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05.05.2015
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wachte Carsten Millberg besonders gutgelaunt auf. Er blinzelte in das Sonnenlicht, das durch die Rillen der Rollläden drang und einen dieser geradezu kitschig schönen Spätsommertage verhieß. Genüsslich streckte Carsten alle Muskeln seines Körpers bis hin zu den Zehen und gähnte dabei ausgiebig. Insa lag abgewandt von ihm auf der Seite, so dass er nur ihren braunen Haarschopf sehen konnte. Sie gab friedliche kleine Schnarchgeräusche von sich, die Carsten zum Lächeln brachten. Insa bestritt zwar vehement, dass sie schnarchte, aber tatsächlich war sie diejenige von ihnen beiden, die Nacht für Nacht vor sich hin sägte. Gott sei Dank störte es ihn nicht; er konnte trotzdem schlafen wie ein Murmeltier.
Wie spät mochte es sein? Er warf einen Blick auf die Digitalanzeige des Weckers. Erst kurz nach sieben. Noch zu früh zum Aufstehen. Er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und genoss die morgendliche Stille.
Auf den Tag heute freute sich die ganze Familie schon lange. Carsten hatte den Kindern versprochen, mit ihnen den Freizeitpark zu besuchen. Zwar rissen die Kosten für die Tageskarten und die unvermeidlichen Bratwürste mit Pommes Frites ein ganz schönes Loch in ihre Haushaltskasse - schließlich waren sie fünf Personen -, aber die Überstunden, die er im Moment machen konnte, brachten gutes Zusatzgeld. Gott sei Dank war die Auftragslage in der kleinen Malerfirma, in der er arbeitete, zur Zeit wirklich gut. Sein Chef hatte zufrieden verkündet, dass sie für das nächste halbe Jahr ausgebucht wären. Und die neue Auszubildende, die kleine Carmen, brachte seit Kurzem zusätzliche Lichtblicke in den Arbeitsalltag mit ihrem blonden Pferdeschwanz und dem rosa T-Shirt unter der weißen Malerlatzhose. Jens, der Geselle, wurde immer ganz unruhig, wenn Carmen auf der Leiter stand und die Tapeten klebte. Carsten grinste in sich hinein bei dem Gedanken an Jens' schmachtende Blicke.
Ihm wurde langweilig im Bett. Er beschloss, aufzustehen und das Frühstück vorzubereiten.

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wurde Insa Millberg von dem leisen Geschirrgeklapper in den Küche geweckt. 'Carsten macht Frühstück, nett', dachte sie. Sie dehnte ihre Glieder unter der schlafwarmen Decke. Es war schön gewesen gestern Abend! Sie hatten gemeinsam das 'Quiz des Menschen' im Fernsehen geschaut und dabei ein paar Gläser Wein geleert. Eigentlich trank Carsten lieber Bier, aber hin und wieder leistete er ihr auch bei einer Flasche Rotwein Gesellschaft. Meistens dann, wenn er Lust hatte mit ihr zu schlafen. Was er dann auch getan hatte. Es war wirklich toll gewesen. Er konnte so liebevoll und zärtlich sein, ihr Carsten. Jetzt waren sie schon so lange verheiratet, und immer noch machte es ihnen Spaß miteinander zu schlafen. Zwar nicht mehr so oft wie früher, aber oft genug. Und immer war es schön.
Insa hörte eine helle Kinderstimme aus der Küche. Aha, Tinchen war wach. Gleich würde sie ins Schlafzimmer kommen, schauen, ob sie schon aufgewacht war und dann in ihr Bett kriechen und sich an sie kuscheln, ihre Kleine. Die beiden Großen schliefen sicher noch; sie waren morgens kaum wachzukriegen. Heute, am Samstag, durften sie ruhig etwas länger schlafen als an den Schultagen.

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verlief das Frühstück bei der Familie Millberg in ausgelassener Stimmung. Julian, der Zehnjährige, bedeckte sein Brötchen zentimeterdick mit Nutella, ohne sich darum zu kümmern, dass seine Lippen beim Abbeißen vollständig mit der braunen Creme verschmiert wurden. Lea, seine große Schwester, klopfte den Takt der Rap-Musik, die sie in ihren Kopfhörern hörte, mit der linken Hand auf den Tisch, während sie mit der rechten ihr Bananenmüsli löffelweise verschlang. Sie hatte gerade eine Zwei in Englisch geschrieben und voller Stolz zu Hause abgeliefert. Der Ausflug heute erschien ihr als die angemessene Belohnung dafür.

An diesem Tag
beschloss Tinchen Millberg, ihre pinkfarbenen Leggings, die Söckchen mit den Marienkäfern, das gelborange Kleid und den rosafarbenen Taftrock anzuziehen. Außerdem wollte sie ihre goldene Pappkrone von ihrem Geburtstag aufsetzen. Als ihre Mutter entsetzt ausrief: „Wie siehst du denn aus?“, brach sie in Tränen aus und weigerte sich mitzukommen, wenn sie nicht so angezogen bleiben durfte, wie sie war. Ihre Mutter kapitulierte.

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warf Ralf Larssen, der Besitzer des Wing Coasters „Flug der Ungeheuer“ im Vergnügungspark einen zufriedenen Blick zum Himmel. Es war ein perfekter Tag: Schönes Wetter, Samstag, Monatsanfang. Tags zuvor waren die Gehälter und Löhne ausgezahlt worden; das bedeutete, die Familien verfügten über frisches Geld. Es würde voll werden heute, das wusste er. Gott sei Dank! Denn das neue Fahrgeschäft hatte Millionen gekostet, die sich noch längst nicht amortisiert hatten. Die Achterbahn musste ununterbrochen laufen, um eine ausreichende Summe einzuspielen. Ein einziger verregneter Tag, und schon machte er Verluste. Aber heute würde die Kasse klingeln, das war sicher.

An diesem Tag
standen Insa, Lea und Tinchen Millberg unten an der Kasse des Wing Coasters „Flug der Ungeheuer“ und sahen bewundernd zu Vater und Bruder auf, die sich in einen der Sitze festschnallten. Die Sitze waren an den schwarz-gold lackierten Flügeln der 'Ungeheuer' montiert, die aussahen wie eine Mischung aus Drachen und Fledermäusen, und wirkten beunruhigend leicht und fragil. Insa und Lea trauten sich nicht mitzufahren und Tinchen war noch zu klein für das halsbrecherische Abenteuer in dem achterbahnähnlichen Ungetüm.

An diesem Tag
löste sich aus einem Grund, der später genauestens untersucht werden würde, eine Schraube an einer der fünfteiligen Sitzkonstruktionen, die dieses Mal mit nur zwei Jugendlichen besetzt war. Die Konstruktion riss aus der Verankerung und flog in einem hohen Bogen meterweit durch die Luft, bevor sie auf den Platz vor dem Fahrgeschäft auf den Boden prallte und dabei Insa, Lea und Tinchen Millberg erschlug.

An diesem Tag
meldete die ARD in der 20.00-Uhr-Tagesschau, dass ein furchtbares Unglück in einem Vergnügungspark drei Tote und zwei Schwerverletzte gefordert habe. Eine halbe Familie, die 38jährige Mutter und die zwölf und fünf Jahre alten Töchter seien dabei ums Leben gekommen; Vater und Bruder hätten hilflos mit ansehen müssen, wie das Unglück geschah. Zwei Jugendliche im Alter von sechzehn und siebzehn Jahren seien mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Die Ursache der Unfalls sei noch ungeklärt; man vermute einen Materialfehler in der Konstruktion des Fahrgeschäftes.

 

Hallo Konstantia,

gleich zu Beginn packst du hier sehr viele Details in deine Geschichte. Insa schnarcht, die Familie ist knapp bei Kasse, Carsten arbeitet in einer Malerfirma, die hübsche Carmen wird erwähnt usw. Ich habe mir im ersten Moment schon gedacht, wow, das sind aber ganz schön viele Informationen auf einmal, aber okay, wenn das für den weiteren Verlauf relevant ist, dann soll es so sein. Dann läuft es aber leider auf dieses dramatische Ende hinaus und es stellt sich heraus, dass diese gesamten Details einzig und allein ein effektheischendes Mittel zum Zweck waren. Ich muss gestehen, auf mich wirkt das wie ein Bericht in der Bild-Zeitung. Die perfekte, makellose Familie, der profitgierige Fahrgeschäftbetreiber, das ist für mich nicht echt. Es mag hart klingen, aber ich bin denen als Leser nicht nahe genug bekommen, um mit ihrem Schicksal mitzufühlen. So in der jetzigen Form ist mir das zu wenig. Da stimmt nichts nachdenklich, da nehm ich nix mit aus dieser Geschichte.

Interessant fände ich in diesem Zusammenhang das Danach, die Gefühle des Fahrgeschäftbetreibers, des Vaters und des Bruders, der Hass den die beiden auf ihn vermutlich entwickeln, Schuldgefühle etc. Ist aber auch ein sehr schwieriges Thema, finde ich. Also ich könnte das glaube ich nicht.

Genüsslich streckte Carsten alle Muskeln seines Körpers bis hin zu den Zehen und gähnte dabei ausgiebig.

Er kann die Muskeln spannen oder die Glieder strecken, aber Muskeln strecken stell ich mir schwierig vor.

Meine Kritik klingt jetzt wirklich reichlich negativ. Dabei gefällt mir, wie du schreibst, du bemühst dich sehr um Details. In einem anderen Zusammenhang finde ich das super, da bleibt zum Beispiel so etwas hängen, dass Julian zentimeterdick Nutella auf sein Brot schmiert. Hier werden die Eigenheiten, Lebensweisen und Gedanken von sechs Personen aber einfach aneinandergereiht, ohne dass sie miteinander verknüpft werden. Ich glaube, ohne dieses Ende könntest du aus deiner Geschichte noch viel mehr herausholen.

Viel Spaß noch weiterhin,
rehla

 

Hallo Feuerwanze!

Danke für deinen positiven Kommentar!
Du hast Recht, der Leser wird sehr schnell darauf kommen, dass es nicht bei einem harmonischen Familienausflug bleiben wird in dieser Geschichte. Darauf weist ja auch die Wiederholung des "An diesem Tag ..." hin. Ich fand eine stringente Hinführung zur Katastrophe daher passend. Vielleicht ist sie etwas zu stringent ausgefallen? Mir fällt aber im Moment nicht ein, was ich noch erzählen könnte ohne die Erzählung unnötig in die Länge zu ziehen. Dir?

Gruß, Konstantina


Hallo rehla!

Auch dir herzlichen Dank für die Kritik!
Ich wollte hier keineswegs einen Gegensatz aufbauen zwischen der "perfekten Familie" hier und dem "profitgierigen Fahrgeschäftsbetreiber" dort. Meine Intention war es, zu zeigen, wie das Alltagsglück einer ganz normalen Familie auf einen Schlag vernichtet werden kann durch einen Schicksalsschlag, den kein Mensch vorhersehen konnte. Und ich wollte den Menschen, die hinter einer nüchternen Meldung in den Nachrichten stehen, eine individuelle Persönlichkeit geben. Die Details, die du bemängelst, haben dabei keinen "effektheischenden" Zweck, sondern charakterisieren die einzelnen Personen. Schade, dass das bei dir ganz anders angekommen ist.
Sicher, was n a c h diesem Unglück kommt, kann man sich vorstellen. Und es könnte eine neue Geschichte abgeben. Aber das wäre ein anderes Thema.
Dass du die Geschichte ganz anders verstanden hast, als ich sie gemeint habe, gibt mir sehr zu denken. Ich habe anscheinend etwas grundlegend falsch gemacht. Hm ...

Gruß, Konstantina

 

Hallo Konstantina!

Da ich mich immer zuerst durch die Kommentare scrolle, bin ich an dem Wörtchen "Fahrgeschäftsbetreiber" hängengeblieben. Ich habe mich gefreut: Endlich schreibt mal einer was über Schausteller.
Lese ich also deinen Text, und du schreibst über einen Vergnügungspark. Die gehören doch immer Beteiligungsgesellschaften oder ähnlichem. Einzelne Fahrgeschäfte mit jeweils einzelnen Besitzern? Wie soll das funktionieren, wo man doch bei Vergnügungsparks seinen Eintritt am Eingang bezahlen muss? (Oder gibt es hierzulande irgendwo einen Freizeitpark, der anders aufgebaut ist?)
Mag nur ein Detail sein, aber aber im Grunde funktionieren Geschichten nur, wenn alle Details stimmen.

Allgemein zum Text: Ich finde ihn, durch den von dir gewählten Aufbau, schlicht und einfach langweilig. Erst stellst du die ganze Familie vor, dann wird die Familie platt gemacht, Ende.
Es ist ein reiner Tell-Text, ein Bericht, der dem Leser nirgends die Möglichkeit lässt, mitzufühlen, mitzufiebern.
Krass ausgedrückt: So taugt das nicht als Geschichte, weil es eben keine Geschichte ist, nur ein Bericht.
Show, don't tell, Konstantina!

Also, ich will dir nicht zu nahe treten, aber es wäre sicher hilfreich (für dich, für dein Schreiben), wenn du deine Texte mal aufgrund der (doch zahlreich eingegangenen) Kommentare überarbeitest, und sie in der überarbeiteten Form wieder dem Leser/Kritiker vorstellst. (Für uns Leser/Kritiker wäre das auch schön, denn dann sieht man, ob man gegen eine Wand redet oder eben nicht.)

Grüße,
Chris

 

Hallo Konstantina, als Versuch, einmal etwas Anderes auszuprobieren, kann ich deinen Text verstehen. Eine Aufzählung von Tagesabläufen, in denen du uns mit einer Familie bekannt machst, die diesen Tag nicht überleben wird. Doch als Kurzgeschichte ist diese Art der Erzählung nicht geeignet. Den Leser kannst du nicht erreichen, du kannst ihn weder neugierig machen noch wird es dir gelingen, Gefühle in ihm zu erwecken.

Versuche diese Tragödie in Sätze zu fassen, packe sie in das Format einer Kurzgeschichte: Einleitung, Hauptteil, Schluss und du wirst sehen, das wird eine tolle Geschichte.

Viel Erfolg und Freude beim Texten!
Amelie

 

Hallo Chris Stone!

Deine Kritik ist deutlich. Mal sehen, ob ich jetzt noch Lust habe, an diesem Plot zu arbeiten.
Danke jedenfalls für deine Mühe!

Gruß, Konstantina


Hallo Amelie S.!

Auch dir herzlichen Dank für deinen Kommentar. Vielleicht folge ich deinem Rat und halte mich an die einfache Formel "Einleitung, Hauptteil, Schluss".

Gruß, Konstantina

 

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