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An der Adria
An der Adria
Es war 12 Uhr Mittags. Meine Frau und ich verließen die kleine Pension, um in einem wennmöglich am Strand gelegenen Restaurant zu Mittag zu essen. Wenn man dem Reiseprospekt Glauben schenken durfte, dann war unser Hotel nur einen Steinwurf vom Strand entfernt. Es war unser erster Urlaubstag an der italienischen Adria. Wir waren gestern am späten Abend mit dem Auto aus Frankfurt angereist, nachdem ich
einem Geistesblitz folgend und kurzfristig bei „Leckermann Reisen“ eine Woche Doppelzimmer mit Dusche und Frühstück für nur 199 Euro pro Person gebucht hatte.
Ein einmaliges Schnäppchen, wie man mir im Reisebüro ausdrücklich versicherte. Nach einem zweistündigen Fußmarsch - beim Steinwurf mußte es sich wahrscheinlich um einen neuen Weltrekord gehandelt haben - erreichten wir die Strandpromenade und hielten Ausschau nach einem netten und gutbürgerlichen Restaurant. Frische Meeresluft wehte uns um die Nase. Der weiße Strand, der eine schmutzig graue Farbe hatte, war ziemlich sauber, wenn man von einigen Dutzend umgekippten Abfalleimern, die ihren unappetitlichen Inhalt öffentlich zur Schau stellten, und einer kleineren Müllhalde, die bis in das herrlich braunfarbene Meer reichte, absah. Wir spazierten weiter und erreichten eine idyllische Bucht, die Tausende von Badeurlaubern angelockt hatte. Jeder Badegast hatte etwa zwanzig großzügige quadratzentimeter Strandfläche zu seiner freien Verfügung. Endlich fanden wir, was wir suchten. „Ristorante Frutta di Mare“ stand über dem großen Terrasseneingang geschrieben. Das Restaurant war gut besucht, und der Empfangschef hatte einige Mühe, einen freien Tisch für uns zu finden. Endlich fand er einen geeigneten Tisch auf der Nebenterrasse, die nur über eine schmale Leiter zu erreichen war und auf den dunklen Hinterhof blickte. Trotz der totalen Finsternis, die im Hof herrschte,
konnte ich einen Rudel ausgehungerter Straßenhunde erkennen, die ungeduldig auf unsere Bestellung warteten.
Der Empfangschef überreichte uns die Menükarten und war im nächsten Augenblick schon wieder in der Dunkelheit verschwunden.
„Georg, die Speisekarte ist ja auf Italienisch geschrieben. Wie sollen wir denn da wissen,
was wir bestellen sollen?“ Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Fachmännisch analysierte ich die Ketchupflecken und eingetrockneten Speisereste auf der Menükarte, die einen plastischen Hinweis auf das Speiseangebot des Hauses darstellten.
„Laß mich nur machen Erna“, sagte ich zu meiner Frau, „Ich kann ein paar Brocken
Italienisch.“ „Du, das wußte ich ja gar nicht.“ Bewundernd blickte mich meine Frau an.
Selbstbewußt rief ich den Kellner an unseren Tisch.
„Shalom“, sagte ich zu ihm. Ich war mir zwar nicht ganz sicher, ob das Italienisch war,
aber an seinem breiten Lächeln sah ich, daß ich ins Schwarze getroffen hatte.
„Shalom“, antwortete er mir und verneigte sich diensteifrig vor meiner Frau und mir.
„Don Padre, du mir bringen porfavore eine Paare Frankfurter Würstchen und eine grande, grande Salato completo. Aber Pronto Pronto.“
Mit phantasievollen Handbewegungen unterstrich ich meine Bestellung.
„Und noch quattro Flaschen Selterswater. Si?“
Der Kellner sah mich verdutzt an. Anscheinend hatte er mein Italienisch nicht verstanden.
Wahrscheinlich kam er aus dem süditalienischen Raum, wo man einen anderen Dialekt sprach. Da ich leider nicht wußte welchen Teil der Bestellung er nicht verstanden hatte, wiederholte ich sicherheitshalber das ganze noch einmal. Er sah mich immer noch unschlüssig an. Anscheinend hatte er das mit dem Selterswasser nicht kapiert. Ich zeigte auf einen der Nebentische und ließ ihn mit einer unmißverständlichen Geste verstehen, dass ich zwei Selters haben wollte. „Aaaaaaaaah, Vino“, rief er aus. Endlich hatte er kapiert. Ich nickte zustimmend. Jetzt fiel auch mir das italienische Wort für Wasser wieder ein. Es war Vino. Wie konnte ich das nur vergessen?
Nach drei Stunden etwa erschien der nette Kellner in Begleitung dreier Kollegen mit unserer Bestellung.
Die geizten aber nicht mit ihren Portionen. Da konnten die sich zuhause aber eine Scheibe davon abschneiden. „Georg, das haben wir doch gar nicht alles bestellt“, flüsterte meine Frau erschrocken. Mit einem gebieterischen Seitenblick brachte ich sie zum Schweigen. Da unser Tisch viel zu klein für die bestellten Würstchen und den Salat war, stellte der nette Kellner noch einen Tisch an den unsrigen. Meine Stimmung wurde immer besser. Ich stürzte mich ohne Umschweife auf die Frankfurter Würstchen.
„Das sieht aber gar nicht nach Frankfurter Würstchen aus“, meinte Erna trotzig. Doch ich ließ mir von ihrer geschmacklosen Bemerkung nicht den Appetit verderben.
Die Frankfurter schmeckten zwar tatsächlich nicht nach unseren Frankfurtern, aber das war ja wohl auch logisch. Wir befanden uns ja schließlich an der Adria. Hier machte man halt die Frankfurter auf eine andere Art, auf die Adriatische. Auf jeden Fall schmeckten mir die italienischen Frankfurter viel besser als ihre deutschen Kollegen. Sie schmeckten mehr nach Steak, Fisch oder Hähnchen, je nachdem in welches Würstchen man gerade hineinbiß. Auch hatten sie von der Form her nichts, aber auch gar nichts mit unseren deutschen Würstchen zu tun. Sie waren entweder schnitzelförmig, platt, dick, dünn oder waren sogar als Hähnchen verkleidet. Die Italiener hatten eben Phantasie, das mußte man ihnen schon lassen.
Meine Frau war derweil mit ihrem Salat, der aus Austern, Hähnchenschenkeln, gebratenem Roastbeef, Bohnen, Pommes Frites, Sauerkraut und verschiedenen Nudelgerichten bestand, beschäftigt.
Noch nie hatte ich sie so entzückt Salat essen sehen. Ich bestellte noch ein Brötchen, worauf mir der Kellner einen Fasanenbraten, eine Schweinshaxe, zwei gegrillte Forellen und ein ganzes Brathähnchen an den Tisch brachte. Andere Länder, andere Sitten dachte ich mir. „Frankfurter mit Brötchen“ war hier in Italien anscheinend ein Sammelbegriff für kulinarische Spezialitäten und nicht wie bei uns in Deutschland ein mickriges Würstchen mit Senf und Pommes. Ja, die Italiener waren eben Feinschmecker, hier schmeckte sogar das Wasser nach Wein.
Das war also die so oft besungene „Doltsche Rita“, das süße Leben. Hier in Italien konnte sich ein deutscher Tourist noch als König fühlen. Hier war sein Euro noch etwas wert.
Gegen Mitternacht, nach einem Dutzend Flaschen Selterswasser, unzähligen Frankfurter Würstchen und jede Menge Salat brachte uns der nette Kellner, der übrigens auf den Namen Ricardo hörte, die Rechnung. Ich blickte belustigt auf die beiden Zettel:
300 Euro für die Frankfurter Würstchen, 200 Euro für Erna’s Salat und 200 Euro für
das Wasser, machte alles in Allem 850 Euro. Ich rechnete noch einmal nach und kam auf die gleiche Summe wie Ricardo. 850 Euro. Das war ja fast geschenkt. Wo bitteschön hätte ich in Deutschland für diese lächerliche Summe ein auch nur annähernd so gut schmeckendes Frankfurter Würstchen essen können? Die Antwort lautete: Nirgends.
Zufrieden holte ich mein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und blätterte 900 Euro auf den Tisch. „Stimmt so“, sagte ich großzügig. Ricardo warf sein Tablett zur Seite, drückte mich an sich und küßte mich herzhaft auf beide Wangen. Überglücklich murmelte er immer wieder etwas von seiner Frau Gracia. Bevor er sich von uns endgültig verabschiedete, machte er sich noch an meiner Erna zu schaffen und knutschte sie ebenfalls ab. Seine Küsse sahen eher nach französischen Küssen aus, aber das konnte ja nicht sein, denn wir waren ja schließlich in Italien.
Mit Tränen in den Augen ließ er schließlich nach einer viertel Stunde von meiner Frau ab und verschwand in der Dunkelheit. Meine Frau rang nach Atem. „Puuuuh, das nenne ich aber Service“, brachte sie schließlich atemlos hervor. Ich hoffte nur inbrünstig, daß sich seine Kollegen nicht auch noch von uns verabschieden wollten.
*****
Am nächsten Morgen war ich schon sehr früh auf den Beinen. Meine Urlaubsstimmung war wie weggeblasen und ein leichtes Sodbrennen erinnerte mich nachhaltig an den gestrigen Abend. Ich hatte soeben die Terrasse des „Frutta di Mare“ geschrubbt und wollte gerade in die Küche gehen, als meine Gattin Erna in Begleitung meines Chefs am Eingang erschien. „Schatzi, wir gehen hinunter zum Strand, in Ordnung?“
Ich nickte grimmig und machte mich wieder an die Arbeit. Ein Riesenberg von Geschirr mußte noch gespült werden. Einer mußte ja schließlich das Benzin für die Heimreise verdienen. Während ich mit Wehmut an unsere Spülmaschine und die echten Frankfurter Würstchen daheim in Deutschland dachte, nahm Ricardo meine Frau galant an den Arm und stieg mit ihr die Stufen hinunter zum Strand. Ich blickte den beiden deprimiert hinterher.
In diesem Augenblick schwor ich mir bei allem was mir lieb war:
Ich würde nie wieder Urlaub in Italien machen.