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Amors krummer Pfeil
Die Türglocke riss mich unsanft aus einem wundervollen Traum.
Vor einiger Zeit war ich beim Casting zu 'Amors Pfeil’.
Sie wissen schon: Diese Single-Show mit einem Mann auf der einen und drei Frauen auf der anderen Seite der Wand. Oder - was in meinem Fall wohl Erfolg versprechender wäre - eine Frau auf der einen und drei Männer auf der anderen Seite.
Nun ja, ich war also bei diesem Casting und seitdem träumte ich etwa drei Mal die Woche das Selbe. Ich habe es bis zur Wand geschafft, sie fährt zurück und vor mir steht mein absoluter Traummann.
Mister Perfect kommt den trennenden Schritt auf mich zu, schlingt seine starken Arme um meinen Körper und küsst mich leidenschaftlich. So lange, bis das Publikum sich nicht mehr einkriegt vor Gejohle und der Moderator sich mit seinen drei Karten zwischen uns wirft.
Ich ziehe eine Karte doch von dem ausgewählten Reiseziel bekommen wir nicht besonders viel mit, da wir das Wochenende zusammen im Bett verbringen.
Und dann wache ich auf und der riesengroß erscheinende Platz direkt neben mir auf der Matratze ist leer.
Ernüchternd ist so was.
Ach ja. Es hatte ja an der Tür geklingelt.
Vor der Tür, direkt auf der Fußmatte lag die Post.
Sollte mir irgendwann mal dieser Idiot von Postboten über den Weg laufen werde ich ihn anstandslos erwürgen.
Vielleicht sollte ich mir doch mal einen Briefkasten beschaffen.
Der erste Brief war eine Rechnung. Schnell zur Seite damit!
Nummer zwei: ein Brief von meiner Mutter. Aus Italien. Da wohnte sie jetzt alleine in einem kleinen Haus an der Küste und ich durfte mich dafür in dem Haus hier einquartieren. Sonst hätte ich mir das doch nie leisten können. Ich würde ihre belanglosen Erzählungen später lesen.
Beim Anblick des letzten Umschlages schlug mein Herz plötzlich schneller. Als Absender war da das Logo von 'Amors Pfeil' abgedruckt.
Vor lauter Nervosität riss ich beim Öffnen des Kuverts den Brief bis etwa zur Hälfte ein.
Mist!
Der Inhalt des Schreibens lief darauf hinaus, dass ich mich nächsten Samstag (heute in einer Woche!) im Aufnahmestudio einfinden sollte. Mit gepacktem Koffer, falls ich die Reise am Schluss antreten würde.
Die vorherrschende Freude wurde schnell getrübt.
Da waren sie wieder. Meine drei Probleme:
1. Ich hatte nichts Passendes anzuziehen.
2. Meine Frisur war eine Katastrophe
3. Wie sollte ich hinkommen?
Problem eins und zwei ließen sich hoffentlich durch einen Einkaufsbummel mitsamt Friseurbesuch aus der Welt schaffen.
Bei Nummer drei würde ich mir wohl ein Taxi rufen müssen. Zwar teuer, aber noch immer die sauberste Lösung.
Montags im Büro nahm ich mir für den Rest der Woche frei.
Vor dem großen, mein Leben für immer verändernden Tag gab es schließlich noch eine Menge zu erledigen. Das ging nicht einfach so, nebenbei.
Den Dienstag erkor ich dazu aus, den Friseurbesuch zu wagen. Das musste man schon früh genug einplanen damit man dass, was einem an den Vorstellungen des Friseurs nicht gefiel bis zum Stichtag wieder aus den Haaren bekam.
Und diese Weisheit bestätigte sich erneut.
Gut, okay. Die großen Locken waren ja ganz passabel. Aber was er dann mit etlichen Nadeln auf meinem Kopf auftürmte war nun wirklich nicht mein Geschmack. Auf dem Heimweg zog ich mir eine Nadel nach der anderen aus den Haaren, bis wieder alles (so wie es die Schwerkraft vorgesehen hatte) nach unten hing.
Wobei ich der Schwerkraft beim Aussuchen meines Outfits am Tag darauf ein Schnippchen schlagen wollte. Was für meine Haare galt, zählte für meine Oberweite noch lange nicht.
Also etwas kaufen, was meine beiden größten körperlichen Vorteile ins rechte Licht rückte. Ich erstand eine sündhaft teure (aber an mir einfach fantastisch aussehende) Bluse. Dunkelgrün schimmernd. Meine Lieblingsfarbe.
Was ich auch noch unbedingt kaufen musste war ein sexy Nachthemd. Zwar wurden vom Veranstalter in dem Hotel zwei Einzelzimmer für das Siegerpaar gebucht, aber man konnte ja nie wissen...
Und dann war er da. Der Samstag.
Ich hatte in der Nacht etwa zwei Stunden geschlafen und dementsprechend frisch sah mein Gesicht aus. Toll.
Das Taxi war für zehn Uhr bestellt doch ich schaffte es - wie erwartet - erst so gegen viertel nach zehn vors Haus.
Sobald ich die Haustüre öffnete fiel mir auf, dass ich heute noch kein einziges Mal aus dem Fenster gesehen hatte. Es schüttete wie aus Eimern. Perfektes Wetter also für einen Minirock und eine hauchdünne Bluse ohne Jacke.
Der Tag ging ja gut los.
Die Fahrertür des Taxis sprang auf und ich sah wie der Fahrer in gebückter Haltung, die Jeansjacke über den Kopf gezogen zu mir herüber unter das Vordach gerannt kam. Knapp vor mir richtete er sich dann wieder auf und zog seine Jacke zurecht.
Er hatte das Gesicht bei dem ich bis vor kurzem noch schwammige Knie bekommen hätte. Aber heute – mit Aussicht auf meinen Traummann, welcher natürlich bei ‚Amors Pfeil‘ auf mich wartete – ließ ich mich dadurch nicht verunsichern. Und für einen belanglosen Flirt war ich viel zu nervös.
"Johanna Magnani?"
Wieso sah er mich so an? Es war kein belustigter Blick, weil ich bei diesem Wetter in solch einem Aufzug herumlief. Da war etwas anderes in seinen Augen... Oh mein Gott!
Nein Joe... Keinen Flirt... Nicht jetzt. So kurz davor.
Ich gab ihm meinen Koffer.
"Zum Studiogelände bitte."
Er nahm mein Gepäck und nickte.
"Ich weiß. Steigen sie doch schon mal ein, ja? Ich kümmere mich um ihre Sachen."
Beim letzten Satz zog er sich wieder seine Jacke über den Kopf und spurtete los in Richtung Kofferraum.
Okay. Eins... Zwei... Drei...
Ich schirmte mein Gesicht ab, lief zur hinteren Tür des Taxis, riss sie auf, ließ mich in den Sitz sinken und schloss die Tür schnell wieder. Nervös holte ich meinen Taschenspiegel hervor, aber meinem Make-up war zum Glück nichts passiert.
Nach wenigen Sekunden ging vorne die Tür auf und der Fahrer setzte sich an seinen Platz. Hinten an seinem Sitz war ein kleines Schild befestigt.
'Heute fährt sie Thomas Steiger'
Ich genoss etwa fünfzehn Sekunden stille Fahrt in denen ich mir jedoch völlig bewusst war, dass er mich beobachtete. Dann...
"Mistwetter heute. Nicht wahr?"
Undeutliches Grummeln meinerseits. Ich hatte keine Lust auf seichte Konversation. War noch immer viel zu aufgeregt. Thomas Steiger ließ jedoch nicht locker.
"Zum Studiogelände also? Sind sie Schauspielerin?"
Na toll. Ausgerechnet ich musste einen von der gesprächigen Sorte erwischen.
"Nein. Keine Schauspielerin."
Und weil sich das alleine ziemlich doof anhörte und wahrscheinlich wieder einen neuen Schwall an Fragen nach sich gezogen hätte gab ich mir einen Ruck und erzählte ihm warum ich bei diesem Mistwetter unbedingt zum Fernsehstudio musste.
"Ich bin Kandidatin bei 'Amors Pfeil'."
Durch den Rückspiegel sah ich wie seine Augen mich ungläubig anstarrten. Er schüttelte den Kopf.
"Sie? Das glaub ich nicht. Das kann doch nicht sein! So eine gutaussehende Frau wie sie, die muss doch nicht in so ne komische Show um einen Mann zu finden."
Innerlich gab ich ihm ja völlig Recht. Die Realität sah jedoch leider Gottes anders aus.
"Doch. Muss sie."
Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass wir bereits auf dem Weg zur Pforte waren. Der Pförtner warf nur einen kurzen Blick auf den Brief der mich als Kandidatin auswies und winkte uns dann durch.
Thomas Steiger schüttelte noch immer den Kopf.
"Eine Schande für die Männerwelt ist das. Das eine Frau wie sie zu 'Amors Pfeil' gehen muss um an einen Mann zu kommen. Und zum Schluss ist das dann noch irgend so ein Arsch, den ohne Wand vorm Kopf eh keine haben will."
Nein! Solche Leute nahmen die da doch gar nicht, oder? Beruhige dich, Joe. Da drinnen gibt es nur Traummänner. Nur Mister Perfects. Nichts anderes.
Das Taxi hielt vor dem Haupteingang. Ich beugte mich vor um auf das Taxameter sehen zu können, doch genau in diesem Augenblick drehte er sich zu mir um. Unsere Gesichter waren nur Millimeter voneinander entfernt.
Er grinste. Hatte er es genau darauf abgesehen? Erschrocken rückte ich wieder zurück.
"Was... Was bin ich ihnen schuldig?"
Noch immer lächelnd nannte er einen Preis der unter dem lag, was ich auf dem Bildschirm vorne gelesen hatte. Aber ich war knapp bei Kasse und für jeden Rabatt dankbar. Also reichte ich ihm das Geld nach vorne.
"Danke. Und jetzt schauen sie, dass sie mir trocken ins Gebäude kommen. Ich bring den Koffer schon nach."
Ich nickte, wappnete mich, stieß die Tür auf und spurtete zum Eingang. Unter der Überdachung wartete ich auf Thomas Steiger der - wie auch zuvor mit seiner Jacke über dem Kopf - mein Gepäck aus dem Kofferraum holte und zu mir ins Trockene brachte.
"So. Da wären wir also. Passen sie gut auf sich auf, ja?"
"Danke. Auf Wiedersehen."
Er winkte ab, schlüpfte wieder tiefer in seine Jacke und rannte durch den strömenden Regen zur Fahrertür seines Taxis. Nach einem kurzen Blick zu mir zurück stieg er ein, winkte noch einmal und brauste davon.
Im Gebäude bedachte mich die Dame am Empfangstresen mit einem hochnäsigen Blick. Klar, ein bisschen Regen hatte ich sicherlich abbekommen. Und ich war bestimmt auch die einzige, die bei diesem Wetter im Minirock ankam. Aber trotzdem. Musste man mich deshalb gleich so angiften?
"Sie sind spät dran. Zweiter Stock. Zimmer Nummer vier."
Nettes Personal hatten die hier. Ausgesprochen freundlich.
Im zweiten Stock stand vor dem besagten Zimmer eine Frau meines Alters. Zur Abwechslung mal ein lächelndes Gesicht.
"Frau Magnani?"
Ich nickte, harrend der Dinge die nun kamen.
"Wir warten bereits auf sie. Sie sind Kandidatin Nummer drei. Das hier sind ihre Unterlagen. Sehen sie bitte alles durch, ob sich irgendwo etwas geändert hat. Viel Glück heute Nachmittag."
Zweifelsohne eine auswendig gelernte Rede, die sie jeder Kandidatin an den Kopf warf. Aber wenigstens freundlich
Im Zimmer saßen Kandidatin eins und zwei bereits an ihren nummerierten Plätzen.
Nummer eins hatte einen braunen Kurzhaarschnitt und trug Jeans und eine karierte Hemdbluse. Marke: Liebchen vom Lande.
Nummer zwei war eine vollbusige Blondine und auch sie trug einen Minirock. Wir waren also so etwas wie Leidensgenossinnen.
Mein Blick fiel auf den Packen Papier vor mir. Eine Bogen, den ich beim Casting ausgefüllt hatte. Alles darauf stimmte noch. In meinem Leben hatte sich seither nichts getan. Noch nicht mal meine Hobbys oder die drei Dinge die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde hatten sich geändert. Traurig ist das.
Nächster Zettel: 'Dies sind die drei Fragen, die ihnen Mister XY während der Sendung stellen wird. Um einen möglichst reibungslosen Ablauf der Aufzeichnung zu garantieren bitten wir sie, sich ihre Antworten schon jetzt zu überlegen. Dafür vielen Dank im Voraus.
Frage 1: Ich bin Anwalt und das heißt, dass ich unter der Woche oft bis spät in die Nacht arbeiten muss und wenn ich nach Hause komme fix und fertig bin. Deshalb schlafe ich am Wochenende gerne etwas länger. Kandidatin 3: Wie schaffst du es, dass ich trotzdem an einem Sonntag zum Frühstück zu deinen Eltern mitkomme?'
Wo lag das Problem? Meine Mutter war selber keine Frühaufsteherin. Sonntagsfrühstück gab es bei uns frühestens um zwei.
Ich schrieb: Tja XY. Frühstück bei meiner Mutter? Das bedeutet ersten: Frühstück an der Küste Italiens. Und zweitens: Frühstück etwa so gegen vierzehn Uhr. Wenn dir das aber noch immer zu früh ist können wir gerne den gesamten Samstag davor im Bett verbringen, damit du für den Sonntag ... ausgeruht (?) bist.'
Genau. Das hörte sich richtig gut an. Was ich vor lauter Schreiben fast vergessen hätte: Hatte ich da richtig gelesen? Er war Anwalt!
'Frage 2: Mein Handy ist mein ständiger Begleiter. Kandidatin 3: Wie bringst du mich dazu, dass ich es an meinem freien Tag einfach klingeln lasse ohne ran zu gehen?'
Was war dass den für ein Typ? Der lechzte ja geradezu nach versauten Antworten. Okay. Konnte er haben. 'Ganz einfach, in dem du wo anders rangehen darfst.' Kurz, aber pikant. Perfekt.
‘Frage 3: Ohne Musik wäre ich verloren. Kandidatin 3: was denkst du, welche Art von Musik hört Kandidatin 1 am liebsten?'
Das war einfach und brachte dem Cowgirl sicherlich keine Pluspunkte: 'Country.'
Vielleicht sollte ich dieses eine Wort noch mit irgendeinem frechen Spruch bereichern, aber mir fiel einfach nicht mehr ein.
Und außerdem steckte die Frau vor der Tür gerade ihren Kopf herein und teilte uns mit, dass wir jetzt in die Maske könnten und dort eine Kleinigkeit zu Essen bekämen.
Die Kleinigkeit zu Essen bestand aus ein paar Wurst- oder Käsesemmeln und lauwarmem Kaffe. Nach en paar Bissen verzichtete ich auf weitere und hoffte nur, mein Magen würde diesen Tag leer überstehen. Danach wurde als erstes gleich mal das teure Make-up, welches ich mir mühsam aufgelegt hatte wieder abgewischt und durch eine solche Schicht neues ersetzt, dass ich danach bestimmt zehn Pfund mehr auf die Wage brachte.
Die Visagistin erklärte, dass das Kameralicht mehr als die Hälfte des Make-ups schlucken würde. Was auch immer das bedeutete, ich fühlte mich nicht wohl unter solch einer Schicht Farbe.
Und mein Magen knurrte.
Dementsprechend mies gelaunt war ich, als es dann auch endlich losging.
Der Moderator stellte uns nach der Reihe vor und jede von uns musste ein paar Fragen zu ihrer Person beantworten. Als er bei mir angelangt war fiel der Applaus des Publikums mager aus. Schon klar. Von denen kannte mich ja keiner. Und Freunde, die ich hätte mitbringen können (So wie Madame Kuhstall. Ein ganzer Block voller Karohemden) hatte ich keine. Der Moderator sprang natürlich sofort darauf an und fragte mich ob ich denn keinen Fanclub dabei hätte.
"Nein. Ich komm auch ohne ganz gut zurecht."
Das hatte ihm das Maul gestopft. Er forderte nochmals Applaus für uns alle drei und verschwand dann hinter der hervorfahrenden Wand um den Anwalt willkommen zu heißen.
Mister XY stellte sich als Torsten Gunters vor. Seine Stimme klang langweilig und genau das wurde mir langsam.
Kandidatin eins verhaspelte sich mehrmals in ihrer einfallslosen Antwort auf Frage eins. Ich verkniff mir ein Lachen. Bei Kandidatin zwei lief alles perfekt und dann war ich an der Reihe. Meiner Meinung nach erntete meine Antwort den meisten Applaus.
Bei Frage zwei dasselbe Trauerspiel mit Kandidatin eins. Ich konnte mir Torsten Gunters hinter der Wand direkt vorstellen (natürlich sah er meinem Traummann extrem ähnlich) wie er sich die Hand vor den Mund hielt um nicht laut heraus zu lachen.
Das Landei war definitiv aus dem Rennen.
Bei der letzten Frage dichtete mir Kandidatin zwei mit einem honigsüßen Lächeln in meine Richtung an, ich würde Klassische Musik hören und mich dauernd darüber aufregen, dass ich den Text nicht verstehen könne. Welchen Text denn bitteschön? Klar höre ich Klassik. Klaviersonaten. Zur Beruhigung. Und da wird nicht gesungen. Dummchen.
Da wie bereits erwähnt der halbe Saal voller Freunden von Kandidatin eins war wurde meine Antwort mit ein klein wenig Geklatsche und einem unüberhörbaren 'Buh' quittiert. War okay. Damit konnte ich leben. Solange er sich nur gleich für mich entscheiden würde.
Es wurde ernst.
Der Moderator fragte Torsten Gunters, welche Frau Amors Pfeil getroffen hätte.
Atemlose Stille. Dann...
"Es ist echt schwer. Die klangen alle so nett. Ich nehme einfach die goldene Mitte. Kandidatin 2!"
Blondchen neben mir schlug verzückt die Hände vors Gesicht, nur um Sekunden später mit Tränen in den Augen in die Kamera zu lächeln.
Ich saß wie versteinert da. Die goldene Mitte? Wieso nicht aller guten Dinge sind drei - Kandidatin drei? Nein, es musste dieser dumme Spruch mit der goldenen Mitte sein!
Unter großem Applaus verschwand Kandidatin eins hinter der Wand um sich ihr Küsschen auf die Wange und ihre Rose abzuholen. Dann...
"Kandidatin 3: Johanna Magnani!"
Mit weichen Knien stieg ich vom Barhocker und wankte um die Wand herum. Dass kaum jemand klatschte registrierte ich nur so nebenbei.
Auf der anderen Seite fiel plötzlich alle Last von mir ab und ich fühlte mich erlöst.
Torsten Gunters war kleiner als ich, blond mit anfangender Halbglatze und der Kuss auf meine Wange war so feucht, dass ich am liebsten sofort mit irgendetwas darüber gewischt hätte.
Wenigstens war die Rose schön. Schwarz. Ich sollte wohl trauern, dass er nicht mich gewählt hatte. Den Gefallen tat ich ihm nicht. Zum Glück hatte er die goldene Mitte gewählt.
Was mich aber jetzt nicht großartig weiterbrachte. Ich war noch immer solo. Alleine.
Traurig saß ich in der Maske und ließ mich abschminken.
Mein Leben war Scheiße. Ich sollte mich einfach damit abfinden.
Ich nahm meinen Koffer, die Rose und die Flasche Rotwein, welche die Verlierer bekamen. Die Gunst der Stunde nutzend steckte ich die dunkelgrüne Wimperntusche ein, von der die Visagistin vor der Show meinte, sie würde so gut zu meinen Augen passen. War ja auch meine Lieblingsfarbe.
Die Dame am Empfang ließ mich von ihrem Telefon aus ein Taxi rufen.
Deprimiert setzte ich mich draußen unter dem Vordach auf meinen Koffer.
Ich öffnete die Weinflasche.
Ich war die Tochter eines Italieners und was gaben die mir? Rotwein mit Schraubverschluss!
Mein ohnehin rebellierender Magen zog sich merklich zusammen, aber da musste er jetzt durch. Alkohol wirkte bei mir schon immer schmerzlindernd also war Alkohol jetzt genau das, was ich brauchte.
Als ich merkte, dass mir das Wasser in die Augen stieg biss ich mir auf die Lippen. Alles, aber ich würde nicht direkt vor ihrem Gebäude hier in Tränen ausbrechen. Das musste ich mir schon irgendwie verkneifen bis ich zu Hause war. Dort konnte ich mich dann ruhig wieder selbst bemitleiden. Aber nicht hier.
Durchhalten Joe, altes Mädchen. Ist ja bald vorbei.
Dass das Taxi gekommen war bemerkte ich in meiner Resignation erst als sich eine Hand in mein Gesichtsfeld schob.
"Los, komm. Ich helfe dir hoch."
Diese Stimme kam mir bekannt vor. Konnte es sein, dass...?
Ich sah nach oben, konnte aber durch meinen Tränenschleier hindurch nicht wirklich etwas erkennen. Erst als ich mir über die Augen gewischt - und meine gerade erst aufgetragene Wimperntusche sicherlich großzügig über mein Gesicht verteilt - hatte sah ich, dass mich mein Gehör nicht enttäuscht hatte.
Vor mir stand Thomas Steiger.
Mein Taxifahrer von heute Vormittag.
Ich versuchte ein Lächeln, welches mir sicherlich misslang und rappelte mich mit seiner Hilfe hoch. Zusammen mit meiner Flasche Rotwein und der Rose setzte ich mich auf den Rücksitz während Thomas meinen Koffer verstaute.
Nach einiger Zeit sank Thomas Steiger vor mir in den Sitz und ich nannte ihm meine Adresse. Er drehte sich zu mir herum.
"Ich weiß. Es hat dich also keiner ausgewählt?"
Bei dem Gedanken an Thorsten Gunters brach ich in schallendes Gelächter aus, woraufhin er mich nur noch verdutzter ansah.
Nach dieser kurzen Zeit des Zurückdenkens dachte ich jedoch wieder an meine Zukunft und da sah es so düster aus, dass mir das Lachen sofort wieder verging.
"Nein. Niemand hat mich ausgewählt."
Daraufhin herrschte einige Zeit schweigen. Ich schwieg, da es nichts mehr zu sagen gab und mein Fahrer schwieg wohl, weil er noch immer nicht so ganz verstand was es da zu lachen gegeben hatte.
Hinter uns hupte ein anderes Taxi, so dass er gezwungen war los zu fahren. War mir nur Recht so. Ich wollte nach Hause. Mich in mein Bett verkriechen und nie nie wieder aufstehen.
Tom Steiger unternahm keinen weiteren Konversations-Versuch.
Er trug mir den Koffer vor die Tür, blieb direkt vor mir stehen und sah mich mit seinen großen blauen Augen an.
"Ich hoffe für dich, dass du irgendwann mal jemanden findest, der zu dir passt. Der dich liebt. Gute Nacht."
Noch ehe ich etwas erwidern konnte hatte er mich an den Schultern genommen, mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen gegeben, mich wieder losgelassen, war zu seinem Auto gegangen, ohne einen Blick zurück eingestiegen und davongefahren.
Und ich Idiot war einfach zu verdutzt um ihn daran zu hindern.
Meine Lippen brannten.
Und was nun?
Ich war dazu verdammt alleine ins Bett zu gehen. Aber jetzt hatte ich wenigsten Grund genug mein Kissen nass zu heulen.
Ich war so eine dumme Kuh. Eigentlich hatte er ja wirklich verdammt gut ausgesehen. Und ich ließ mich von ihm zu dieser bescheuerten Show fahren anstatt ihm... auf den Schoß zu hüpfen?
Der Kuss war wundervoll. Aber ich hatte ihn wegfahren lassen. Trotz des Kusses. Trotz allem gegenseitigen Gefallens. Idiotin, die ich war.
Irgendwann versiegte der Tränenstrom und ich schlief ein.
Geweckt wurde ich (wie gewohnt) von der Türklingel.
Wild entschlossen den Postboten zu erwischen und ihn für all meine Probleme verantwortlich zu machen sprang ich aus dem Bett, stürmte zur Tür und riss sie auf.
Vor mir stand nicht der Postbote – sondern Thomas Steiger
Erster Gedanke: Was will der denn hier!?
Zweiter Gedanke: Oh Gott, ich habe meinen alten Pyjama an!
Dritter Gedanke: Schnell die Tür wieder zumachen.
Vierter Gedanke: Zu spät!
Mit einem großen Schritt war er hereingekommen, drängte mich an die Wand, umfasste meinen Nacken und küsste mich.
Aber nicht so flüchtig wie gestern Nacht.
Richtig Leidenschaftlich. Zärtlich.
So lange bis ich fast keine Luft mehr bekam und drohte in seinen Armen ohnmächtig zu werden. Seine Lippen ließen nur zögerlich von meinen ab.
"Denkst du wir könnten versuchen ob ich derjenige bin, welcher...?"
Epilog
Dieser bedeutungsschwangere Sonntag ist jetzt zwei Wochen her.
Inzwischen bin ich dazu gekommen den Brief meiner Mutter zu lesen.
Sie lud mich für zwei Wochen zu sich nach Italien ein. Hin und Rückflugticket lagen bei.
Ich nahm Tom natürlich mit. Seine Tickets zahlten wir gemeinsam.
Jetzt - nach einer Woche Sonne, Strand und Liebe - bin ich mir sicher.
Ich bin so verliebt wie schon lange nicht mehr. Er ist der Richtige.
Stellt sich nur die Frage, ob er sich auch sicher ist, dass ich für ihn die richtige bin. Bisher hat er noch keine direkte Andeutung in diese Richtung gemacht.
Heute wird 'Amors Pfeil' ausgestrahlt.
Dank Mamas Satellitenanlage können wir diesem Stück Fernsehgeschichte sogar von unserem Bett aus beiwohnen.
Da liegen wir nun also. Nebeneinander unter einer Bettdecke. Und wie das bei Pärchen kitschiger weise so üblich ist trage ich das Hemd seines Pyjamas und er die Hose.
Die Show geht los und ich kann einfach nicht mehr hinsehen.
Wieso hat mir keiner gesagt, dass man im Fernsehen um zehn Kilo schwerer wirkt?
Tom zieht mich zu sich herüber und küsst meine nackte Schulter. Sein Hemd ist mir um einiges zu groß.
"Wir beide wissen, wie du wirklich aussiehst. Perfekt!"
Solche Komplimente macht er mir haufenweise. Aber hatte er mir schon einmal direkt gesagt, dass er mich liebt? Nein!
Die Joe auf dem Bildschirm erklärt dem Moderator gerade, dass sie auch ohne Fanclub ganz gut auskommt. Toms Lippen gleiten von meiner Schulter zu meinem Hals hinauf.
"Jetzt hast du einen. Einen Ein-Mann-Fanclub."
Bei meiner Antwort auf die erste Frage müssen wir beide lachen. Den gestrigen Samstag hatten wir tatsächlich nur im Bett verbracht. Dadurch besser ausgeruht waren wir nicht.
Die Show ist zu Ende und wir liegen uns gegenüber unter der Bettdecke. Tom sieht mich so lange schweigend an, bis ich nervös werde.
„Was ist? Hab ich irgendetwas im Gesicht?“
Schon will ich mir aus purem Reflex über das Gesicht streichen, als er meine Hand festhält.
Und dann kommen über seine Lippen die vier Worte auf die ich unbewusst wohl schon warte, seit ich das erste Mal in sein Taxi gestiegen bin.
„Joe, ich liebe dich!“