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Anastasia, die verlorene Zarentochter

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21.04.2017
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Anastasia, die verlorene Zarentochter

Anastasia, die verlorene Zarentochter


Ich höre ihr schallendes Lachen. Langsam laufe ich durch den Garten. Friedlich spielt sie mit ihrem Hund. Hinter einem Busch bleibe ich stehen und schließe die Augen. Nur ein paar Momente Frieden, ein paar Momente, bevor das unvermeidliche geschieht.

Ein Jahr ihr Wächter, ein Jahr das mich verwirrt. Ich mag sie. Teilweise beweisen sie unser Misstrauen, beweisen das Bild der Revolution, doch teilweise auch nicht. Und sie ist anders. Sie scherzt mit mir, sie lacht mit mir, und manchmal schweigt sie mit mir. Auf ihr Lächeln hin lächle ich, weil es mein Herz erwärmt. Das Bild der Revolution oder das Mädchen das ich gefangen halte, welches ist Wirklichkeit?

Ich öffne die Augen. Ich bin Soldat, mehr Momente des Friedens bekomme ich nicht. Ich muss weitergehen, ich habe Pflichten, denn ich bin Soldat. Ein Schritt nach vorn. Sie bemerkt mich. Ein weiterer Schritt. Sie blickt mich an. Noch ein Schritt. Sie sagt meinen Namen. Ein letzter Schritt. Sie steht vor mir. Ich lächle sie an, sie lächelt zurück. Ihre blauen Augen sehen mich an.

„Unten im Haus gibt es essen“, sage ich. Ich bemühe mich um einen normalen Tonfall, doch ihre Augen schauen bis auf meine Seele. Ihr Lächeln bleibt gleich, doch in ihren Augen erkenne ich das sie es weiß. Ein Nicken, und sie geht an mir vorbei. Ihr Duft hüllt mich ein und raubt mir den Atem. Der Weg nach unten ist ewig, und sie sagt kein Wort. Aber ich bin Soldat, ich muss weitermachen.

Als sie mit einem Knarren die Tür öffnet, ist die gesamte Familie schon versammelt. Sie setzt sich auf einen Stuhl. Ich bleibe in ihrer Nähe stehen, versucht, ihr eine Hand auf den Rücken zu legen, um ihr näher zu sein. Wenn doch die Umstände nur anders wären, wenn doch sie nur nicht meine Gefangene wäre. Aber ich bin Soldat.

Mein Genosse verkündet den Beschluss der Hinrichtung ihrer Familie, dann schießt er ihrem Vater in die Brust. Ein paar Familienmitglieder schreien, ein paar fangen an zu weinen, ein paar sind schon tot. Und sie sieht mich an. Sie sieht mir in die Augen, wieder bis auf meine Seele. Ich kann ihren Blick nicht deuten. Ich glaube Bedauern zu sehen, ein Hauch von Mitleid oder einen stillen Vorwurf. Vielleicht auch Sehnsucht, vielleicht nach mir. Ich kann ihren Blick nicht deuten, und er wird mich den Rest meines Lebens verfolgen. Aber ich bin Soldat, mein Fühlen ist nicht wichtig.

Ich ziehe meine Waffe, und richte sie auf ihr Herz. Ich stehe weniger als eine Armlänge entfernt. Ich kann ihren Atem beinahe auf meiner Haut spüren. Eine einzige Träne fließt ihre Wange herunter. Sie bewegt ihre Lippen, leise flüstert sie :„Lebewohl“. Dann drücke ich ab. Ihr Körper kommt leblos auf dem Boden an. Eine Träne löst sich von meinen Kinn.
Ihre Augen sehen mich noch an, aber sie ist tot. Und ich bin immer noch Soldat.

 

Hallo Elisha M Rache,

willkommen bei uns. Was mir an der Geschichte über die Ermordung der Zarenfamilie fehlt, ist die Verortung. Ich will den Raum sehen, ihn riechen, ihn spüren, will mitten drin sein, will das intensiv erleben. Was dir ganz gut gelingt, nämlich die Andeutung von Nähe zwischen Anastasia und dem Erzähler, die vorsichtige Zuneigung, die möchte ich stärker erleben. So bleibst du an der Oberfläche, der Konflikt wird zwar deutlich, aber das Besondere nicht. Dafür brauchst du etwas mehr Raum, mehr Genauigkeit. Könntest du richtig was draus machen, aus der Geschichte, wenn du die Lücken meiner Imagination füllst. Vielleicht hast du ja Lust daran zu arbeiten.

Textstellen:

Nur ein paar Momente Frieden, ein paar Momente, bevor das unvermeidliche geschieht.
Das Unvermeidliche (groß) warum aber unvermeidlich?

Ich bin Soldat, mehr Momente des Friedens bekomme ich nicht. Ich muss weitergehen, ich habe Pflichten, denn ich bin Soldat.
so eine Wiederholung, um etwas zu betonen, muss man dosieren, sonst verliert es an Wirkung, hier ist es zu viel.

doch in ihren Augen erkenne ich das sie es weiß. Ein Nicken, und sie geht an mir vorbei.
erkenne ich, dass

Ich bleibe in ihrer Nähe stehen, versucht, ihr eine Hand auf den Rücken zu legen
versuche; und warum beschreibst du hier sein Gefühl nicht genauer?

Ich kann ihren Blick nicht deuten, und er wird mich den Rest meines Lebens verfolgen. Aber ich bin Soldat, mein Fühlen ist nicht wichtig.
hier könntest du zeigen, gegen was er innerlich ankämpft.

Eine Träne löst sich von meinen Kinn.
hat der am Kinn die Tränendrüsen? :hmm:

viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Elisha M Rache,

da hast du einen berühmten Augenblick der Weltgeschichte herausgesucht und auf einen ganz intimen Moment heruntergedimmt. Das hat mich neugierig gemacht, warum gerade diese Szene. Sie hat, wie du ja wahrscheinlich weißt, zu vielen Spekulationen, zu Prozessen, Romanen, Verfilmungen geführt. Viele gingen von der Annahme aus, die jüngste Zarentochter sei gar nicht erschossen worden.

Ich frage mich also, ob du am historischen Hintergrund interessiert bist oder ob es dir mehr um die grundsätzliche Beziehung zwischen einem Soldaten und seinem Opfer geht. Könnte so eine Beziehung auch in einem ganz anderen historischen Kontext entstehen?

Du siehst, ich habe Interesse an deiner kurzen Skizze.
Zum sprachlichen hat ja Isegrims schon gesagt. Dem schließe ich mich an.

Freundliche Grüße

wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

liebe Elisha,

ich weiß nicht, ob es jedem gefällt, wenn ich jeden Beitrag zur "Historik" besuche, aber in Deinen Text hat mich auch Dein verdammt interessanter nickname gezogen: "Elisha" (el = Gott, iasch = helfen, retten), der sich offensichtlich auf den alttestamentarischen Stammesgott bezieht, von dem man auch weiß, dass die Rache sein sei, also alles andere, als der neutestamentarische, zu dem der Name "Anastasia" (= Auferstehung) passt.

Das vorweg: Du traust Dich was, wo ich schon an meiner schnoddrigen Art zu scheitern fürchte, den Tausch in der Geschlechterrolle - nicht so sehr im biologischen (niemand ist von Elementen des anderen Geschlechts frei) als dem sozialen ...

Zudem ist es praktisch, den beiden bezaubernden Vorrednerinnen blind folgen zu können in ihren Argumenten. Datum, Uhrzet und Ort der Erschießung sind bekannt - wieselmaus hat es schon angerissen -und alle wurden letztlich per Kopfschuss hingerichtet (was Deiner Darstellung keinen Abbruch tun kann, es wurde - wie das so bei schießwütigen Kommandos so vor sich geht, auch einfach drau los geballert. Die wirklich unappetittliches Seite des Vorfalls verschweig ich mal. Wäre was für Horrorverehrer.)

Hierauf hat schon Isegrims verwiesen

bevor das nvermeidliche geschieht.
, sollte dann auch korrigiert werden ...

Hier ist ein Komma (wg. nachfolgendem Relativsatz ist, der zugleich eine Apposition als vollständiger Satz zum "Jahr" ist

Ein Jahr ihr Wächter, ein Jahr[,] das mich verwirrt.
Zeichensetzung scheint überhaupt Dein Problem zu sein ...
Das Bild der Revolution oder das Mädchen[,] das ich gefangen halte, welches ist Wirklichkeit?
Ihr Lächeln bleibt gleich, doch in ihren Augen erkenne ich[,] das sie es weiß.

Ich glaube[,] Bedauern zu sehen, ein[en] Hauch von Mitleid oder einen stillen Vorwurf.

Der Doppelpunkt ist direkt hinters vorhergehende und der abschließende Punkt ist vor die auslaufenden Gänsefüßchen zu stellen
..., leise flüstert sie :„Lebewohl“.

Hier wäre mal ein Komma zwischen zwo Hauptsätzen entbehrlich - es wird ganz hervorragend von der Konjunktion "und" vertreten (es sei, Du wolltest einen der Sätze gegenüber dem andern besonders hervorheben ...)
Ich kann ihren Blick nicht deuten, und er wird mich den Rest meines Lebens verfolgen.

Hier wird m. E. mit "beweisen" (i. S. von aufweisen, belehren, zeigen) das falsche Verb gewählt, treffender ist m. E. "bestätigen"
Teilweise beweisen sie unser Misstrauen, beweisen das Bild der Revolution, doch teilweise auch nicht.

Das Problem des wiederholten "Soldaten", auf das schon Isegrims hinwies,
Ich bin Soldat, ...
ließe sich durch die Einführung des "Rotarmisten" und/oder "Revolutionär"

Sie sagt meinen Namen.
Nicht falsch, aber wäre "nennen" statt "sagen" nicht poetischer?

So, wie es hier steht, wäre es "das" Essen und groß zu schreiben

„Unten im Haus gibt es essen“, sage ich.
Die Substantivierung kannstu durch den Infinitiv "unten im Haus gibt es zu essen" vermeiden.

..., doch ihre Augen schauen bis auf meine Seele.
Schaut sie nicht eher "in" seine Seele?

Als sie mit einem Knarren die Tür öffnet, ...
War Anastasia schon so alt, dass ihre Knochen mit der "knarrenden" Tür knarrten?

Ich kann ihren Atem beinahe auf meiner Haut spüren.
Warum nur "beinahe"?

Eine Träne löst sich von meinen Kinn.
War's nicht doch eher Angstschweiß? Denn wird es nicht so sein, dass der junge Bursche zwischen seinem Kommando und seinen Gefühlen zu dem Teenager hin und hergerissen wird und schließlich der Gehorsam über das Gefühl zu der jungen Frau obsiegt?

So, nun bin ich auf den Nachfolger neugierig

Friedel

 

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