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Serie Amok

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18.06.2001
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Amok

Sie reden von Enttäuschung und verstehen nicht wie beruhigend die kalte Festigkeit einer 9mm Patrone ist; sie reden von Kurzschlusshandlung und verstehen nicht, wie faszinierend es ist, wenn der Abzug den Hahn löst und der wiederum die Patrone auseinanderreißt und sie getrennt in Kugel und Hülse auf ihre Reise schickt; sie reden von Psychologie, aber sie verstehen rein gar nichts.
Im Fernsehen hab ich von seiner Tat erfahren. Während alle anderen um mich herum in Beteuerungen ausgebrochen sind, wie schrecklich das doch alles ist, und dass man doch etwas dagegen hätte unternehmen müssen – natürlich nicht sie selbst, nein, sie selbst nicht – habe ich stumm auf dieses blödsinnige Bild von ihm gestarrt, das ihn als einen kalten Killer zeigt und habe mich zweierlei gefragt: Zuerst warum sie gerade dieses Bild ausgewählt haben. Ich kenne die Photoalben, die in der Wohnung seiner Mutter stehen. Ich erinnere mich an passendere Bilder. Das eine aus der Bundeswehrzeit, auf dem sein halber Zug in Kriegsbemalung mit den MG3, den G3 und allen anderen Spielzeugen posiert hat. Nein, das hätten sie nie genommen, ein Hoch auf unsere Bundeswehr, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Waffen lehrt.
Aber es hätte andere Photos gegeben. Photos im Freien, im Kindergarten seines kleinen Bruders, während des Sommerfestes, zwei strahlende Kinder auf den Knien, sein ebenso strahlendes Gesicht zwischen ihnen.
Nein, sie haben dieses eine graue genommen, das ich gemacht habe, um die Kamera zu testen bevor wir zusammen losgezogen sind nach Schweden, um das Grab seines Vaters zu besuchen. Welch Ironie, da sie ja nichts davon wissen.
Meine zweite Frage war, warum er mich dieses Mal nicht mitgenommen hat und ob ich darüber froh sein soll oder nicht.

Es war eisig kalt, damals in Schweden als wir endlich in diesem kleinen Ort angekommen sind, der aus ein paar vom Wind eingedrückten Ruinen und einem hässlichen Betonklotz bestand, der wohl so was wie ein Relais darstellte. Was dieses Relais verteilen sollte – ob Wasser, Gas oder sonst etwas - wir wussten es damals nicht. Heute weiß ich, dass es Hass gewesen war.
Wir waren schweigend hinauf zum Hügel, auf dem der Friedhof lag, gegangen. Worte waren schon seit einigen Stunden nicht mehr nötig gewesen, der Wind hätte sie uns auch genommen, sobald wir sie aus unseren Mündern entlassen hätten. Dünner verharschter Schnee lag über der krummen Mauer und auf dem zusammengestürzten Tor. Ein einziger Stein war neu und wir hätten nicht hinsehen müssen um zu wissen, wer hier begraben lag. Wir warfen die Rucksäcke zu Boden, schoben unsere Jacken hoch um die Pistolen aus dem Hosenbund zu ziehen. Sie waren das Einzige, das sich in dieser Kälte warm und lebendig anfühlte.
Wir leerten beide ein ganzes Magazin, bis von der sorgfältig in den Grabstein eingemeißelten Schrift nichts mehr übrig geblieben war.
Für diese Momente fanden wir so etwas wie unsere Sprache und die Welt verstummte um zuzuhören. Überall lagen die Hülsen herum, schmolzen kleine dunkle Höfe in den Schnee.
Lange standen wir einfach nur da, warteten bis die Läufe der Pistolen genug abgekühlt waren um uns nicht mehr verbrennen zu können.
Ein Mensch kann nie so heiß werden wie eine leergeschossene 9mm.
Als er den Arm bewegte, bewegte auch ich den meinen. Zwei Schlitten wurden vorgeschoben, zwei Hebel umgelegt und so ging es weiter, bis die Pistolen kaum mehr als solche zu erkennen waren. Sich festsetzende Pulverrückstände werden hart wie Stein und wir hatten einen langen Rückweg durch die einbrechende Nacht vor uns, in der die Kälte unseren Fingern nicht erlauben würde Lappen, Öl und Bürste zu handhaben.
Gereinigt, geölt und wieder zusammengesetzt verschwand alles in den Rucksäcken. Die plötzliche Leere in der Hose war etwas an das wir uns erst gewöhnen mussten, aber wir hatten nicht vor, unsere pragmatische Zielstrebigkeit für ein bloßes Gefühl zu opfern.

Er hat sie alle mit der 9mm erschossen, obwohl er effektivere Waffen dabei
gehabt hatte. Ich sitze hier, mein Gegenstück zu seiner 9mm in der einen Hand, die Patrone mit seinem Namen darauf in der anderen Hand. Sie war für ihn bestimmt, dann wenn wir hier gemeinsam beendet hätten, was wir gemeinsam am Grab seines Vaters begonnen hatten. Nun hat er es ohne mich getan und ich warte darauf, was zuerst passieren wird: ob sie meinen Namen in einem der zerplatzten Schädel finden werden – vielleicht ja sogar seinem eigenen – und sie ein zweites Mal zu mir kommen, um mir vorzuwerfen ich hätte sie kaltblütig belogen und mich danach abzuführen, oder ob davor die Sonne aufgeht und ich ihm folge.

 

Nun gut, eine Antwort auf die Geschenisse war ja zu erwarten gewesen.
Die Geschichte ist zweifellos nicht schlecht geschrieben , aber ich finde einfach das es nicht nötig ist jeden Scheiß der auf unserer Welt passiert in eine Story zu packen.
In diesem Fall kommt auch noch hinzu , das der Kerl eben genau wollte das jetzt jeder über ihn nachdenkt , redet oder schreibt, und ich finde den Gefallen müssen wir ihm echt nicht tun.

 

Hi Sebastian!

Deine Geschichte finde ich gelungen.
Auch wenn sie mir etwas unglaubwürdig erscheint. Nämlich da, wo Dein Protagonist sich ärgert, daß der andere es ohne ihn gemacht hat. Das erscheint mir irgendwie seltsam, da ich glaube, man plant sowas nicht sehr lange voraus, das ist mehr eine Affekthandlung.

Merkwürdig finde ich auch eingravierte Namen auf Patronenkugeln. Allerdings paßt es sehr gut zum Bild des Waffennarrs, also warum nicht... ;)

Wegen der Aktualität der Geschichte finde ich sie nicht schlechter... Vor allem steht sie ja auch noch da, wenn das Attentat schon wieder längst vergessen ist.

@Marot, warum sollte man nicht zu aktuellen Themen bezug nehmen?

Liebe Grüße
Susi

 

Der Attentäter ist (Gott sei Dank) tot, also machen wir ihm eh' keinen Gefallen mehr!

Ich denke in einer Geschichte kann man die Geschehnisse besser aufarbeiten und finde es deshalb sinnvoll, eine Story über Amok zu schreiben!

Ciao

 

Hi Sebastian

Auch wenn ich vielleicht noch nachvollziehen kann, dass jemand lebensmüde ist, was ich nicht nach vollziehen geschweige denn gutheißen kann ist die Tatsache, dass so ein armer Mensch noch andere mit in seine Kranke Seele hineinreißt, und wahllos zerstört, was er niemals hätte antasten dürfen.

dafür gibt es für mich keinerlei Rechtfertigung.

Will er sich den Schädel wegblasen, gut, soll er tun.
Braucht er Publikum,ist es schon schlimm genug jemand sowas mit ansehen zu lassen, denn auch das ansehen alleine schafft schon genug Schmerz und Zerstörung.

Aber dass jemand andere niedermetzelt, das vielleicht noch gut findet, oder gar eine "Begründung" dafür zu haben glaubt, und dann letztenendes zu feige ist für diesen Irrsinn einzustehen ist, und bleibt unverzeihlich.

Bleibt zu hoffen, dass Du wenigstens genügend Hirn und Verstand hast die Welt im Alleingang von deiner paranoia zu erlösen.(sollte das geschriebene Biographisch gewesen sein)

Lord :mad:

Wenn das "nur" eine Geschichte war, dann war sie zumindest sehr lebensecht geschrieben..
wenn auch meine meinung über den Inhalt sich keinen Deut ändert. :dagegen:
Lord

[ 29.04.2002, 18:13: Beitrag editiert von: Lord Arion ]

 

hi Marot. ich hab mich ein wenig über deine kritik geärgert und das muss bedeuten dass du irgendwie recht hast. ja, die sache hat mich 'inspiriert' wenn man mir den ausdruck
verzeihen möge. was hindert uns denn daran unsere tagtäglichen mord/rache/usw-gelüste
auszuleben? nur wir selber. und bevor ich auch nur annähernd in die nähe einer versuchung komme mir zu überlegen, ob ich das nächste mal wenn ich wütend bin nicht
einfach ausraste und der ganzen sache ein ende bereite oder vielleicht auch nur arg unfreundlich werde, greife ich lieber zur 'feder'.
zwotens auch wenn du diesmal recht hast muss nicht immer ein zusammenhang bestehen; die unterschiede zwischen ralität und fiktion sind doch ziemlich deutlich, oder?
drittens find ich nicht dass man über diese tat schweigen sollte, nur weil in der presse zu lesen/hören ist der täter hätte gesagt er wolle berühmt werden. schweigen ist einfacher,
das hat er ja offensichtlich auch gemacht...
hallo verehrter lord arion. meine güte, wie bist denn du drauf? das hört sich ja fast so an, als ob du mich gleich umbringen wolltest :ak47: spass beiseite. scheint so als hätte ich
da einen wunden punkt getroffen. feinde mach ich mir ja hier eh, aber ich wollte niemanden beleidigen/verletzen/sonstwas. ich will auch keinen mörder entschuldigen. ich will aber
auch nicht mit dem finger auf jemanden deuten und rufen "monster! gut dass es tot ist!" wenn du selbstmord und ähnliche randbereiche des menschlichen wesens nicht
verstehen kannst, dann möchte ich dir hiermit gratulieren anscheinend gibt es jedes jahr genügend menschen die es können... deine kritik ist berechtigt, aber sie hört sich arg
danach an, dass du neben ihr keine andere meinung zulässt.

[ 29.04.2002, 18:43: Beitrag editiert von: Sebastian Keller ]

 

@ Häferl

Das erscheint mir irgendwie seltsam, da ich glaube, man plant sowas nicht sehr lange voraus, das ist mehr eine Affekthandlung.
Auch, wenn Du im Allgemeinem vielleicht Recht hast, so war es in diesem ganz speziellen Fall eindeutig eine geplante Sache.

@ Lord

Ich glaube nicht, daß, wenn man über einen Amoklauf aus der Sicht des "Täters" oder des "Mittäters" schreibt, gleich selbst zum Amoklaufen neigt. Das ist wirklich nur eine Geschichte, ok? ;)

Zur Story: Ganz gut geschrieben und nicht schlecht verarbeitet. Wenngleich ich auch schon damit gerechnet habe, daß eine Story dieser Art bald auf kg.de zu lesen sein wird... :rolleyes:

Griasle,
stephy

 

Sorry Sebastian, dass ich da über´s Ziel hinausgaloppiert bin was die äußerung bezüglich Paranoia angeht...das nehme ich hiermit zurück.

Du hast das ganze aber so realistisch dargestellt... :rolleyes:

Hoffe, meine Entschuldigung wird akzeptiert, werde das nächste mal mit meinen Äußerungen vorsichtiger sein.

mfg. Lord ;)

 

Hallo Sebastian,

mir gefällt die Geschichte. Auch der aktuelle Bezug ändert nichts an der Nachvollziehbarkeit des Gedankenganges deines Protagonisten.

Aber das Resumee der Kritiken "..war ja zu erwarten...." zeigt, dass jeder sich innerlich mit dem Gedanken befasst hat, nur hat es keiner getan. Du ja, und ich finde das okay.

Und die Reaktion von Lord Arion ist im grunde genommen eher ein Lob, denn ein Verriß. Ihn störte das Realistische...

Gute Geschichte.
gruß vom querkopp

 

Moinsen!

Eine wirklich gelungene (und vor allem kritische) Adaption des aktuellen Geschehens. Ich trage mich ebenfalls mit dem Gedanken, mich mit dem Thema zu beschäftigen.

Nimms mir nicht übel, wenn die Schreibperspektive nachher ähnlich ausfällt :rolleyes: Es gibt immer Leute, die sich nach einer solchen Tat zu keiner objektiven Betrachtungsweise fähig sind. Erstaunlich ist aber, mit welchem Eifer dann auf den sogenannten "Unmoralischen" herumgeknüppelt wird. Ich zumindest warne an dieser Stelle schon einmal vor: bei mir wird der Bezug zu Robert Steinhäuser und dem Massaker von Littleton deutlicher ausfallen.

In diesem Sinne: betreibt FSK und schaut euch nicht an, worüber ihr euch sowieso nur aufregt. Bedenkt, das die Geschichte auch schon vorher existiert haben könnte. Nicht immer erst schockiert sein, wenn in Deutschland etwas passiert.

:teach:

 

Sehr gelungene Story, egal, wie das Thema lautet. :thumbsup:
Sehr "lebensecht" geschrieben. Man merkt, dass du dir darüber Gedanken gemacht hast.
Ansonsten schließe ich mich Morphin an.

 

Die Geschichte gefällt mir äußerst gut. Sie ist überzeugend und somit natürlich Zündstoff für Leute, die scheinbar die Realität und eine gute Kurzgeschichte durcheinander bringen.

Weil in Deutschland ein Amoklauf stattgefunden hat, heißt das noch lange nicht das man nicht über solche Themen schreiben sollte. Überall in der Wellt werden Menschen bestialisch ermordet, auch von Jugendlichen. Der Versuch in die Psyche eines Täters einzudringen ist sehr löblich und zeigt vielleicht die Verzweiflung des Schützen auf. Die meisten dieser Täter sind selber Opfer, ob im Wahn oder durch andere obskure Überzeugungen. Stephen King schrieb als Bachmann auch eine Kurzgeschichte über einen Amokschützen, muss man Stephen King deswegen einen Vorwurf machen? Wenn man die Gewaltbereitschaft der Menschen nicht analysiert, wird man sie nie beherrschen können.

Wer so etwas kategorisch ablehnt sollte es nicht lesen, der Titel ist ja wohl eindeutig genug gewesen, oder?

MfG
rikki.o

[ 07.06.2002, 00:14: Beitrag editiert von: rikki.o ]

 

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