An Jesus kommt keiner vorbei!
Hans war ein aufgewecktes Kind, seinen Spielkameraden oft einen Schritt voraus, an vielen Dingen interessiert und dazu äußerst wissbegierig. Auf die Frage seines Kinderarztes: „Na Hans, wie geht es dir denn heute?“, antwortete er: „Relativ miserabel, Herr Doktor“. Und das, als Hans gerade zu sprechen begann. Bezeichnend für dieses Kind war auch, dass der Weihnachtsmann Hans kein profanes Lied singen oder ein kurzes Gedicht aufsagen ließ, nein, es sollten die Inseln der Philippinen sein, die der Knirps aufzählen musste. Die armen Eltern hatten es oft nicht leicht mit ihrem Kind, sie wurden tagein, tagaus mit allen möglichen und unmöglichen Fragen gequält.
Hans war nicht nur wissbegierig, sondern auch recht stolz. Als die Mutter eines Nachmittags mit ihrem Sohn im völlig überfüllten Fleischergeschäft circa zwei Stunden in der Warteschlange stand, das war in den neunzehnhundertsechziger Jahren in der DDR nicht ungewöhnlich, verhielt sich Hans immer mucksmäuschenstill. Eines Tages jedoch weigerte er sich hartnäckig den Laden zu verlassen, nachdem die Mutter bezahlt hatte. Es half kein Zureden und kein Schimpfen. Mama brachte das Kind nicht aus dem Geschäft. Nach einigen Minuten platzte Hans der Kragen: „Habe ich denn heute schon mein Stück Wurst gekriegt?“, rief er lauthals in den Verkaufsraum. Die Mutter stand da, wie zu Stein erstarrt. Aber die nette Fleischverkäuferin entschuldigte sich höflich: „Ach mein Kleiner, das habe ich ja ganz vergessen bei dem Trubel“, und reichte eine Scheibe Leberkäse über die Theke. Da war die Welt für Hans wieder in Ordnung. Er war nicht nachtragend.
Es trug sich zu, als Hans gerade die erste Klasse der polytechnischen Oberschule, wie die Grundschule in der DDR damals hieß, besuchte. Er fing an zu lesen und zu schreiben. Wie sich jeder Leser denken kann, versuchte Hans von nun an, an jedem Geschäft, auf allen Schildern und Fahrzeugen, jedes, aber auch wirklich jedes, Wort zu entziffern. Außerdem begann er sich so langsam für Religion zu interessieren. Seine Eltern aber hatten mit höheren Wesen nicht viel im Sinn, sie versuchten, ihr Kind atheistisch zu erziehen. Auf Hans` Fragen nach dem Herrgott und Jesus Christus antworteten die Eltern ungefähr so: „Das sind Erzählungen aus einer Zeit, als sich die Menschen viele Erscheinungen noch nicht erklären konnten.“ „Du musst schon selbst sehen, dass aus dir etwas Vernünftiges wird, beten hilft da nichts“, erklärte der Vater. Hans schien es hinzunehmen. Nach einiger Zeit ließen die Fragen tatsächlich nach.
Eines schönen Tages kam das Kind ganz aufgeregt aus der Schule nach Hause. „Vati, Vati, du hattest recht, das ist alles Quatsch mit dem Gott und dem Jesus und so“. Der Vater war ehrlich erstaunt.“Weshalb denn das, mein Sohn?“, fragte er Hans mit einem seltsamen Gefühl im Bauch. „Ich habe es doch selbst ausprobiert“, rief das Kind.“ Als ich heute nach der Schule an der Kirche vorbeikam, war da so ein Schaukasten aus Holz mit einer Glasscheibe. Darin befand sich ein Plakat, auf dem eine Hand abgebildet war und darunter stand in ganz großen Buchstaben: „Halt! An Jesus kommt keiner vorbei!“ Da bin ich ganz schön erschrocken aber dann ging ich doch ganz vorsichtig vorbei. Ich wollte schließlich nach Hause! Man war mir mulmig zumute. Und stell‘ dir vor, es ist nichts passiert! Na, dann bin ich gleich noch einmal zurück und bin wieder an dem Kasten vorbei gelaufen und wieder ist nichts passiert! Das habe ich dreimal gemacht und jedes Mal bin ich an Jesus vorbei gekommen. Jetzt weiß ich, dass das wirklich alles nur Märchen sind mit diesem Christus.“ Und er strahlte übers ganze Gesicht. Der Vater wurde sehr nachdenklich.