Was ist neu

An der See

Mitglied
Beitritt
30.12.2003
Beiträge
74
Zuletzt bearbeitet:

An der See

Morgens lag die Adria so glatt da wie ein Spiegel. Mittags würde wie an jedem Tag der Mistral kommen und Wellen gegen die steinige Küste Dalmatiens treiben, aber jetzt war das Meer so ruhig wie der menschenleere Strand.

Samanta war in diesem Sommer sieben Jahre alt geworden und hatte schwimmen gelernt. Ihr Privileg, nunmehr allein an den Strand gehen zu dürfen, nützte sie fleißig aus. In dem hübschen, neuen Sommerhaus, das ihr Großvater direkt an der Küste hatte bauen dürfen – ein Privileg nur für höhere Parteifunktionäre – in dem Haus schliefen noch alle. Samanta warf ihr Nachthemd ins Bett, zog ein Bikinihöschen an und hüpfte durch den Pinienwald an den Strand. Er war nicht einmal hundert Meter entfernt. Am Wasser angekommen, blickte sie die Reihen der betonierten Uferterassen auf und ab. Niemand da. Keiner zum Spielen, leider, aber auch keiner, der sie ärgern oder ihr das Spielzeug wegnehmen würde. Sie kauerte sich am Rande des Wassers hin und begann, nach Seetieren zu suchen.

Samanta baute einen Zoo, während der Dunst verschwand und die Sonne langsam höher stieg. Kleine Becken, mit Steinmäuerchen abgegrenzt. Schnecken gehörten in dieses Becken hinein. Einsiedlerkrebse dorthinein. Seeigel – autsch! – Seeigel dahin. Als Samanta mit spitzen Fingern die blauglänzende Stachelkugel in ihr Gehege bugsierte, kam der Oberst an den Strand.

Der Oberst war eine geheimnisvolle Persönlichkeit. Er redete nicht viel, er wohnte allein. Auch er besaß ein Haus in der ersten Reihe, wie Samantas Opa, und er hatte einen wunderbaren Papagei, grau mit einigen feuerroten Federn, der perfekt eine Maultrommel imitieren konnte. Leider hatte der Oberst den Papagei heute früh nicht an den Strand mitgenommen. Samanta grüßte höflich, weil ihr Großvater besonderen Wert darauf legte. Während sie spielte, lag der Oberst in einem Liegestuhl und sah ihr zu.

Der alte Mann – bestimmt war er noch älter als ihr Papa – interessierte Samanta nicht, weil er weder Geschichten erzählte wie die Oma noch Bonbons in seinen Taschen hatte wie der Opa. Mittlerweile war ihr aber langweilig geworden, und so schielte sie hoffnungsvoll immer wieder zu dem grauhaarigen Veteranen hin.

Jetzt kam Samantas Großmutter durch das Waldstück. "Samanta!" rief sie, "Samanta, wo steckst du? Komm her, Kind!" Das Mädchen sprang auf und lief auf die Großmutter zu.

"Oh, Samanta, ohne Hemd? Es ist fast schon zehn Uhr! Du weißt, Oma kriegt Ärger mit der Mama, wenn du dir einen Sonnenbrand holst. Da..." Sie nahm ein Handtuch von ihrem Arm und begann das Mädchen abzutrocknen.

"Wo ist deine andere Badehose? Hast du keine mit? Kindchen, du sollst doch nicht in nassen Höschen herumspringen!" Großmutter zog ihr die Bikinihose herunter und rubbelte den klammen, bläulich angelaufenen Kinderkörper liebevoll trocken. Dann streifte sie ihr ein kurzes Baumwollkleid über. "So", mahnte sie, "pass auf, dass du jetzt nicht nass wirst. In zehn Minuten gibt es Frühstück!"

Samanta verzog das Gesicht. Frühstück war keine besondere Angelegenheit. Die im Jahre 1967 erbauten Sommerhäuser hatten weder Strom noch Wasserleitung. Samanta fand zwar die Petroleumlampen und das jährliche Reinigen der Regenwasserzisterne ungeheuer aufregend, aber es gab keinen Kühlschrank, und das Frühstück bestand aus Brot, Hartkäse, Wurstkonserven und haltbarer Milch. "Du kommst, wenn ich dich rufe!" verlangte die Großmutter. "Ja, Oma..."

Als die Oma sich entfernt hatte, stand Samanta unschlüssig da. Weiterspielen hatte keinen Sinn, wenn sie sich nicht nass machen durfte. Gerade hatte sie sich entschieden, ebenfalls zum Haus zu gehen, da sprach der Oberst sie an.

"Samanta!" sagte er. Das Mädchen drehte sich überrascht um.
"Du heißt doch Samanta, nicht wahr?"
"Ja. Und du?"
Der Oberst richtete sich in seinem Liegestuhl auf und nahm die Sonnenbrille ab.
"Aldo", sagte er lächelnd, "ich heiße Aldo. Komm einmal her zu mir!"
Samanta näherte sich, und der Oberst zog sie zu sich auf den Liegestuhl.
"Onkel Aldo", fragte sie und merkte, dass er eine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt hatte.

Das war für sie eigentlich nichts Neues. Sie war es gewöhnt, von einer Menge alter Tanten und Onkel auf den Schoß gezogen, geknuddelt und abgeküsst zu werden, und sie war noch nicht in dem Alter, in dem man sich davor ekelte. Der Oberst aber hatte etwas Ungewohntes vor, als er die Hand unter ihrem Rock bis ganz nach oben schob.

"Ja?" antwortete er.
"Onkel Aldo, warum hast du deinen Papagei nicht mit? Ich sehe ihn so gerne!" sagte Samanta.
Die Finger des Obersten streichelten ganz vorsichtig über die Scheide des Mädchens. So vorsichtig, als wäre es ein Entenküken, das er streichelte, oder ein zerbrechliches Stück Porzellan. Samanta machte das manchmal selbst, und es fühlte sich gut an. Überrascht hielt sie still.
"Den Papagei? Oh – weißt du, den kann ich nicht in der prallen Sonne lassen. Der darf an den Strand, wenn hier Schatten ist."
Die Finger streichelten nun regelmäßiger und fester, und Samantha lehnte sich an den Körper des Mannes.
"Kann er auch sprechen oder spielt er nur Maultrommel? Und wie heißt er? Darf ich mal seinen Käfig sehen?"
"Welche Frage soll ich denn nun zuerst beantworten?" fragte der Oberst lächelnd. "Natürlich kannst du den Käfig sehen – er ist sehr groß und hat einen Baum drinnen. Weißt du, wo ich wohne?"
Die Finger bewegten sich langsam und regelmäßig.
"Ja, sicher, ich – "
"Samanta!" rief die Großmutter, als sie zum zweiten Mal durch den Wald kam. "Warum hörst du nicht, wenn ich dich rufe?"

Samanta sprang auf. In dem Augenblick, als sie ihre Großmutter sah, ging ihr auf, dass sie wahrscheinlich etwas Unrechtes getan hatte, auch wenn sie nicht sagen konnte, was es genau war. Auf jeden Fall war sie froh, dass ihre Oma nichts gesehen hatte.
"Ich komme!" rief sie und flitzte in Richtung Haus. Nach wenigen Schritten drehte sie sich um. Zum Oberst sollte sie immer besonders höflich sein, hatte ihr Großvater gesagt. Halb ängstlich, halb verlegen murmelte sie: "Also, dann – auf Wiedersehen!"

Der Oberst hatte seine Sonnenbrille wieder aufgesetzt und blickte schweigend auf das Meer hinaus. Samanta rannte, um ihre Großmutter einzuholen, und griff nach ihrer warmen, sicheren Hand.

 

Hi Aleysha,

Oh Mann, ein harter Brocken den du da lieferst.

Ich hatte mir zwar fast schon sowas gedacht, aber wärend des lesens immer gehofft, dass es doch nicht so sein würde.
Du beschreibst mit sanften Worten den Mißbrauch an ein kleines Mädchen. Und dem Kind gefällt es auch noch.
Das bringt mich etwas durcheinander. Ich war bisher davon ausgegangen, das Kinder dabei Angst und Scham entwickeln. Aber kann sein, dass meine Ansicht etwas naiv ist.
Jedenfalls bringst du mich mit deiner KG, auf einen ganz anderen Gedankengang.
Du läßt zwar das Ende offen, aber es ist anzunehmen, dass die Kleine wieder seine Gesellschaft suchen wird und dann würde das beginnen, was solchen Kindern zum Verhängnis wird.
Auch wenn deine Geschichte erschreckend für mich ist, so finde ich doch, dass du sie sehr gut geschrieben hast.
Werde mir auch deine weiteren KGs durchlesen.

lg. coleratio

 

Hi Aleysha,

auch mich lässt deine Geschichte mit einer Frage zurück: gefiel es dem Mädchen wirklich, von einem Mann, den sie nur wage kennt, intim berührt zu werden? Es ist ja eine Sache, wenn es dem Mädchen gefällt, ihren Körper selbst zu entdecken. Aber von einem alten Mann berührt zu werden? Beängstigend.

Jan

 

Hallo,

und vielen Dank für eure Kommentare. Ich würde sagen, bis zu dem Augenblick, wo Samanta ihre Großmutter sieht, merkt sie nicht richtig, was da vor sich geht. Danach bekommt sie ja Angst und rennt ihrer Großmutter hinterher. Für so kleine Kinder (ich kann mich noch ganz gut erinnern und merke das jetzt auch an meiner Tochter) sind eigentlich die meisten Erwachsenen "alt", und die großen Unterschiede, die Erwachsene zwischen 40- und 60-jährigen sehen, spielen für Kinder nicht so die Rolle.

Meine Überlegung bei der Geschichte war, dass dieses Einzelkind ohne Spielgefährten, aus einer einigermaßen überalterten, aber sehr liebevollen Familie sich vielleicht ein Stückchen weiter noch "wohl" fühlt als andere Kinder. Ich hatte noch andere Dinge im Kopf, als ich diese Story an den Schauplatz meiner eigenen Kindheit verlegt habe, dass nämlich einer Person wie diesem offensichtlichen Ex-Partisanen mit Parteibuch nach Kindesmissbrauch nur dann etwas geschehen wäre, wenn der Einfluss von Samantas Großvater (auch ein Privilegierter mit Parteibuch) höher gewesen wäre. Zumindest in den 70'ern wäre das noch so gewesen. Aber das war mir dann für eine Kurzgeschichte zu viel. Mir selbst springt das bei diesem Setting ins Auge, aber natürlich keinem, der die Situation nicht kennengelernt hat.

Ich werde die Story ein wenig ändern, damit deutlicher rauskommt, dass es Angst ist, die sie am Ende bekommt, auch wenn ihr nur bewusst ist, dass sich vielleicht ihre Oma ärgern könnte. Aber wenn ich euch ein wenig erschreckt habe, dann war das nicht ganz ohne Absicht. Ohne eine Diskussion über kindliche Sexualität vom Zaun zu brechen.

Gruss, Alli

 
Zuletzt bearbeitet:

Die Geschichte erzählt sehr sachlich von einem (leider) nicht besonders ungewöhnlichen Geschehen. Wer davon erschreckt ist, ist meiner Ansicht nach etwas weltfremd. Ein brutaler Mord erschreckt doch auch niemanden, oder? Und Kindesmissbrauch dürfte (Dunkelziffer eingerechnet) häufiger vorkommen als Mord.
Der Text regt zum Nachdenken und zur Diskussion an. Das Thema ist wichtig, totschweigen hilft nicht. Und gerade die Perspektive des Kindes - das nämlich völlig ausgeliefert ist, weil es nicht einmal weiß, was mit ihm passiert - ist sehr wichtig. Mangelnden Tiefgang würde ich dem Text nicht vorwerfen, denn es wird aus Sicht des Kindes erzählt und das hat zu diesem Thema keine so tief gehenden Gedanken wir unsereins - nicht mit 7 Jahren.
Wenn der Oberst ein katholischer Geistlicher gewesen wäre, hätte die Geschichte noch mehr Zündstoff ...
Allerdings würde ich die entscheidende Stelle sprachlich entschärfen, ohne den Inhalt zu verändern:
"die fest geschlossenen Schamlippen des Mächens" -> "ihre Scheide". Das ist (soweit ich weiß) das Wort, das ein 7-jähriges Mädchen selbst benutzen würde. Und der Erzähler ist näher am Mädchen als am Oberst, folglich sollten ihre Worte benutzt werden, nicht seine. Zumindest das "fest geschlossen" ist überflüssig, wenn Du schon bei "Schamlippen" bleiben willst, das Wörtchen "fest" ist jedenfalls in diesem Zusammenhang durch die häufige Verwendung in pornografischen Texten leicht belastet.

 

@Uwe:

Geschrieben von Uwe Post

"die fest geschlossenen Schamlippen des Mächens" -> "ihre Scheide". Das ist (soweit ich weiß) das Wort, das ein 7-jähriges Mädchen selbst benutzen würde. Und der Erzähler ist näher am Mädchen als am Oberst, folglich sollten ihre Worte benutzt werden, nicht seine. Zumindest das "fest geschlossen" ist überflüssig, wenn Du schon bei "Schamlippen" bleiben willst, das Wörtchen "fest" ist jedenfalls in diesem Zusammenhang durch die häufige Verwendung in pornografischen Texten leicht belastet.


Stimmt, dort habe ich die Erzählperspektive gewechselt, das ist mir nicht aufgefallen. Ich werde mich an deinen Vorschlag halten, da ich selbst nicht Deutsch als Muttersprache habe... keine Ahnung, welchen Ausdruck Kinder so benutzen. Bei meiner Tochter ist alles noch "Popo".

Gruß, Alli

 

Hallo Aleysha,

das Thema deiner Geschichte ist schwierig, zumal du ganz richtig gegen ein Klischee anschreibst, welches gerne betroffenheitsheischend in Geschichten über Missbrauch verwendet wird, nichtsdestotrotz aber oft falsch ist.
Denn es gehört eben auch LUST dazu, auch auf Seiten der Opfer. Genau das macht den Missbrauch ja so verwirrend, genau das macht es so leicht, den Opfern die gefühlte Schuld in die Schuhe zu schieben.
Insofern habe ich mich über deine Geschichte gefreut.
Allerdings habe ich ein Bedenken gegen deine Auflösung, nicht aus moralischer Überzeugung, sondern aus eigener Erfahrung.
Das schlechte Gewissen des Kindes entsteht zwar auch, wie du ganz richtig erzählst, aus der Moralkonvention der Umwelt des Opfers (in diesem Falle der Oma), allerdings nicht ausschließlich, wie es deine Geschichte leider nahe legt.
Der Oberst streichelt Samanta an der Scheide. Dazu muss er ihr erst unter die Kleidung fassen. Er dirngt also in ihr Schutzgebiet ein. Im Alter von sieben Jahren ist bei den meisten Kindern so etwas wie Schamgefühl schon entwickelt. Auch bei einer freien Erziehung legen sie zum Beispiel (manchmal für die Eltern unerklärlich) oft plötlich wert darauf, die Badtür zu verschließen. Samatas Verwirrung müsste meines Erachtens früher (deutlicher) einsetzen, nicht erst, als die Oma sie ruft, sondern an der Stelle, wo sie die Berührung gleichzeitig als schön empfindet, aber trotzdem eine Grenzüberschreitung des Oberst stattfindet. Nach meiner Erfahrung spüren Kinder solche Grenzüberschreitungen instinktiv selbst dann, wen das Gefühl, das sie auslösen auch schöne Anteile hat.
Überraschung deutest du ja schon an. Auch, dass der Opa sie gerade dem Oberst gegenüber immer zu besonderer Höflichkeit auffordert ist ein guter Hinweis.

Ansonsten eine schöne Geschichte.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo, sim,

danke für deinen Kommentar. Allerdings meine ich, dass es für die Ausbildung dieser Grenzen unterschiedliche Alter gibt, je nach Umgebung, je nachdem, was die Kinder bei anderen mitbekommen. Wenn das "Rudel" meiner Tochter bei uns in den Garten ins Plantschbecken einbricht, dann benehmen sich die Lütten - an die 10 Kinder, alle so von 5 bis 8 - ganz unterschiedlich, von so schamhaft, dass sie nur zuschauen, bis hin zum offenen Schockenwollen.

Ich denke, beim nächsten minimalen Vorstoß des Mannes, vor allem wenn Samanta mitbekommt, dass sie das Spiel nicht unbedingt beenden kann, wenn sie es will, wäre der Schock erfolgt, den alle Leser hier erwarten. Ich wolte aber eine Situation "an Messers Schneide" zeigen, wo das Opfer gerade noch entkommt.

Gruß, Alli

 

Wobei "das Opfer" ja immer wieder zum Strand kommen wird und dort auf den Mann treffen könnte...
Die Oma hat ja nichts mitbekommen.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom