An einem Sonntagnachmittag
An einem Sonntagnachmittag
Ich hasse es, wenn es hell ist und die Sonne in mein Zimmer strahlt. Heute morgen bin ich zu spät aufgestanden. Ich habe vergessen, die Rollladen herunter zu ziehen, bevor die Sonne genau vor meinem Fenster stand. Ich hasse mein Zimmer, wenn es hell ist. Und still. Es ist diese Sonntagnachmittag-Stille, wo ich nur schreiben kann und sonst nichts, wie ich es jetzt tue. Es ist heiß. Draußen höre ich Kinder spielen und lachen. Ihre Körper werden von der Sonne verbrannt. Die Straßen sind trocken. Die ewiggleichen Vorgärten verwelken. Der Himmel ist schreiendes Blau. Weit oben kreisen Aasgeier, aber ich bin der einzige, der sie erkennt.
Manchmal, wenn ich selbst nach draußen gehe und Frauen sehe, gehe ich ihnen hinterher. Ich verfolge sie lange und beobachte, ob sie mich bemerken. Dann stelle ich mir vor, sie zu vergewaltigen oder mit ihnen eine Tasse Kaffee trinken zu gehen. Oder Boccia zu spielen. Jetzt, im Sommer, suche ich mir immer welche aus, die kurze Röcke tragen. Ich folge ihnen, und wenn sie in einer Menschenmasse stehen, lasse ich neben ihnen etwas fallen, um mich zu bücken und es aufzuheben. Dabei schaue ich ihnen unter den Rock. Wenn er kurz genug ist, kann ich ein Höschen erkennen oder gar nichts. Wenn letzteres der Fall ist, intensiviert sich das Gefühl, mit ihr einen Kaffee trinken gehen zu wollen.
Der Tag ist widerlich. Es ist zu hell. Die Fassaden der Häuser leuchten zu weiß. Der Sonntag ist still wie ein Friedhof. Die Flüsse sind in ihren Betten, und die Straßen trocknen aus. Kinder wirbeln unter Rasensprinklern herum. Wenn es mir in meinem Zimmer zu hell wird, gehe ich durch die glühenden Straßen ins Café, trinke Apfelschorle und lese Nietzsche oder Camus oder ein Lustiges Taschenbuch. Ich flirte mit der Kellnerin, aber sie nicht mit mir. Sie ist höflich, aber nur, weil sie es muss. Ich will ihr Haar von ihrem glatten Schädel reißen, dass ihre Kopfhaut in blutigen Lappen über ihren Ohren hängt. Während ich mir das vorstelle, höre ich in meinem Kopf den Walkürenritt. Ich möchte ihren Schädel öffnen, während sie mir das Rezept für Chili Concarne rückwärts vorbetet. Ich möchte ihr Hirn entfernen und sehen, was darunter liegt. Ich will die komplizierte Edelstahlkonstruktion aus Zahnrädern sehen, die hinter ihren Augen tickt. Die ihr befielt, dies und jenes zu tun, zu lächeln, mir eine Apfelschorle zu bringen und der fetten Frau am Fenster eine Mürbeteigplätzchen und einen Kamillentee, die sie ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte abschneiden lässt, die sie eine Kellnerin sein lässt, vernünftig denken lässt, fühlen lässt, lügen lässt.
Hinter den Wänden der brennend weißen Häuser das Flüstern. Ich höre alles. In jedem Haus das immerwährende Wispern der Familienclans. Unzucht hinter jeder Tür. Drinnen das verschwörerische Wispern, draußen das falsche Grinsen, wenn sich die Nachbarn begegnen und die Kinder miteinander spielen. Zahnräder ticken in den frisierten Schädeln. Plastikzwerge liegen Spalier in den Vorgärten. Hinter den weißen Fassaden bröckeln Mörtel und Unschuld. Alle Möbel sind schwer und schwarz. Die Fernseher laufen. Ich will die Anarchie ausrufen, euch leiden sehen unter der Wahrheit. Ich will euer Diktator sein.
Nachts gehe ich nach draußen, wenn Musik in meinen Ohren klingelt. Wenn die schwarzen Fenster blind auf die Straße glotzen und einen Blick in ihre innere Leere gewähren. Ich gehe aus dem Haus und drehe mich nicht um. Ich kenne meinen Weg. Ich bin darauf programmiert. Ich gehe nur die Straße hinunter bis zur Tankstelle, wo die Vorgärten zur Wüste verebben. Dort kaufe ich mir eine Fernsehzeitschrift und einen Schokoriegel und vielleicht was zu trinken. Der Mann an der Kasse trägt eine Kappe, unter der er die Zahnräder versteckt. Ich kenne ihn. Er ist immer freundlich, aber er hasst mich.
Dann gehe ich zurück. Auf dem Heimweg esse ich den Schokoriegel und lasse mich von den Häusern begaffen. Hinter den Fenstern, in den Mägen aus Mörtel und Beton, schlafen Menschen. Ich wünsche mir jede Nacht, dass ein paar von ihnen nicht mehr aufwachen, bis überhaupt keine mehr von ihnen übrig sind. Jede Nacht weniger. Am Ende ich allein. Viel würde dadurch nicht anders werden. Außer, dass ich an der Tankstelle kein Geld mehr bezahlen müsste, weil sie dann mir gehörte. Aber die Nacht gehört den anderen. Anderen Knochengestellen mit Zahnrädern im Kopf, die lachen, weinen, lieben. Schön muss es sein, keine Gefühle zu haben. Unter den Häusern zu stehen, die sich über die Straße beugen, und nichts zu empfinden.
Nachts tritt der Fluss über die Ufer. Daher muss ich immer vor ein Uhr wieder zu Hause sein. Ich lege mich dann ins Bett und denke nach, während ich zuhöre, wie das Wasser in die verdorrten Straßen fließt. Andere Dinge als am Tag. Mir fallen Wörter ein, oder ich zähle die großen Spinnen an der Wand. Manchmal unterhalte ich mich mit dem Fremden, der in der Tür zu meinem Zimmer steht. Er ist ein Schatten, und er hat keine Zahnräder im Kopf. Er antwortet nicht, weil es ihn nicht interessiert, was ich sage. Ich fuchtle mit meiner Hand unter meinem Bett herum, um die lästigen Eidechsen zu vertreiben. Das Fenster ist einen Spalt geöffnet, so dass sie nach draußen können. Sollen sie ins Wasser springen. Die Straßen sind jetzt bis zum Morgen Kanäle. Gondoliere treiben in ihren schwarzen Booten vorbei. Ich kann ihre Ruder im Wasser plätschern hören, während sie die Toten in den Sternenhimmel rudern. Wenn ich zu lange lausche, kriege ich Kopfschmerzen. Mein Hirn pocht. Morgens, bevor ich aufwache, springt im Nebenzimmer die Stahlpresse an, und Arbeiterlieder werden gesungen. Heute mal wieder ins Café gehen, denke ich dann immer nach dem aufwachen, und: Liebe, ach, Liebe – ein allzu großes Wort.