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- 15.03.2008
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Anas Rat
„Wer ist da?“, fragte er.
"Rat, bist du das?“, fragte sie
„Wer zur Hölle sind Sie?“
"Ich bins, Ana.“
„Ana“, sagte er, "was zur Hölle wilst du?“
"Ich, ich brauche jemanden ...“
„Und“, fragte er. „Hat sich niemand besseres gefunden?“
„So meinte ich das nicht.“
„Nein, natürlich nicht. Du hast noch nie gewusst, was deine Worte ausdrücken. Du sagst das eine und meinst das andere.“
„Ich brauche Hilfe, ich brauche dich.“
„Verstehe.“
„Du verstehst?", fragte Ana.
„Sprich bitte Klartext: Was willst du?“
„Moment, Moment, setz mich bitte nicht unter Druck ...“
„...“, Rat wartete.
„Ich brauche jemanden, der mich im Leben festhält. Es hat so weh getan, alles ist weg, nur der Schmerz ist geblieben und drängt mich raus.“
„Wenn du dich wichtig machen willst …“, murmelte er.
„Nein! Das tue ich nicht mehr. Ich habe lange überlegt, ob ich dich anrufe, aber ich weiß sonst keinen.“
„Schon gut“, sagte Rat. „Konnte ich mir auch nicht vorstellen. Ist mir rausgerutscht.“
„Macht nichts.“
„Und“, fragte er. „Was glaubst du, was ich jetzt tun soll?“
„Komm her. Sei bei mir.“
„Nein“, sagte er. „Ich will das nicht mehr - dich zu sehen und all das seltsame Elend.“
Rat hielt den Mund und hörte eine Weile zu. „Okay“, sagte er dann. „Einen Versuch ist es wert, ich sage es ja ungern, aber du hast recht, das bin ich dir schuldig.“ Er hörte wieder ein paar Takte zu.
„Ein Tag“, sagte er. „Wenn ich in der Zeit nichts erreiche, verschwinde ich wieder. Ich habe keine Zeit zu verschwenden.“
„Du hast gesagt, er würde dich rausdrängen“, sagte Rat. „Der Schmerz würde dich aus dem Leben drängen. Das klingt nach einer komischen Nummer – so warst du früher nicht.“
„Doch“, sagte sie „Du hast es nur nicht wahrgenommen.“
„Okay“, sagte er. „Mir ist auf der Herfahrt schon aufgefallen, dass ich kaum was von dir weiß. Wahrscheinlich weil du so furchtbar langweilig warst. Aber darum geht es gerade nicht“, sagte Rat. „Warum bin ich hier? Wahrscheinlich, um dein Leben zu ändern.“ Er lachte. „Klingt nach herausragend schlechter Reality-Show, ist aber lediglich schlechte Realität. Beginnen wir mit etwas, das du aus dem Stegreif ändern solltest: Deine Frisur gefällt mir nicht.“
Ana sah ihn überrascht an, sie war offensichtlich zu keiner Antwort fähig. Ihr offener, verletzlicher Gesichtsausdruck machte ihn wütend. Rat unterdrückte das Gefühl und konzentrierte sich.
„Du musst hier weg“, sagte er. „Einfache Regel zum Merken: dein neues Leben braucht eine neue Stadt, neue Fassaden und Gesichter. Eine andere Geschichte.“
„Hab ich doch versucht“, sagte sie. „Drei Monate in Anderswo, kompletter Absturz. Ich war so verloren. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr die Einsamkeit meine Seele auffrisst. Ich bin da anders als du, ich halte das nicht aus.“
Rat drehte sich eine Kippe und stellte beim Anzünden fest, dass er an diesem Tag schon mehr geraucht hatte, als sonst in einer ganzen Woche. “Versuchen ist nichts wert“, sagte er, „es spielt keine Rolle, was du versuchst. Niemand will wissen, was versucht worden ist. Du sollst die Dinge gelingen lassen. Wenn du hier bleibst, wirst du bald wieder liegen und zittern und kotzen. Nach Hilfe kriechen, wenn du noch kannst. Du bekommst dein Leben nicht auf die Reihe.“
„Was soll ich denn machen?“, fragte sie. „Hier sind wenigstens welche, die mit mir was zu tun haben wollen. Für die anderen bin ich Dreck, der letzte Abschaum. Du weißt, wie das ist.“
Rat schlug die Faust auf den Tisch. Ana erschrak. „Tu das nicht“, sagte sie, den Blick zu Boden gesenkt. „Jag mir keine Angst ein.“
„Fuck!“, rief er, die Stimme dunkel vor unterdrückter Wut. „Wach auf! Das hier kotzt mich an“, sagte er.
„Das ist mein Leben“, sagte sie, tonlos. Dann, mit etwas Leben in der Stimme: „Warum bist du überhaupt hier, warum willst du mir helfen?“
„Wir beide. Das war doch was Besonderes.“
„Allerdings ... du hast meinen ersten Druck gesetzt ...“
Rat runzelte die Stirn. „Ich …“, begann er. „Ja“, sagte er.
„Nimm mich in den Arm.“
„Was soll das?“, fragte er.
Sie stand auf, ging um den Tisch, legte ihren Kopf auf seine Schulter und umarmte ihn.
„Ich brauche jemanden, der mich hält“, sagte sie. „Und mir sagt, ‚es ist nicht deine Schuld.‘“
„Das geht nicht …“, murmelte er.
„Bleib heut nacht bei mir.“
„Das wird nicht gehen. Mir ekelt vor dir. Seit du mich umarmst, stehen mir die Haare zu Berge.“
Ana löste die Umarmung. „Verstehe“, sagte sie und ging wieder zu ihrem Stuhl. Sie setzte sich und begann leise zu weinen.
“Scheiße“, sagte Rat. „Hör auf damit ... ich habs nicht so gemeint.“
Sie schüttelte den Kopf. „Du hast es genauso gemeint - und es stimmt. Ich bin ekelerregend.“
„Nein, nein“, sagte Rat, ging zu ihr und nahm sie in den Arm. Ana stieß ihn weg.
„Manchmal träume ich davon, so hässlich zu sein wie ich mich fühle“, sagte sie. „Dann wäre ich nicht begehrenswert und niemand würde mich ficken wollen.“
Er sagte nichts, hockte nur neben ihr und sah sie an. „Ich wünschte, ich wäre tot“, sagte sie.
„Viel zu früh am Tag, um so was zu sagen“, sagte Rat. Auf der Küchenuhr zeigten zwei schwarze Zeiger auf weißem Grund die Zeit: zehn nach fünf.
Rat überlegte, wie viel echter Todeswunsch in diesem Satz steckte und fand, dass sich das schlecht einschätzen ließ. „Ich muss jetzt los“, sagte er. „Mir einen Überblick verschaffen. Wenn was ist, ruf an.“ Er schrieb seine aktuelle Nummer auf einen Zettel. „Und bring dich nicht um! Ich bin hergekommen, um etwas Gutes zu tun. Versau mir das nicht.“
„Heroin! Koka!“, rief einer. „Brauchste Schorre?“, wurde Rat angequatscht. „Flunis! Stadas!“
Rat suchte einen Weg durch die Menge von vielleicht dreißig Gestalten, die vor der Drogenbörse standen, handelten und konsumierten. Ein durchtrainierter Tätowierter taumelte mit der Spritze in der Hand über den Platz und fragte, ob ihm jemand einen Schuss setzen könnte, er wäre zu breit, um die Ader zu treffen. Ein Auge war halbgeschlossen, das andere ganz. Blutrinnsale rannen den linken Arm herab und vereinigten sich vor dem Handgelenk, bevor sie gemeinsam zu Boden tropften.
„Verpiss dich“, sagte Rat, schob den Tätowierten beiseite und ging zu einem Rastamann, der einem ungefähr zwanzigjährigen Weißen sagte, er solle eine Pfeife rauchen, um zu beweisen, dass er kein Zivi sei. Rat wartete, bis einer der ungeschickten Versuche, die Pfeife anzuzünden, gelang, und sagte „Ey Pip. Heutzutage dürfen auch Zivis konsumieren.“ Der drehte sich um.
"Shiiiit, Rat", sagte Pip. "It’s an abso-fucking-lutely surprise! Dich hab ich bestimmt zwei Jahre nich mehr gesehn ..."
"Sechs Jahre, um etwas genauer zu sein", sagte Rat.
"Hört, hört", sagte Pip. "Du musst mir unbedingt ein bisschen deiner kostbaren Zeit opfern." Pip kuckte auf sein Handy. "Lass uns Kaffee trinken“, sagte er. „Zehn Minuten noch. Ich mach hier Schicht von vier bis sechs."
"Ich weiß", sagte Rat. "Deswegen bin ich hier."
"Yeah", sagte Pip. "Hast dich erkundigt. Kennst mich sicher bereits besser als ich mich selbst. Ganz der Alte, ha!"
Ein dicker Mann um die fünfzig zubbelte Pip am Arm. "Was?", fragte Pip. Der Dicke hielt ihm fünfzehn Euro hin. "Nee. Zwanzig kostet es, zwanzig. Für fünfzehn kriegste nix. Haste noch zwei Euro, kuck mal nach. Zwei Euro mehr und du kriegst was. Kuck mal nach." Der Dicke durchsuchte seine Taschen, beförderte tatsächlich einiges Klimpergeld zu Tage und beglotzte die Münzen auf seiner offenen Handfläche. Rat sah, dass es ungefähr sechs Euro waren. Pip nahm alles. Der Dicke sagte etwas, im müden Brummelton des dauernd Gemobbten. Pip legte ihm ein Kügelchen auf die leere Hand und winkte ihn weg. "Verzieh dich", sagte er. "Mach schon!" Der Dicke kuckte beleidigt, trollte sich aber ohne ein weiteres Wort. Rat zündete eine Kippe an und hörte mit halbem Ohr, wie Pip „Cocaine, Cocaine! Right here, right here!“ sein Zeug unter die Leute brachte. In den letzten zehn Minuten wechselte Stoff für hundertzwanzig den Besitzer. "Ausverkauft", sagte Pip zu einer großgewachsenen Prostituierten mit haselnussbraunen Augen, die aussah, als staunte sie immerzu. "Sorry, morgen wieder."
"Wir gehen dort rüber", sagte Pip zu Rat und zeigte auf einen Abschnitt der Straße ein paar hundert Meter weiter. "Bei den Containern stehen zur Zeit ständig Zivis. Was treibt dich eigentlich", fragte er, "zurück zum Tatort?"
"Ana", sagte Rat. "Ich bin hier, um ihr zu helfen."
Pip verzog das Gesicht. "Hässlich, was mit dem Mädel zuletzt abging ..."
"Was meinst du?", fragte Rat.
"Was weißt du?", fragte Pip.
"Praktisch nichts", sagte Rat. "Sie scheint nicht so ganz bei sich zu sein, faselt von Schmerzen, die sie rausdrängen ..."
"Auf der Szene kursiert ein Sexvideo mit ihr", sagte Pip. "Von ihr, Mark und seinen Assikumpeln. Wenn sie mal keine Kohle hat, bläst sie oder lässt sich durchbumsen."
"Freiwillig oder unfreiwillig?", fragte Rat.
„So breit wie die sind …“
"Mark ... der kleine Tekker?"
"Jep, genau der", sagte Pip. "Macht mittlerweile auf Hustler, vertickt dies und das, kleines Business. Wenn die Mädels nicht zahlen können, bietet er Stoff im Tausch gegen Naturalien."
"Das hast du gerade nicht gesagt", sagte Rat. „Diese kleine Ratte.“
"Die Zeiten sind rauer geworden", sagte Pip.
Sie saßen am See und tranken Kaffee, Pip öffnete seinen Siegelring und schnupfte den Inhalt. „Du nimmst das Zeug selbst?“, fragte Rat.
„Oh, yeah! Motherfuckers belauern einen auf Schritt und Tritt, da muss man fit sein!“
„Ein Wirt sollte besonders vorsichtig sein mit seinem Alkohol“, sagte Rat. „Aber das ist dein Bier. Mir ist etwas anderes wichtig: Ich will, dass du Ana keinen Stoff mehr verkaufst.“
„What the fuck! Von mir kriegt sie kein Nanogramm. Ich will Geld, kein Sex. Außerdem vertick ich nichts an labile Gestalten wie Ana eine geworden ist, das macht nur Ärger.“
„Okay“, sagte Rat. „Ein einfaches ‚okay‘ hätte gereicht.“
„Ist das dein glorreicher Plan – ihre Quellen auszutrocknen?“
„Bullshit“, sagte Rat. „Fürchte ich auch. Weißt du was Besseres?“
Eine Weile sagten sie nichts, ein paar Jogger kamen vorbei.
"Und", fragte Pip, "was machste als nächstes?"
"Erst mal Mark besuchen und dafür sorgen, dass das aufhört. Ihm deutlich machen, was es für seine Lebensqualität bedeuten würde, wenn er Ana weiterhin zur Nutte macht."
"Oh, my man", sagte Pip. "Ich mag, wenn irgendwer hier an irgendwen anderes denkt. Nicht nur an Stoff und Kohle. Aber Mark ist eigentlich nicht das Problem. Sie sucht sich wen anders, wenn bei ihm nix mehr geht. Genug Typen tauschen Stoff gegen Sex."
"Mark ist nur einer von Vielen", sagte Rat. "Das Problem ist ihr freier Wille, der keiner ist."
Pip zuckte die Achseln, spuckte aus und lachte. "Mark wird Augen machen", sagte er. "Der macht vor seinen Homies auf richtig dicke Hose."
"Wenn er kooperativ ist", sagte Rat, "erwähne ich nicht, dass er meinen Haushalt für ein Gramm Dope pro Tag geschmissen hat."
"Er war der kleinste Pimmel von allen. Damals hing auch noch Mäxchen immer bei dir rum ... vor zehn verdammten Jahren! Haste zu dem noch Kontakt?"
"Sporadisch", sagte Rat.
"Man sagt, er holt den Stoff direkt von den Clans. Kein Verschnitt, feinstes Pulver ..."
"Ja", sagte Rat. "Und?"
"Fuck, Rat, my man! Du must mir ne Connection machen! Ich kenn ihn zwar noch von damals, aber er mich nicht."
"Nee", sagte Rat. "Geschäftemacherei ist nicht mehr meins. Ich will eigentlich gar nicht hier sein. Und wenn ich nicht das Gefühl hätte, Ana etwas schuldig zu sein, wäre ich nicht hier."
Elfstöckige Hochhäuser standen dicht an dicht vor dem dramatischen Hintergrund schwerer Regenwolken. ‚Nach Hause kommen‘, dachte Rat und spürte die beunruhigende Präsenz der Schusswaffe an seinem Beckenknochen. An einen Ort zurückkehren, wo alles selbstverständlich ist, wo sich die Regeln nicht ändern.
Im Fahrstuhl standen außer ihm drei Kids, auf ihren schiefen Caps waren die Embleme von NBA-Teams gedruckt. Einer hatte ein Handy dabei, aus dem Kollegah rappte. … ticke ich gelbe Paste aus Amphetamin-Drogenküchen / an Junkies auf dem Schorestrich … Im siebten Stock stieg Rat aus, die letzte Kollegah-Line Mutterficker das ist Kokamusik, ich komme zieh die Gun und sorg für den totalen Krie… wurde von der schließenden Fahrstuhltür abgeschnitten. 'Endlich Schluss mit diesem Müll', dachte er. Es war ihm unangenehm, dass sich die letzte Liedzeile grob mit seinen eigenen Absichten deckte. Appartement 704. Bunte Goa-Aufkleber pappten von draußen an der Tür, Mark the Dark war mit Edding auf das Holz geschrieben. Rat klopfte.
Wenig später fragte jemand, wer da stände. Rat sagte seinen alten Szenenamen und hörte, wie der auf der anderen Seite der Tür weitergegeben wurde. "Rat!" Der Spion wurde heller und wieder dunkel, als sich die Augen an ihm abwechselten. "Mark", sagte Rat. "Wir müssen reden."
Mark öffnete die Tür. Rat sah die gleiche bleichgesichtige Pickelfresse wie vor sechs Jahren.
"Du hast dich kaum verändert", sagte er.
"Mhm", machte Mark und schlurfte durch den Flur.
Im abgedunkelten Wohnzimmer saßen vier weitere Personen. Zwei spielten Playstation; einer zählte Pillen und Scheine, eine Hochschwangere saß auf einem Sessel und rauchte mit geschlossenen Augen eine Filterzigarette. Rat sah auf seine Armbanduhr. 19:44. "Rück rüber", sagte er zum Zähler und drängelte ihn beiseite, achtete nicht auf dessen Beschwerde, zog ein silbernes Etui aus der Tasche und nahm eine Zigarette. "Mach mal keinen Stress hier", sagte der.
"Nicht mehr als nötig", sagte Rat und zündete die Kippe an.
Mark holte einen Schminkspiegel unter seinem Sessel hervor, machte mit einem Cuttermesser aus einem Häuflein weißen Pulvers drei Linien, zog mit zitterndem Röhrchen zwei davon; die dritte und deutlich größere reichte er Rat. Der schüttelte den Kopf, wiederholte, dass er nur reden wolle und hob seinen Pullover, damit Mark einen Blick auf das werfen konnte, was in diesen Kreisen als finales Argument verstanden wurde.
"Gefall ich dir so sehr?", fragte Rat. "Du kuckst ja gar nicht mehr weg ..." Mark starrte ihn mit unbewegtem Gesicht an, seine linke Augenbraue flatterte. "Nervös?“, fragte Rat, “ … machst dir sicher Gedanken … überlegst wegen Ana ... hast du das Video zufällig hier?“
Die Schwangere öffnete die Augen und sah Rat an, in ihren Augen funkelte es. 'Katzenaugen', dachte Rat.
„Mark sieht zwar aus wie dritte Generation Inzest“, sagte er. „Aber dass mein Auftauchen mit dem, was ihr mit Ana getrieben habt, zusammenhängt, müsste sogar ihm klar sein ...“
„Deine Ana ist ne Mordsschlampe“, lächelte die Schwangere und pustete aus.
„Du“, sagte Rat. „bist nicht gefragt.“
„Mark“, sagte er. „Mark the Dark.“
Rat zog die Pistole aus seinem Hosenbund und legte sie auf den Tisch. „Es geht um dieses Video. Es geht darum, dass du Ana vergewaltigt hast“, sagte er. Eine Weile sagte niemand ein Wort.
„Ich weiß von keinem Video“, sagte Mark. „Den Sex wollte sie. Ana hat mich gefragt …“
„So etwas befürchtete ich“, sagte Rat und nahm noch einen Zug. „Ich bin bereit, diese Schusswaffe zu nutzen. Mach dir keine Illusionen …“
Rat drückte die Kippe im überquellenden Aschenbecher aus. "Immer diese Druffibuden", sagte er. "Sauställe ... bei mir sah das damals anders aus, was, Mark?"
"Was willst du?", fragte er.
„Zuerst will ich nicht angelogen werden. Pip hat von diesem Film erzählt.“
„Ohhhh shit, my man Pip!“, imitierte Mark Pip. „Wenn der unbelievable Obersnacker himself das erzählt, ist es natürlich the fucking truth!“
„Halt den Ball flach, Kleiner. Auf jeden Fall hast du sie für ein paar Gramm Dope gefickt.“
„Das geht dich doch nen Scheißdreck an!“, rief Mark.
„Hör zu“, sagte Rat. "Du lässt in Zukunft die Finger von Ana. Wenn ich von der nächsten Schwanzlutscherei gegen Naturalien höre, wird es deine letzte gewesen sein."
"Fick dich", sagte Mark. "Nur weil es zufällig deine Ex-Schlampe ist! Tu doch nicht, als ob du ein Engel gewesen wärst."
„Halt besser die Klappe, Mark“, sagte die Schwangere.
„Meine Durchsage ist: Das nächste Mal wird dein Letztes gewesen sein. Ist das angekommen?“, fragte er.
„Wir sitzen alle im selben Scheißboot“, sagte Mark. „Vergiss das nicht, wenn du in mein Haus kommst, um mich zu bedrohen. Glaubst du, ich hätte Angst vor einer Kugel? Ja, ich hab sie gefickt. Soll ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben? Wie oft hast du mich gefickt und gedemütigt vor meinen Leuten? Und jetzt kommst du Penner hier an, machst auf Tarantino und willst mir Angst machen? Ich scheiß auf dich, Mann.“
„Große Worte, kleiner Mann“, sagte Rat. „Sie sind registriert. Da steckt was Wahres drin. Aber wenn du dich nicht an die Ansage hältst …“ Rat tippte mit der Fingerspitze gegen die Waffe. „Verstanden?“, fragte er. „Ich frage nicht noch einmal.“
Mark nickte.
"Mir schwebt noch eine andere Frage vor", sagte Rat. "Wisst ihr nicht, wie man Typen nennt, die Mädels für Geld klarmachen müssen?"
"Die wollen das doch", sagte leise der Zähler. "Sie bieten sich an. Nimmst du das Angebot nicht an, gehen sie zum Nächsten, bei dem es ihnen vielleicht nicht so gut ergeht ..."
"Verstehe", sagte Rat. "Ihr tut ihnen einen Gefallen ... " Er steckte die Pistole zurück in den Hosenbund und ging.
Ana sah auf die Uhr und überlegte, wie lange sie bereits allein am Tisch saß; dass es mehr als zwei Stunden waren, konnte sie nicht herausfinden, weil sie nicht wusste, wann Rat gegangen war. Bis sie darauf kam, dass ihre Überlegung ohne Startpunkt keinen Abschluss finden könnte, waren weitere Minuten vergangen.
Sie strich über ihr Gesicht und entfernte den salzigen Rest der Tränenspur, gleichgültig und nebenbei; es war nicht sie, die geweint hatte. Ana nahm ein Kartoffelschälmesser und schnitt in ihre Handfläche. Auf der Straße bellte ein Hund.
Tiere hatte sie immer geliebt, vielleicht tat sie es noch; sie war immer voller Liebe gewesen, konnte es wirklich sein, dass alles für immer verschwunden war? Ana blutete auf den Küchenfußboden und sah einem Mann hinterher, der mit einem großen schwarzen Hund spazieren ging. Ich sehe dem Mann nicht hinterher, dachte sie, ich sehe den Hund an.
Sie blickte als hohle Statue auf die Welt. Ich habe ihn geliebt, echote es in ihr. Ana erinnerte, wie er gerochen, was er gesagt und wie er geschaut hatte - was in ihm vorgegangen war – sie wusste so viel mehr über ihn, als er je über sie gewusst hatte.
Über sich wusste sie vor allem, dass sie Schuld hatte, schuldig war; es war ihre Verantwortung, all das Misslungene und Missratene. Mit Hingabe hatte etwas in ihr der inneren Hässlichkeit Gestalt gegeben. Ana war alles, wovon ihre Vorstellung Du sollst nicht lautete. Anas Glaubensbuch war eine Sammlung von Verboten und diese Verbote betrafen ausschließlich ihre eigenen Handlungen; sie fand sich manchmal arrogant, weil sie sich strenger bewertete als ihre Mitmenschen. Mit zweierlei Maß messen. Aber sie konnte es nicht abstellen. Wenn sie sich erinnerte, sah sie die Hässlichkeit, ihre Verderbtheit.
Warum war sie äußerlich immer noch so schön? Gab es auf einer Welt, die so lügnerisch sein konnte, überhaupt etwas Wahres? Da fiel ihr Rat ein. Manchmal hasste sie ihn, weil er sie dort hineingezogen hatte. Dabei hatte sie ihn erpresst: Wenn du mir das Zeug nicht besorgst, gehe ich zu dem und dem. Sie dachte das gar nicht, Überlegung reihte sich an Überlegung, fiel von irgendwo in sie hinein. Das war nicht ihr Leben, das waren nicht ihre Gedanken. Doch wer steckte in diesem Körper? Sie strich ihre Kurven entlang, über ihre Brüste und die Hüfte; dass die Haut immer noch so porzellanen war, die Brüste so fest. Als wäre sie achtzehn. Ihr Körper log. Doch was macht das schon, fragte sie sich. Mein schöner lügender Körper bedroht mich nicht. Ich stecke nicht darin.
„Sieh dir das an“, sagte Mäxchen und zeigte sichtlich zufrieden den Ausblick von der Dachterasse. „Nett“, sagte Rat.
„Hier ist alles eins A“, sagte Mäxchen und ging die enge Wendeltreppe hinunter zur Küche, einem minimalistischen Raum voller weiter Flächen aus weißer Verkleidung und blitzendem Chrom. „Jobs‘ feuchte Träume“, sagte Rat.
„Perfekte Kombination aus Design und Funktionalität“, sagte Mäxchen. Er öffnete und schloss eine Schublade, um das elegante Klicken hören zu lassen, mit dem sie einrastete. „Die Wände sind extrem schallisoliert, hier dringt kein Laut nach außen. Wenn sich die Pussy beim Rudelfick die Seele aus dem Leib schreit, bekommt das niemand mit. Die Nachbarn sind sowieso die meiste Zeit des Jahres unterwegs, besonders jetzt. Wer verbringt schon den Winter in Deutschland, wenn er die Wahl hat?“, fragte Mäxchen. „Darf ich dir etwas anbieten? Weißes, Braunes? Reinheitsgrad 86 beziehungsweise 38 Prozent.“
Rat sah zum Kaffeeautomaten. „Braun mit weiß“, sagte er. „Milchkaffee.“
Mäxchen verzog das Gesicht. „Du bist leider etwas zu früh“, sagte er. „Morgen kommt ein Techniker. Die Tücken des Objekts.“
„Okay“, sagte Rat. „Ein Wasser bitte, falls sich der Hahn bedienen lässt.“
Mäxchen lachte ein falsches Lachen, das wie das Bellen einer Hyäne durch die weitestgehend leeren Räume des Penthouses klang.
„Ich bin wegen Ana hier“, sagte Rat. „Du musst verhindern, dass sie hier in der Stadt an irgendwelche Drogen kommt.“
„Bist du irre geworden?“, fragte Mäxchen. „Du könntest den obersten Warlord in Afghanistan auf deiner Seite haben und trotzdem nicht verhindern, dass sich eine einzelne Person Stoff holt. “
„Irgendetwas musst du tun können …“, sagte Rat. „Fast alles, was hier im Viertel verkauft wird, geht durch deine Hände. Alle Pips und Marks kaufen von deinen Leuten.“
„Nein“, sagte Mäxchen. „Ich will nichts dagegen tun. Mäxchen handelt nur in eigenem Interesse. Und das Leid anderer berührt mein Wohlbefinden nicht, mit Sklavenmoral braucht mir keiner kommen. Du solltest es mir nachtun - lass sie vor die Hunde gehen.“
„Das kann ich nicht hinnehmen“, sagte Rat.
„Wie meinst du das?“, fragte Mäxchen.
„Es klingt in deinen Ohren vielleicht albern“, lachte Rat. „Aber ich erwarte von dir ein gewisses Bemühen in dieser Sache.“ Er ging zum Fenster und schob den Vorhang ein Stück beiseite. Auf dem Bürgersteig patrouillierte eine schwarzhaarige Straßennutte. „Was ist eigentlich mit diesen Zigeunern?“, fragte er. „Die sind überall im Quartier.“
„Absolute Dilettanten“, sagte Mäxchen. „Bisher kommen aus dem Ostblock nur die C-Gangster, um ihre Mädels laufen zu lassen – das interessiert hier niemand, ist ja ein Sperrgebiet. Deutsche arbeiten hier nicht, außer Drogennutten auf eigene Faust und Gefahr. So viel kann man mit Prostitution gar nicht verdienen, dass es den ständigen Ärger mit der Polizei lohnte.“
„Und die lassen die Finger von anderen Geschäften?“, fragte Rat. Ein Herr in Anzug mit freundlichem Großvatergesicht blieb bei dem auf achtzehn gestylten Mädchen stehen und sprach sie an.
„Sie versuchen es ab und zu, dann lassen wir ihre Pusher verprügeln und haben wieder eine Weile Ruhe. Anders geht es nicht, die wirst du nicht mehr los. Der Westen ist für viele immer noch das Paradies.“
„Dass du die in deinem Revier rumlaufen lässt. Du warst doch immer so ein Macht- und Gebietsgläubiger …“, sagte Rat.
„Die Zigeuner-Zuhälter sitzen den lieben langen Tag in meinen Spielhallen und füttern die Automaten mit der Kohle, die ihre Mädchen fürs Beinebreitmachen kriegen …“
„Was weißt du von einem Sexvideo?“, fragte Rat, „in dem zu sehen sein soll, wie Pip gegen Anas Willen mit ihr schläft.“ Mäxchens Augen blitzten, die Entdeckung eines fast vergessenen Schatzes. Als er Rats forschenden Blick wahrnahm, wendete sich Mäxchen ab, gestikulierte entschuldigend und nahm einen ankommenden Ruf entgegen. Er spuckte kurze, abgehackte Sätze in das Telefon. So träumen Maschinen, dachte Rat und überlegte, was jetzt zu tun wäre.
Er schob den Vorhang wieder vor das Fenster. Bei der Bewegung drückte der Stahl seiner Pistole gegen seinen Unterbauch. Rat drehte sich um. Mäxchen war aufgestanden, ging im kleinstmöglichen Kreis, blickte zu Boden und spuckte Maschinensätze.
Rat zog die Pistole zum zweiten Mal an diesem Tag, visierte Mäxchens Schädel an, während er Schritt für Schritt auf ihn zuging. „Hey“, sagte er leise. Als Mäxchen aufsah: Klick.
Die Pistolenkugel trat knapp über dem rechten Auge ein und fetzte ein gutes Drittel des Schädels weg, blutige Knochenfragmente spritzten auf Rats Gesicht und Hemd. Mäxchens Körper wurde herumgeschleudert und fiel auf den Glastisch, der mit dem trockenen Knack berstenden Eises brach; das Mobiltelefon hatte er noch in der Hand. Der unsichtbare Gesprächspartner füllte die Stille mit Sätzen voller multipler Ausrufe- und Fragezeichen. Klick. In Rats Ohren summten überforderte Trommelfelle.
Trotzdem fühlte er die Ruhe im Auge des Sturms und den Wunsch, diese Ruhe bis zum Ende aller Tage spüren zu können. Aber der Sturm wird weiterziehen, wer zu lange wartet, wird von den Winden des Wechsels in der Luft zerrissen werden. Er zwang sich zu überlegen, was der Mord an einem neureichen Geschäftsmann, dem Beziehungen zum Milieu nachgesagt wurden, für ein Medienecho hervorrufen könnte. In welche Richtung die Polizei ermitteln wird. Mäxchen hatte viele Feinde gehabt, das bedeutete viele falsche Fährten.
Rat steckte die Pistole in den Hosenbund, ging in das Badezimmer und wusch Gesicht und Hände. Obwohl weder seine Fingerabdrücke noch seine DNA in einer Datenbank gespeichert waren, wischte er die Armatur des Waschbeckens ab, und ging durch die Wohnung, um alle Flächen zu reinigen, auf denen er Abdrücke hätte hinterlassen haben können. Was in so einem Fall zu tun war, hatte er aus TV-Krimis. Er war auf diese Situation nicht vorbereitet gewesen, man würde sehen, ob populärkriminologische Medienbildung ausreichte, um die Spuren zu verwischen. Rat zog einen hochgeschlossenen schwarzen Kurzmantel und ein Paar braune Lederhandschuhe an, setzte einen Hut auf und ging durch den Hintereingang auf eine schmale Gasse. Mäxchen war ein Profi, dachte er, und Profis sorgen für gute Fluchtwege; Profis, dachte er, sorgen für schallisolierte Wände; Profis, dachte er, glauben an alles zu denken.
Ein paar Straßen weiter überquerte er eine Fußgängerbrücke und warf die Tatwaffe in den Kanal.
Ich bin ein Schatten im Rauschen der Welt, dachte sie. Was ich tue, ist gleichgültig; gleichgültige Taten haben keine bedeutenden Folgen. Ana sah verwirrt auf ihre blutenden Handflächen und fragte sich, was an diesem Bild nicht stimmte. Sie fand keine Antwort, wunderte sich über die Frage und legte das Kartoffelschälmesser weg.
Aber auch Schatten, dachte sie, sollten ihre Wohnung sauber halten. Sie begann Geschirr abzuspülen, Reinigungskonzentrat biss in die offenen Wunden. Das Handtuch war tiefrot, als sie mit Abtrocknen fertig war, ihre Hände brannten. Sie stellte den letzten Teller in den Hängeschrank und seufzte zufrieden. Wieder was geschafft.
Ana setzte sich an den Tisch und überlegte, was sie jetzt tun sollte. In ihrem Kopf passierte buchstäblich nichts, der war nur Echoraum für das Ticken der Wanduhr. Sie sah auf ihre Hände und fragte sich, was geschehen war. Ihre Erinnerung hatte sie im Stich gelassen. Wo die letzten Stunden hätten abgespeichert sein sollen, war Leere.
Ihre Ma sagte, wenn sie sich so fühlte, sollte sie etwas für sich tun. Hatte es immer wieder gesagt. Lies den Zettel. Das war ein Automatismus geworden. Wenn du leer bist. Hatte sie immer wieder gesagt. Tu dir Gutes. Das war ein Automatismus geworden. Wenn du dich so fühlst, hatte ihre Ma immer wieder gesagt: öffne die Schublade und lies den Zettel. Es ist ein Zauberzettel, er wird dir helfen. Wenn du dich so fühlst. Hatte sie gesagt. Tu dir. Automatismus. Gutes. Ana öffnete die kleine Schublade im Küchentisch und holte Mas Zettel heraus. Du bist nicht schuld, stand obenauf. Das hatte ich ganz vergessen, dachte Ana. Ich habe es verbockt, alles habe ich versaut. Deswegen bin ich ganz allein, darum will niemand bei mir sein. Okay, eine kommt manchmal, doch schüchterner Gast, kommt sie nur, wenn ich allein bin. Man muss freundlich zu ihr sein, um sie nicht zu verschrecken. Ich werde sie begrüßen. „Ich freue mich sehr“, sagte Ana, „dass sie da sind.“ Dann sah sie wieder auf den Zettel. Du bist nicht allein, stand noch darauf. Nein, dachte sie, das stimmt. Manchmal kommt Einsamkeit, dann bin ich nicht mehr allein. Ich will freundlich zu ihr sein, sie soll sich wohlfühlen. Ana kannte Einsamkeit als unsteten Geist, der kam und ging wie er wollte. Das gefiel ihr nicht. Aber Reisende soll man nicht aufhalten, sondern freundlich zu ihnen sein, damit sie wiederkommen. Gerade ist sie wiedergekommen, sitzt Ana gegenüber, lächelt schüchtern und sagt „Tod ist ein Schrumpfkopf mit abgeschabten Wiederkäuerzähnen, der auf die Gelegenheit wartet, seine Hauer in unsere Hälse zu graben.“
„Wir wissen nicht, was der Tod ist“, widersprach Ana und lächelte. „Aber mein Rat wäre, Tod als ein freundliches Mädchen mit einer Blume im lockigen offenen Haar zu verstehen. Das uns irgendwann zum ewigen Tanz holen wird. Sie will uns nichts Böses.“
Sie hörte, wie ein Stein gegen das Fenster traf. Rat, dachte sie, wie früher. Sie hatten achtgeben müssen, dass ihre Ma sie nicht erwischte, als sie in ihrer Jugend heimlich Nächte miteinander verbrachten. Eine gute Erinnerung. Goodland.
„Was machst du nur?“, fragte er in der offenen Tür. Sie lächelte scheu. Was hatte sie bloß wieder falsch gemacht? Rat nahm sie bei der Hand und mit ins Badezimmer.
„Wann hast du das getan?“, fragte er.
„Ich … weiß nicht“, sagte sie und runzelte die Stirn.
„Mensch Ana, kann man dich nicht mal fünf Minuten allein lassen?“, fragte er.
„Fünf Minuten?“, fragte sie.
„War nur mal eben um den Block, spazieren“, sagte er. „Hab ich doch gesagt, bisschen Kopf freikriegen, nachdem wir dieses schwierige Gespräch über deine Probleme hatten …“
„Probleme?“, fragte sie, sah auf ihre Hände und lächelte verlegen. „Oh ja“, sagte sie. „Sieht ganz so aus.“
„Hier muss doch irgendwo ein Verbandskasten sein“, überlegte Rat laut und durchsuchte das Badezimmermobiliar. „In einem ordentlichen Haushalt wird der wohl nicht fehlen.“
Im Schränkchen unter dem Waschbecken fand er den weißen Kasten mit dem roten Kreuz in der Mitte. Und erzählte, während er ihre Hände verband, worüber sie sich die letzten Stunden durchaus hätten unterhalten und was sie in der Zeit hätten getan haben können. „Wir haben über das Geschenk des Lebens gesprochen, über seine Vergänglichkeit. Darüber, dass du dich nicht aufgeben darfst und immer wieder aufstehen musst.“ Er lachte. „Wir haben furchtbare Phrasen gedroschen, merke ich gerade“, sagte er. „Aber sie sind wahr, verstehst du?“ Das hielt er für einen möglichen Gesprächsverlauf und wer weiß, vielleicht war es nicht so falsch. Sie sah ihn mit großen Augen und leerem Gesicht an und nickte eifrig. „So, jetzt bist du geheilt!“, lachte Rat. „Bis zur Hochzeit wird nichts mehr zu sehen sein. Komm, ich mach uns einen Früchtetee.“ Rat gab ihr einen Kuss auf die Wange und nahm sie bei der Hand. In der Küche kochte er Wasser, legte Teebeutel in zwei bauchige Becher und Spekulatius und Dominosteine auf einen Teller.
„Du hast mich gebeten bei dir zu bleiben, weißt du?“ Ana knabberte an einem Keks und nickte.
„Ich habe zugestimmt, dass ich an deiner Seite und für dich da sein werde. Erinnerst du dich?“, fragte er und sah auf seine Uhr. „Für erst einmal weitere 24 Stunden“, sagte er. „Die in ungefähr 18 Stunden und 33 Minuten beginnen. Ich habe die Anfahrtszeit nicht berechnet, weil du meine erste Liebe bist. Erinnerst du dich noch, wie wir vor einer Stunde über …“
Im Laufe der Erzählung kehrte das Leben in ihre Mimik zurück. Rat fragte die erzählte Geschichte immer wieder nach und bemerkte, wie der fiktive Abend mit jedem erinnerungsbildenden Satz mehr zu ihrer erlebten Wirklichkeit wurde.