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Anekdote zur Senkung der Make-up Moral
Jenny hat den Fernseher gerade erst eingeschaltet, als auch schon die erste abgemagerte, als Schönheitsideal festgemachte Person in einer wunderbaren Welt herumhüpft und ihre augenscheinliche Intelligenz mit: "Kauf die neue Nivea-Creme, für ein verfeinertes Hautbild!", unter Beweis stellt.
Wozu, fragt man sich nun, braucht Jenny ein verfeinertes Hautbild? Die Antwort kommt sofort in Form eines dreiundzwanzigjährigen muskelbepackten Mannes, der unser hüpfendes Schönheitsideal mit einer Geste des Verlangens zum Stillstand bringt.
Klare Sache also: Nivea gleich verfeinertes Hautbild und verfeinertes Hautbild gleich wunderbare Liebschaft.
Oder gibt es etwas wichtigeres als einen Freund und ein verfeinertes Hautbild?
Gott sei Dank ist sich Jenny bewusst, dass die im Fernsehen erzählten Weisheiten nicht immer der Wahrheit entsprechen, und so wird sie nicht gleich in den Drogeriemarkt gehen. Die Alte reicht ja noch mindestens bis nächsten Mittwoch. Wieso also jetzt schon kaufen?
Und wie der Zufall so spielt ruft genau in diesem Augenblick ihre beste Freundin Jaqueline an und fragt, ob sie nächste Woche Zeit hätte, mit ihr shoppen zu gehen.
"Mittwoch", antwortet Jenny erfreut, "würde mir ganz gut passen."
"Ok, wir treffen uns so gegen zwei", schlägt die etwas piepsige Stimme aus dem Hörer noch vor, aber bevor sie sich in das Gespräch weiter vertiefen können, unterbrechen die beiden das Gespräch, wegen der gleich beginnenden Sitcom.
"Da lernt man was fürs Leben", meint Jenny immer etwas ironisch zu ihren Freundinnen, ohne zu ahnen wie nahe sie der Wahrheit damit eigentlich kommt. Nicht, dass sie dabei wirklich etwas lernen würde. Aber sie versucht es zumindest. Da tummeln sich schließlich auch lauter Schönheiten, die einerseits schon einen Freund haben und andererseits von allen gemocht werden, wenn man jetzt mal die Bösen aus dieser Sendung weglässt.
Nach der Sendung geht sie ins Bad, macht die Kontaktlinsen raus, schimpft ein wenig auf ihre Nase, schaut ein wenig, ob sich ihr Hautbild seit gestern verfeinert hat, stellt fest das nicht, schminkt sich vollständig ab, cremt ihr Gesicht mit ihrer "alten" Creme ein, bevor sie dann schließlich ins Bett geht, um ein wenig von Mark zu träumen und wie er ihr über ihr verfeinertes Hautbild streicht und sie auf ihre mit Labello, Lippgloss und Lippenstift perfektionierten Lippen küsst.
Auch wenn ihr Bus erst um kurz nach sieben fährt, steht sie schon um viertel vor sechs auf. Augenringe kann man schließlich innert kürzester Zeit hinter etwas Make-up verbergen. Schönheit braucht nun mal seine Zeit.
"Wann Mark wohl aufsteht?", fragt sie sich während sie Richtung Esszimmer trottet, um ein Glas Milch zu trinken.
Es ist ein schönes Gefühl, an Mark zu denken und sich in den fantastischsten Träumen von ihm zu verfangen. Heute kreisen ihre Gedanken aber mehr denn je um ihn, denn heute ist der große Tag, an dem sie ihn bittet, ein Eis mit ihr essen zu gehen.
In der Mittagspause würde es soweit sein, da ist er immer in dem kleinen Geschäft an der Ecke, während seine Freunde die Hamburger für das Mittagessen organisieren. Sie wird ihm zufällig begegnen und ihn in ein Gespräch verwickeln, ohne von irgendwelchen Freunden gestört zu werden, die ihn sonst immer umgeben.
Sie steht vor dem Spiegel, versteckt mit dem Abdeckstift noch ein paar lästige Pickel und probt noch ein paar mal den Begrüßungssatz, den sie sich zwei Tage zuvor mit Jaqueline ausgedacht hat.
Nachdem Jenny sich etwas ausgefallener als sonst für die Schule fertig gemacht hat, geht sie zum Bus und verflucht dabei den Wind, der ihr ins Gesicht weht und ihre Frisur durcheinander bringen könnte. In den Bus eingestiegen, schaut sie gierig zum Fenster, um zu erfahren, ob sie noch so schön wie vor Fünf Minuten aussieht. Glücklicherweise ist ihrer Haarpracht nichts zugestoßen. So ein Glück, um ein Haar hätte sich das Unternehmen in Luft aufgelöst.
Zwei Stationen später steigt Jaqueline zu und schaut sie mit prüfendem Blick an.
"Passt", sagt sie fröhlich "er kann einfach nicht Nein sagen, du siehst toll aus."
Im Lärme der anderen Insassen, geht der Seufzer den Jenny in diesem Moment von sich gibt fast unter, und sie fragt noch etwas unsicher: "Und die Frisur? Ist die auch in Ordnung?" "Aber klar, die sitzt perfekt", antwortet ihr Jaqueline versichernd, "was wirst du zu ihm sagen?"
Jenny versucht so arrogant wie möglich zu wirken, als sie schließlich herausplatzt: "Hey Mark, wie gehts dirn so? Alles Senkrecht? Ich leg gern mal Hand an. Ehrlich!" Sie brechen in schallendes Gelächter aus, und die Spannung, die sich die letzten Tage aufgebaut hat, weicht etwas von ihr.
Aber die Wirklichkeit holt Jenny auch gleich wieder ein, als Jaqueline ihre Frage, diesmal eine ernste Antwort erwartend, wiederholt: "Wie begrüßt du ihn?"
Sie überlegt kurz, sagt ihren auswendig gelernten Satz dann aber problemlos auf: "Hallo Mark, könntest du mir sagen, wo die Schokokekse mit der eigenartigen Füllung sind?"
Mit einem leicht ironischen Unterton entgegnet ihr Jaqueline: "Perfekt, er wird genau die selben Kekse in der Hand halten und ihr habt eine gute Basis für eure Beziehung. Kekse."
"Nur weils nicht deine Idee war", erwidert Jenny gespielt beleidigt, "musst du meine jetzt runtermachen, oder?"
Mit ihrer gewohnt sarkastischen Art setzt Jaqueline aber noch eins drauf: "Ich sag nur die Wahrheit, wenn das wie Runtermachen klingt, ist das nicht meine Schuld!"
Und so geht Jenny, sichtlich gut präpariert ihrem vorläufigen Schicksal entgegen, als sie ihn dann tatsächlich um Punkt 13:27 anspricht.
"Hallo Mark", sie spürt wie ihre Stimme zu zittern beginnt und ihr Blut in die Wangen schießt, aber bevor sie weiterreden kann, wird sie vom sichtlich erfreuten Mark unterbrochen: "Hi Jenny, was machst du hier?" Sie fängt an zu stammeln und schafft es nur total verunsichert "schöne Kekse" zu sagen. "Ich weiß, die schmecken echt toll", antwortet er und fragt sie gleich darauf, ob sie die auch so gern essen würde wie er. "Ja ich liebe diese Kekse", erwidert sie wieder etwas Selbstvertrauen schöpfend und schaut ihm tief in die Augen, "vor allem mit Milch schmecken sie ausgezeichnet." Er erwidert ihren Blick mit seinen wunderbar braunen Augen und stellt darauf fest: "Das Gelee schmeckt dann viel besser." Sie könnte ihm ewig in seine perfekten Augen schauen und über Kekse reden, aber wenn sie ihn jetzt nicht fragt wird sie wohl nie...
"Sag mal, hättest du vielleicht Lust mal mit mir Eis essen zu gehen?"
Sie hatten sich die Frage in genau demselben Moment gestellt, und Jenny hatte das Gefühl gleich vor Glück zu zerplatzen. Da sie sich gleichzeitig gefragt hatten, erwartete keiner der beiden eine Antwort auf die Frage und eine etwas peinliche Stille breitete sich aus, als plötzlich Marks Freunde durch die Tür kamen. Er verabschiedete sich hastig und versprach ihr am Abend noch anzurufen.
Als dann am Abend ihr Telefon klingelt kann sie ihr Glück kaum fassen. Jaqueline hatte es ihr nicht glauben wollen, als sie ihr erzählte, was am Mittag vorgefallen war. Sie nimmt ab und er ist dran. Sie unterhalten sich über die Kekse und machen ein paar Witze über ihre Unsicherheit vom Nachmittag, bis Mark sie schließlich fragt:
"Wann sollen wir uns treffen? "
"Wie wärs mit Samstagabend?"
"Ja das ist in Ordnung."
"Aber Jenny..."
"Ja?"
"Ich möchte dich nicht anlügen, also frage ich dich lieber gleich."
"Was ist denn? Sag schon!"
"Könntest du dich da vielleicht ein bisschen weniger schminken? Ich würde dich gern so kennen lernen, wie du wirklich bist."