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An der Adria

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11.10.2003
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An der Adria

An der Adria

Es war 12 Uhr Mittags. Meine Frau und ich verließen die kleine Pension, um in einem wennmöglich am Strand gelegenen Restaurant zu Mittag zu essen. Wenn man dem Reiseprospekt Glauben schenken durfte, dann war unser Hotel nur einen Steinwurf vom Strand entfernt. Es war unser erster Urlaubstag an der italienischen Adria. Wir waren gestern am späten Abend mit dem Auto aus Frankfurt angereist, nachdem ich
einem Geistesblitz folgend und kurzfristig bei „Leckermann Reisen“ eine Woche Doppelzimmer mit Dusche und Frühstück für nur 199 Euro pro Person gebucht hatte.
Ein einmaliges Schnäppchen, wie man mir im Reisebüro ausdrücklich versicherte. Nach einem zweistündigen Fußmarsch - beim Steinwurf mußte es sich wahrscheinlich um einen neuen Weltrekord gehandelt haben - erreichten wir die Strandpromenade und hielten Ausschau nach einem netten und gutbürgerlichen Restaurant. Frische Meeresluft wehte uns um die Nase. Der weiße Strand, der eine schmutzig graue Farbe hatte, war ziemlich sauber, wenn man von einigen Dutzend umgekippten Abfalleimern, die ihren unappetitlichen Inhalt öffentlich zur Schau stellten, und einer kleineren Müllhalde, die bis in das herrlich braunfarbene Meer reichte, absah. Wir spazierten weiter und erreichten eine idyllische Bucht, die Tausende von Badeurlaubern angelockt hatte. Jeder Badegast hatte etwa zwanzig großzügige quadratzentimeter Strandfläche zu seiner freien Verfügung. Endlich fanden wir, was wir suchten. „Ristorante Frutta di Mare“ stand über dem großen Terrasseneingang geschrieben. Das Restaurant war gut besucht, und der Empfangschef hatte einige Mühe, einen freien Tisch für uns zu finden. Endlich fand er einen geeigneten Tisch auf der Nebenterrasse, die nur über eine schmale Leiter zu erreichen war und auf den dunklen Hinterhof blickte. Trotz der totalen Finsternis, die im Hof herrschte,
konnte ich einen Rudel ausgehungerter Straßenhunde erkennen, die ungeduldig auf unsere Bestellung warteten.
Der Empfangschef überreichte uns die Menükarten und war im nächsten Augenblick schon wieder in der Dunkelheit verschwunden.
„Georg, die Speisekarte ist ja auf Italienisch geschrieben. Wie sollen wir denn da wissen,
was wir bestellen sollen?“ Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Fachmännisch analysierte ich die Ketchupflecken und eingetrockneten Speisereste auf der Menükarte, die einen plastischen Hinweis auf das Speiseangebot des Hauses darstellten.
„Laß mich nur machen Erna“, sagte ich zu meiner Frau, „Ich kann ein paar Brocken
Italienisch.“ „Du, das wußte ich ja gar nicht.“ Bewundernd blickte mich meine Frau an.
Selbstbewußt rief ich den Kellner an unseren Tisch.
„Shalom“, sagte ich zu ihm. Ich war mir zwar nicht ganz sicher, ob das Italienisch war,
aber an seinem breiten Lächeln sah ich, daß ich ins Schwarze getroffen hatte.
„Shalom“, antwortete er mir und verneigte sich diensteifrig vor meiner Frau und mir.
„Don Padre, du mir bringen porfavore eine Paare Frankfurter Würstchen und eine grande, grande Salato completo. Aber Pronto Pronto.“
Mit phantasievollen Handbewegungen unterstrich ich meine Bestellung.
„Und noch quattro Flaschen Selterswater. Si?“
Der Kellner sah mich verdutzt an. Anscheinend hatte er mein Italienisch nicht verstanden.
Wahrscheinlich kam er aus dem süditalienischen Raum, wo man einen anderen Dialekt sprach. Da ich leider nicht wußte welchen Teil der Bestellung er nicht verstanden hatte, wiederholte ich sicherheitshalber das ganze noch einmal. Er sah mich immer noch unschlüssig an. Anscheinend hatte er das mit dem Selterswasser nicht kapiert. Ich zeigte auf einen der Nebentische und ließ ihn mit einer unmißverständlichen Geste verstehen, dass ich zwei Selters haben wollte. „Aaaaaaaaah, Vino“, rief er aus. Endlich hatte er kapiert. Ich nickte zustimmend. Jetzt fiel auch mir das italienische Wort für Wasser wieder ein. Es war Vino. Wie konnte ich das nur vergessen?
Nach drei Stunden etwa erschien der nette Kellner in Begleitung dreier Kollegen mit unserer Bestellung.
Die geizten aber nicht mit ihren Portionen. Da konnten die sich zuhause aber eine Scheibe davon abschneiden. „Georg, das haben wir doch gar nicht alles bestellt“, flüsterte meine Frau erschrocken. Mit einem gebieterischen Seitenblick brachte ich sie zum Schweigen. Da unser Tisch viel zu klein für die bestellten Würstchen und den Salat war, stellte der nette Kellner noch einen Tisch an den unsrigen. Meine Stimmung wurde immer besser. Ich stürzte mich ohne Umschweife auf die Frankfurter Würstchen.
„Das sieht aber gar nicht nach Frankfurter Würstchen aus“, meinte Erna trotzig. Doch ich ließ mir von ihrer geschmacklosen Bemerkung nicht den Appetit verderben.
Die Frankfurter schmeckten zwar tatsächlich nicht nach unseren Frankfurtern, aber das war ja wohl auch logisch. Wir befanden uns ja schließlich an der Adria. Hier machte man halt die Frankfurter auf eine andere Art, auf die Adriatische. Auf jeden Fall schmeckten mir die italienischen Frankfurter viel besser als ihre deutschen Kollegen. Sie schmeckten mehr nach Steak, Fisch oder Hähnchen, je nachdem in welches Würstchen man gerade hineinbiß. Auch hatten sie von der Form her nichts, aber auch gar nichts mit unseren deutschen Würstchen zu tun. Sie waren entweder schnitzelförmig, platt, dick, dünn oder waren sogar als Hähnchen verkleidet. Die Italiener hatten eben Phantasie, das mußte man ihnen schon lassen.
Meine Frau war derweil mit ihrem Salat, der aus Austern, Hähnchenschenkeln, gebratenem Roastbeef, Bohnen, Pommes Frites, Sauerkraut und verschiedenen Nudelgerichten bestand, beschäftigt.
Noch nie hatte ich sie so entzückt Salat essen sehen. Ich bestellte noch ein Brötchen, worauf mir der Kellner einen Fasanenbraten, eine Schweinshaxe, zwei gegrillte Forellen und ein ganzes Brathähnchen an den Tisch brachte. Andere Länder, andere Sitten dachte ich mir. „Frankfurter mit Brötchen“ war hier in Italien anscheinend ein Sammelbegriff für kulinarische Spezialitäten und nicht wie bei uns in Deutschland ein mickriges Würstchen mit Senf und Pommes. Ja, die Italiener waren eben Feinschmecker, hier schmeckte sogar das Wasser nach Wein.
Das war also die so oft besungene „Doltsche Rita“, das süße Leben. Hier in Italien konnte sich ein deutscher Tourist noch als König fühlen. Hier war sein Euro noch etwas wert.
Gegen Mitternacht, nach einem Dutzend Flaschen Selterswasser, unzähligen Frankfurter Würstchen und jede Menge Salat brachte uns der nette Kellner, der übrigens auf den Namen Ricardo hörte, die Rechnung. Ich blickte belustigt auf die beiden Zettel:
300 Euro für die Frankfurter Würstchen, 200 Euro für Erna’s Salat und 200 Euro für
das Wasser, machte alles in Allem 850 Euro. Ich rechnete noch einmal nach und kam auf die gleiche Summe wie Ricardo. 850 Euro. Das war ja fast geschenkt. Wo bitteschön hätte ich in Deutschland für diese lächerliche Summe ein auch nur annähernd so gut schmeckendes Frankfurter Würstchen essen können? Die Antwort lautete: Nirgends.
Zufrieden holte ich mein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und blätterte 900 Euro auf den Tisch. „Stimmt so“, sagte ich großzügig. Ricardo warf sein Tablett zur Seite, drückte mich an sich und küßte mich herzhaft auf beide Wangen. Überglücklich murmelte er immer wieder etwas von seiner Frau Gracia. Bevor er sich von uns endgültig verabschiedete, machte er sich noch an meiner Erna zu schaffen und knutschte sie ebenfalls ab. Seine Küsse sahen eher nach französischen Küssen aus, aber das konnte ja nicht sein, denn wir waren ja schließlich in Italien.
Mit Tränen in den Augen ließ er schließlich nach einer viertel Stunde von meiner Frau ab und verschwand in der Dunkelheit. Meine Frau rang nach Atem. „Puuuuh, das nenne ich aber Service“, brachte sie schließlich atemlos hervor. Ich hoffte nur inbrünstig, daß sich seine Kollegen nicht auch noch von uns verabschieden wollten.

*****

Am nächsten Morgen war ich schon sehr früh auf den Beinen. Meine Urlaubsstimmung war wie weggeblasen und ein leichtes Sodbrennen erinnerte mich nachhaltig an den gestrigen Abend. Ich hatte soeben die Terrasse des „Frutta di Mare“ geschrubbt und wollte gerade in die Küche gehen, als meine Gattin Erna in Begleitung meines Chefs am Eingang erschien. „Schatzi, wir gehen hinunter zum Strand, in Ordnung?“
Ich nickte grimmig und machte mich wieder an die Arbeit. Ein Riesenberg von Geschirr mußte noch gespült werden. Einer mußte ja schließlich das Benzin für die Heimreise verdienen. Während ich mit Wehmut an unsere Spülmaschine und die echten Frankfurter Würstchen daheim in Deutschland dachte, nahm Ricardo meine Frau galant an den Arm und stieg mit ihr die Stufen hinunter zum Strand. Ich blickte den beiden deprimiert hinterher.
In diesem Augenblick schwor ich mir bei allem was mir lieb war:
Ich würde nie wieder Urlaub in Italien machen.

 

Servus goren_alb,

allora veniamo a te! Nun als Italophiler klickte ich auf den Titel, da Adria ja meistens Italien oder Kroatien bedeutet und ich ich inständig hoffte, es ginge um Italien. Diese Hoffnung wurde erfüllt.

Ein wenig verdutzt läßt mich der Text zurück. Typischer Deutscher fährt an die italienische Adria, scheitert an der Speisekarte, der Strand schmutzig, kein Platz zum Liegen, usw. dann auch noch der "galante" Restaurantbesitzer, der mir dann doch zuviel war.

Also daß ein Durchschnittsdeutscher an der Adria den Kellner ausgerechnet mit "Shalom" begrüßt, hm..., andererseits wieder, Touristen schanppen so manches auf und wendens dann überall im Ausland an. Aber gut, es gibt Dinge, die glaubt einem sowieso keiner, selbst wenn's wirklich wahr sind.

Bei Passagen wie z.B.:

Der weiße Strand, der eine schmutzig graue Farbe hatte

hätte man meiner Meinung nach, erwähnen müssen, daß ein herrlicher weißer Strand versprochen wurde, der dann natürlich grau und dreckig war. Vielleicht der "versprochene weiße Strand war in Wahrheit zwar grau, aber sauber, abgesehen von...."

Beim Lesen bin ich da nämlich gestolpert, weil ich nicht genau wußte, was Du jetzt meinst.

Jeder Badegast hatte etwa zwanzig großzügige quadratzentimeter Strandfläche zu seiner freien Verfügung stehen

ohne stehen, einfach nur "hatte zur Verfügung", meinem Gefühl nach jedenfalls.

Da mußt ich wirklich schmunzeln:

Amore mio, du mir bringen porfavore eine Paare Frankfurter Würstchen und eine grande, grande Salato completo. Aber Pronto Pronto.“

Also der Tourist, er (sic), nennt den Kellner "amore mio", also das hättest Du ruhig ausschlachten können. Ist der Kellner schwul, beginnt den Protagonisten anzubaggern... Oder er ist es nicht, gehört dem eher liberalen Flügel an, und versucht sich aus der Situation möglichst höflich und peinlich berührt herauszulavrieren, was zu noch mehr Mißverständnissen führt, oder ein Vollmacho, der dem Protagonisten eine auf die Nase knallt...

Das Restaurant heißt also wörtlich "Obst Meer", hat was komisches an sich, frutti di mare wären die Meeresfrüchte. Frutta di Mare wäre die Krönung gewesen. Obst des Meeres, da könnte man wirklich herzhaft lachen. Oder gar Meeresobst.

Alles in allem hab ich mir mehr erwartet. Die Ansätze fand ich prsönlich als Leser ja durchaus ganz unterhaltsam, aber alles in allem waren mir zuviel Klischees enthalten und ich konnte deshalb nicht schmunzeln.

Ich weiß nicht mir geht jetzt die Phantasie durch:

er nimmt ein kleines Wörterbuch und versucht seiner Frau in sehr seltsamen Wortkreationen die Speisen zu erklären, oder die Speisekarte ist in etwas seltsamen Deutsch verfaßt (was in Touristenzentren ja vorkommt), oder man klatscht irgendein zu lang gekochtes "würstel" (die heißen in Italien manchmal so, schmecken manchmal sogar ganz erträglich, wobei: ein Narr, der in Italien so etwas ißt). Dann spricht der Protagonist den Kellner mit "amore mio" an und los gehts. Der Kellner ist peinlich betroffen, usw. Ein schmutziger Strand, ein schäbiges Hotel, der Urlaub eine reine Katastrophe. Na da wär's halt guat, waun ma Italienisch kennt...

Tut mir leid, war jetzt so ein Auswuchs meiner Phantasie.

Mir persönlich wäre eine etwas andere Handlung lieber gewesen. Ein wenig hat's mich an Ephraim Kishon erinnert, der hat übrigens köstliche Satiren über Urlaube geschrieben.

So, nix für ungut

liebe Grüße aus Wien

Echna

 

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