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An jenem Abend in der U-Bahn

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13.10.2003
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An jenem Abend in der U-Bahn

AN JENEM ABEND IN DER U-BAHN

An jenem Abend war die U-Bahn wieder Rappel voll als ich nach der Arbeit nach Hause fahren wollte. Die Gesichter der Menschen, ermüdet von der Arbeit, hatten keine Regung. Einige lasen Zeitung, einige starrten ihren Gegenüber an und einige träumten vor sich hin. Meine Blicke schwankten ohne Ziel hin und her. Ich sah mir die Gesichter an. Gesichter von Männern und Frauen. Ich sah sie mir an und hatte das Gefühl ich würde in ihre Köpfe eindringen. In das Labyrinth ihrer Gedanken. Trotz des ganzen Wirrwarrs verstand ich wie gerne sie eigentlich woanders wären.

Ihre Gesichter trugen die Langeweile ihres perfekt geordneten Lebens. An dem dunklen Fenster der U-Bahn sah ich mein eigenes Gesicht. Und ich sah, dass mein Gesicht sich von anderen Gesichtern in nichts unterschied. Dass die Augen mal blau, mal grün, mal braun waren oder die Haare mal kurz, mal lang, mal hochgesteckt sind, war nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend war einzig und allein der Ausdruck auf den Gesichtern und mein Gesichtsausdruck war genauso langweilig wie die anderen.

Plötzlich hatte ich den Wunsch irgend etwas verrücktes zu tun um diesen gelangweilten Gesichtern Farbe und den starren Blicken Glanz zu verleihen. Ich hatte noch sieben Stationen zu fahren. Ich könnte mitten im Abteil Tango tanzen, ein Lied singen oder strippen. Ich könnte mir vorstellen, all die Menschen in der U-Bahn keine Menschen, sondern Schafe seien und laut lachen. Sicher wären alle empört. Einige würden den Kopf schütteln, einige würden grinsen und einige so tun als ob sie nichts sehen und hören würden.

Nein das wollte ich nicht tun, denn das würde mir persönlich nichts bringen. Eigentlich wollte ich nichts der gleichen tun und die Leute waren mir auch egal. Ich wollte nur dass irgend etwas passiert, irgend etwas was meine Langeweile vertreibt und vielleicht in meinem Kopf nachhaltig bleibt und eine dieser täglichen U-Bahn Fahrereien etwas lustig und freudig macht.

Da sah ihn in. Seine graue Brotzeittasche und verschmutzte Jeanshose verriet dass er ein Handwerker war. Langsam stieg er ein und ungehobelt und grob nahm er den leeren Platz von meinem gegenüber ein. Als seine langen Beine meine Knie berührten, entschuldigte er sich mit einem Akzent, den ich in dem Moment nicht einordnen konnte. Sein kurzgeschnittenes dunkles Haar, die grün-braunen Augen und die an der Spitze leicht nach oben gebogene Nase wirkten irgendwie majestätisch auf mich. Und ich fand den Mann zum Verlieben.

Das tollste an dem Mann waren seine Augen. Sie schielten in verschiedene Richtungen. Als er merkte dass ich meine Augen nicht von ihm nehmen konnte, musterte er mich mit forschen Blicken. Und ich wurde unsicher. Ich wurde unsicher, weil ich nicht wusste ob der junge Mann mich wirklich ansah oder an mir vorbei guckte. Mal war ein Auge auf meinem grauen Kostüm, und das andere auf meiner schwarzen Aktentasche und den schwarzen Schuhen, mal war ein Auge auf meinem streng nach hinten gekämmten Haar und das andere auf dem Gesicht der neben mir sitzenden Frau.

Ich hatte den Eindruck, aus diesen Augen würde ein weißglühendes Feuer nach rechts und links sprühen. Ich spürte das Blut in meinen Adern kochen und hatte den Wunsch diesen Mann hier und sofort zu küssen. Er hatte den gleichen Wunsch, das sah ich an seinen halbgeöffneten, trockenen Lippen.

Immer wieder versuchte ich seine Blicke zu fangen. Wenn ich auf sein rechtes Auge sah, hatte ich das Gefühl auf sein linkes Auge sehen zu müssen um mit ihm Augenkontakt aufnehmen zu können und umgekehrt. So kämpften wir bis zur nächsten Station, bis er es kapierte, dass es unmöglich war uns in die Augen zu sehen und drehte seinen Kopf leicht nach rechts. Dabei rieb er mit seiner rechten Hand sein rechtes Auge, so dass nur noch sein linkes Auge zu sehen war und ich konnte von da an unverworren auf sein linkes Auge blicken.

Die U-Bahn fuhr weiter und wir genossen diese Augenblicke als ob sie die unvergesslichsten Momente unseres Lebens sein würden. Alle andere Gestalten um uns herum verloren ihre Existenz und in einem unbeschreiblichen Rausch fuhren wir zwei weitere Stationen.

Als die U-Bahn anhielt, war eine priese Trauer in seinen Mienen. Vorsichtig stand er auf, ging zur Tür und blickte flüchtig zu mir herüber. Was dieser Blick meinte, verstand ich. Er meinte, es fällt ihm schwer sich von mir zu trennen. Er wünschte diese Reise würde nie enden. Denn niemals würde er wieder eine Frau so feurig ansehen können, wie er mich angesehen hat, noch nie war eine Frau von seinen schielenden Augen so angetan wie ich.

Trotzdem stieg er aus. Ich stieg ebenfalls aus und folgte ihm. Dass ich ausgestiegen bin, hatte er nicht gesehen. Erst an der Rolltreppe als ich ganz dicht hinter ihm stand, drehte er sich um. Wo er hinsah konnte ich wieder nicht einordnen doch spürte ich, dass er meinen Mund im Visier hatte und sah auch auf seinen Mund. Ein paar Sekunden vergingen. Diese Sekunden waren voller Verlangen. Verlangen nach Vereinigung, Verlangen nach Verschmelzung.

Mit dem unwiderstehlichen Verlangen nach seinen dünnen, geschwungenen, trockenen Lippen stieg ich eine Stufe höher so dass keine Stufe mehr zwischen uns beiden war und presste meine Lippen an seine und ließ meine Zunge in seinen Mund gleiten. (Er schmeckte nach geräucherter Salami und ich spürte eine seltsame Lust in mir aufsteigen, vermischt mit Ekel und Ekstase, in einer Form wie ich sie zuvor noch nicht kannte.) Mit meiner freien Hand (in der anderen hielt ich meine Aktentasche) tastete ich seinen Rücken. Seine kräftigen Arme umschlossen mich ängstlich, als ob ich eine zarte, exotische Blume wäre und der Mann, auch wenn die Situation für ihn überraschend war, schloss seine Augen und erwiderte meinen Zungenkuss unbeholfen.

Ich schloss ebenfalls meine Augen und stellte mir vor wie es wäre, mit ihm in seine Wohnung zu gehen. In seine kleine, ein Zimmer Wohnung, mit einer Kochnische und einem kleinen Bad ohne Fenster. In der womöglich schmutzige Klamotten auf dem Boden liegen, das Waschbecken voller Kaffeetassen ist und es schrecklich nach geräucherter Salami riecht. Wo ein kleines, bei kleinster Bewegung sich jämmerlich bewegendes Bett trostlos an die Wand gerückt ist. An der Wand, über dem Bett würde ein vergilbtes Familienfoto hängen. Mutter, Vater und drei Geschwister würden trotz ihrer feinsten Klamotten ärmlich aussehen und vor einem alten Haus, dessen Fassade traurig bröckelt, in die Kamera lächeln.

Mit schüchternen Bewegungen würde er mir einen heißen Nescafe ohne Milch mit Kristallzucker servieren und trotz seines begrenzten Wortschatzes sehr vieles erzählen. Im Bett wäre es bestimmt lustig mit ihm (weil er einen unerfahrenen Eindruck machte) doch wollte ich nicht soweit gehen. Zu mir nach Hause wollte ich ihn auch nicht mitnehmen. (Fremde Männer lade ich nie zu mir ein) und für eine schnelle Nummer in der Toilette des U-Bahnhofes war ich mir zu Schade.

An der Oberfläche angekommen, trennten sich unsere Lippen. Er öffnete seine Augen und seine Blicke flogen wieder in verschiede Richtungen. Ich merkte, er war total benommen.
Bevor seine Blicke mich fangen konnten, sprang ich auf die runterfahrende Rolltreppe und sah wie er mit dem halb geöffneten Mund da stand, als wollte er etwas sagen. Seine Lippen glänzten. Er wusste, dass die Geschichte schon endete, ehe sie anfing und sagte nichts, drehte sich um und ging. Die nächste Bahn kam gleich. Zufrieden fuhr ich nach Hause. Ich hatte etwas erlebt. Meine Langeweile war weg, na ja zumindest für ein paar Tage.

 

Ja, so geht es mir fast jede Sekunde. Irgendwie den Alltag umdrehen oder zumindest abändern, aber weshalb suchen sich die Mädels Zementmischer oder GasWasserInstallateure um ihre Lüste auszuleben :) Naja ich fand die Story auf jedenfall lustig, wenn ich mir diesen abgedrehten Typen vorstelle :D Ich hätte den nicht gewollt und hätte er noch so nach Salami geduftet..

 

Hallo Hanna!

herzlich willkommen erstmal :)

Mir gefällt Deine Geschichte vom Aufbau her gut. Die trostlose Langeweile, dann die Begegnung, der Weg in etwas neues. Die fade Atmosphäre in der Ubahn hast Du gut eingefangen.
Ich habe das Gefühl, dass Deine prot auf der einen Seite den Mann nur deswegen anziehend findet, ihm nachgeht, ihn küsst, weil ihr eben langweilig sit....dass sie ihn, wäre er ihr auf der straße begegnet, nicht einmal angeschuat hätte. Andererseit beschriebst Du die Fasszination recht gut, wozu aber der Schlusssatz nicht so recht passt...ist er für sie merh als eine pure Ablenkung? Oder hätte sie wirklcih genausogut strippen können...

ein paar Anmerkungen habe ich ncoh, wenn Du möchtest:

"Statt jeden Tag ins Büro zu fahren, würden sie lieber zu einem Strand gehen." - dieser Satz holpert für mich, auch, weil er sehr pauschal ist. Nicht jeder will immer zum Strand gehen...

"Dass die Augen mal blau, mal grün, mal braun waren oder die Haare mal kurz, mal lang, mal hochgesteckt sind, war nicht ausschlaggebend." - hier hast Du eine Zeitfeheler: "hochgesteckt waren", sollte es heißen

"(Als seine langen Beine meine Knie berührten, entschuldigte er sich mit einem Akzent, den ich in dem Moment nicht einordnen konnte)" - diese Klammersätze würde ich ohne Klmmer schreiben. Wozu hier die Klmmer, wenn Du ganz normal erzählst?

"(Er hatte den gleichen Wunsch, das sah ich an seinen halbgeöffneten, trockenen Lippen.)" - hier ebenso...

"Alle andere Gestalten um uns herum verloren ihre Existenz und in einem unbeschreiblichen Rausch fuhren wir zwei weitere Stationen.
Als die U-Bahn nach zwei Stationen anhielt," - alle anderen. Die Wiederholung von den zwei Stastionene in den zwei aufeinanderfolgenden Sätzen finde cih etwas unglücklich...

"(weil er einen unerfahrenen Eindruck machte und es mit Sicherheit nicht gewöhnt war von einer Frau verführt zu werden)" - siehe oben.


schöne Grüße
Anne

 

Hey verbrauchter Geist,

warum Mädels sich Zemetmischer oder GasWasserinstallateure aussuchen?

Weil diese Männer nicht so vergeistigt sind. Wo kein hochentwickelter Geist ist, kann man (frau) den physischen Körper des Mannes besser wahrnehmen.

Gruß, Hanna

 

Hallo Anne,
vielen Dank für deine Verbeserungsvorschläge. Habe sie bereits vorgenommen.
Gruß, Hanna

 

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