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Anderssein

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08.08.2002
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Anderssein

Ein halbwegs gemütlicher, nicht aufwendig gestalteter Innenhof in einem Wiener Beisl. Er erzählt von den Plänen seiner Freundin ihr Leben selbst zu verwalten, ihren Impulsen zu folgen.

Das gefällt ihm nicht. Er ist der Wissende der alles checkt bis in die hinterste Ritze der Durchschaubarkeit.

„Sie will ständig Veränderung, andauernd neue Anfänge, dort wo doch Durchhalten und Bestehen das einzig Sinnvolle wäre. Nicht der Wechsel – Beständigkeit ist gefragt“. Sagt er, aus seiner Sicht, in seinem Unvermögen zuzulassen, dass sie eigene Gedanken hat – andere als seine, eigene Sichtweisen auf das Leben. Dass auch immer wiederkehrendes Verändern eine Beständigkeit in sich birgt ist ihm fremd.

Ich kenne sie nicht, aber ich fühle wie es ihr geht. Weiß wie es ist, wenn jemand dein Leben ständig zu kontrollieren versucht, sich in der Unbeirrbarkeit seines Standpunktes zu wichtig nimmt. Wenn alle Sehnsüchte verdammt werden zu Wertlosigkeiten. Er zerredet ihre Träumereien, wertet die Möglichkeiten neuer Perspektiven ab welche ihr Lebensfreude schenken könnten und versucht sie zur Mitinhaftierten im eigenen Gefangenenhaus zu machen.

Sich selbst als Optimist bezeichnend, nimmt er in Anspruch der Weisere, der Erfahrenere zu sein. Er hat die Allmacht die Auslese zu treffen von dem was realisierbar und was in den Topf der sinnlosen Träume zu werfen ist, auf den seelischen Müllhaufen. Nicht erkennend, dass aus Kompost neues, weil verwandeltes Leben, entstehen kann.

Auch er wird überrascht sein, wenn sie sich eines Tages über seinen beengenden Horizont erhebt und mit den letzten Fransen der ständig gestutzten Flügel hinaufsteigt in Höhen die er nie erreichen kann. „Ich habe ihr doch immer nur helfend und schützend zur Seite stehen wollen“ wird er sich unverstanden fühlen und verkannt. Sein immer für sie da sein ist ein anmaßendes und nicht gewolltes Hinführen zu seinen Wahrheiten. Ihre Gedanken und Pläne sind es ihm nicht wert wahrgenommen zu werden. Er bewertet sie nach seinen Maßstäben, toleriert ihr Anderssein nicht.

Und ich? Ich erfahre im Bewerten von ihm, dass ich ebenso fehlbar und bedürftig in meiner Unvollkommenheit bin wie er.

 

Hallo schnee.eule!

Ja, auch deine zweite Geschichte, die ich von dir lese, hat mir gut gefallen.
Ich finde, du hast die Meinungsverschiedenheit der beiden Partner dem Leser gut nähergebracht und anschaulich formuliert.
Jeder gehört sich selbst (auch trotz partnerschaftlicher Beziehung), führt sein eigenes Leben und kann selbst Entscheidungen treffen; und das kommt in deiner Story gut rüber.

Viele Grüße, Michael

 

Lieber Michael !
Genau so ist es, jeder kann seine eigenen Entscheidungen treffen - und doch lässt man sich oft in eine Richtung lenken in die man gar nicht wollte und es bedarf dann einige Zeit der Besinnung auf sich selbst. Ebenso wie man eben oft Gefahr läuft seine eigenen Werte so wichtig zu nehmen, dass man das Gegenüber als fehlerhaft einschätzt - aber Tatsache ist schlicht, dass er nur anders ist.
Gruß an dich - schnee.eule

 

Hi,
wirklich gut geschrieben. Mehr ein Statement als eine Geschichte, ein komplexer Gedankengang, der durch und durch wahr ist und in dem jeder wohl sich in der einen oder anderen Rolle wiederfindet.
Es bleibt bei dem Thema aber auch immer wichtig, dem Anderen nichht das Gefühl zu geben, das man ihn gnädigerweise an einem Leben teilhaben lässt, dass von vorne bis hinten nur darauf aufgebaut ist, seine Ideen, Wünsche oder Ziele durchzusetzen. Das kommt in Deinem Text raus, zwischen den Zeilen und ist ebenfalls unabdingbar.

Eine Stelle fand ich komisch:

Auch er wird überrascht sein, wenn sie sich eines Tages über seinen beengenden Horizont erhebt und mit den letzten Fransen der ständig gestutzten Flügel hinaufsteigt in Höhen die er nie erreichen kann
Sehr schöne Worte, aber da ist ein Widerspruch am Anfang: Er wird hinaufsteigen in Höhen, die er nie erreichen kann. Ich würde sagen: "...die er bis dahin nie erreicht/erahnt hat..."
Und das Komma nach Höhen ;)

Sehr schöner Text :thumbsup:

Lieben Gruß, baddax

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber baddax !

Ich schrieb ja auch, dass SIE in Höhen aufsteigt die ER nie erreichen kann.

Aber ich lerne durch deine Antwort wieder etwas dazu. Denn er kann tatsächlich noch Erfahrungen machen die auch ihn zu eben solchen Aufschwüngen führen die er noch gar nicht erahnt. Diese Möglichkeit habe ich ihm aber durch mein bereits feststehendes Urteil gar nicht mehr zugestanden.

Danke für diese weitere Erkenntnis - lieben Gruß schnee.eule

 

guten morgen schnee.eule (oder sollte ich besser sagen "nacht.eule", wenn ich die zeit deines letzten postings sehe?). liege ich richtig in der annahme, dass du diese story aus dir heraus geschrieben hast, dass es also deine ganz persönliche denkweise (und vielleicht auch dein erleben mit einem partner) ist? also so eine art seelen-striptease? oder hast du die geschichte niedergeschrieben, um dir selber über diese situation klar zu werden (so frei nach dem motto: "was man zu papier bringt, hat man besser durchdacht")?

auf jeden fall eine sehr schöne und sehr bildhaft geschriebene kg - oder besser statement, wie baddax richtig schreibt.

allerdings muss ich dazu sagen, dass (wahrscheinlich durch die bildhaftigkeit) dein text schwieriger zu lesen wird. ich musste nicht nur einzelne sätze 2x lesen, sondern am schluß die ganze story nochmals. nicht, ums sie ganz zu begreifen, sondern um ihre schönheit ganz zu geniessen.

vielleicht hängt das ganze auch mit der interpunktion zusammen. hier wage ich mich jetzt aufs glatteis, denn das ist ein punkt, in dem ich selber absolut unsicher bin: komma ja oder nein? so rein gefühlsmäßig würde ich einige beistriche mehr sehen in deinem text. ein komma unterbricht den lesefluss meist an der richtigen stelle und hilft somit, den text schneller (und richtig) zu erfassen. vielleicht fragst du mal die experten dazu..... herzliche grüße. ernst

 

Uupps...das stimmt, habe ich falsch gelesen.:rolleyes:
So macht der Satz natürlich Sinn.
Gruß, baddax

 

Lieber Ernst Clemens !

Danke auch hier für deine Worte die mir ein sehr positives Gefühl vermitteln.

Zu deiner Frage. Ja, dieses Gespräch fand tatsächlich statt und das Gesprochene erinnerte mich sehr an das was ich mit meinem früheren Mann erlebte. Ich freue mich, hier auf diesem Weg des Schreibens und des Dialogs vieles loslassen zu können was sich aufgestaut hat während vieler Gezeiten. Ich weiß nicht ob es Seelen-Strip ist. Ich glaube jeder lässt seine Gefühle, Aggressionen und Traurigkeiten in seine Zeilen einfließen, selbst in frei erfundenen Texten wird das so sein. So wie jeder Lesende ganz bestimmte Stellen in dem Geschrieben aller auffinden wird. Es ist wie bei einem Bild. Der Mensch davor kann nie ausgenommen werden aus dem Geschehen, weder der Maler noch der Betrachter.

Generell denke ich, dass Menschen sehr dazu neigen ihren eigenen Weg als den besten und gangbarsten zu sehen was ja völlig legitim ist.
Ich erkenne aber immer wieder, dass es schwer ist für die Meisten, mich nehme ich da nicht aus, anzuerkennen, dass der eigene Weg lange nicht den Anspruch auf alleinige Richtigkeit hat. Und so gibt es Abende wie diesen wo es mir nicht ganz gelingt die Toleranz zu üben die ich für mich fordere.

Lieben Gruß - schnee.eule

 

Schnee.eule!!!!

"mit den letzten Fransen der gestutzten Flügel...", sag mal wie kommt man denn da drauf? wo holst du es her?

Und dann dieser schöne letzte Satz am ende, in der Deine Fehlbarkeit, menschliche Schwäche, .....unser alle menschlichen Schwächen zum Ausdruck kommt.

Na, ich glaub schon lange, daß Du niemandem etwas zu Leide tust im realen Leben!!! Und nur das beste für jedermann willst.

Mal wieder sehr gelungen und professionell

Archetyp, liebe grüsse

 

Servus Archetyp !

Lieben Dank für deine Worte, die mich einmal mehr erfreut haben.

Wo ich Worte wie jene mit den Flügeln herhole - nun die Fransen der meinen haben davon erzählt.

Ganz herzlichen Gruß an dich - schnee.eule

 

eine gewisse schwermut, charakteristisch für wien.

eine intelligente geschichte, mit einigen literarisch sehr starken momenten.

verdient auf jeden fall respekt, allerdings muss ich einwenden, dass die eine oder andere formulierung im mittelteil sich ... sehr erörternd liest.

 

Servus Bogdan !

Vielen Dank für dein kritisches Auseinandersetzen. In der Tat habe ich den Text heute seit längerem wieder einmal gelesen - und zwar bevor ich deine Kritik aufnahm um sie danach besser einschätzen zu können - und zum Teil auch eine vielleicht zu üppige Erläuterung meiner Gedanken festgestellt. Man braucht manchmal ein wenig Abstand.
Dass du mit dem Text an sich etwas anfangen konntest freut mich sehr. Interessant finde ich, dass du ihn meiner Stadt entsprechend schwermütig siehst. Sollte dem so sein ist die Schwermut ein Teil meiner selbst geworden und so nicht mehr für mich erkennbar, weil gelebt.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

hallo schneeeule, aus trottelgründen lese ich deine antwortski erst jetzt.

zur schwermut: die gelebte schwermut ist die einzig wahre. bin auch ein wiener. für mich ist das melanchonische, schwermütige ein grundbestandteil der wiener atmospähre.

umpf umpf!

 

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