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An einem Sommerabend in einer Kirche
Es war gegen sechs Uhr abends. Die schwere Holztüre der Kirche stand weit offen. Sie führte in einen Vorraum, in dem ein Bettler kniete. Er hatte seine Hände vorgehalten und formte eine Schüssel, die Platz für Geldspenden bot. Rechts von ihm war eine weitere, weitaus kleinere Holztüre in den festen Steinmauern verankert, welche direkt in den Gemeinderaum führte. Dort waren ein paar elektrische Lichter an, trotzdem herrschte diese in Kirchen eigentümliche, düstere Stimmung, welche die Besucher zur inneren Einkehr bewegen sollte. Nur das grelle Licht, das durch die hohen, bunten Fenster schien, erinnerte daran, dass draußen hellichter Tag war – wenngleich auch ein sehr verregneter und kühler Tag.
Die Bänke waren leer, nur im rechten hintersten Eck saß ein alter Mann, den Kopf leicht nach unten geneigt und die Augen geschloßen. Er war vermutlich eingenickt oder tief in Gedanken versunken, denn er nahm das sich von draußen rasch nähernde Schnaufen erst wahr, als es schon fast den Eingang erreicht hatte. Erschrocken fuhr der Mann zusammen. „Hchh… hchh… hchh…“ – mit den Geräuschen eines Dampfrosses und einer vornübergebeugten Haltung erschien die Silhouette einer alten Frau in der Türe, welche ohne Zaudern ihren Weg in eine der vordersten Bankreihen fortsetzte. Nachdem sie dort ihren Hut und den Schirm verstaut hatte, machte sie noch einmal kehrt und dampfte mit den Worten „Jetzt… hchh… muss ich schauen, ob der alte Herr… hchh… wieder da ist!“, in den Vorraum der Kirche zurück. Dort beäugte sie den Bettler, der die alte Frau bittend ansah. „Nein… hchh… das ist wer anderer… hchh…“ sagte sie zu sich selbst. „Grüß Gott! Sie sind nicht der Herr… hchh… der sonst immer hier sitzt. Aber… hchh… ich werde ihnen nach der Messe trotzdem etwas spenden!“ Mit diesen Worten dampfte sie wieder zurück zu ihrem auserwähltem Platz in der ersten Reihe und ließ den verdutzten Bettler zurück.
Doch kaum bei ihrem Plätzchen angekommen, machte sie wie vom Blitz getroffen ruckartig kehrt und dampfte nochmals zum Bettler. „Stehn's auf! Hchh… Sie sperren sich nur das Blut in den Beinen ab… hchh… der andere Herr ist auch immer g'standen… hchh… und hat trotzdem Geld bekommen! Und außerdem… hchh… knien tut man nur vorm lieben Gott!“ Damit dampfte sie wieder von dannen und nahm beruhigt, nach dieser Aussprache, bei ihrem Hut und dem tropfenden Schirm Platz. Die Stimmung in der Kirche beruhigte sich wieder, und nur das regelmäßige „hchh…“ der alten Frau war zu hören.
Die Minuten verstrichen und hin und wieder fanden sich weitere Besucher ein, welche sich lautlos auf den Bänken niederließen. Jetzt erschien ein beleibter, alter Herr mit Vollbart in der Türe. Er faltete seinen Regenschirm zusammen und an seinen naßen Hosenbeinen und den großen Wasserflecken auf der Jacke konnte man sehen, dass der Regen noch nicht nachgelassen hatte. Mit rasselndem Atem, der wie „hrch…“ klang, setzte sich der Alte in Bewegung und schlurfte den Gang nach vorne, um in einer Bank auf der linken Seite Platz zu nehmen.
Das „hchh…“ der Dampflok und das „hrhh…“ des Alten waren wundervoll aufeinander abgestimmt und erklangen wechselweise in einem Vierteltakt, so schien es. Wie als wäre das ein vereinbartes Zeichen, erschien nun ein junger, elegant gekleideter Herr beim Eingang, welcher schnurstracks bis ans andere Ende der Kirche schritt und dort die steinerne Treppe zur Orgeletage erklomm. Unter lautem Poltern zog der der junge Mann die gewünschten Register der Orgel und richtete sich behaglich ein.
Inzwischen hatte auch schon jemand die Lichtschalter betätigt und zartes gelbes Licht erhellte die Kirche ein klein wenig, doch die grellen Lichtstrahlen von draußen waren noch heller.
Die nächsten Besucher ließen nicht lange auf sich warten und kündigten sich bereits von weitem durch die lautstarke Verwendung ihrer Sprechorgane an: „… tu' mir so schwer. Und bei diesem Wetter werden die Schmerzen auch nicht besser.“ - „Wir haben eh' Seitenbänke für die Behinderten reserviert, hoffentlich beachten die Leute das Taferl und es ist noch ein Platzerl frei!“. Mit dieser – für die Kircheninsassen – zynisch anmutenden Bemerkung (die Kirche war noch immer als leer zu bezeichnen) – erschienen zwei Herren beim Eingang, wobei einer, wohl derjenige mit den starken Schmerzen, eine Krücke bei sich hatte. Gottseidank fanden die beiden noch ein freie Plätze.
Nicht lange danach wurde die Tür zum Gemeinderaum geschloßen und durch die ersten Orgeltöne zum Erscheinen aufgefordert, ging die Kanzleitüre auf und die Ministranten samt Pfarrer schritten zum Altar.
Die Messe hatte begonnen.