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Amnesie
Dunkelheit.
„Sie hat ... … … … Schwellungen … ... … … sie könnte aufwachen … … … … Koma … … … … Sie muss es entscheiden.“
‚seufz‘ „… … … wieso? … … … warum? … … … so jung … … … wieso wacht sie nicht auf? …“
Was sind das für Stimmen? Es ist so dunkel. Es zieht mich immer tiefer. Was ist hier los? Was ist mit mir? Wo bin ich? … so dunkel … Wer bin ich?
Dunkelheit, Ruhe, immer tiefer, angenehm. Stille.
„Bitte Ronja, bitte wach auf! ‚seufz‘ Du musst jetzt aufwachen. Es ist schwer aber du musst kämpfen. Verdammt nochmal KÄMPFE!“
Mein Kopf dröhnt. Diese Stimme klingt so traurig. Und sauer. Nein nicht sauer, eher bitterlich traurig und verzweifelt. Wer ist das nur? Was will sie?
„Beruhige dich. Das hilft uns auch nicht. Sie wird schon wieder zu uns zurück kommen. Sie braucht nur noch etwas mehr Zeit.“
Auch diese Stimme klingt traurig. Und so bekannt. Eine männliche Stimme. Was ist hier nur los? Ich will das nicht! Lasst mich in Ruhe!
Jetzt ist es wieder still. So still und ruhig. Alles ist gut.
Immer öfters höre ich nun Stimmen. Einige klingen bekannt. Andere nicht. Jede einzelne klingt traurig. Doch wieso? Immer mehr komme ich zu mir. Ja sie reden von mir. Sie alle. Sie möchten dass ich aufwache. Aufwachen? Aber ich schlafe doch gar nicht, oder? Und wenn schon, wieso wache ich dann nicht auf? Ist all das nur ein Traum? Ein Albtraum? Ich möchte diese Menschen nicht enttäuschen. Sie sollen glücklich sein. Was ist nur passiert?
Immer wieder höre ich Stimmen. Manche kann ich nun auch schon zuordnen. Meine Eltern sind oft dabei. Auch die Stimme meines Bruders habe ich schon erkannt. Ich denke es sind schon mehrere Tage vergangen. Kann dies aber nur aus den guten Morgen Wünschen einer lieblichen leicht piepsigen Stimme schließen, die ich sehr oft vernehme. Ich vertraue dieser Stimme, auch wenn ich nicht weiß wem sie gehört. Sie ist das Einzige, was mir etwas Zeitgefühl gibt. Die Dunkelheit ist nicht mehr so tief wie zu Beginn. Ich merke wie meine Muskeln anfangen zu zucken. Meine Augen lassen sich aber nicht öffnen. Die Fragen sind noch die Gleichen. Was ist passiert? Warum trauern all diese Menschen?
„Hey Ronny, ich bin‘s Jenny. Julian und Ben sind auch mitgekommen. Wir wollten mal sehn wies dir geht. Deine Mama hat gemeint, dass es wahrscheinlich nicht schlecht ist, wenn du viele bekannte Eindrücke bekommst, damit du aufwachst.“ ‚kleines seufzen‘
„Jenny ist es in Ordnung, wenn Ben und ich kurz raus gehen und uns etwas zu trinken holen? Wir lassen euch beide dann kurz alleine.“
„Ja, ist Okay. Nehmt mir bitte auch ein Wasser mit.“
„Ja, machen wir.“
Ich kenne diese Stimmen. Jenny… Jenny und Julian. Hm. Und diese andere Stimme. Die Dritte. Die ist mir auch so bekannt. Zwar nicht so sehr wie diese Jenny. Aber ich kenne sie. Sie fühlt sich gut an. Vertraut, aber doch auch nicht. Das muss dieser Ben sein, den sie erwähnt hat.
„Es tut mir so leid, dass wir nicht besser aufgepasst haben. Das hätte nicht passieren dürfen. Wir vermissen dich alle. Magst du nicht langsam aufwachen? Es wird alles wieder gut, wenn du nur aufwachst. Wir sind alle für dich da. Du brauchst keine Angst zu haben. So etwas wird dir nie wieder passieren.
Angst? Ich habe keine Angst. Wovor sollte ich Angst haben? Aufwachen. Wieso verlangt das nur jeder von mir. Ich bin doch wach? Sonst würde ich euch ja nicht hören.
„Hey, da sind wir wieder. Hier dein Wasser. Puh sie sieht aber nicht gut aus. Wie lange ist es nun her? Vorletzen Samstag war es oder? Und immer noch hat sie die blauen Ringe unter den Augen und die Lippe ist auch noch leicht geschwollen.“
„Ja, das dauert. Aber sie sieht schon sehr viel besser aus als das erste Mal das ich hier war. Nur, umso länger sie schläft, umso schwächer werden ihre Muskeln. Sie muss endlich aufwachen.“
„Das kannst du leider nicht beeinflussen Jenny.“
„Wir hätten aufpassen müssen. Dann wäre das nicht passiert.“ ‚seufz‘
„Sie war doch die ganze Zeit bei mir. Ich war nur kurz etwas zu trinken holen. Ja die Schlange war lang. Aber ich war doch sicher nur eine viertel Stunde weg. Und dann war sie weg.“
Wieder diese Stimme. Sie klingt etwas weiter weg. Ich möchte fragen was passiert ist. Komm schon mach die Augen auf. Rede. Wach AUF!
„Es ist nicht unsere Schuld. Sie ist erwachsen. Du kannst sie nicht die ganze Zeit überwachen. Es ist die Schuld von dem der ihr das angetan hat!“
„Trotzdem. Hätte ich ihr nicht widersprochen und wäre etwas Trinken gegangen, wäre sie jetzt nicht hier.“
AUS!!!! AUFWACHEN!!! JETZT!!!
Ich spüre wie ich am ganzen Körper zittere und langsam wieder Herr über meine Muskeln werde. Ich war nun lang genug in dieser Dunkelheit. Langsam öffne ich meine Augen, nur um sie sofort wieder zusammenzukneifen. Uh das ist viel zu hell. Ich versuche es noch einmal und strecke mich gleichzeitig.
AUTSCH!
Au. Mein Bein. Reflexartig schießt meine rechte Hand zu meinem rechten Bein hinunter. Verdammt tut das weh. Und meine Augen sind nun auch offen. Nur im Hintergrund bemerke ich wie mich verdutzte Augen ansehen und verschiedene Stimmen auf einmal auf mich einreden. Dieser Schmerz fährt mir durch den ganzen Körper und ich merke wie mir Tränen aus den Augenwinkeln rinnen.
„Ronja, Sie sind wach. Endlich. Ich gebe Ihnen sofort etwas gegen ihre Schmerzen.“ Da ist sie wieder, die beruhigende piepsige Stimme die mich jeden Morgen begrüßt hat.
Ich merke wie das Mittel anfängt zu wirken. Nun bekomme ich auch meine Umgebung das erste Mal mit. Ich bin in einem Krankenzimmer. Es ist ein Einzelzimmer. Keine weiteren Betten. Rechts befinden sich ein großes Fenster und davor ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln. Mein rechtes Bein ist in einem Gips und etwas erhöht in einem Seilzug an einem Bettgestänge befestigt. Also daher kam der Schmerz. Anscheinend ist mein Bein gebrochen. Etwas weiter links stehen meine Besucher. Ganz hinten fast schon bei der Tür steht Ben. Ich kann mich nun auch wieder an ihn erinnern. Er wohnt ganz in der Nähe von mir und ist quasi mit mir aufgewachsen. Durch seinen Bruder und meine Cousine, welche ein Paar sind sehen wir uns oft. Schon lange habe ich Gefühle für ihn, doch bis jetzt habe ich mich nie getraut ihm näher zu kommen. Neben ihm näher an meinem Bettrand steht sein älterer Bruder Julian, der der Freund meiner Cousine Jenny ist. Nun löst sich das Rätsel. Alle drei wirken verblüfft. Links neben mir steht eine junge blonde Krankenschwester. Oh, ich glaube sie redet mit mir.
„Entschuldigung, ich habe Ihnen nicht zugehört.“
„Ich habe Sie gerade gebeten etwas zu sagen, also haben Sie alles richtig gemacht. Haben sie denn noch schmerzen?“
„Nein, jetzt nicht mehr. Was ist denn passiert. Wieso bin ich hier?“
„Ich kenne leider nicht die ganzen Hintergründe. Das können Sie dann im Anschluss aber ihre Eltern oder ihre Bekannten fragen. Zuerst muss ich und ihre zuständige Ärztin aber noch einen kleinen Check up mit Ihnen machen.“
„Ich rufe schnell ihre Eltern an und gebe Ihnen Bescheid.“ Ruft Jenny und macht sich schon auf Richtung Türe.
Angst steigt in mir auf. „Nein, bitte bleibt. Bitte geht nicht weg, lasst mich nicht allein.“ Warum hab ich so Angst, dass sie gehen?
„Ich geh nur vor die Türe. Wir gehen nicht weg, bis deine Eltern da sind.“
Sie und die Burschen verlassen den Raum. Im gleichen Moment kommt eine Ärztin herein. Sie und die Schwester machen Standardtests bezüglich des Bewusstseins mit mir. „Folgen Sie mit den Augen dem Licht.“ „Bewegen Sie jeden einzelnen Körperteil.“ „Drücken Sie meine Hand so fest zu können zusammen.“ Und so weiter und so fort.
„Was ist mit mir passiert?“
„Den Verletzungshergang weiß ich leider nicht genau. Ich kann Ihnen nur sagen was für Verletzungen sie haben. … Sie haben einen Bruch im unteren Teil des Schienbeins. Dies könnte passiert sein wenn sie fest und schnell gegen irgendetwas sehr Hartes getreten haben, es gibt aber auch andere Möglichkeiten wie sie sich ihr Bein gebrochen haben können. Außerdem haben sie eine offene Verletzung rechts an ihrem Unterbauch, diese haben wir genäht und sie heilt sehr gut. Ihre Nase ist ebenfalls gebrochen, deshalb haben sie auch leichte bläuliche Ringe unter Ihren Augen. In ein paar Tagen werden die aber verschwinden und auch der Bruch wird Ihnen in ein bis zwei Wochen keine Probleme mehr machen. An ihrem Bauch und auch in ihrem Gesicht, am Hals und an den Händen haben sie mehrere Hämatome, oder auch blaue Flecken genannt. Es wurde festgestellt dass sie vergewaltigt wurden.“ Pause.
Bis jetzt hab ich alles irgendwie so mitbekommen, als würde die Ärztin über jemand anderen reden. Aber dieser Satz traf mich! Vergewaltigt. Ich wurde vergewaltigt. Und ich habe überhaupt keine Erinnerungen daran.
„Ist alles in Ordnung? Mir ist bewusst, dass ich Sie gerade mit sehr viel konfrontiere aber ich denke Sie wollen und müssen das wissen.“
Ich nicke nur.
„Durch Ihre Vergewaltigung habe Sie auch einige Verletzungen im Intimbereich, welche wir versorgt haben. Vieles ist schon gut verheilt. Auch am Hinterkopf haben sie eine Platzwunde davon getragen. Diese ist jedoch sehr oberflächlich und klein.“
„Wie lange bin ich schon im Spital?“
„Sie sind seit eineinhalb Wochen bei uns. Heute ist Mittwoch und am Samstag vor einer Woche wurden sie zu uns gebracht.“
Eineinhalb Wochen! So lange war ich ohne Bewusstsein?
„Wer hat mir das angetan?“
Meine Stimme klingt trocken und ruhig, gefühlslos. Innerlich zerreiße ich jedoch gerade in tausend Stücke. Wie konnte das alles nur passieren? Ich war doch nur mit meinen Freunden auf einem Zeltfest.
„Wir wissen es nicht. Die Polizei untersucht den Fall noch. Soweit ich weiß haben sie jedoch bis jetzt noch niemanden.“
Ich habe gar nicht gemerkt dass Jenny, Julian und Ben schon wieder zurück sind. Langsam bröckelt meine Fassade und die ersten Tränen kullern meine Wangen hinab. Bleib stark. Lass sie dich nicht weinen sehen. Schnell wische ich mir meine Tränen weg.
„Woran erinnerst du dich denn noch?“ fragt nun die Ärztin wieder.
„Nicht an viel. Ich weiß noch wie ich mich fertig gemacht habe, um zum Fest zu gehen. Ab da ist alles schwarz. Ein totales Black Out.“ Ich wende mich leicht in Jennys Richtung, und frage mit einem großen Klos im Hals „War ich soo betrunken?“ In meiner Vergangenheit habe ich nämlich schon öfter ein bisschen zu viel getrunken und bin am nächsten Tag mit Gedächtnislücken aufgewacht. Aber so eine große, über den ganzen Abend hinweg hatte ich noch nie.
„Ich denke nicht, dass Ihre Amnesie etwas mit dem Alkoholkonsum zu tun hat, Ronja. Durch den Schlag auf den Kopf oder auch einfach durch den Schock und das Trauma das sie erlebt haben, ist es nicht untypisch dass eine Amnesie auftritt.“
„Du weißt also gar nichts mehr von dem Abend?“ Diese Frage kam überraschenderweise von Ben, der mich nun mit einem leicht traurigen, oder mitleidigen Ausdruck in den Augen ansah.
„Nein. Gar nichts.“ Ich merke wie meine Wangen peinlich berührt rot und meine Augen erneut glasig werden. „Es tut mir so leid, wenn ich euch den Abend ruiniert habe. Oder mich peinlich aufgeführt habe.“ Meine Stimme bricht.
„Mach dir darüber keine Gedanken. Du hast dich nicht peinlich benommen. Du hattest eine schöne Zeit, denk ich. Und für den Rest kannst du nichts.“ Etwas Liebevolles liegt in Jennys Stimme. Auch sie hat Tränen in den Augen.
In dem Moment als sie fertig gesprochen hatte kamen auch schon meine Eltern gehetzt durch die Zimmertür. Jenny, Julian und Ben verabschiedeten sich und auch die Ärztin und die Krankenschwester ließ mich mit meinen Eltern alleine. Da ich dann aber schon recht erschöpft war und dieses Mitleid in ihren Augen nicht mehr ertragen konnte, bat ich sie nach etwa einer Stunde zu gehen.
Ich musste noch vier weitere Tage im Krankenhaus bleiben, da einige Untersuchungen durchgeführt wurden. Als die Ergebnisse dann da waren und alles im grünen Bereich war, durfte ich mit meinen Eltern nach Hause fahren. In den vier Tagen bekam ich Massen an Besuch, jedoch mied ich das Thema wie ich ins Krankenhaus gekommen bin komplett. Ich wollte einfach mit niemanden darüber reden. Vor dem Heimfahren bekam ich noch die Nummer einer Psychotherapeutin, mit der ich mich in Verbindung setzen sollte.
Auch die erste Woche zuhause war recht ruhig und unspektakulär. Ich hielt mich die meiste Zeit des Tages in meinem Zimmer auf und verließ es nur um etwas zu Essen. Ich wollte nicht reden. Ich musste erst einmal selbst damit klarkommen und ich hasse ihre Blicke. Ihre Mitleidsblicke. Zwar verstehe ich sie, aber ich möchte einfach nicht dauert daran erinnert werden. Trotz meiner Amnesie ließen sie mich den Tag nicht vergessen. Auch der Gips den ich noch mindestens 3 Wochen tragen muss, jetzt allerdings in einen belastbaren Gehgips umgewandelt, macht das Vergessen schwer. Das Haus habe ich bis jetzt noch gar nicht verlassen. Ich wohne in einer recht kleinen Gemeinde, da weiß bei so etwas sofort jeder Bescheid. Damit kann ich noch nicht konfrontiert werden. Nun ist der 20. Juni und die Geburtstagsfeier meiner Cousine steht an. Sie möchte mich auch gerne dabei haben und auch meine Eltern möchten dass ich hin gehe. „Es tut dir sicher gut, ein bisschen raus zu kommen“. Gott sei Dank wird es nur eine kleine Feier nur Jenny, Julian und zehn Freunde. Also ein netter kleiner Rahmen, um wieder in die Normalität zurück zu finden, dachte ich mir. Ich gehe hin.
Den ganzen Tag war ich nervös. Ich wollte nicht mit der Geschichte konfrontiert werden. Fast alle die zu der Feier kommen, waren auch auf dem Fest, wo mir das zugestoßen ist. Und jeder einzelne von Ihnen weiß mehr als ich! Auf der einen Seite würde ich gern mehr erfahren, auf der anderen Seite habe ich jedoch verdammt große Angst meine Erinnerungen zurück zu bekommen. Bevor ich hinfuhr achtete ich darauf, dass ich Gewand anhatte, dass meinen gesamten Körper bedeckt. Es hatte zwar fast 30°C draußen, aber nur mit langem Gewand fühle ich mich zurzeit wohl. Mein Bruder war so nett und nahm mich in seinem Auto mit.
Beim Hineinkommen wurde es komplett still im Raum. Überhaupt nicht unangenehm. Alle Blicke lagen auf mir. Ich begrüßte Jenny, wünschte ihr alles Gute zum Geburtstag und setzte mich schnell auf den einzigen noch freien Platz auf der Bank.
„Soll ich dir etwas bringen, wo du deinen Fuß hochlagern kannst?“
„Nein danke, Jenny. Passt schon so.“
„Wie geht es dir denn? Weißt du schon mehr?“
Na toll, und schon geht’s los.
„Mir geht’s ganz gut. Nein ich hab immer noch keine Erinnerungen an den Abend und auch die Polizei weiß noch nicht mehr. Aber ich möchte mich heute eigentlich etwas ablenken und nicht darüber reden, wenn das in Ordnung ist? Immerhin sind wir hier um dich zu feiern.“
Es fällt mir schwer ein Lächeln auf den Lippen zu halten, aber ich gebe mein Bestes.
Der Abend verlief gut. Sie versuchten mir zur Liebe das Thema zu meiden und ich hatte wirklich wieder Spaß und konnte sogar ehrlich lachen. Irgendwann wurde es mir aber trotzdem zu viel und ich merkte wie mir das Atmen immer schwerer viel. Es war auch das erste Mal seit dem Tag, dass ich wieder Alkohol getrunken habe und genau das fiel mir jetzt auf und es machte mir Angst. Was wenn jetzt wieder etwas passiert? Wenn ich wieder zu viel getrunken habe?
„Ähm Leute ich gehe kurz nach draußen auf die Terrasse frische Luft schnappen, ja?“
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja alles gut.“ Versicherte ich mit einem gespielten Lächeln.
Ich kämpfte mich alleine mit den Krücken auf die Terrasse und holte tief Luft. Ich brauche keine Angst zu haben. Hier tut mir niemand etwas. Ich bin sicher. Es geht mir gut. Immer wieder sagte ich mir diese Sätze leise vor und doch konnte ich sie einfach nicht glauben.
Ich war so vertieft in meine Gedanken, dass ich gar nicht wahrnahm dass sich jemand zu mir gesetzt hatte. Ben saß nun neben mir mit einer Zigarette in der Hand und sah mich mit seinen großen Augen an.
„Stört es dich, wenn ich mich zum Rauchen neben dich setze?“
„Nein gar nicht.“
Jedes Mal wenn ich mit ihm rede bekomme ich Schmetterlinge im Bauch.
„Soll ich dir dein Sektglas rausbringen?“
„Äh, nein danke ich verzichte lieber auf noch mehr Alkohol.“
„Du hast am Fest wirklich nicht so viel getrunken, Ronny. Ich war die ganze Zeit bei dir. Nur kurz nicht. Du warst nicht betrunken. Du warst angeheitert und lustig drauf aber ganz sicher nicht betrunken.“
Er sagte das mit so viel Gewissheit in seiner Stimme, dass ich es ihm glaubte.
„Du warst die ganze Zeit bei mir? Hab ich eh nichts Blödes angestellt? Bis auf den Schluss natürlich, das tut mir furchtbar leid.“
Als ich den zweiten Teil meines Satzes sagte, sah er kurz zur Seite und seine Wangen wurden leicht gerötet. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
„Das war nicht deine schuld! Du brauchst dich für nichts entschuldigen! Ja ich war fast die ganze Zeit bei dir. Wir haben getanzt gelacht und hatten Spaß.“
„Waren wir nicht bei den Anderen?“
„Zu Beginn schon, aber später nicht mehr.“
„Wieso?“
„Naja.“ Er wurde schon wieder rot. „ Erinnerst du dich wirklich an gar nichts?“
„Nein. An Nichts.“
„Also wir haben getanzt. Zuerst offen in der Gruppe und dann kam ein Pärchen-Lied und da wir zwei die einzigen Singles in der Runde waren, hab ich dich zum Tanzen aufgefordert. Ja. Dann haben wir eben getanzt und nach dem Lied hast du mich dann plötzlich geküsst und bist danach raus aus dem Zelt gerannt.“
BITTE WAS???
„Ich habe dich geküsst?“ Also jetzt bin ich diejenige die knallrot im Gesicht ist. „Oh Gott, das tut mir leid.“ Mein Blick war peinlich berührt starr auf die Terrassentischplatte gerichtet.
Er lacht. „Haha, ja dass hast du mir auch noch zugeschrien bevor du raus gerannt bist. Ich bin dir dann natürlich nachgegangen.“ Er pausierte und drehte mit seiner Hand meinen Kopf in seine Richtung. „Und ich habe als ich dich gefunden habe gesagt, dass dir das nicht leid tun muss.“ Seine Augen fixierten meine.
„Wir haben uns dann draußen auf den Boden gesetzt und gequatscht. Und irgendwann habe ich dann dich geküsst.“
„Du hast mich geküsst?“ Wirklich?
„Ja. Ich mag dich Ronny.“ Oh Gott ich glaub mein Herz bleibt stehen. Und all das habe ich vergessen? Warum nur?
„Und danach wollte ich mir nur kurz etwas zu trinken holen. Du wolltest zwar, dass ich nicht gehe, aber ich bin trotzdem gegangen. Und als ich zurück kam, warst du weg. Ich hätte bei dir bleiben sollen. Es tut mir so leid. Bitte weine jetzt nicht.“
Erst jetzt bemerke ich, dass mir eine Träne über die Wange rinnt. Schnell wische ich sie weg.
„Es ist nicht wegen dem. Ich bin nur traurig dass ich all das vergessen habe.“
Er lächelt.
„Ich auch.“
„Und was war dann? Wie bin ich ins Spital gekommen?“
„Ich habe dich dann mit den Anderen gesucht. Wir haben zuerst angenommen, dass du vielleicht nach Hause gegangen bist. Aber dein Bruder war schon zuhause und als wir ihn anriefen verneinte er das du daheim bist. Also haben wir dich am ganzen Gelände gesucht. Ich habe dich dann hinter der Toilettenanlage versteckt unter einigen Büschen liegen gesehen. Du warst überall voll mit Blut. Ich hatte solche Angst um dich.“
Er pausierte und sah mir in die Augen.
„D.. Du hast mich gefunden.“ Man, war mir das peinlich. Er hat mich also nach meiner Vergewaltigung gefunden. War ich nackt? Was denk ich da denn bloß. Das ist doch egal. Ich wurde vergewaltigt. Aber da ich keine Erinnerungen daran habe, ist das für mich irgendwie so unreal. Aber das hier. Ben der mir sagt, dass er mich mag. Der mich blutend und wahrscheinlich nackt gefunden hat. Das hier war sowas von real und mir sowas von peinlich.
„Ja, habe ich. Ich habe dann geschaut ob du noch atmest. Dir meine Weste umgebunden und einen Krankenwagen gerufen.“
„Hat mich noch jemand so gesehen?“
„Nein. Also deine beste Freundin die Selina hat dich ins Spital begleitet, aber da hattest du schon meine Weste an und das meiste Blut, wie auch die offene Stelle am Bauch und die blauen Flecken waren verdeckt, wie die Anderen dazu gekommen sind.
„Danke!“ Mehr konnte ich nicht sagen. Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr stoppen. Jetzt konnte ich es nicht mehr verleugnen, es war real. Ich wurde vergewaltigt und blutend im Gestrüpp liegen gelassen. Als wäre ich nichts wert. Hätte er mich nicht gefunden, wer weiß ob ich überhaupt noch leben würde? Wer tut denn so etwas?
Ben kam näher und nahm mich in den Arm.
„Hey, alles ist gut. Du bist in Sicherheit.“
Ja, ich fühle mich sicher. Jetzt. Bei ihm.
Doch der Mann, oder die Männer, die mir das angetan haben sind noch auf freiem Fuß. Und wenn sie erfahren, dass ich noch lebe und der Fall von der Polizei untersucht wird. Wie sicher bin ich dann wirklich?