Amok
Das war Dieters großer Tag. Dieter wollte Amokläufer
werden. Er hatte sich eine kleine Pistole gekauft um ein paar
Leute zu töten. Anschließend natürlich Selbstmord, er wollte
doch dem Klischee gerecht werden.
Also lief Dieter los.
Er hatte vorher schonmal solche Amokläufer im Fernsehen
gesehen, die sahen ziemlich krank aus, er wollte das anders
machen. Beim Friseur war er vorher gewesen, hat sich auch
eine neue Hose und eine besonders schicke Jacke gekauft. Das
ging alles so herrlich leicht wenn man sowieso keinen Wert
darauf legt am Ende nicht Pleite zu sein.
Dieter spazierte mit der Waffe in seiner Innentasche durch
sein Wohnviertel. Er war etwas enttäuscht das so wenig Leute
unterwegs waren, kein guter Ort für einen Amoklauf. Er
entschloß sich also die Innenstadt aufzusuchen.
Am Anfang sollte es nur Selbstmord sein, dann jedoch dachte
sich Dieter „Warum nicht noch ein paar Leute mitnehmen? Ist
doch so scheiße unspektakulär sich von nem Hochhaus zu
stürzen oder das Gehirn via Bleikugel dem Kopf zu
entreißen." Nein, Dieter wollte nach seinem Tod nicht
bemitleidet werden. Dann lieber ein paar Leute abknallen,
genau, so viele wie möglich! Vielleicht wird er später sogar
berühmt...
Inzwischen hatte er dieses große Einkaufszentrum im Herzen
seiner Heimatstadt erreicht. Er betrat die Eingangshalle.
Er griff in seine Innentasche und umfaßte den Lauf der Pistole.
Sie fühlte sich unbequem an, kein Wunder, er hatte den Griff
von der falschen Seite erwischt. Dieter fummelte etwas in
seiner Jacke umher und die Waffe lag besser in seiner Hand.
Das Einkaufszentrum war vor wenigen Wochen neu eröffnet
worden, es hatte vier Stockwerke und war größtenteils
verglast. Von dieser Eingangshalle, die in der Mitte mit
Grünpflanzen, kleinen Palmen und Büschen, bereichert war,
erreichte man die vielen kleinen Geschäfte die Einzug in das
Gebäude gehalten hatten. Einige Jugendliche saßen am Rand
des grünen Tempels der Hallenmitte. Auf den Rolltreppen
tummelten sich einkaufswütige Frauen mit großen Tüten,
Dieter sah keinen einzigen Einkaufswagen.
Tja, nun stand er da, die Waffe in der Hand. Vielleicht erst
eine Geisel nehmen, nur so, daß alle aufmerksam werden?
Eventuell sogar ein Kamerateam auftaucht? Die Idee gefiel
Dieter. Genau, eine Frau als Geisel. Die wird dann erschossen
und anschließend in die Menge geballert.
Normalerweise wäre Dieter jetzt irgendwo auf einem Dach.
Seit sechs Jahren arbeitete er als Dachdecker in seiner Stadt.
Dieter zog die Waffe aus der Jacke. Keine Frau in Greifweite,
Mist. Schnell steckte er die Pistole wieder ein.
„Was sage ich überhaupt zu ihr?" Vorher hatte er sich keine
Gedanken darüber gemacht. Es sollte halt so schön kalt wirken
wie in den Filmen die er kennt, aber was sagen die zu ihren
Geiseln? Außerdem, die haben doch hier sowas wie einen
Wachschutz, oder?
Dieter gefiel die Idee mit dem Einkaufszentrum nicht mehr.
Die Pistole wurde wieder in die Innentasche verfrachtet. Das
Gewicht leierte die Tasche langsam aus, schade dachte Dieter,
gerade frisch gekauft.
Er lief die Straße entlang, hier war bedeutend mehr Verkehr
als da wo er wohnte. An der Fußgängerampel mußte er
warten. Ein paar Taxen fuhren die Straße entlang. Gegenüber
stand eine Traube Menschen die auf Dieters Seite wollte,
darunter auch zwei junge Frauen. Dieter bemerkte sie und
musterte beide. Ob er sie einfach ansprechen soll? Hat er
früher auch nie gemacht, aber was ist schon zu verlieren?
Genau, ich quatsche sie einfach an. Auf nen Kaffee oder so.
Wenn sie nicht wollen knall' ich sie ab.
Die Ampel sprang auf Grün. Schlagartig setzten sich die
Menschenmassen in Bewegung, die Leute ganz links von
Dieter mußten einen Umweg laufen weil einer der Autofahrer
zu weit über die Haltelinie gefahren war. Dieter ging nun also
den Frauen entgegen, diese steuerten auch in seine Richtung.
Schließlich wollten sie auf die andere Seite. Dieter schritt
voran. Es waren vielleicht nur noch drei Meter Abstand
zwischen ihm und den beiden anderen. Ihm schossen
verschiedene Sätze durch den Kopf, keiner paßte so recht als
Anmache, er konnte sich nicht entscheiden. Zwei Meter. Was
jetzt, „Hi. Kommt ihr mit auf nen Kaffee?" oder besser „Hallo
ihr Hübschen..." – nein, zu billig, oder...
Einen Meter. Dieter hatte einen leicht panischen
Gesichtsausdruck. Dann waren die beiden an ihm
vorbeigelaufen. Leicht verwirrt lief Dieter weiter. Verdammt.
Er griff wieder an seine Waffe. Ließ wieder los. Er lief immer
weiter. Links von ihm waren mehrere kleine Geschäfte, rechts
von ihm die Straße.
Ob ich mich einfach auf die Kreuzung stelle? Einfach auf ein
Auto schießen. Dann gibt's ein Verkehrschaos und ich ballere
mitten hinein.
Dieter wurde angerempelt. Ein Typ mit dreckigen Klamotten
und einer bunten Wollmütze drängte ihn zur Seite.
„Los, deine Kohle!"
Dieter sah jetzt erst das Messer in der Hand von dem Typen.
„Gib' mir deine scheiß Kohle!! Los!"
Dieter's Hand glitt in Richtung seiner Innentasche. Seine
Finger berührten den Griff der Pistole.
„Mach schneller! Die KOHLE her!"
Die ausgeleierte Tasche seiner Jacke gab nach, die Waffe fiel
mit lautem Geklapper auf den Boden. Der Typ mit den
dreckigen Klamotten sah auf den Boden. Dann auf Dieter.
Dann stach er zu und rannte weg. Dieter sackte zusammen,
hielt sich mit der Hand die blutende Wunde in seiner
Magengegend zu. Er konnte sich vor Schmerzen kaum
bewegen.
„Um Gottes Willen, hol' doch mal jemand einen
Krankenwagen!" rief eine Frau aus einiger Entfernung.
Dieter bewegte sich nicht, er konnte vor Schmerzen an nichts
mehr denken. Er spürte wie sein ganzer Körper Blut pumpte.
Dann wurde es heiß in seinem Kopf, er spürte einen
unheimlichen Druck der immer stärker wurde und Dieter
starb.