vermisste diesen fremdartigen Halbling. Als Lex die Tür aufschloss und das Mädchen abwimmeln wollte, sagte es:
„Ach, wir sind bei dir. Heute sieht dein Haus besonders schön aus.“
„Woher ...“
„Hat dir mein Wind heute Nachmittag gefallen? Hab ganz schön dafür pusten müssen.“
„Du hast mich auf dem Dach gesehen?“
„Natürlich. Auch all die anderen Male.“
„… ich bin da gerne etwas ungeschickt.“
„Natürlich. Ungeschickt.“ Das Mädchen deutete ein Lächeln an.
„Schatz, mit wem redest du da?“, rief Mama Andermann, die plötzlich im Flur stand.
Ehe Lex sich umdrehen und seiner Mutter das kleine Kind vorstellen konnte, war es verschwunden, als wäre es niemals Teil dieses Lebens gewesen. Frischer Schneestaub wirbelte durch die Lichtkegel der Straßenlaternen, verwehte alle Spuren in Richtung Vergangenheit.

Wochen vergingen; nie wieder sah Lex das sonderbare Mädchen mit der kupfernen Palmenfrisur. Er reichte kurze Zeit nach dieser Begegnung seine Kündigung ein, beendete sein Kapitel als Versicherungskaufmann und zog in eine eigene Wohnung. „Nein, Frau Alma, das ist mein letzter Arbeitstag. Ich werde sie aber zu einem anderen Kundenberater weiterleiten.“ Er räumte seinen Schreibtisch aus und verließ das Bürogebäude seines ehemaligen Arbeitgebers. Der Winter kam endgültig in der Stadt an und schmerzte vor lauter trockener Kälte auf den Gesichtern der Leute, entzog allen Atemwolken die Wärme und ließ sie im Wind sterben. Lex schaute auf seine metallene Armbanduhr:
11:00.
Er kaufte sich ein Eis.

 
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Hej Grayson,

fängt ja super an: muss gleich den Titel nachlesen.:shy: Dachte ich doch an einen außergewöhnlichen Frauennamen, bzw. oder an ein Akronym.

Naja. Wind macht mehr Sinn in dieser Challenge.

Zum anderen freut mich sehr, dass du dir einerseits deine dir eigene Art der Sicht innerhalb deiner Geschichten erhalten hast, andererseits an dem Stil gearbeitet hast, so dass ich meine wahre Freude an deinen Bildern habe und deinem Inhalt folgen kann.

Und nachdem ich den Schock überwunden habe, bereits am Titel gescheitert zu sein, irritiert mich (natürlich?) gleich der erste Satz. Na super. Allerdings steigert der auch meine Lust, weiterzulesen.
Niecht schlecht!

Lex - das Gesetz: Mama Andermann nannte ihn so, in der Hoffnung, dass er genauso wie alle anderen Andermänner Anwalt werden würde. Tja, gejinxt: Lex arbeitete nun bei einem Versicherungsunternehmen. Da halfen auch nicht die täglichen BGB-Lesungen der Mutter statt der Gute-Nacht-Geschichten. Nicht Anwalt zu werden, das war Lex' kleines Stück Rebellion gegenüber den Traditionen und Werten der Familie Andermann. Ansonsten lief es im Alltag weitestgehend okay für ihn.

ich mag diesen Ton. Einerseits gefällig und verständlich, anderseits eigenwillig und umgangssprachlich.

Nach sechsundzwanzig Jahren auf dieser Erde war er seit einiger Zeit endgültig mit der koffeinierten Darmperistaltik seines Körpers vertraut.

Was sagt mir das jetzt? Oder sollte das nur mal erwähnt werden? Man weiss es nicht. Also gut, Lex ist Kaffeetrinker. (Sei mal ehrlich: der heißt doch Alexander, oder etwa nicht?)

"Selbstoptimierung" war das Stichwort: Selbst das Toilettenpapier konnte man theoretisch bei all der Fehlerlosigkeit seines hinteren Backenpanoramas ein weiteres Mal benutzen.

I hate it, too. Aber bist du sicher? Das mit dem Klopapier?

Lex hielt Balu aus dem Dschungelbuch für einen Heuchler. Immerhin war er nur ein Bär und schlug sich nicht mit den Unannehmlichkeiten der deutschen Leistungsgesellschaft herum.

Hach, wie doof, dass dieser Träumer in diese Familie geflutscht ist. Bin gespannt, wie er weiter rebelliert.

Um 12 Uhr rief wieder die Arbeit und bat um allstmögliche Zuneigung.

Wie macht er das?

Nur manchmal tauchten Episoden auf, in denen er sich wie in einem Loch fühlte, aus dem es schwer herauszukommen war. Leere füllte ihn, die Kontinentalplatten „Sinn“ und „Leben“ drifteten auseinander.

Wie cool formuliert bei diesem schweren Zustand.

So blubberte auch jetzt eine dieser Episoden auf.

Das habe ich mir einen Moment zu lange vorstellen müssen und deswegen gefällt mir blubbern nicht PUNKT

An der Kante zum Abgrund fühlte sich die Freiheit vom Sein besonders gut an.

Da muss dringend was passieren, flüstere ich in deinen Text.

Einmal wie ein Buchenblatt im Wind wirbeln, in helixförmigen Bahnen in der Unendlichkeit schrauben. Es brauchte nur diesen einen Satz nach vorne. Wie immer breitete er bei diesem Kopfkino seine Arme aus und streckte sie wie Flügel nach hinten.

Absurdes Bild eines angehenden Selbstmörders, aber gut zu sehen.

In diese Gegend verirrte sich der Wind selten, was Lex nur noch verrückter werden ließ.

Nö. Ich sah ihn doch ganz ruhig und gelassen, ergeben in diese altbekannte Episode. Wie stelle ich ihn mir denn jetzt verrückt vor? :confused:

Darum wollte er als Kind auch kein Astronaut werden - das Gefühl der Brise im Gesicht hätte er zu sehr vermisst.

ich mag es, dass du mir Lex immer mal wieder als einen Mann zeigst, der in seiner Entwicklung ausgebremst ist. Durch seine Phantasie, seiner aufgezwungenen Rebellion, seiner herrschenden Mutter, seiner Sensibilität.

Heute würde er den Sprung wagen und die andere Seite sehen. Vergessene Seelen treffen, seine Hände durch das hohe grüne Gras fahren und glücklich sein. Nur einen Schritt nach vorne.

Ja Mensch, es ist ja wirklich nur eine Kleinigkeit nötig. Entsetzliche Vorstellung. Seelen und Gras. Wie süß. Auf der Suche nach dem Glück. Dem einen. Whatever.

Wie Da Vincis vitruvianischer Mensch lag er in der Luft, steif wie in einem Rhönrad. Für einen kurzen Moment verließ ihn die Erdanziehung, bis er auf seinem Rücken landete und vom Schmerz an sein gewöhnliches Dasein erinnert wurde.

Ich spüre deine Lust am Fabulieren, an Bildern erschaffen und habe nichts dagegen.

17 Uhr, Arbeitsende - Lex plante, zur Haltestelle zu hasten, die fünfhundert Meter von seinem Büro entfernt war. Die nächste Tram nach Hause musste erwischt werden; immerhin stand in einer Stunde seine Gymsession an und danach gab es Abendessen von Mama.

Das war ja mal eine kurze Episode, bei der Lex schnell zur Tagesordnung übergehen konnte. Zum Glück ;)

Tätig bleiben, so vergisst man all das Elend!

Lex weiss schon eine Menge. Leider nichts darüber, welche Aktivität gut für ihn ist.

Kaum aus dem Gebäude der „Calabria Versicherungen“ raus, begegnete ihm ein kleines Mädchen mit kupfernem Haar, das zu einer Palme oben zusammengebunden war, in der rechten Hand ein Stieleis mit Schokohülle und in der linken Hand ein ampelroter Luftballon, der selbst im Dunkel des Frühabends befremdlich glühte. Älter als vier Jahre konnte sie nicht gewesen sein.

Das klingt wie aus einem Traum und gerne nehme ich selbst Kinder als Gewissen oder Leitmotiv. Nice.

oder ihre sonderbare Augenfarbe: Schwarzer Tintenklecks auf klarem Apfelsaft, anders nicht zu beschreiben, und dazu die ockerbraune Haut - nichts wollte passen.

Tolle Idee, obwohl gekleckste Pupille megagruselig aussehen muss. Aber naja, das gesamte Kind ist unheimlich.

„Es spielt keine Rolle, Lex. Ich bin niemand.“. Sie deutete auf ihr angeknabbertes Eis: „Auch einen Bissen?“
„Nee, aber danke.“ Er umfasste seine imaginären Speckröllchen, als würde er einen Rock hochhalten.
„Hast du mal aufs Thermometer geguckt?! Mag sein, dass du niemand sein möchtest, aber du hast einen Namen wie jeder andere Mensch. Wie rede ich dich an?“
„Du tust es gerade.“ Lex' Schultern sackten zusammen. Frustriert ließ er vom Gedanken ab, ihren Namen herauszufinden. Überhaupt hatte er eigentlich keine Zeit für diesen Plausch, er musste nach Hause und danach weiter ins Fitnessstudio.
„Ich, ein erwachsener Mann, mit einem fremden Kind neben sich. Weißt du, wie das für andere Menschen aussieht?“
„Nein. Ich weiß nur, wie es für mich aussieht. Von hier unten seh ich all deine Nasenhaare, hihi.“ Sie kicherte, während sie ein großes Schokoladenstück vom Eis zu zerkauen versuchte.

Dieser Dialog gefällt mir echt gut, erinnert mich an Luna Lovegood aus der Harry Potter Reihe. Ein subtiler Charakter, der kindlich-weise kommuniziert und direkt ist.

Sie kicherte, während sie ein großes Schokoladenstück vom Eis zu zerkauen versuchte. Es stellte sich quer in ihrem Mund, als würde sie eine Frisbeescheibe hamstern, die schlussendlich zerbrach.

Das passiert wirklich manchmal und sieht bei pausbackigen Kindern ziemlich lustig aus.

Wie Götterspeise wackelte ihre Palmenfrisur rhythmisch in der städtischen Feierabendhektik.

nee, du, Haare und Götterspeise gehen in meinem Kopf nicht zusammen. Tut mir leid.

Gekonnt schlängelten die beiden sich durch den menschlichen Slalomkurs der Fußgängerzone, dünner Schneematsch spritzte durch ihre Schritte auf, in der Ferne hörte man ein Saxophon weihnachtlichen Jazz spielen und zwischen den Häusern wurden große leuchtende Sterne aufgehängt.

Gut, dass du mir hier mal etwas von aussen, von der Weihnachtszeit zeigst.

Auf dem Weg musste er ihr eine Packung gebrannte Mandeln kaufen, da sie mit Schreien zu drohen anfing, wenn er es nicht täte.

Klingt seltsam. Den Satz könnte man umstellen. ALs würde sie schreiend Drohen. :hmm: oder so.

Zur gleichen Zeit kramte sie die gebrannten Mandeln hervor, deren Packung wie ein schussbereiter Merlinhut in der Hose hing.

Bei Schüssen denke ich nicht in erster Linie an Merlins Hut.

Im Licht schimmerten die Apfelsaftaugen des Kindes. Verkrusteter Honig.

Herrje. Was ist denn noch passiert mit ihren Augen?

So fremdartig, wie es für sie klang.

Worauf bezieht sich das jetzt?

„Du etwa nicht?“, antwortete sie noch zufriedener auf seine Frage und ihr Grinsen hing wie eine Brücke von der einen zur anderen Backe.

Hey, wie wunderbar. Eine Hängebrücke im Gesicht eines unheimlichen Kindes mit Augen wie klarer Apfelsaft. Die gefällt mir immer besser.

Das Grinsen verschwand, dessen Symmetrie blieb aber in ihrem begeisterungslosen Gesichtsausdruck erhalten. Entgegen aller Erwartungen weinte sie nicht. Lex lachte auf und machte sich mit der Tram davon. Durch die Glasscheibe sah er, wie sie ihm hinterherschaute und wieder lächelte.

Weisst du, ich glaube nicht, dass Lex wirklich damit gerechnet hat, sie zum Weinen bringen zu können mit seiner Aktion den Ballon zum Platzen zu bringen. Vielmehr wollte er überhaupt sehen, ob er in der Lage ist, eine Reaktion herbeizuführen. Oder etwa nicht?

Ein modrig-schweißiger Geruch umgab diesen Ort des ästhetischen Gesellschaftsdrucks, in dem jeder sich zu einem tauglichen Fortpflanzungspartner formen wollte, ja, auch der Opa mit verdächtig kurzen Trainingsshorts und dubios langen Strümpfen, der wie ein trocknender Babystrampler an der Klimmzugstange hing.

Lex ist ein kritischer Beobachter der Gesellschaft und leidet offenbar nicht bloß unter dem Druck der Familie. Dass er dabei komisch-zynisch rüberkommt, passt mir gut. (Ich krieg den alten Mann nicht mehr aus dem Kopf.)


Dazu passt die sich wiederholende Interjektion ausgezeichnet, finde ich auch.

Auch die numerische Aufzählung während seiner Übung finde ich passend für die Figur.

Adern suchten den Weg aus seinem Gesicht, das rot anlief, als wäre die Darmperistaltik doch keine verlässliche Konstante in seinem Leben.

Dass die nochmal auftaucht ... ?

Wie aus dem nichts schob sich die gedrehte Fratze des Mädchens vor sein Gesicht.

Nichts.
warum denn jetzt gedrehte Fratze ? Ist sie plötzlich gräßlich entstellt im Laufe ihres Daseins für Lex?

„Was machst du hier?“ Die anderen Gäste starrten Lex an.

Oh, jetzt fällt's auf. Selbstgespräche in aller Öffentlichkeit.

„Es hält mich gesund.“
„Wie hilft dir Gesundheit in einem Leben, das dir nicht gefällt?“

Eine einfache Frage. True Story. Dennoch: ungesund in einem freudlosen Leben ...

Niemand vermisste diesen fremdartigen Halbling.

Halbling:shy: Drollig.

Ehe Lex sich umdrehen und seiner Mutter das kleine Kind vorstellen konnte, war es verschwunden, als wäre es niemals Teil dieses Lebens gewesen.

Wenn's nach mir gehen würde, könnte der letzte Teil des Satzes fehlen.

Grayson, ich bin total gerne und mit der mir eigenen Begeisterungsfähigkeit mit dir und der Kleinen durch die vorweihnachtliche Stadt deiner Wahl gegangen, habe Lex leiden und tapfer kämpfen sehen. Gegen Konventionen, gegen sich selbst, gegen innere Leere und Episoden, gegen den Wind, der ihm zuhilfe kam.

Der tag Alltag trifft es sicher nicht für Jedermann. ;)

Vielen Dank für diesen Spaziergang und lieber Gruß, Kanji

 

Hallo Grayson,

ich sag's ganz ehrlich heraus: Deinen Titel finde ich schön.
Den ersten Abschnitt deines Textes aber irgendwie nicht so. Zuerst würde ich dir generell empfehlen, Absätze zu machen. Das sind solche Blocks, alles runtergeschrieben ohne eine erkennbare Struktur. Zum Beispiel gleich hier:

"Ja, Frau Weiser, das wird umgehend erledigt", antwortete Lex Andermann seiner Mutter am Telefon. Täglich dachte er sich einen neuen Namen für sie aus, damit sein Vorgesetzter ihn nicht bei einem ihrer regelmäßigen Kontrollanrufe erwischte. [ABSATZ]
Lex - das Gesetz: Mama Andermann nannte ihn so, in der Hoffnung, dass er genauso wie alle anderen Andermänner Anwalt werden würde. Tja, gejinxt: Lex arbeitete nun bei einem Versicherungsunternehmen. Da halfen auch nicht die täglichen BGB-Lesungen der Mutter statt der Gute-Nacht-Geschichten. Nicht Anwalt zu werden, das war Lex' kleines Stück Rebellion gegenüber den Traditionen und Werten der Familie Andermann. [ABSATZ]
Ansonsten lief es im Alltag weitestgehend okay für ihn. Minutiös war alles durchgeplant: Gleich 09:45 Uhr, Zeit für seinen typischen Post-Kaffee-Ausflug zur Toilette. Nach sechsundzwanzig Jahren auf dieser Erde war er seit einiger Zeit endgültig mit der koffeinierten Darmperistaltik seines Körpers vertraut. Ein besonderes Gefühl der Macht übermannte ihn bei dem Gedanken.

Nur so als Anregung.

Dann ist es leider so, dass der Lex mich irgendwie nervt. Gleich von Anfang an.

Nach sechsundzwanzig Jahren auf dieser Erde war er seit einiger Zeit endgültig mit der koffeinierten Darmperistaltik seines Körpers vertraut.
Was soll das? Wieso sagt er das überhaupt und dann auch noch so schwülstig?

Selbst das Toilettenpapier konnte man theoretisch bei all der Fehlerlosigkeit seines hinteren Backenpanoramas ein weiteres Mal benutzen.
Oder das – warum? Verstehe ich nicht ...

Dann das mit dem Salat und dem Mais. Tut mir ehrlich leid, du hast dir da sicher etwas bei gedacht, aber ich dachte mir nur, was soll das alles ...

An der Kante zum Abgrund fühlte sich die Freiheit vom Sein besonders gut an. Einmal wie ein Buchenblatt im Wind wirbeln, in helixförmigen Bahnen in der Unendlichkeit schrauben. Es brauchte nur diesen einen Satz nach vorne. Wie immer breitete er bei diesem Kopfkino seine Arme aus und streckte sie wie Flügel nach hinten. In diese Gegend verirrte sich der Wind selten, was Lex nur noch verrückter werden ließ. Darum wollte er als Kind auch kein Astronaut werden - das Gefühl der Brise im Gesicht hätte er zu sehr vermisst. Doch hier fehlte die Brise auch. Was machte das Leben auf der Erde nun besser als das Leben im Nichts, wenn hier selbst der Wind nicht wehte?
Das wiederum hat mir gefallen. Das hat etwas Sehnsüchtiges, ich lese das jetzt nicht so, dass er sich umbringen will, sondern fliegen. Die Abwesenheit von Wind, das Fehlen einer Brise im Gesicht, das ist tatsächlich etwas, dass das Leben zu still machen würde. Fand ich gut.

Heute würde er den Sprung wagen und die andere Seite sehen. Vergessene Seelen treffen, seine Hände durch das hohe grüne Gras fahren und glücklich sein.
Oh ... Er will sich also doch umbringen. Na, zum Glück kommt die Windböe.

begegnete ihm ein kleines Mädchen mit kupfernem Haar, das zu einer Palme oben zusammengebunden war, in der rechten Hand ein Stieleis mit Schokohülle und in der linken Hand ein ampelroter Luftballon, der selbst im Dunkel des Frühabends befremdlich glühte
Diese Beschreibung mag ich. Kann ich mir sofort vorstellen. Und ist so schön knallig gegen seinen Alltag.

So, wie ich das verstehe, ist sie wohl sein Schicksal, so eine Art Schutzengel vielleicht sogar. Finde das eine nette Idee, aber ich würde noch einmal an den Dialogen arbeiten. Das klingt mir manchmal ein wenig unecht.

Auch, als das Mädchen wieder weg ist, da geht mir sofort wieder die komische Art auf die Nerven, mit der Lex von seinem Fitnessbesuch erzählt. Ich komme mit diesem Tonfall irgendwie nicht zurecht, das klingt mir zu gekünstelt.

Aber vielleicht ist das allein mein Problem, wer weiß ;)

Die Idee mit dem Mädchen jedenfalls hat mir sehr gefallen.

Viele Grüße
RinaWu

 
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Hallo Kanji,
Danke für deine ausführliche Rückmeldung. Da wird man ganz rot, wenn einem der eigene Text so seziert wird. Ja, die eigene Stilfindung ist am Anfang nicht einfach, war jetzt meine 6. Kurzgeschichte, die ich jemals geschrieben hab. Aber es wird so langsam. Das Schreiben fühlt sich immer natürlicher an. Ja, Lex ist ein Mensch mit einer kritischen Haltung. Er zerdenkt sich viele Dinge. Schön, dass dir der Text insgesamt gefallen hat. :)

Worauf bezieht sich das jetzt?

Das bezog sich auf das Wort "normal"

___

Hola RinaWu,
Und da haben wir eine gegenteilige Meinung zu der vorherigen. Mag ich. Menschen sind unterschiedlich und das macht dieses Handwerk so aufregend. Wenn dir der Tonfall der Beschreibung des Fitnessstudios nicht gefällt, wirst du bei meinen (zukünftigen) Texten auch Probleme haben. :D Der Exkurs zu Lex' Verdauungsvorgang sollte seine Genauigkeit, seine punktgenaue Durchplanung des Alltags widerspiegeln. Wenn es nicht gewirkt hat, schade. Ich möchte es auch nicht verteidigen. Wenn es bei dir nicht ankam, dann ist es eben so. Die Textwand in Absatz #1 gefällt mir auch nicht so ganz. Da habe ich mich letztendlich schwer getan, die Bedeutungseinheit auseinanderzureißen.

Aber vielleicht ist das allein mein Problem, wer weiß ;)

Dieses "Problem" haben alle. Jeder Mensch nimmt Sachen unterschiedlich auf. Spektrum der Gesellschaft und so.

Danke fürs Lesen!

Liebe Grüße
Grayson

 
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Huhu Grayson,

wir kennen uns auch noch nicht, ich kommentiere gerade alle Challengegeschichten, da gehörst du natürlich auch dazu.

Ich habe RinaWus Kommentar gelesen und deine Antwort darauf. Mir ging es ähnlich wie ihr. Auch wenn ich durchaus verstehe, woraus du raus willst mit der Beschreibung von Lex. Oder auch mit der Beschreibung anderer Situationen. Aber ich denke trotzdem, dass es nicht nur was mit Geschmack zu tun hat, wenn Lesern bestimmte Beschreibungen anstrengend vorkommen, es hat auch was mit Handwerk zu tun.

Zwei Sachen bitte ich dich zu bedenken: Ich meine, du könntest/solltest bei den Sprachbildern einen Zacken runtergehen.
Und überprüfe deine Einfallsfülle (bei den Sprachbildern) auch mal danach, ob das noch zum roten Faden der Geschichte passt. Und ob du dich vor lauter Freude am Formulieren nicht dabei wiederholst.
Es entsteht durch beides nämlich eine Textwirkung, mit der man nicht gerechnet hat, und die nichts für den Text tut. Und das finde ich schade, denn der Text ist inhaltlich gesehen ausgesprochen liebenswert und sympathisch.

Ich geh einfach mal durch die ersten Abschnitte.
Da wir uns nicht kennen, alles, was ich sage oder bemängele, das ist natürlich immer nur als Vorschlag oder Anregung gemeint. Was dir logisch und einleuchtend scheint, das schnappst du dir, und arbeitest du um oder kürzt, was dir nicht einleuchtet, kommt auf den Haufen ungenutzter Kommentargeschenke. Irgendjemand klaubt sich schon mal was raus. Oder auch nicht. :D

Wunderbare Sprachbilder sind das Salz in der Suppe finde ich immer. Und du findest sehr viele, sehr ungewöhnliche Sprachbilder, ich glaube, bei dir findet man nur wenige herkömmliche Sprachbilder. Diesen Einfallsreichtum behalte dir unbedingt bei, der ist ein geschenk, aber dosiere besser. Du musst einen Gedanken nicht gleich mit zwei oder gar drei Sprachbildern illustrieren. Und auch wenn sie sich auf jeweils andere Dinge beziehen, zu viele Sprachbilder auf engem Raum erschlagen sich gegenseitig und wirken schnell bemüht.

Mal als Beispiel, wo ich es schön gemacht finde, das Ende:

Wochen vergingen; nie wieder sah Lex das sonderbare Mädchen mit der kupfernen Palmenfrisur. Er reichte kurze Zeit nach dieser Begegnung seine Kündigung ein, beendete sein Kapitel als Versicherungskaufmann und zog in eine eigene Wohnung. „Nein, Frau Alma, das ist mein letzter Arbeitstag. Ich werde sie aber zu einem anderen Kundenberater weiterleiten.“ Er räumte seinen Schreibtisch aus und verließ das Bürogebäude seines ehemaligen Arbeitgebers. Der Winter kam endgültig in der Stadt an und schmerzte vor lauter trockener Kälte auf den Gesichtern der Leute, entzog allen Atemwolken die Wärme und ließ sie im Wind sterben. Lex schaute auf seine metallene Armbanduhr:
11:00.
Er kaufte sich ein Eis.
Auch hier viele Sprachbilder, aber es sind nicht zu viele. Sehr charmant der Bezug auf das Anfangstelefonat mit der Mutter und die witzige Antwort und natürlich der Kauf des Eises. Das ist wirklich sehr süß im besten Sinne.
Trotzdem könntest du mal probieren, wie das für dich klingt, wenn du statt "Leute" Menschen schreibst. Finde ich passender für den Sprachduktus in diesem Absatz. Und probier mal, wie das klingt, schon allein mal nur rhythmisch, wenn du den Satz nicht so vollstopfst, sondern "vor lauter trockener Kälte" weglässt. Inhaltlich kann man es eh weglassen, es ist ja die Kälte, die den Winter schmerzhaft macht. Und dass die Kälte trocken ist, meine Güte, ist auch nichts dramatisch Neues und es folgt in dem zweiten Bild, wenn du die Atemwölkchen sterben lässt, da steckt die Trockenheit mit drin.
Jedenfalls finde ich, in diesem Absatz schreibst du sehr schön und angenehm und irgendwie liebevoll, ohne es zu übertreiben.

So - jetzt gehts los:

Da halfen auch nicht die täglichen BGB-Lesungen der Mutter statt der Gute-Nacht-Geschichten.
Der Tonfall deiner Geschichte ist irgendwie noch nicht ganz entschieden. Das ist hier mit den BGB-Lesungen der Mutter so eine Übertreibung, dass man es nicht ernst nehmen kann. Ich nehme an, du willst und liebst diese kleine parodistische Übertreibung? Ich musste jedenfalls ziemlich lachen. Aber so ganz klar ist mir nicht, ob das absichtlich so parodistisch übertreiben gestaltet ist.

Nicht Anwalt zu werden, das war Lex' kleines Stück Rebellion gegenüber den Traditionen und Werten der Familie Andermann.
Na, das ist ein aber eine Minirevolution. So als Versicherungsfuzzy. :) Na du zeigst es ja auch später, das konnte ja nicht genug Rebellion sein.

Nach sechsundzwanzig Jahren auf dieser Erde war er seit einiger Zeit endgültig mit der koffeinierten Darmperistaltik seines Körpers vertraut.
Redundantes und Füllsel habe ich markiert. Könnte man alles oder teilweise weglassen. Die Uhrzeit vorher fand ich okay, als Hinweis dafür, dass er mit Leib und Seele auf Uhrzeit getrimmt ist.

Diese ganzen Kloszenarien: Die Darmperistaltik nach Kaffee, die Effektivierung des Klopapiers, der unverdaute Mais, das sind ja alles Bilder für Optimierung, Ökonomisierung, Effektivierung. Aber muss das alles im Scheißhäuschen sein? Richtig ist es natürlich, die Optimierungen zu zeigen. Aber vielleicht überlegst du auch da nochmal kurz, auf welche Srt der Optimierunges ankommt. Im Prinzip aber verstehe ich und finde es auch richtig, das zu zeigen, damit du den Gegensatz zu seinen eigentlichen Wünschen hinkriegst und der Wende, die er sich schließlich mit Hilfe des kleinen Windmädchens gönnt. Weg von der Effektivität hin zum Ungewöhnlichen: Eis im Winter.

Es ist wohl beliebt, Effektivierung und Optimierung besonders gerne in die Kloschüssel zu legen, wahrscheinlich folgt man da unbewusst der Freudschen Analyse vom analen Charakter, ich finde das persönlich oft zu vulgär (klar, das ist Geschmackssache) aber in der Fülle hier mit den unterscheidlichsten Beispielen, selbst wenn ich meinen Geschmack rauslasse, dann den Leser erschlagend. Ich hab mal ein paar Beispiele, die man weglassen könnte, markiert, man könnte sich auch anders herum entscheiden. Ist von mir vielleicht recht willkürlich gemarkert, liegt auch daran, dass mir nicht wirklich klar ist, um welche Sorte Effektivierung es dir vorrangig geht.

Ein besonderes Gefühl der Macht übermannte ihn bei dem Gedanken. "Selbstoptimierung" war das Stichwort: Selbst das Toilettenpapier konnte man theoretisch bei all der Fehlerlosigkeit seines hinteren Backenpanoramas ein weiteres Mal benutzen. "Probiers mal mit Gemütlichkeit" Lächerlich! Lex hielt Balu aus dem Dschungelbuch für einen Heuchler. Immerhin war er nur ein Bär und schlug sich nicht mit den Unannehmlichkeiten der deutschen Leistungsgesellschaft herum. Hier hatte alles auf die Uhrzeigerbewegung genau zu funktionieren. Vor allem jetzt im Dezember musste alles klappen: Besonders viele Menschen rutschten zurzeit vor Geschäften aus und es wurde gestritten, wer nun für das Glatteis-Drama auf dem Weg verantortlich war. Extraarbeit für Lex' Firma. Um 11 Uhr stand seine zweite Mahlzeit des Tages an: Gemischter Salat mit Hähnchenstreifen, ohne Mais. Kein Mais, weil der ja so rauskommt wie er reinkommt. Die Kakerlake unter den Gemüsesorten, die jedes nukleare Magensäuregewitter überlebte. Nicht ideal, so etwas zu essen, da verschwendete Energie. Suboptimal. Um 12 Uhr rief wieder die Arbeit und bat um allstmögliche Zuneigung.

Lex' Leben war gut, sagten jedenfalls andere. Nur manchmal tauchten Episoden auf, in denen er sich wie in einem Loch fühlte, aus dem es schwer herauszukommen war. Leere füllte ihn, die Kontinentalplatten „Sinn“ und „Leben“ drifteten auseinander. Andere wollte er mit den Gedanken nicht belasten. Überhaupt, ein „Das wird schon!“ seiner Mitmenschen half dabei nicht. Natürlich nicht.
Auch hier, man kann natürlich das Loch weglassen, in dem er sich fühlt. Nur beides - Loch und Kontinentalplatte, ist zu viel, es sind zwei identische Gedanken.

Wie immer breitete er bei diesem Kopfkino seine Arme aus und streckte sie wie Flügel nach hinten. In diese Gegend verirrte sich der Wind selten, was Lex nur noch verrückter werden ließ. Darum wollte er als Kind auch kein Astronaut werden - das Gefühl der Brise im Gesicht hätte er zu sehr vermisst. Doch hier fehlte die Brise auch.
Das Markierte könnte weg.
... was Lex nur noch verrückter werden ließ ... das finde ich unrund. Du müsstest Lex Liebe zum Wind und dessen Fehlen auf dem Dach erst mal einführen. Am besten wäre das nach dem Satz mit den Blättern und dem helixförmigen Hochschrauben. Und "verrückt" als charaktierisierende Eigenschaft finde ich hier unpräzise.

Was machte das Leben auf der Erde nun besser als das Leben im Nichts, wenn hier selbst der Wind nicht wehte? Heute würde er den Sprung wagen und die andere Seite sehen.
Das kommt viel zu sehr angekracht. Null vorbereitet, dass er jetzt auf einmal an Selbstmord denken muss. Lass ihn den Sog von unten spüren. Oder dass er hofft, wenn er fällt, spürt er endlich den Wind. Das muss eine Leichtigkeit kriegen - und fast wie von selbst. Aber arbeite hier mit dem Wind, den will und braucht er doch.

Vergessene Seelen treffen, seine Hände durch das hohe grüne Gras fahren und glücklich sein. Nur einen Schritt nach vorne. Er trat mit beiden Beinen ins Leere und flog tatsächlich.
Das Markierte passt nicht, wieso sollte dieser Mann auf einmal irgendwelche Seelen treffen wollen. Oder Gras spüren. Wie gesagt, ich würde hier mit seiner Liebe zum Wind arbeiten.

Wie Da Vincis vitruvianischer Mensch lag er in der Luft, steif wie in einem Rhönrad.
Nein, das ist zu hart, zu viel. Zwei Vergleiche innerhalb von einem so kurzen Satz. Das Rhönrad raus.

Älter als vier Jahre konnte sie nicht gewesen sein.
Zeitfehler: konnte sie nicht sein

„Mein Warten hat ein Ende: Lex Andermann, ich grüße dich!“, kam es aus ihr raus.
Wieso so verzwungen? Wieso nicht einfach "sagte sie". So wie du formuliert hast, klingts, als spräche sie nur mit Mühe. Das passt nicht zu dieser Figur.

Und jetzt zitiere ich einfach noch mal paar Sätze, in denen du es einfach übertrieben hast. Vielleicht solltest du mal so als persönliches Ziel dir pro Satz nur ein Sprachbild gönnen, :D ich weiß, ich bin echt gemein, aber ich meine wirklich, das würde deinem Stil total gut tun. Und vor lauter Spaß an der Formulierungskunst und der Ironisiererei fällst du halt auch aus der Geschichte und ihrem roten Faden raus. Mindestens die Hälfte der Bilder beschäftigt sich beim folgenden Beispiel nur damit, die Situation in so einem Fitnesscenter und ihre Besucher madig zu machen. Und vorher kommt ja auch noch die Frau, die sich auf der Matte dehnt.
Frag dich auch, was das mit deiner Geschichte zu tun hat. Ich denke, du willst natürlich die Selbstoptimiererei geißeln, aber dazu hätte ein Bild oder ein Bezug von mir aus auch zwei genügt. Es ist schon so, als würden manchmal die Gäule mit dir durchgehen, weil dir so viel einfällt, willst du das auch unbedingt alles in den Text zwingen, auch wenn es mit dem Fortgang der Geschichte nicht mehr viel zu tun hat.

Ein modrig-schweißiger Geruch umgab diesen Ort des ästhetischen Gesellschaftsdrucks, in dem jeder sich zu einem tauglichen Fortpflanzungspartner formen wollte, ja, auch der Opa mit verdächtig kurzen Trainingsshorts und dubios langen Strümpfen, der wie ein trocknender Babystrampler an der Klimmzugstange hing

Nein. Ich weiß nur, wie es für mich aussieht. Von hier unten seh ich all deine Nasenhaare, hihi.“ Sie kicherte, während sie ein großes Schokoladenstück vom Eis zu zerkauen versuchte.
Das ist süß. Aber formulier das Markierte um. Schreib runig einfach "biss". Durch deine Sätze danach wird schon klar, dass sie den Bissen nicht richtig zerkauen kann. Wenn du es so machst, wirst du redundant.

Es stellte sich quer in ihrem Mund, als würde sie eine Frisbeescheibe hamstern, die schlussendlich zerbrach.
Kein guter Vergleich. Kein Mensch hamstert Frisbees in den Backentaschen.

Der Ballon bremste sie beim Rennen auch noch unnötig, aber loslassen kam nicht in Frage.
Woher weiß man das? Perspektivfehler. Du schreibst aus Lex' Sicht. Er kann sehen, dass sie die Luftballonschnur krampfhaft festhält oder so. Aber nicht, was sie denkt.

Wie Götterspeise wackelte ihre Palmenfrisur rhythmisch in der städtischen Feierabendhektik.
Ein Satz 4 x Zierrat. Und die Feierabendhektik geht hier gar nicht. Das klingt echt unfreiwillig komisch, weil der Bezugspunkt nicht stimmt. Ich weiß, was du machen willst, du willst die ulkige Erscheinung, das ganze ineffektive Gewackel des Mädchens in den Gegensatz zun der zeitoptimierten Rushhour stellen. Aber dafür würde ich einen nächsten Satz nehmen. Und in dem kannst du Bezug nehmen auf die Atmosphäre um die beiden herum.

Gekonnt schlängelten die beiden sich durch den menschlichen Slalomkurs der Fußgängerzone, dünner Schneematsch spritzte durch ihre Schritte auf, in der Ferne hörte man ein Saxophon weihnachtlichen Jazz spielen und zwischen den Häusern wurden große leuchtende Sterne aufgehängt.
menschlicher Slalomkurs und sich schlängeln - das ist zuviel.
durch ihre Schritte ist redundant.
weihnaxhtlicher Jazz - was soll das sein? Ich würd ein Lied nehmen.
wurden große Sterne aufgehängt - das würde heißen, sie werden gerade im Moment aufgehängt. Wenn sie aber schon hängen, dann ... zwischen den Häusern hingen leuchtende Sterne. (Versuch Passivkonstruktionen zu vermeiden. Sie klingen unrhythmisch in der deutschen Sprach wegen der Hilfsverben. Ist eh gut, wenn man immer ans Lesen mitdenkt beim Schreiben bzw. Überarbeiten und sich laut vorliest. Die Wörter und Formulierungen, an denen die Lippen hängen bleiben, die sollte man vereinfachen. Selbst bei langen und komplizierten Sätzen sollte das vom Ideal her wie durch Butter gehen.)

Alle einhundert Meter biss sie von ihrem Eis ab, bis schlussendlich nur noch der Holzstiel übrig blieb, als sie an der Straßenbahnhaltestelle ankamen.
Das ist so ein schöner Satz, man merkt, wie langsam sie mittlerweile vorankommen. Und da passt doch kein "schlussendlich". Das ist das übelste Wort der Weltgeschichte. Wenn du betonen willst, dass die beiden langsam aus dem Hektischen und Optimierten rauskommen, dann kannst du die genaue Meterangabe (alle einhindert Meter) erstzen durch was anderes, dann merkt man die beginnende Veränderung deutlicher.

Zur gleichen Zeit kramte sie die gebrannten Mandeln hervor, deren Packung wie ein schussbereiter Merlinhut in der Hose hing.
Nein - ein schussbereiter Merlinhut. Bitte nicht.
Im Licht schimmerten die Apfelsaftaugen des Kindes. Verkrusteter Honig.
Nein - auch hier - bitte bitte nicht. Du hast so eine witzige und ungewöhnliche Idee mit den Apfelsaftaugen und dann traust du der nicht und schiebst den blöden verkrusteteten Honig hinterher. Wer will den denn?

„Wie, du hast ein Haus aus Eisstielen?“, fragte er frei von jeglicher Überraschung, da man dieses Mädchen mit dem Wort „normal“ schockieren würde. So fremdartig, wie es für sie klang.
Das schwarze weg.

„Du etwa nicht?“, antwortete sie noch zufriedener auf seine Frage und ihr Grinsen hing wie eine Brücke von der einen zur anderen Backe.
Ein unglückliches Bild. Aber das hing ist schön. Vielleicht findest du einen anderen Vergleich?

Lex zückte seinen Hausschlüssel aus der Hosentasche und brachte ihren Luftballon zum platzen
. Oh Lex, du fieses Stück. :D
zum Platzen

Das Grinsen verschwand, dessen Symmetrie blieb aber in ihrem begeisterungslosen Gesichtsausdruck erhalten.
begeisterungslosen rigoros weg. Vorsicht mit solchen Negativausdrücken, zum Beispiel begeisterungslos statt traurig. Aber auch das wäre hier zu viel.
Symmentrie passt auch nicht. Du willst sagen, dass sich noch eine Spur von dem Lächeln in ihrem Gesicht findet? Oder nur der verzogene Mund? Ich würde das umformulieren.

Ohhh! In der hinteren linken Ecke machte die – augenscheinlich frisch geschiedene - Quotenfrau des Hantelbereichs auf eine viel zu suggestive Weise Streckübungen auf einer Yogamatte.

Adern suchten den Weg aus seinem Gesicht, das rot anlief, als wäre die Darmperistaltik doch keine verlässliche Konstante in seinem Leben.
Dre ...
Uiii, schwarzes weg.


Wie aus dem nichts schob sich die gedrehte Fratze des Mädchens vor sein Gesicht.
wie aus dem Nichts
Fratze finde ich unpassend. Das ist ein eigenartiges Kind mit einer Palmenfrisur. Sowas hat doch keine Fratze.

Fast ließ Lex die Hantel fallen und entging dadurch knapp Darwins Willkür.
weg mit dem Schwarzen. es hätte auch inhaltlich nicht gestimmt.

Dieses Mädchen hatte keine Eltern, keine Freunde, keine Verbindung zu jeglichen irdischen Banalitäten.
Finde ich auch nicht so passend, die Banalitäten.

Niemand vermisste diesen fremdartigen Halbling.
Ja, Halbling ist ein schönes Wort. Aber ich finde es unpassend, weil es an die Hobbits erinnert. Und so hast du das Mädchen nicht beschrieben.

Wie gesagt, nimm dir, was du gebrauchen kannst. Viele Spaß noch hier und ich hoffe, ich habe dich nicht nur zum Zürnen gebracht mit meiner Bilderkritik.

Viele grüße von Novak

 

Hallo Novak,

Kein guter Vergleich. Kein Mensch hamstert Frisbees in den Backentaschen

Der war Absicht. Das Extreme, Skurrile sollte rauskommen.

Zürnen gibt es bei mir nicht, wenn es konstruktive Kritik ist. Dafür bin ich schon zu lange im Internet unterwegs, als das mich sowas kränken würde. Ja, mich überkommts gerne bei den Bildern. Der Hinweis zur Redundanz ist wertvoll, da will ich die Aussage manchmal zu sehr reindrücken. Der "weihnachtliche Jazz" bleibt so. Gibt tolle Spotify-Listen dazu :D Das mit den Füllwörtern darf mir nicht passieren; da schau ich normalerweise selber drauf. Vom Tonfall her wollte ich in Richtung "Und täglich grüßt das Murmeltier" gehen. Zynisch, aber in gewissen Zügen optimistisch.

Deine Analyse hab ich gerne gelesen. Danke dafür!

Liebe Grüße
Grayson

 

Hola Bas,

Nicht eher »in die Unendlichkeit schrauben«?

Nee, schon in der Unendlichkeit. Siehe "0815-Film-in-dem-Protagonist-in-einer-Traumsequenz-irgendwo-rumfliegt".

Vielleicht das »nicht« ans Satzende verschieben?

Das möchte ich so beibehalten, weil sich im Leser der Gedanke aufbaut und das "nicht" am Ende diesen umdrehen würde. In meinen Augen ein Schlenker zu viel (wovon ich auch so schon genug hab :D ).


"Schmuggelst du Gurken oder freust du dich nur, mich zu sehen?" Der gurkische Killer wird ein Comeback feiern. Vielleicht wird er für gute Führung freigelassen und steigt auf Erdbeeren um. Synonymwörterbuch oder Duden besitze ich noch nicht, werde ich mir bestimmt mal zulegen. Danke für die Tipps!

Liebe Grüße,
Grayson

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe maria.meerhaba,

Kein Mensch muss sich heftig für eine eigene Meinung rechtfertigen, auch du nicht. Wenn es nicht deins ist, dann ist es nicht deins. Die Hektik lese ich in meinen Texten auch ab und zu, hier war es beabsichtigt. Die Ecken und Kanten gilt es zu schleifen; darum bin ich doch hier :) Am Lesefluss werde ich arbeiten.

Schönen Tag noch,
Grayson

 

Hallo Grayson

der schöne Titel der altgriechischen Winde steht im krassen Gegensatz zur Geschichte, die alles andere als bildungsbürgerlich daherkommt, obwohl man es von der Herkunft des Lex Andermann aus einer Anwaltsfamilie erwarten könnte. Ein Grund mögen mir die Peristaltik- Darstellungen zu liefern: Die alten Griechen kannten keinen Gott der Darmwinde - έχω αέρια weht halt auch im Verborgenen in Hose und Höschen und wird lange brauchen, bis die Orthodoxie sie als göttlich einstuft.

Trivialeres
Hier

Mama Andermann nannte ihn so, in der Hoffnung, dass er genauso wie alle anderen Andermänner Anwalt werden würde. Tja, gejinxt: ...
hab ich zwo Fragen - nach dem gedrechselten "werden würde" und dem Partizip "gejinxt".
warum nicht einfach "werde" (Konj. I) oder "würde"? But what's the meaning of "jinxen"? Klingt schon fast Chinesisch, also Mandarin ...

Zahlen wie

11 (oder auch) 12 Uhr
werden üblicherweise ausgeschrieben. Andere werden auch 13 ff. dazurechnen, aber ab dreizehn wird's langweilig, weil es nur noch zusammengesetzte (drei + zehn usw.) sind und mit der steigenden Zahl immer unübersichtlicher wird, was folgerichtig dann auch für
Gleich 09:45 Uhr, ...
gelten muss.

Lange vorm Dezimalsystem und dem binären Zahlensystem gab's bereits ein Duodezimalsystem (12 gilt demnach auch als größte heilige Zahl, s. das Jahr mit seinen zwölf Monaten), von dem im Deutschen nur noch das Dutzend und der Schock gebräuchlich sind.

"Probiers mal mit Gemütlichkeit" Lächerlich!
Punkt oder Komma (dann aber Kleinbuchstabe "lächerlich"

Reine Flüchtigkeiten

... für das Glatteis-Drama auf dem Weg verant[w]ortlich war.

und bat um allstmögliche Zuneigung.
allstmöglich? Gibt's das Wort? Neue Schöpfung oder nur verkürztes "als bald mögliche"?

Hier muss ein Punkt eingefangen und weggesperrt werden

„Es spielt keine Rolle, Lex. Ich bin niemand.“.

So viel oder wenig für heute vom

Friedel,
der vorsorglich ein schönes Wochenende wünscht

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Grayson

nun schau ich mal zum Gegenbesuch vorbei. Deine Geschichte, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll ... Sie gefällt mir nicht. Aber sie macht was mit mir. Dieses Muttersöhnchen Lex mit der Darmperistaltik, Herrgott, der regt mich auf. Und dieses kleine Mädchen erst. Ab liebsten würd ich ihr den Hals rumdrehen, damit endlich mal was passiert. Und am Ende kauft Lex sich ein Eis!

Die Erwartungshaltung der Eltern und wie man sich daraus befreit, das ist ein spannendes Thema. Ich finds grauenhaft, wenn Leute ihrem Nachwuchs den Beruf vorzuschreiben versuchen. Dabei womöglich eine Praxis oder Kanzlei vererben wollen, bei so was könnte ich echt kotzen. Aber dein „Rebell“ arbeitet bei einer Versicherung und verströmt für sein junges Alter eine Spießigkeit, dass es mich schüttelt.

Also, ich finde deine Schreibe angenehm und kreativ, das will ich deutlich hervorheben, und wahrscheinlich bin ich einfach nur nicht empfänglich, habe ich nicht die richtigen Antennen für deine spezielle Form der Ironie.

Das Thema der Challenge hast du mit dem wunderbar poetischen Titel der griechischen Götter der Winde gut umgesetzt. (Wobei das in Zusammenhang mit Lex‘ Verdauung dann wieder ... Na egal.)

Liebe Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedrichard,

Die Uhrzeiten habe ich bewusst in Ziffern geschrieben, weil es für mich so einhetlicher und schöner aussieht. Und eben weil es Uhrzeiten sind. Kann ich aber verstehen, wenn es nach offiziellen Richtlinien als Fehler gewertet wird.

Beim "lächerlich"-Satz war ich mir tatsächlich unsicher und hatte es zuerst in der von dir vorgeschlagenen Form.

"Allstmöglich" ist eine Neuschöpfung, ja.

Die eine Konjunktivkonstruktion sieht deppert aus, stimmt.

Danke für's Lesen! :)

____

Hi Anne49,

Danke für den Gegenbesuch. Auch so hoffe ich, dass du fleißig andere Geschichten liest. Vielen Dank für das Kompliment mit der Schreibe, vor allem da will ich mich verbessern. Und es ist Jederfraus Recht, meine Geschichte nicht zu mögen. Lex habe ich bewusst als Spießer dargestellt, der seine Rebellion mit Babyschritten einleitet. Muss keinem sympathisch sein, natürlich. Auch hier danke für's Lesen!

Euch beiden ein schönes Wochenende
Grayson

 

Hallo Grayson,

mir gefällt die Idee deiner Geschichte, wie dieses seltsame Mädchen den angepassten Jammerlappen Lex so langsam dazu bringt, seinen eigenen Weg zu gehen.
Und als Lex auf dem Dach vom Hochhaus steht und fast springen will, musste ich kurz an A long way down denken, von Nick Hornby. Kennst du das? Da wollen gleich vier Leute gleichzeitig springen.
Aber letztendlich ist es eine ganz andere Geschichte.
Du schreibst sehr bildhaft und bringst viele witzige Vergleiche, das gefällt mir.
Zum Beispiel:

Mais … Die Kakerlake unter den Gemüsesorten, die jedes nukleare Magensäuregewitter überlebte.

Ich habe aber auch viel Kleinkram gefunden, bei dem ich den Eindruck hatte, du hast das schnell hingeschrieben, und auch einige zwar sehr originelle, aber holprige Formulierungen. Aber ich denke, du bist sowieso noch beim Feinschliff.
Ich habe nicht alle Kommentare ganz genau gelesen - falls ich also etwas erwähne, was schon jemand anderes bemeckert hat, vergiss es.

Da halfen auch nicht die täglichen BGB-Lesungen der Mutter statt der Gute-Nacht-Geschichten.

Die BGB-Lesungen, finde ich, passen besser gleich im Anschluss an den Satz, dass seine Mutter einen Anwalt aus ihm machen wollte, und dann erst, dass er jetzt Versicherungsfuzzy ist. Sonst ist es ein Durcheinander.

Mit der koffeinierten Darmperistaltik können sich wahrscheinlich die Wenigsten so richtig anfreunden, finde ich jetzt auch nicht so toll - vielleicht ginge ja auch etwas anderes, um sein Durchgetaktetsein darzustellen.


Lex' Leben war gut, sagten jedenfalls andere.

Du hast weiter oben schon stehen Ansonsten lief es im Alltag weitestgehend okay für ihn – mMn würde das genügen – und außerdem, wer sagt denn sowas? Dein Leben ist gut … - ich weiß nicht.


In diese Gegend verirrte sich der Wind selten, was Lex nur noch verrückter werden ließ. Darum wollte er als Kind auch kein Astronaut werden - das Gefühl der Brise im Gesicht hätte er zu sehr vermisst.
Na ja, ich weiß ja, was du meinst, aber das klingt mir zu unglaubwürdig, dass ein Kind das so denkt.
Obwohl, Lex …


Vergessene Seelen treffen, seine Hände durch das hohe grüne Gras fahren und glücklich sein.

Nicht eher mit den Händen durch das grüne Gras fahren, oder seine Hände durch das hohe grüne Gras fahren lassen?


17 Uhr, Arbeitsende - Lex plante, zur Haltestelle zu hasten, …

Plante, zu hasten klingt nicht richtig gut in meinen Ohren. Vllt. einfach: Hatte vor ….. zu hasten. So viel Planung braucht es ja nicht dafür.


Ganz zu schweigen davon, dass er keinen Schimmer hatte, wer zum Teufel dieses Kind sein sollte?!

Er hatte keinen Schimmer, wer zum Teufel dieses Kind sein sollte … fände ich an dieser Stelle schöner.


„Nein. Ich weiß nur, wie es für mich aussieht. Von hier unten sehe ich all deine Nasenhaare, hihi.“

Witzig!


Das Kind ohne Namen bemühte sich, mit Lex Andermann im Gleichschritt zu bleiben, was mit diesen lächerlich kurzen Beinen schwer genug war. Der Ballon bremste sie beim Rennen auch noch unnötig, aber loslassen kam nicht in Frage. Wie Götterspeise wackelte ihre Palmenfrisur rhythmisch in der städtischen Feierabendhektik. Gekonnt schlängelten die beiden sich durch …

Erst kann sie nicht richtig mit ihren lächerlich kurzen Beinen, aber dann schlängeln sie sich gekonnt …


Also ja, für mich funktioniert die Geschichte, aber richtig gut lesen kann ich sie wegen verschiedener Holperstellen noch nicht.
Vielleicht könntest du sie auch noch etwas straffen (wird mir auch immer gesagt, und ich kann das auch nicht leiden, mach dir nichts draus, straff' einfach ;) – wir sind ja ähnlich neu hier). Die Fitness-Studio-Szene könnte mMn kürzer sein und sich aufs Wesentliche beschränken, auch wenn ich den Opa, der wie ein trocknender Babystrampler an der Klimmzugstange hing, sehr mag. Einige Sachen könnten vielleicht raus und du benutzt sie irgendwann für eine andere Geschichte.

Liebe Grüße von Raindog

 

Hallo Raindog,

Von Nick Hornby hab ich soweit nur About a Boy und High Fidelity gelesen, der Titel ist mir aber natürlich bekannt. Auch dir danke ich für die Einwände. Ich grübel selber gerade noch, wie ich die Stellen zu meinem Gefallen hin zurechtforme. Den Abschnitt mit dem Gras überdenke ich gerade selber.

Dir wünsche ich einen schönen Aufenthalt im Forum
Grayson

 

Lex' Leben war gut, sagten jedenfalls andere.

Hallo @Greyson ,

Anemoi ist ein sehr schönes Wort. Erinnert mich an dieses Lied http://firsturl.de/SY3qwXD (So ab Minute 8.00)

Tja, gejinxt: Lex arbeitete nun bei einem Versicherungsunternehmen.
Haha

Ein besonderes Gefühl der Macht übermannte ihn bei dem Gedanken. "Selbstoptimierung" war das Stichwort: Selbst das Toilettenpapier konnte man theoretisch bei all der Fehlerlosigkeit seines hinteren Backenpanoramas ein weiteres Mal benutzen. "Probiers mal mit Gemütlichkeit" Lächerlich!
Es gibt bestimmt Leute, die das nervig finden. Ich finds aber sprachlich sehr schön gemacht. Ich wundere mich aber, wie der Lex aussieht. :)

Schwarzer Tintenklecks auf klarem Apfelsaft, anders nicht zu beschreiben,
Was?? Wirkt etwas witzig.

Es ließ sie unecht, mystisch wirken.
Du beschreibst sie doch so schön mythisch. Da kannst du diesen Satz gleich rauslassen.

Ganz zu schweigen davon, dass er keinen Schimmer hatte, wer zum Teufel dieses Kind sein sollte?!
Sehr cool.

Fast ließ Lex die Hantel fallen und entging dadurch knapp Darwins Willkür.
Haha.

„Natürlich. Auch all die anderen Male.“
„… ich bin da gerne etwas ungeschickt.“
Aww

Aaalso:
Ja, ich fand Lex sympatisch. Das Mädchen fand ich mit der Zeit nervig. Insgesamt hat mir die Geschichte gefallen. Ich hoffe, das bringt dich weiter.

LG,
Alexei

 

Hallo Grayson,

eine coole Story hast du da gebastelt. Nur ein paar Kleinigkeiten haben mich gestört, der Reihe nach:
BGB-Lesungen : prinzipiell bin ich kein Freund von Abkürzungen, nicht jeder versteht sie. Ich nehme in dem Fall an, es heißt Bundesgesetzbuch?

Den zweiten Absatz könntest du, meiner Meinung nach, gut um die Hälfte kürzen. Da steht nicht so viel Information drinnen, die man benötigt.

Wie Da Vincis vitruvianischer Mensch lag er in der Luft, steif wie in einem Rhönrad.
Das ist mir ein bisschen "too much"
Er umfasste seine imaginären Speckröllchen, als würde er einen Rock hochhalten. Prinzipiell mag ich den Satz. Nur verwirrt es mich "als würde er einen Rock hochhalten". Warum umfasst man seine Speckröllchen, wenn man den Rock hochhält? Doch eher wenn man den Pulli hochhält. Ah, langsam, während ich diese Zeilen schreibe, dämmert es mir. Wenn man den Rock rafft, hat man einen Wulst in der Hand...ok. Naja, ich würde den Rock weglassen ;)
schussbereiter Merlinhut Was bitte, ist ein schussbereiter Merlinhut?:confused:
Aber sonst kann ich nichts mehr bemängeln. ;)

Liebe Grüße Sabine

 

Okay, mir kamen aufgrund mangelnder Nametags keine Benachrichtigungen, weswegen ich die neuen Beiträge nicht mitbekommen habe. Upsi. Also:

Hey alexei,
Schön, dass du bei mir vorbeiguckst. Du postest eine libanesische Band, rührt das daher, dass du aus der Gegend kommst oder ist das einfach eine Begeisterung für andere Kulturen?

Hi Sabine P,
Sehr kreativer Nickname, haha. Ach, man nennt das "raffen"? Wusste ich nämlich nicht. Mal wieder was gelernt. Sollte öfter Röcke tragen :D Auch dir vielen Dank für's Vorbeilesen.

Liebe Grüße
Grayson

 

Hallo Grayson ,

Ich fand einfach das Lied schön.

LG,
alexei

 

Hallo Grayson,

der Text zeigt die Sinnsuche deines Protagonisten, die Spiegelungen seiner Seele in dem Mädchen, das sich wie ein Schutzengel verhält. Die Idee gefällt mir. Kennst du den Film: Wilbur wants to kill himself? Deine Geschichte erinnert mich an diesen Film. Vielleicht weil dort auch einer auf ein Hochhaus steigt, runterspringen will. Der Schluss lässt mich unbefriedigt zurück, da wünschte ich mir, dass noch was kommt, irgendetwas, eine Wendung, die mehr enthält, als dass er sich ein Eis kauft und sozusagen resettet.

Sprachlich, stilistisch wucherst du mit Wendungen, die sich vom Gewöhnlichen entfernen, gefällt mir, wenngleich nicht alle der Konstruktionen gleich gut funktionieren.

Paar Textstellen:

Lex hielt Balu aus dem Dschungelbuch für einen Heuchler. Immerhin war er nur ein Bär und schlug sich nicht mit den Unannehmlichkeiten der deutschen Leistungsgesellschaft herum.
warum deutsch, wir sind doch Balu-globalisiert.

Gemischter Salat mit Hähnchenstreifen, ohne Mais. Kein Mais, weil der ja so rauskommt wie er reinkommt. Die Kakerlake unter den Gemüsesorten, die jedes nukleare Magensäuregewitter überlebte.
kräftige Portion Erzähler, aber lustig

An der Kante zum Abgrund fühlte sich die Freiheit vom Sein besonders gut an. Einmal wie ein Buchenblatt im Wind wirbeln, in helixförmigen Bahnen in der Unendlichkeit schrauben.
hübsch

begegnete ihm ein kleines Mädchen mit kupfernem Haar, das zu einer Palme oben zusammengebunden war, in der rechten Hand ein Stieleis mit Schokohülle und in der linken Hand ein ampelroter Luftballon,
ich rätsele über das Kupferhaar und denke, dass es unwichtig ist, in welcher Hand sie das Eis hält.

„Nee, aber danke.“ Er umfasste seine imaginären Speckröllchen, als würde er einen Rock hochhalten.
ein Kerl, der einen Rock hochhält?

Zur gleichen Zeit kramte sie die gebrannten Mandeln hervor, deren Packung wie ein schussbereiter Merlinhut in der Hose hing. Die Straßenbahn kam, Lex stieg ein und drehte sich an der Türschwelle zum Mädchen um. Im Licht schimmerten die Apfelsaftaugen des Kindes.
wirklich gelungen finde ich den Merlinhut, zu den Apfelsaftaugen habe ich kein Bild oder meinst du Apfelsinenaugen?

auch der Opa mit verdächtig kurzen Trainingsshorts und dubios langen Strümpfen, der wie ein trocknender Babystrampler an der Klimmzugstange hing.
sehr schön

„Was machst du hier?“ Die anderen Gäste starrten Lex an.
„Wie gesagt: Du schuldest mir einen Luftballon. Und mir war langweilig, okay, mir war hauptsächlich langweilig. Warum bist du hier, das macht doch keinen Spaß.“
„Es hält mich gesund.“
„Wie hilft dir Gesundheit in einem Leben, das dir nicht gefällt?“
„Lass mich in Ruhe.“
an sich passt der Dialog, nur der Satz: wie hilft dir, der klingt falsch (was hilft dir, oder?) und sehr nach dem Erzähler, der noch schnell ne Botschaft unterbringen will.

Hoffe, du kannst was mit anfangen.
Viele Merlinweihnachtshutgrüße
Isegrims

Nachtrag: hätten sich die Emoticons bei mir nicht unsichtbar gemacht, hätte ich paar Lacher eingefügt.

 

Hallo Isegrims,

Ich hatte bei dem Text hier besonders viel Laune (im Gegensatz zu meinem momentanen Zustand, wo ich scheinbar kein Deutsch mehr schreiben kann) und auch dir danke ich für die Kritik. Die "deutsche Leistungsgesellschaft" bleibt so, ich mag es in meinen Texten spezifischer. Aber natürlich: Das hätte man auch weglassen können. Sind wir doch mittlerweile alle auf Produktivität gestutzt. "Wilbur wants to kill himself" kenne ich leider nicht. Könnte man sich für die Weihnachtstage vornehmen :D

"Was hilft dir ..." ist in unserer Sprache üblicher, ja. Ich möchte es aber so lassen.

Ich werde einen Monat verstreichen lassen, Distanz zum Text schaffen und dann noch ein bisschen überarbeiten. Mir liegt selber viel an der Geschichte.

Nochmals vielen Dank für das Lesen.

Liebe Grüße
Grayson

 

Hallo Grayson,

"Anemoi" - ja, ich bin einer von denen, die das erst nachschlagen mussten. Sehr passend, natürlich, obwohl vermutlich der Singular gereicht hätte. Denn ich sehe keine zweite Person in der Geschichte, auf die die Bezeichnung passen würde, jedenfalls nicht Lex und schon gar nicht seine Mutter. (Und auf Lex' Peristaltik wolltest du doch wohl kein weiteres Mal anspielen, oder? :D)

Das ist ein angenehm skurriler Text, inhaltlich wie sprachlich. Ich mag das gern, aber es ist nicht einfach, da durchgängig den richtigen Ton zu treffen bzw. zu halten. Dir ist das gut gelungen. An einigen Stellen hakt man beim Lesen kurz, um die Formulierung zu parsen oder die Metapher nachzuvollziehen. Das empfinde ich aber in einem solchen Text nicht als störend, das gehört sogar dazu, und im Ganzen liest sich der Text flott weg.

Nicht Anwalt zu werden, das war Lex' kleines Stück Rebellion gegenüber den Traditionen und Werten der Familie Andermann.
Na, da ist er ja nicht weit gekommen in seiner Rebellion. Er ist genauso Teil der Leistungsmaschinerie wie alle anderen. Und Versicherungen sind oft nicht so weit von der Juristerei entfernt, wie auch deine spätere Erwähnung der auf Glatteis ausrutschenden Shopper zeigt.

Zeit für seinen typischen Post-Kaffee-Ausflug zur Toilette. Nach sechsundzwanzig Jahren auf dieser Erde war er endgültig mit der koffeinierten Darmperistaltik seines Körpers vertraut.
Schon erstaunlich, wie zuverlässig das auch nach Jahren funktioniert. :D

Um 11 Uhr stand seine zweite Mahlzeit des Tages an: Gemischter Salat mit Hähnchenstreifen, ohne Mais. Kein Mais, weil der ja so rauskommt wie er reinkommt. Die Kakerlake unter den Gemüsesorten, die jedes nukleare Magensäuregewitter überlebte.
Das ist mir neu. Ich dachte, Mais sei ein ganz ordentlicher Energielieferant, auch mit Mineralstoffen, ungesättigten Ölen und so?

Um 12 Uhr rief wieder die Arbeit und bat um allstmögliche Zuneigung.
Eine volle Stunde Mittagspause scheint mir ein bisschen viel für so einen leistungsgetriebenen Angestellten bzw. ein ebensolches Unternehmen.

Lex' Leben war gut, sagten jedenfalls andere. Nur manchmal tauchten Episoden auf, in denen er sich wie in einem Loch fühlte, aus dem es schwer herauszukommen war. Leere füllte ihn, die Kontinentalplatten „Sinn“ und „Leben“ drifteten auseinander.
Anfang und Ende dieser Passage finde ich gut. Das Fette in der Mitte ist aber arg abgegriffen, das passt nicht zu deinem sonstigen Stil.

Frischluft war in den Momenten immer das beste [Beste]

Einmal wie ein Buchenblatt im Wind wirbeln, in helixförmigen Bahnen in der Unendlichkeit schrauben.
In der Unendlichkeit schrauben? Das klingt so heimwerkermäßig. Nicht eher "sich in die Unendlichkeit schrauben"?

Darum wollte er als Kind auch kein Astronaut werden - das Gefühl der Brise im Gesicht hätte er zu sehr vermisst.
Dass Lex den Wind so liebt, verwendest du genau in dieser einen Szene, nicht davor und nicht danach. Das macht ein bisschen den Eindruck, als wäre das kein wirklicher Teil seiner Persönlichkeit, sondern nur so ein Mittel zum Zweck für den Autor. Vielleicht, wenn du diesen Aspekt etwas organischer in den Text einbaust, indem du ihn auch an anderer Stelle mal erwähnst?

Für einen kurzen Moment verließ ihn die Erdanziehung, bis er auf seinem Rücken landete und vom Schmerz an sein gewöhnliches Dasein erinnert wurde.
Find ich irgendwie gut, dass du an dieser Stelle gar nicht versuchst, Lex' Reaktion auf dieses seltsame Ereignis zu schildern, sondern einfach abblendest. Das passt zum lakonischen Charakter von Lex.

Kaum aus dem Gebäude der „Calabria Versicherungen“ raus
Calabria, Heimat der ’Ndrangheta. Soll das auf das mafiöse Geschäftsgebaren von Versicherungen anspielen? :lol:

Älter als vier Jahre konnte sie nicht gewesen sein.
Ha! Mein Lieblings-Grammatikschnitzer: Das Mädchen ist keine "sie", sondern ein "es".
(Gönn mir doch den Erfolg, in deinem Text ist ja sonst kein Fehler zu finden.)

„Ich, ein erwachsener Mann, mit einem fremden Kind neben sich. Weißt du, wie das für andere Menschen aussieht?“
„Nein. Ich weiß nur, wie es für mich aussieht. Von hier unten seh ich all deine Nasenhaare, hihi.“
:lol:

Der Ballon bremste sie beim Rennen auch noch unnötig, aber loslassen [Loslassen oder loszulassen] kam nicht in Frage.

zwischen den Häusern wurden große leuchtende Sterne aufgehängt.
Bei uns passiert das immer schon Ende November.

Alle einhundert Meter biss sie von ihrem Eis ab, bis schlussendlich nur noch der Holzstiel übrig blieb, als sie an der Straßenbahnhaltestelle ankamen.
500 Meter bis zur Haltestelle. Macht fünf Mal Abbeißen.

Zur gleichen Zeit kramte sie die gebrannten Mandeln hervor, deren Packung wie ein schussbereiter Merlinhut in der Hose hing.
Schießt Merlin aus seinem Hut? Oder ist ein "Merlinhut" eine bestimmte Art von Schusswaffe? :confused:

Lex zückte seinen Hausschlüssel aus der Hosentasche und brachte ihren Luftballon zum Platzen.
Muss ja ein scharfkantiger Schlüssel sein. Und den trägt er so in der Hosentasche?

Ohhh! In der hinteren linken Ecke machte die – augenscheinlich frisch geschiedene - Quotenfrau des Hantelbereichs auf eine viel zu suggestive Weise Streckübungen auf einer Yogamatte.
Ist "Ohhh!" das Geräusch, dass die Frau beim Dehnen macht, oder die Begeisterung, die Lex bei ihrem Anblick empfindet? Beides etwas seltsam.

Und woran erkennt man eine "augenscheinlich frisch geschiedene" Frau im Fitnessstudio?
(Bitte, bitte, verrat es mir!)

Ohhh! Am Ruderturm in der Mitte des Raumes stöhnte ein Mann außerordentlich laut und ließ keinen Deut leiser die Gewichte fallen.
Hier stammt das "Ohhh!" dann wohl eindeutig vom Ruderer. Aber mal ehrlich: Ich habe im Fitnessstudio noch niemanden "Ohhh!" machen hören, höchstens "Aaargh!" oder "Hrsmnmpfff ..."

währenddessen lief im Raum ein Chart-Hit - zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde
Nenn doch ruhig den Titel, das ist anschaulicher.

Fast ließ Lex die Hantel fallen und entging dadurch knapp Darwins Willkür.
Der Satz ist schwer zu verstehen. Ich nehme an, er entgeht Darwins Willkür, weil er die Hantel nicht fallenlässt?

Ehe Lex sich umdrehen und seiner Mutter das kleine Kind vorstellen konnte, war es verschwunden, als wäre es niemals Teil dieses Lebens gewesen.
Das sollte hoffentlich keine Überraschung sein, oder? Denn es war ja von Anfang an klar, dass dieses Kind nicht (im klassischen Sinne) real sein konnte.

Wochen vergingen; nie wieder sah Lex das sonderbare Mädchen mit der kupfernen Palmenfrisur. Er reichte kurze Zeit nach dieser Begegnung seine Kündigung ein, beendete sein Kapitel als Versicherungskaufmann und zog in eine eigene Wohnung.
An dieser Stelle muss ich mal einen Wortkriegerkollegen paraphrasieren:
psychologisch ist das natürlich etwas knapp dargestellt. Da wird dem Workaholic-Bürohengst ein bisschen zugeredet und schon wird der Versicherungsjob gekündigt? Nee nee.
:lol: Nein, das soll keine Retourkutsche sein. Ich glaube bloß, dass wir hier beide vor dem gleichen Problem stehen, nämlich in einem relativ kurzen Text einen 180-Grad-Sinneswandel des Protagonisten plausibel zu machen, der durch nichts weiter als ein Gespräch ausgelöst wird. Das kann man glauben oder eben nicht.

Wenn du meins kaufst, kauf ich deins. Deal? :deal:

Im Übrigen verlierst du kein Wort darüber, was Lex jetzt stattdessen macht. Find ich schade. Das liegt doch wohl nicht daran, dass dir nichts Passendes eingefallen ist, oder ...? :susp:

Der Winter kam endgültig in der Stadt an
Hat Lex gar keine Kündigungsfrist? Wenn er die normalen drei Monate einzuhalten hat, dürfte jetzt Ende März sein, ein bisschen spät für den einsetzenden Winter.

Okay, da habe ich jetzt ein bisschen kleinteilig nach Auffälligkeiten gesucht. Nimm es als Zeichen dafür, dass alle größeren Dinge in Ordnung sind und der Text einfach super funktioniert.

Hat mir gut gefallen!

Grüße vom Holg ...

 

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