An einem ganz normalen Abend
Die Sonne war bereits lange untergegangen, als Janet das Haus verließ, um noch einmal nach dem Fohlen zu sehen. Unterm Arm geklemmt trug sie eine Nuckelflasche, gefüllt mit Fohlenaufzuchtsmilch, ihre Hände hielten einen Eimer mit Hafer und Müsli, um die Mutter des Fohlens zu beruhigen. Janet wußte, daß die Stute sie wieder mit misstrauischen Augen bei der Fütterung beobachten würde, daher brachte sie wohlweislich die leckere Bestechung mit. Die Vollblutstute hatte einen empfindlichen Euter und weigerte sich deshalb, ihren Zögling zu füttern.
Janet unterdrückte ein Gähnen, als sie die nachtklare Luft einatmete. Das Haus hinter ihr war nur im unteren Stockwerk erleuchtet, oben schlief bereits ihr kleiner Sohn Nathan in seinem Zimmer. Sandy, die Pferdepflegerin, die sie nach der Scheidung von Eric eingestellt hatte, war sicher auch schon im angrenzenden Raum eingeschlafen. Ruhe, endlich, nur noch das Fohlen füttern und dann würde auch sie das Licht ausmachen und sich von den Mühen des Tages ausruhen können. Sie seufzte, denn eigentlich war Sandy mit der Fütterung drangewesen, aber sie war bereits beim Fernsehen mehrere Male eingenickt, so daß Janet ihr die Arbeit abgenommen hatte.
Es machte ihr eigentlich auch gar nichts aus, die Hingabe zu den Tieren war neben der Liebe zu ihrem Sohn alles, was ihr übriggeblieben war, als Eric sie verließ. Obwohl es manchmal schwierig war, das Gestüt alleine weiterzuführen, war sie jedoch nicht bereit, es so einfach aufzugeben. Sie wollte es schließlich einmal an Nathan vererben, wenn er mal älter war. Sein Vater kümmerte sich nicht um ihn, daher sah Janet es als selbstverständlich an, alles zu tun, um es Nathan einmal leicht zu machen. Er schien die Pferde so zu lieben wie sie und mit dem großen Grundstück wäre er auch finanziell abgesichert, falls er es mal verkaufen müßte.
Janet lächelte, als sie die dunklen Silhouetten der Jungpferde neugierig zum Zaun kommen sah. Sie prusteten leise, um herauszufinden, wer denn so spät in dieser lauen Sommernacht auf den Weiden sein Unwesen trieb. Sie flüsterte ein paar belanglose Worte und betrat leise den Stall, in dem die Mutterstute mit ihrem Fohlen stand.
Vorsichtig näherte sie sich dem Kleinen, das bereits gierig seine weiche Nase in ihre Richtung hob. Es kannte schon dieses Ritual, es war ihm vollkommen gleich, ob seine Mutter ihm die Milch gab oder Janet, es wollte nur gefüttert werden. Die große dunkle Vollblutstute bewegte sie sich plötzlich hektisch, Janet hörte das Rascheln des Strohs unter ihren Hufen. “Ruhig, Liebes, ruhig.” sagte sie mit sanfter Stimme, aber im selben Augenblick fühlte sie, wie etwas Hartes gegen ihren Kopf stieß. Die Stute mußte sie wohl mit ihrem Kinn getroffen haben, als sie sich nervös umher bewegte.
In Janet’s Kopf drehte es sich, sie krallte hilfesuchend an die Wand der Boxe, suchte den hellen Ausgang, tastete sich nach vorn durch, wurde aber herumgerissen, da die Stute nun in Panik geriet und nicht mehr darauf achtete, wo sie hintrat. Nach einem weiteren dumpfen Schlag kroch Janet auf allen Vieren hinaus auf die monderhellte Weide, hörte die Hufe hinter sich, kroch schneller, schneller. Der Zaun, nur noch unterm Elektrozaun hindurch, schnell in die Sicherheit…. Ihr Herz klopfte wild, sie spürte den Schmerz in den Knien kaum, sie hörte nur den einen Befehl in ihrem Kopf: “Weg, weg, schnell. “
Sie rollte unter dem Zaun hindurch, auf die Weide der Jungpferde, die erschrocken zurückstoben. Sie hörte noch den lauten Atem, das Gepruste, den matten Hufschlag auf dem Gras. Eines der Jungpferde kam einem anderen zu nahe, fing an zu kämpfen, trat das andere Tier, sie liefen auseinander. Sie traten auf etwas Weiches, Hohes im Gras und entfernten sich.
Janet schloß die Augen. Wimmerte. Tauchte unter. Irgendwann wachte sie wieder auf. Etwa schon die Morgendämmerung? Sie sah Pink am Himmel, die Luft war so kühl und scharf, sie konnte sich nicht bewegen. Was war los? Sie stöhnte. “Hilfe!” sagte ihre zitternde Stimme. “Hilfe!”, ein Krächzen. “Hilfe!”
Sie lehnte den Kopf zurück. Kein Laut war zu hören. Wo waren die Jungpferde? Sie konnte sie nicht sehen, vermutlich hatten sie sich beruhigt und standen irgendwo brav in einer Ecke und dösten nach all der Aufregung. Das Atmen fiel ihr so schwer, ein bleiernder Sack mußte auf ihren Gedärmen ruhen, die Beine gehorchten ihr nicht mehr. “Hilfe!” rief sie verzweifelt. Es mußte doch Hilfe kommen, es mußte! Wo war die Pflegerin? Wo war…?
“Oh Gott!” hörte sie die Stimme, sah blind in ein grelles Licht. Der Nachbar, ja, es mußte Tony sein, der sie mit einer Taschenlampe anleuchtete, sie erkannte seine Stimme. Sie war gerettet. Ein Arm legte sich um sie. “Was um Himmels Willen ist passiert?” schrie der Nachbar unnatürlich laut an ihrem Ohr. Er redete weiter und weiter laut auf sie ein, sie versuchte zu nicken und sich mit seiner Hilfe aufzuraffen. Aber während dieser Mühen wurde seine Stimme plötzlich leiser und leiser, sie schien aus so weiter Ferne zu kommen, bis sie fast lautlos war. Ein Flüstern, der letzte Ton...
Tränenerstickt brach Tony auf ihrer Brust zusammen.
[Beitrag editiert von: Roswitha am 25.02.2002 um 04:36]