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Amors Todespfeil
Er liebte Angelina Zirl. Er liebte ihre weiblichen Züge unter der harten Fassade. Er liebte es, dass sie sich oft benahm wie ein Junge, rülpste, weite Klamotten und Caps trug. Sogar den Leberfleck an ihrem Hals liebte er, stellte sich vor, wie er ihn mit Küssen liebkosen würde. Er liebte sie, weil sie über seine Witze lachte. Niemals wieder könnte er so intensiv lieben. Sie war die Einzige.
Und er wusste, sie würde auch ihn lieben. Wenn es da nicht dieses Problem gäbe, das sagte: „Hey, ich hab voll Durst. Kannst du mir mal ´ne Cola geben?“
Dieses Problem hieß Rene.
„Klar doch“, erwiderte Kevin. Er hockte auf einer Mülltonne, holte eine Coladose aus dem Rucksack auf seinem Schoß und warf sie Rene zu. „Aufmachen kannst du sie selbst?“
Rene zwinkerte ihm zu und öffnete die Dose. „Ich hab Hände, Alter. Danke.“
Jedes Mal, wenn sie etwas zusammen unternahmen, war jemand anderes an der Reihe, für die Verpflegung zu sorgen. Dazu gehörten immer sechs Dosen Cola, ein Sixpack Bier, Sandwiches und eine Packung Kippen.
An diesem Samstag im Juli wollten sie wieder ausrücken, um Krieg im Mais zu spielen. Treffpunkt war die kleine Bushaltestelle am Stadtrand.
„Willst du auch eine, wenn ich schon dabei bin?“, fragte Kevin, den Blick auf Jonas gerichtet.
„Ne“, sagte Jonas, der auf seinem Mountainbike saß, die Arme verschränkt auf dem Lenker gestützt. „Aber wenn du eine Kippe hast, nehm´ ich eine.“
„Klar. Eine Kippe kommt sofort.“
Als Jonas die Pall Mall am Feuerzeug entfachte, fragte Kevin an Rene gewandt: „Wann kommt denn deine Alte?“
„Meine Alte ist zu Hause.“
„Ich meine nicht deine beschissene Mom. Ich meine, wo bleibt Lina?“
„Lina ist nicht meine Alte. Die müsste aber bald kommen. Und red´ nicht so über meine Mutter.“
„Sorry. Aber sag mal ... Lina. Wie ist sie eigentlich so?“
„Was geht’s dich an?“
„Na ja, ich bin auch nur ein Junge.“
„Sie ist toll.“
„Toll. Was soll ich damit anfangen? Die Coke in meiner Hand ist auch toll. Hast du schon mit ihr?“, fragte Kevin und klopfte zweimal gegen den Kunststoffdeckel der Mülltonne.
„Ja, hab ich. Und du kannst echt verdammt neidisch sein.“
„Geht sie ab wie ein Kapuzineräffchen auf Ecstasy?“, fragte Kevin, und ein breites Grinsen teilte sein Rattengesicht.
„Halt die Klappe“, sagte Rene.
Jonas war heiß. Es hatte um die dreißig Grad. Das war jedoch nicht die Hauptursache. Jonas glühte vor Wut und Scharm. Wäre er Linas Freund gewesen, hätte er nicht nur gesagt, Axon solle den Mund halten, sondern hätte ihm die Fresse poliert. Sein Atem beschleunigte sich. Ruhig, ermahnte er sich, cool bleiben. Also nahm er ein paar tiefe Züge von der Pall Mall und hielt den Mund.
Als er den Berg hochblickte, sah er Lina, wie sie die steile Straße auf ihrem BMX heruntergeschossen kam. Hätte man ihm jetzt ein Thermometer in den Mund gesteckt, wäre es wie in einem Zeichentrickfilm zerplatzt. Kurz vor ihnen bremste sie ab und driftete ein Stück über den Asphalt.
Im Chor begrüßten die Jungs sie, wobei Rene als Erster bei ihr war und ihr einen Kuss gab.
Irgendwie musste er dem inneren Schmerz entkommen, bevor er ihn auffraß. Er wollte diese Welt vergessen, diesen Kuss. Einen ganzen Stapel von Briefen – Empfänger blieb immer die Schreibtischschublade - hatte er schon an Lina geschrieben. Abends saß er oft lange wach am Schreibtisch, versuchte, was er für sie empfand, auf Papier zu bringen. In einem Brief stand, dass er bereit sei, alles für sie zu tun. Einfach alles. Und was tat Rene für sie, fragte er sich. Dieses Leben war ungerecht, und er wollte einfach nur für einen Moment entkommen.
Also hielt er die Glut der Pall Mall nah an seine rechte Handfläche, passte auf, dass es niemand sah und versuchte, das Gesicht nicht zu verziehen. Die Hand begann, unter dem stechenden Schmerz zu zittern. Die Glut berührte die Haut. Die schmale Straße, die den Berg herunterführte, die vielen Autos die dort am Straßenrand parkten, Kevin, Rene und Lina, einfach alles verlor die Konturen. Er unterdrückte einen Schrei, indem er sich auf die Unterlippe biss.
Unbewusst ließ er den Stummel fallen und stieg benommen vom Mountainbike. Von der Welt des äußeren Scherzes in die Welt des Inneren zurückgekehrt, lief er zu Lina und umarmte sie. Er spürte, wie unwohl sie sich in dem Griff fühlte. Sie wusste, was er für sie empfand, seit er ihr auf einer Party seine Gefühle gestand. Leider war sie zu dem Zeitpunkt schon mit Rene zusammen gewesen, seinem ehemaligen, besten Freund. Diese Neuigkeit traf ihn wie ein Tritt zwischen die Beine.
„Du riechst irgendwie komisch“, sagte sie, als sie sich aus der Umarmung wandte.
„Das liegt am neuen Deo“, sagte Kevin. „Axe-Achselschweiß.“ Alle lachten, nur Jonas` Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Nach der Reihe sah er sie an, und ihm wurde klar, dass sich etwas verändern musste.
„Na ja, dann können wir ja los. Kevin, hast du noch ´ne Coke?“, fragte Lina, nahm kurz ihre Cap ab und strich sich die blonden Strähnen hinter die Ohren.
Jonas liebte es, wenn sie das tat. Er liebte einfach alles an ihr.
Neben dem Maisfeld, welches nicht weit von der Stadt entfernt lag, warfen sie ihre Fahrräder ins Gras. Der Mais stand hoch, kurz vor der diesjährigen Ernte. Es war also höchste Zeit, noch einmal das Feld unsicher zu machen. Voller Vorfreude holten sie ihre Bögen und Pfeile aus den Rucksäcken.
„Ich werd´ euch, so was von kalt machen“, sagte Kevin und fuhr sich dabei genüsslich mit der Zunge über die wulstigen Lippen.
„Halt´s Maul, du Arsch“, erwiderte Jonas kühl.
„Du bist als erstes dran, Wichser.“
Jonas antwortete mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Die erste Regel im Maisfeld lautete: Jeder kämpft für sich allein. In Abständen von zwei Minuten mussten sie in das Maisfeld rennen. Danach galt es, die andern zu finden und abzuschießen. Wer getroffen wurde, war eliminiert und musste das Feld verlassen. Auf die Spitzen der Pfeile brachten sie Weinkorken an, damit sich keiner verletzte. So lauteten die Regeln. Sie hatten über Wochen Trampelpfade in das Feld getreten. Ein echtes Maislabyrinth.
Bevor es losging, öffneten sie sich jeweils ein Bier, stießen an und tranken es gierig aus. Die Luft war trocken, und man war ständig durstig. Durch Schere-Stein-Papier regelten sie die Reihenfolge. Jonas war als Dritter dran, rannte weit in die Mitte des Feldes und wich dann vom Trampelpfad ab. Dabei schlugen ihm die Lieschblätter ins Gesicht. Ein Blatt schnitt ihm den Unterarm auf, doch er registrierte das kaum. Schmerz war das einzige Gefühl, dass er noch kannte. Und es war besser Schmerz zu fühlen als gar nichts.
Neben dem Pfad legte er sich hin, wartete, bis ihm jemand in die Falle gehen würde. Ein lautes Motorengeräusch sprengte die Stille. Das konnte nur Bauer Dengler auf dem alten Fendt sein. Er hatte ihnen schon oft gedroht, er würde sie mit seiner Flinte jagen, falls sie weiter die Ernte ruinieren würden. Das war jedoch nur ein zusätzlicher Nervenkitzel für sie gewesen. Das Geräusch kam näher.
Weiße Nikes. Das waren die Schuhe von Rene. Jonas wartete ab, bis er sich einige Meter entfernt hatte und richtete sich dann auf. Vom Motorengeräusch umgeben, schlich er ihm auf dem schmalen Pfad hinterher. Er spannte den Bogen und richtete ihn auf Renes Rücken, stellte sich vor, wie Rene auf ihr lag, beide nackt, stöhnend und schwitzend.
Die Vorstellung nun loszulassen, ihn zu durchbohren, war einfach großartig, ein Gefühl uneingeschränkter Macht. Nun hatte er es in der Hand. Lina würde dann ihm gehören. Nichts stünde noch zwischen ihnen. Aber das waren alles Hirngespinste, denn am Ende müsste er damit leben, Tag für Tag weiter daran zu Bruch gehen. Versehentlich kickte er gegen einen losen Maiskolben, der seitlich an Rene vorbeirollte. Reflexartig drehte sich Rene um, hatte noch nicht mal seinen Bogen gespannt und starrte ihn mit weit geöffnetem Mund an. Auch Jonas erschrak, zuckte innerlich zusammen. Ertappt, du wurdest ertappt, mein Freund, schrie sein Gewissen.
Und die Nocke glitt ihm durch die Finger, woraufhin der Pfeil zischend die sengende Luft durchschnitt. Das kleine O in Renes Gesicht weitete sich zu einem alles verschlingenden Loch, aus dem jedoch kein Laut drang. Mit furchtverzerrter Fratze sah er an sich hinab. Der Pfeil steckte mitten in der Brust, und nur noch die Befiederung ragte aus ihm heraus.
„Durch“, krächzte er, wankte wie ein Betrunkener auf Jonas zu und brach dann zusammen. Instinktiv vollführte er eine Drehung und landete auf dem Rücken.
Jonas schritt auf ihn zu und kniete sich neben ihm nieder. Die Pupillen glitten mehrmals nach oben, kamen aber wieder zurück, und starrten Jonas an, als erwarteten sie eine Antwort. Jonas wollte sprechen, aber jedes Wort kam ihm zu unbedeutend vor. Sein Atem geriet ins Stocken. Er hatte nicht abdrücken wollen. Nun blickte er nach unten, wo sich ein roter Fleck auf dem gelben T-Shirt ausbreitete. Er schloss die Augen, beugte sich über ihn, legte ein Ohr an die Lippen und hörte schwachen, rasselnden Atem.
Gleich könnte Kevin oder Lina um die Ecke kommen. Sie würden das Blut sehen und vor ihm zurückweichen, als wäre er Frankensteins Monster. Lina würde nie wieder über einen seiner Witze lachen. Sie würde ihn nicht mal mehr ansehen.
Also packte er Rene unter den Achseln und schliff ihn vom Pfad in das dichte Feld, wo er ihn behutsam ablegte.
Das Geräusch des Motors erstarb. Beinah hatte er das Rattern komplett ausgeblendet.
Er spähte durch den Mais auf den Pfad, hörte die Stimme von Bauer Dengler.
„Hallo? Ich hab eure Fahrräder gesehen! Ich weiß, dass ihr hier seid! Diesmal werde ich euch nicht so davon kommen lassen!“
Jonas wischte sich den Schweißfilm von der Stirn. Das Herz klopfte so heftig, dass er glaubte, es gleich erbrechen zu müssen. Renes Kopf lag in seinem Schoß, die Augen geschlossen. Ein Stöhnen drang leise und gequält aus Renes Kehle, und er presste ihm die flache Hand auf den Mund. Er vernahm ein Geräusch. Wie das Knirschen, das ihn vorhin verraten hatte. Einen Lidschlag später starrte er auf ein paar braune Lederstiefel. Er presste die Hand fester auf den Mund, bemerkte, dass er mit dem Zeigefinger die Nasenlöcher verdeckte und schob die Hand etwas nach unten. Ein stetiges Husten pochte gegen seine Hand, sodass er nun mit aller Kraft zudrückte. Renes ganzer Körper verkrampfte sich und sein Teint glich immer mehr dem einer Pflaume.
„Ich schwöre es euch: Wenn ihr jetzt freiwillig rauskommt, wird euch nichts passieren. Wenn nicht - gnade euch Gott. Ihr werdet was erleben!“
Er malte sich die Zukunft aus. Lina würde ihn verächtlich ins Gesicht spucken, ihn auf ewig verfluchen. Seine Eltern würden ihn verstoßen. Er würde im Jungendknast landen, wo ihn die Älteren dazu zwingen würden, ihre stinkenden Schwänze sauber zu lutschen. Er war vierzehn und somit strafmündig. Das Jugendstrafrecht war vielleicht gnädig, was den Umgang mit Ladendieben und Drogenopfern anbetraf. Aber ein Mörder blieb immer ein Mörder. Egal nach welchem Recht.
„Hey, du da, bleib stehen!“
Die Stiefel schnellten davon und Jonas nahm die Hand von Renes Lippen. Zuerst dachte Jonas an verschmierten Lippenstift, aber als er das in der Sonne leuchtende Rot in seiner Handfläche besah, holte ihn die Realität wieder ein. Das Husten war verstummt. Langsam quoll blutiger Schaum aus seinen Rachen. Es musste seine Lunge getroffen haben, mutmaßte Jonas. Noch ein letztes Röcheln gab er von sich, verkrampfte wie kurz vor einem Orgasmus und erschlaffte dann. Jonas starrte auf das Pfeilende, konnte den Impuls nicht widerstehen. Obwohl er wusste, dass Rene dadurch noch mehr Blut verlieren würde, zog er am Pfeil. Ohne den Pfeil würde er wieder aussehen wie zuvor. Gut, da war noch das ganze Blut. Aber er wäre zumindest wieder Rene, und nicht der Rene mit dem Pfeil in der Magengrube. Ein Stück glitt der Pfeil heraus. Als er nachfasste, rutschte ihm der blutbeschmierte Schaft durch die Faust. Beim nächsten Versuch packte er fester zu und riss den Pfeil mit einem Mal aus dem Fleisch. Es klang, als würde ein Fahrradreifen platzen. Er rechnete fest mit einem Schrei, aber da kam nichts. Nicht einmal ein Zucken. Das Gesicht blieb völlig regungslos. Er wusste schon, bevor er die Finger an Renes Hals legte, dass er tot war.
Verblüfft sah er, wie Tropfen auf Renes Gesicht fielen und den feinen Staub aufsaugten. Sie kullerten seitlich an seinem Gesicht herab und hinterließen feine Linien. Ihm wurde erst klar, dass er weinte, als ihm die Sicht verschwamm.
Behutsam legte er den Kopf auf die Erde, flüsterte in das taube Ohr: „Heute Abend komme ich wieder. Warte hier auf mich.“
Im Schein des Mondes wollte er mit Taschenlampe und Schaufel zum Maisfeld zurückkehren und ihn begraben.
Er packte den Bogen und den blutigen Pfeil in den Rucksack. Später konnte er sich überlegen, wie er sich dem Zeug entledigte. Am besten verbrennen, dachte er und schulterte den Rucksack. Beim Versuch sich aufzurichten, schwand das Gefühl aus den Beinen und er fiel hin, wobei ihm eine Maispflanze ins Gesicht schlug. Als er es erneut probierte – diesmal deutlich langsamer, um die Signale des Körpers früh deuten zu können -, klappte es. Der Pfad war leer, das Rattern des alten Fendt nicht zu hören.
Schwankend lief er den Pfad entlang, wischte sich das Blut an der Innenseite des T-Shirts ab. Gleich werde ich ein zweites Mal stürzen, dachte er, diesmal ohne je wieder aufzustehen. Er wollte sich schon fallen lassen, als er leise Schreie hörte. Aggressiv und laut, aber so weit entfernt, dass er sie kaum wahrnahm. Er beschleunigte seinen Gang, folgte den Stimmen, deren Lautstärke anschwoll, als drehe er am Regler einer Stereoanlage. Die lange Rechtskurve führte ihn zur Lichtung. Sie war so groß wie ein Boxring, und sie hatten zwei Stunden gebraucht, um den gesamten Mais niederzutrampeln.
Lina schlug wild mit den Armen um sich, schrie, er solle damit aufhören und schluchzte. Jonas hielt das, was er sah, für eine Halluzination, eine Art Fata Morgana. Die Sonne, die ununterbrochen auf seinen Kopf niederbrannte, lachte ihn aus, hatte ihn durchdrehen lassen.
Kevin saß auf dem Bauch von Bauer Dengler und hielt ihm die Spitze eines Pfeils an die Kehle.
„Ich verwandle dein Gehirn in einen Schaschlikspieß, ich schwöre!“, schrie Kevin. Das Gesicht nur Zentimeter von dem des Bauern entfernt.
„Junge, leg das Ding weg. Überleg, was du da tust. Ich hab nichts getan“, sagte er, bemühte sich ruhig zu bleiben. Aber da lag ein bebender Unterton in der Stimme. Blut sickerte aus seiner Glatze.
„Kevin! Kevin! Hör auf! Geh da runter!“, schrie Lina. „Wir haben schon genug Ärger.“
„Du hast mir ins Gesicht geschlagen, du Bastard! Von wegen nichts gemacht, hä?“
Lina sah kurz von den beiden auf. „Jonas!“
Kevin musterte ihn kurz, dann starrte er wieder in Denglers Gesicht. „Wo warst du, Mann? Weißt du, wo Rene steckt?“
„Ist er nicht bei euch?“, fragte er und versuchte sich an einem Grinsen. Es war so echt wie Falschgeld.
Lina rannte auf ihn zu und umklammerte ihn. Sie schluchzte, ihr Gesicht an seine Schulter gedrückt. Die Lina, die mit ihrem BMX Footjams und Manuels hinlegte, die eine Flasche Bier auf Ex leerte. Diese Lina weinte nun in seinen Armen. Und er genoss es, weil er wusste, dass es das erste und letzte Mal sein würde. Deshalb durfte er diese letzte Gelegenheit nicht verstreichen lassen.
„Der Dengler hat mich und Kevin entdeckt, ist uns nachgerannt, hat Kevin erwischt, ihn angeschrien.“ Sie schnappte nach Luft. „Dann hat er ihn hefig geohrfeigt. Mich hat er auch gepackt und geschüttelt. Kevin hat eine Bierflasche aus dem Rucksack geholt, sie Dengler gegen den Kopf geworfen. Fuck. Ich dachte …“ Sie wollte weitersprechen, aber ihre Worte gingen im Schluchzen unter.
Er schob Lina sanft von sich weg. Der dezent aufgetragene Eyeliner war verwischt. Sie sah aus, wie ein Mädchen, dass geküsst werden wollte. Das Leben lag in Scherben vor ihm, und bevor er in die Scherben treten würde, wollte er noch den Himmel kosten. Ihre Lippen schmeckten salzig. Kevin sah ihn verblüfft an. Lina auch.
„Verdammt! Was soll die Scheiße? Das ist Renes Freundin“, fuhr Kevin ihn an, und sein Rattengesicht spitzte sich weiter zu. „Das kannst du nicht machen.“
In großen, schnellen Schritten ging Jonas auf Kevin zu, warf sich auf ihn.
Die Wucht zog Kevin von Denglers Bauch, und sein Rücken streifte über die Stiefel. Sie landeten auf dem halb verdorrten Lieschblättern, Jonas über ihn gebeugt. Sie sahen sich in die Augen. Da wurde Jonas etwas bewusst, schmerzhaft bewusst. Er schrie und rollte sich von Kevin ab. Er war blind. Blind von der Sonne, in die er sah, befühlte seine Seite, umfasste den Schaft. Der Pfeil steckte bis zur Hälfte zwischen seinen Rippen. Diesmal fehlte ihm die Kraft, ihn herauszuziehen.
Linas Kopf drang in das Licht ein. Wie der Mond bei einer Sonnenfinsternis. Dengler sagte schnell und abgehakt, dass er Hilfe hole. Das Licht umhüllte ihr Lächeln. Ein strahlender Rahmen für das Gemälde eines strahlenden Lächelns. Er war sich sicher, dass sie lächelte. Diesmal waren es ihre Tränen, die den feinen Staub vom Gesicht wuschen.
Schluchzen. Jonas. Du bist der tollste Küsser der Welt.