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And the Sky is Grey

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25.01.2003
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And the Sky is Grey

Es war ein kalter Abend und es hatte schon seit drei Stunden geschneit. Mary fühlte die Kälte überall an ihrem Körper und sie setzte sich ein bisschen näher neben die Heizung.
„Geht es Tobey heute besser? Ich war noch nicht bei ihm,“ sagte eine leise Stimme hinter ihr. Mary fing an zu zittern und antwortete nicht. Diese eisige Kälte. Wann würde es endlich Frühling werden?
Hinter ihr zog ihre kleine Schwester Lynn eine Decke von der Couch, ging zu der Heizung und legte sie behutsam und vorsichtig um ihre große Schwester. Die Decke rutschte Mary von den Schultern.
„Du zitterst. Du musst die Decke fest um deine Schultern legen, sonst rutscht sie,“ teilte Lynn ihr mit. Mary bewegte sich nicht. Sie starrte mit einem leeren Blick in die Heizung.
„Es wird Tobey wieder besser gehen. Das sagt auch das Krankenhaus. Und Mommy meint das auch,“ sagte Lynn laut während sie sich neben Mary setzte. Sie nahm einen kleinen Teil der Decke und versuchte sich darin einzuhüllen. Ihre kleinen Finger schafften es nicht ganz und nach einer Weile verzweifelten Kampfes gab sie auf und setzte sich ohne Decke neben Mary.
„Ich will dir eine Geschichte erzählen, Mary,“ flüsterte Lynn. „Und die geht so: Es war einmal ein Mädchen, das hieß ...Tina. Sie war auch dreizehn, wie du, Mary und immer sehr still. Das heißt, sie war nicht still, als sie jünger war. Denn damals war ihr großer Bruder noch nicht krank gewesen. Damals hat sie noch mit ihrer kleinen Schwester Lilly im Schnee gespielt. Damals hat sie nicht gezittert...“ Lynn machte eine kurze Pause und sah ihre Schwester von der Seite ein wenig vorsichtig an.
„Einmal ist sie auch mit Lilly auf einen Baum geklettert. Ganz weit hoch und von dort oben hatten die beide eine fantastische Aussicht. Sogar auf Schulausflüge hat Tina ihre kleine Schwester mitgenommen und sie hat ihr sogar das Butterbrot in der Pause abgegeben. Als der große Bruder krank wurde, da ist sie nicht mehr in die Schule gegangen. Nicht mehr auf Bäume geklettert und hat nicht mehr mit Lilly gespielt.“ Lynn hörte für eine kurze Zeit auf. Sie schien nachzudenken. Sie wurde ein bisschen sauer auf sich, dass ihre Geschichte so offensichtlich war. Nach einer Weile bohrender Stille war es ihr egal. „Nicht mehr mit ihr gespielt... nie wieder! Sie saß immer nur da!“ Mit diesen Worten stand Lynn auf und war Auge in Auge mit ihrer Schwester. Lynn weinte ein bisschen, wischte sich nach einer Weile die Tränen weg und blinzelte immer noch in die Augen ihrer Schwester. Mary starrte zurück, aber der leere Blick derselbe.
„Du hast mir gar nicht zugehört,“ sagte Lynn leise und schniefte. Dann drehte sie sich um und ging aus dem Zimmer.

Tobey keuchte, schwitzte, schrie, griff nach den Armen seiner Mutter, faselte wirres Zeug und erkannte seine eigenen Schwestern nicht mehr. Mary hatte das drei Monate mitgemacht. Den ganzen Winter lang und sie hoffte, mit dem Frühling würde sich etwas ändern. Der Frühling änderte die Felder, den Wald, die Menschen. Wenn die Blumen wieder blühen würden, die Felder wieder farbig sprießen würden, würde alles wieder in Ordnung sein.

Es war spät am Abend, als sich Lynns Zimmertür leise bewegte und jemand in ihr Zimmer schlich. Lynn schlief nicht. Die Schreie ihres Bruders und die aufgeregten Stimmen der Ärzte und Eltern im Haus machten es beinahe unmöglich zu schlafen. Lynn wusste, dass sie im Moment das stärkste Familienmitglied war. Das Jüngste und Stärkste. Irgendwer musste schließlich gegen die Tränen ankämpfen. Sie wollte nicht auch vor der Heizung sitzen und die Welt vergessen.
Lynn wusste wer in das Zimmer getreten war, aber sie sagte nichts.
„Wie endet die Geschichte?“ fragte eine Stimme in der unendlichen Dunkelheit des Zimmers.
„Welche Geschichte?“ fragte Lynn.
„Die Geschichte, die du im Wohnzimmer erzählt hast. Tinas und Lillys Geschichte,“ antwortete Mary. Lynn sagte eine Weile nichts. Hatte sie mir doch zugehört.
„Egal, wo ihr großer Bruder hinkam, es war ein schöner Ort. Nach seinem Kampf, den Schmerzen und dem Schreien kam er zu diesem unglaublichen Ort. Dort gab es Autos für ihn. Spielautos, ganz viele! Jede Farbe, jedes Modell!“
„Und Zuckerwatte.“
„Ja, das sowieso. Gummibärchen und Schokolade auch. Er wird an diesem Ort nicht älter, dort kann er sich sein Alter selbst aussuchen. Wahrscheinlich möchte er für immer 15 bleiben, denn er hat einmal gesagt, er mag es 15 zu sein.“ Lynn lachte kurz und sagte dann: „Ja und immer wenn er traurig ist, wird er seine Lieblingsmusik hören.“
„von The Mamas and The Papas.”
“Genau. Cailfornia Dreamin', sein Lieblingslied. Er wird es immer hören können an diesem Ort. So oft er will, so laut er will. Keine Mama wird ihm sagen, die Lautstärke zu verändern.“
Mary kicherte. Sie war zu ihrer kleinen Schwester ins Bett gekrochen. Beide schwiegen eine Zeit lang. Vertieft in den Gedanken, wie gut es Tinas und Lillys Bruder an so einem Ort gefallen würde.
„Wie heißt dieser Ort?“ fragte Mary.
„Autowattefornien,“ sagte Lynn, als wäre es der normalste Name der Welt.
„Autowattefornien,“ wiederholte Mary zufrieden. Dann nahm sie ihre kleine Schwester in den Arm und beide schliefen ein.

Der Frühling kam schließlich doch. Und es war ein wunderbarer Frühling. Die Bäume und Blumen bekamen ihre prächtigsten Farben und die Sonne strahlte fast jeden Tag von dem Himmel herab. Mary ging zurück in die Schule und die Abende vor der Heizung waren vorbei. Schließlich gab es keine eisige Kälte mehr, es wäre abends einfach eine zu große Zeitverschwendung nicht mit Freunden in dem großen Wald zu spielen oder in das Dorf zu fahren. Lynn durfte großzügigerweise sehr oft mitkommen und sogar ihre kleinen Freunde mitnehmen. Mary und Lynn waren zusammen in das dritte Kinderzimmer gezogen. Es war größer und sie konnten sich dort ein gemeinsames Zimmer einrichten.
Wie Mary erwartet hatte, hatte der Frühling etwas verändert. Ihr Bruder hatte seinen langen Kampf in Autowattefornien beendet. Und Mary würde ihn irgendwann einmal dort besuchen.

 

Hallo Eittirf!

Deine Kurzgeschichte gefällt mir recht gut. Sie ist traurig, und doch vermittelt sie durch Lynns Erzählung, die den schmerzhaften Verlust ihres Bruders lindern soll, Lebensmut. Das ist dir gut gelungen.

Was ich ein wenig verwunderlich finde, ist, dass die kleinere Schwester die Geschichte von Tina und Lilly erzählt hat; normalerweise tun das wohl eher die älteren Geschwister.

Ein paar störende Wiederholungen (vor allem das Wort "Decke" ist mir aufgefallen) sind noch drin; ansonsten sprachlich in Ordnung und flüssig zu lesen.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Danke für deine Antwort, Michael.
Dass die kleine Schwester und nicht die große Schwester die Geschichte erzählt hat war Absicht.
Diese Tatsache kommt viel öfter vor, als man denkt. Auch die Kleinen wissen oft was in anderen Menschen vorgeht und wie sie ihnen helfen können.

Liebe Grüße,
Eittirf

 

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