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Andrè
Es war wieder einer der Tage, die mich in den Abgrund zogen. Draußen regnete es, dass man meinen konnte, die Welt ginge unter und hier im Haus, wo es wenigstens trocken war stritten meine Mutter und meine Schwester mal wieder. Wie immer über Nichtigkeiten.
"Andrè ist mit 13 auch schon bis elf Uhr weggeblieben! Warum darf ich das bitte nicht?" schleuderte Ev Mutter entgegen.
Ich kannte die Antwort bereits, die nun unweigerlich folgte.
"Andrè hat damals mit sehr viel dafür bezahlt! Willst du das etwa auch?" die Stimme meiner und Evs Mutter war bei diesem Thema nie so ruhig wie sonst. Während sie sprach, bewegte ich meine Lippen mit.
Aber hatte ich denn damals genug für meine Umtriebigkeit bezahlt? Vor allem, nur ich weiß, was ich wirklich bezahlt habe, wenn man in diesem Fall den überhaupt von so etwas wie bezahlen reden konnte.
Langsam stand ich auf und verließ mein Zimmer, um mich nun auch in das Gespräch einzumischen. Ich mag es nicht, wenn andere Leute einfach so über und für mich reden. Ich will mich selbst verteidigen.
"Damals ist mir nichts weiter passiert, es war nur eine dumme Lungenentzündung." mit diesen Worten betrat ich langsam den Raum. Der Geruch von Nikotin und Tabak lag in der Luft, ich wusste sofort, dass meine Mutter wieder geraucht hatte, obwohl sie es doch aufhören wollte.
""Nur eine dumme Lungenentzündung"? Du wärst beinahe gestorben!" das sagte meine Mutter jedesmal, wenn ich diesen Einwand brachte.
"Ich war selbst schuld. Und es hatte nichts damit zu tun, dass ich länger weggeblieben bin." ruhig setze ich mich in den Sessel, der am Fenster stand und blickte wieder hinaus. Es begann bereits zu dämmern. "Die magische Stunde", so wurde die Dämmerung oft genannt. Ja, das war sie auf alle Fälle.
Ich bekam nicht mit, was meine Mutter oder meine Schwester in den nächsten Minuten von sich gaben, ich blickte nur sehnsüchtig hinaus. Ich spürte die Freiheit und das Leben dort draußen... das Leben...
Ich weiß nicht, wie lange ich in dem Sessel saß und hinausstierte, als ich jedenfalls wieder klare Gedanken fasste, die nicht irgendwo mit Leben endeten, hatte der Rest meiner Familie den Raum verlassen. Eigentlich war es mir egal, wie lange Evelin abends ausgehen durfte, aber die ewigen versteckten Vorwürfe meiner Mutter wurde ich langsam leid. Seit fast fünf Jahren musste ich sie mir nun anhören. Langsam wurde es wirklich Zeit, diesem Haus den Rücken zu kehren und sich etwas eigenes zu suchen. Warum habe ich das eigentlich nicht schon lange gemacht? Wieder wanderte mein Blick durch das Fenster hinaus, wo in der Ferne ein Kirchturm zu sehen war. Ich kannte die Antwort auf diese Frage...
Ich fixierte den Kirchturm mit meinen Augen. Der Kirchturm war etwa 3 Kilometer von unserem Haus entfernt, und es wurde immer dunkler. Die Uhr zeige 18.11 Uhr an. Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und stand auf.
Langsam machte sich der Geruch von irgendwas Gebratenem im Haus breit, das hieß wohl, Mutter stand in der Küche und bald würde es etwas zu essen geben.
Essen... ja, ich hatte Hunger...
Einen Moment blieb ich im Türrahmen stehen, dann ging ich nach rechts, Richtung Küche. Ein gewohntes Bild bot sich mir. Meine Mutter zwischen Töpfen und Pfannen. Die kleine, drahtige Frau beim Kochen. Wenn sie über irgendetwas wütend war, dann kochte sie einfach. Das war ihre Methode, sich abzureagieren. Von Evelin sah ich nichts nichts in der Küche, doch ich hörte, dass sie in ihrem Zimmer Musik angemacht hatte.
"Lass sie gehen." sagte ich und holte drei Teller aus dem Schrank. Bevor ich die Teller auf den Tisch stellte, holte ich noch schnell eine Tischdecke. Vor dem Regal mit den Tischdecken blieb ich stehen und streckte meine Hand nach einer Roten aus. Instinktiv. Nein, keine rote Tischdecke! Ich leckte mit meiner Zunge über meine Lippen und fasst erwartete ich, den Kupfergeschmack von Blut zu schmecken, doch da war nichts. Alles nur Einbildung, ausgelöst von der Farbe Rot.
Ich schnappte mir also eine blaue Tischdecke und kehrte in die Küche zurück, um fertig aufzudecken.
"Wenn ich sie gehen lasse, habe ich dann das gleiche Glück wie bei dir vor fünf Jahren, oder verliere ich sie dann für immer?"
Ich stellte gerade die Gläser auf den Tisch, als meine Mutter dies sagte.
"Sie geht doch nur mit ihren Freundinnen aus. Da passiert schon nichts." entgegnete ich ihr ruhig und lehnte mich gegen das Küchenbuffet.
"Und was hast du damals gemacht? Du warst auch mit Freunden weg." sie rührte in einem Topf herum, als sie sprach. Dieses Gespräch haben wir nun schon zur Genüge geführt, und wir beide wussten das ganz genau.
"Unfälle und Zufälle passieren immer wieder, dagegen kann man nichts tun. Gegen das Schicksal kann man nichts tun, das wissen wir alle." sonst gab ich eine andere Antwort, dieses Mal allerdings wollte ich das Gespräch nicht im Kreis laufen lassen.
"Du hättest sterben können. Du hattest nur Glück und einen guten Arzt." Sie rührte immer noch.
Nun, mit einem guten Arzt hatte meine Genesung nicht viel zu tun, aber um ihr das zu erklären fehlte mir einiges an Geduld und Wissen.
"Ich bin nicht gestorben, damit basta. Lass Evelin gehen oder du verlierst sie irgendwann wirklich." das waren meine letzen Worte, ehe es Essen gab.
Das Mahl verlief ungewöhnlich ruhig. Meine Schwester sagte nicht viel, sie war beleidigt. Meine Mutter redete auch nicht, sie war zornig wegen meinen Worten. Und ich... ich kaute lustlos auf dem Fleisch rum und versuchte etwas von dem Gemüse runter zubekommen. Es schmeckte nicht schlecht, doch mein Magen und mein Kopf verlangten etwas anderes.
"Du siehst blaß aus, Andrè.Geht es dir nicht gut?" Evelins Stimme riss mich aus meinem tranceähnlichen Zustand und ließ mich sie ansehen. Ich lächelte und schob mir noch eine Gabel voll Gemüse in den Mund.
"Mir gehts bestens." sagte ich mit vollen Mund und wusste, wie linkisch das wirkte. Doch es kostete mich alle Mühe, den Schein zu wahren. Mir ging es wirklich im Moment nicht sehr gut.
Tief in mir drin brannte etwas, das immer stärker wurde. Unstillbare Gier. Unstillbar und unendlich gefährlich. Nicht nur für andere, auch für mich.
"Ich bin nur etwas müde, ich denke, ich gehe heute früher ins Bett, dann hat sich die Sache schon wieder." Ich schluckte das Gemüse hinunter und musste beinahe würgen. Doch nach Außen hin gab ich mich als den glücklichen 18 Jahre alten Mann, der einfach nur müde war. Ev nickte und aß weiter.
Nach dem Essen räumte ich meinen Teller ab und verschwand dann gleich darauf in unser Badezimmer. Mir war wirklich richtig schlecht. Ich vertrug das Gemüse nicht. Ich beugte mich übers Waschbecken und würgte das ganze Zeug wieder hoch. Es schüttelte mich richtig und ich musste mich eine Weile am Waschbecken festhalten, um nicht umzukippen.
Als ich das Badezimmer dann verließ, fühlte ich mich zwar besser, aber die Gier in mir war endgültig erwacht. Ab jetzt würde jeder, der meinen Weg kreuzte in Gefahr sein. Mit schnellen Schritten ging ich in mein Zimmer und holte meinen schwarzen Ledermantel aus dem Schrank. Ich konnte nicht anders, aber ich wollte es auch nicht anders. Ein flüchtiger Blick in meinen Spiegel zeigte mir, wie blaß ich mittlerweilen wirklich war. Das Bild erinnerte mich an jene Nacht vor fünf Jahren, die ich nie vergessen werde.
"Teil dein Wertvollstes mit mit mir und du wirst weiterleben." Hätte ich gewusst, was hinter diesen Worten steckt wäre ich ich wohl lieber gestorben. Doch ich wusste es nicht und sagte zu, in der Hoffnung, dass alles so bleiben würde, wie es war. Ich hatte mich getäuscht...
Schnell verließ ich das Haus, darauf bedacht, dass ich weder meiner Mutter noch Ev begegnete. Als ich die Haustür öffnete und mir die frische Luft entgegen kam atmete ich erst einmal tief ein.
In der Zwischenzeit war es ganz dunkel geworden, aber meine Augen passten sich sehr schnell an. Es machte keinen Unterschied, ob es hell oder dunkel war, ich hatte keine Probleme damit, etwas zu sehen. Ich vergrub meine Hände in den Taschen des Mantels und ging los. Bei diesem Wetter würden nicht sehr viel Menschen auf der Straße zu finden sein.
Ich behielt recht, es war wirklich niemand auf der Straße zu finden.
"Na, Hunger?" eine weibliche Stimme hinter mir erklang. Ich hatte die Anwesenheit der Frau schon die ganze Zeit gespürt. Sie war wie ich. Sie war der Grund warum ich nun so war.
"Kann man wohl so sagen." antwortete ich, drehte mich aber nicht um. Noch nicht. Die Gier in meinem Innersten wurde noch größer, als sie neben mich trat. Diese Gier machte mich zu einem unberechenbaren Wesen.
"Es ist nicht sehr viel los heute, fürchte, du musst bis morgen warten." in ihrer Stimme schwang ein gewisser Spott mit. Ich versuchte zu lächel, doch es missglückte mir gründlich. Stattdessen bleckte ich meine Zähne.
"Wenn ich etwas suche, so finde ich es auch." mit einer Bewegung griff ich nach ihr und zog sie an mich. Damit hatte sie nicht gerechnet, und so wehrte sie sich auch kaum. Das war mein verdammtes Glück.
Sie versuchte zu schreien, aber ich hielt ihr eine Hand vor den Mund. Dann bohrten sich meine Zähne in ihren Hals. Da war er wieder, der süße Kupfergeschmack frischen Blutes. Gierig sog ich an ihrem Hals um immer mehr Blut zu bekommen. Blut, das mir Kraft gab, das ich brauchte. Ich spürte, wie ihr Widerstand mit jedem meiner Züge langsam schwand, doch das war mir egal. Solange ich die Gier in mir nicht befriedigt hatte würde ich weitermachen. Ich roch ihre Angst regelrecht und etwas in mir labte sich auch daran. Sie war ein Vampir, ohne Zweifel. Aber ich... ich war ein Monster, das Vampiren nur ähnelte. Ich konnte bei Tag genauso agieren.
Es dauerte eine Weile, bis ich die Gier nicht mehr spürte, doch ich wusste, dass sie noch da war. Sie würde wieder für eine Weile schlafen. Die Frau war bewusstlos geworden und ich ließ sie zu Boden sinken. Mit einer fließenden Bewegung wischte ich mir den Mund ab und leckte dann das Blut noch von meinem Handrücken. Für drei Minuten sah ich die Vampirin noch an, mit einem Lächel auf den Lippen, dann drehte ich mich um.
Ich war fünf Schritte weit gekommen, da hörte ich ihre Stimme nochmals. Sie zitterte.
"Du hast mich beinahe umgebracht."
Meine Antwort darauf war: "Schade, dass es nur beinahe war." Dann verschwand ich in der Dunkelheit. Mehr Blut habe ich nicht gebraucht, um meinen Hunger zu stillen.