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Amnesie
Er konnte es nicht mehr hören. „Schneetreiben in weiten Teilen … rrschhhh … biep“. Manny musste wohl das kaputteste Autoradio der ganzen Welt besitzen. Aber das hielt ihn nicht davon ab täglich durchs Land zu fahren und seiner Arbeit nachzugehen. Seine Arbeit bestand darin, Zigarettenautomaten mit Schachteln zu füllen und das Geld einzusammeln. Keine tolle Arbeit, sagten Manny’s Kollegen hinter seinem Rücken. Aber sie täuschten sich, sagte er. Manny war lebensfroh, ihn einen Komiker zu nennen, wäre allerdings übertrieben. Schließlich besteht das Leben ja nicht nur aus Komik. Na gut, seines vielleicht schon, grimmig durch die Gegend zu laufen war nicht seine Art. Das Radio rauschte weiter, der Rauch seiner Zigarette stieg ihm ins Auge, welches gleich zu tränen anfing und sein lächelndes Gesicht in eine seltsam anmutende Fratze verwandelte. Zumindest für kurze Zeit. Die Landschaft zog einfach so dahin, Bäume, Dörfer, Begrenzungspfosten. „Wie mein Leben“, dachte Manny ein paar Sekunden lang. „Kein Grund melancholisch zu werden“, sagte er zu sich selbst und setze sein kurz verloren gegangenes Lächeln wieder auf. Der Schnee wurde immer dichter und vor lauter Rauch konnte er bald die Windschutzscheibe nicht mehr sehen. Das Fenster lies sich nicht öffnen, es war zugefroren, schon seit Tagen. Das Abendessen seiner Mutter hatte ihm auf den Magen geschlagen, nur die Gedanken an Mercedes lies ihn seinen Magen vergessen. Sie wollten vor lange Zeit einmal zusammen ziehen, aber keiner von beiden wollte einen Kompromiss eingehen und seine Heimat verlassen. So nahm Manny den Weg von seiner Heimatstadt raus aufs Land gelegentlich auf sich. Noch nicht mal bei ihr, ließen die Gedanken, dass er morgen wieder abreisen musste sein Lächeln verschwinden. Mercedes musste mit ihren 27 Jahren das hübscheste Geschöpf auf der Welt sein, sagte Manny’s Mutter. Aber mit der Zeit lebt man sich auseinander, hatte Manny gesagt. Die Fehler über die man anfangs hinweg sah, stören nun auch wenn man sich selten sieht. „Wieso hab ich das in meinem Kopf?“, fragte sich Manny, „Ich habe später noch genug Zeit mich über sie aufzuregen“. Es waren nur noch wenige Kilometer, bis er endlich wieder bei ihr war. „Scheiß Schnee“, bemerkte Manny, als der Schnee noch dichter wurde. Durch das Wetter hatte er nun schon dreimal so lange gebraucht, als sonst. Mercedes hatte schon öfters angerufen und ihre Sorge um ihn bekundet. „Rede du nur …“, hatte Manny dazu gedacht. Ein gelbes flackerndes Licht lies ihn von seinen Gedanken hoch schrecken. „Winterdienst“, dachte Manny grinsend. Ein großer schwarzer Kasten bewegte sich blinkend auf ihn zu. „Arme Sau“, fiel Manny zu dem Fahrer des Schneeräumers ein. In Gedanken an seinen, Manny’s, Zivildienst fuhr er weiter. Ein lautes Knacken lies ihn entgeistert auf den Schneeräumer schauen. Dieser hielt – wohl unfähig zu Lenken – direkt auf ihn zu. „Oh Gott“, dachte Manny und versetzte seinem Bremspedal einen kräftigen Tritt. Die Zeit um Manny herum stand still – dachte er zumindest. Er sah wie der Schneeräumer, der inzwischen auch dem Rutscheffekt bei glatter Straße verfallen war und sein Auto, unaufhaltsam aufeinander zu schlitterten. „Rede du nur …“, dachte Manny noch, als seine Motorhaube mit lautem Krachen von berstendem Metall in der Schaufel des Schneeräumer verschwand. Der Airbag quitierte seinen Dienst und Manny landete mit dem letzten Gedanken an Mercedes und einem verzerrtem Schrei mit dem Kopf auf dem Lenkrad.
Mercedes musste laut lachen. Ihr Buch, dass sie gerade verschlang, war äußerst amüsant. Trotz den Sommertemperaturen in ihrem Zimmer fröstelte es Mercedes. Der gedeckte Tisch stand noch wie eingefroren, gleich wie vor 4 Stunden da. „Wie eingefroren“, dachte sie lächelnd mit Blick aufs Fenster. Sie musste unwillkürlich auf die Uhr schauen. „Schon 0.34 Uhr“, dachte sie und wurde schlagartig ernst. „Soll ich ihm schon wieder anrufen?“, dachte sie. „Nein, er war vorher schon so genervt“, beantwortete sich Mercedes ihre Frage. Sie verließ ihr warmes Zimmer und schlurfte in die Küche um das Essen mit dem sie sich bei Manny entschuldigen wollte, erneut aufzuwärmen. Sie hatten sehr oft gestritten in letzter Zeit – sie und Manny. Und sie hatte wahren Grund sich bei ihm zu entschuldigen. Mercedes hatte ihn zwischenzeitlich betrogen und ihm das schlimmste überhaupt angetan, sagte er. Sie wusste nicht wie es passieren konnte, sie fand nicht mal eine Entschuldigung dafür. Nur die Aussprache und das schöne Essen das sie ihm versprochen hatte, lies ihn überhaupt bei diesem Wetter zu ihr fahren. „0.40 Uhr“, stellte Mercedes traurig fest. Sie beschloss ihm noch mal anzurufen, auch wenn sie ihm wirklich auf die Nerven ging. Schließlich liebte sie ihn und machte sich Sorgen. „01726221…“ tippte Mercedes in ihr Telefon. „Hallo Schatz, wo bist du?“, bereitete sie ihre Frage vor. „Biep … biep … biep“. Es klingelte stellte sie glücklich fest. „Biep … biep … biep“. „Wenn ihm nun was passiert ist, bin ich daran Schuld“, dachte sie „Oder … Oh Gott, ob er sich wohl meinetwegen etwas angetan hat?“. Dieser Gedanke lies ihr das Blut in den Adern gefrieren. „Nein, nein, Manny würde so was niemals machen“, sagte sie laut zu sich selbst. „Biep … biep … biep“. „Wahrscheinlich werde ich ihn wirklich nerven“, dachte sie still. Voller Sorge wand sie sich wieder ihrem Buch zu. Sie las, dachte aber wahrscheinlich immer mehr an Manny. „0.58 Uhr“, erfuhr Mercedes durch einen Blick auf die Uhr. Wieder wanderte ihr Blick über den gedeckten Esstisch zum Fenster. Ein seltsames Geräusch lies ihren Blick auf das Telefon gleiten. Fünf Sekunden vergangen, bis sie verstand das es das Telefon war, das klingelte. „Colomare.“, meldete Mercedes sich höflich. „Miss Colomare? Kennen Sie einen Manuele Calavera?“, fragte eine Stimme ohne sich zu melden. „Ja, dass ist mein Freund“, stotterte Mercedes. „Manuel – so hat ihn schon lange keiner mehr genannt“, dachte sie. „Ihr Freund hatte einen Unfall“ sagte die Stimme unsanft. „Haben Sie jemand der Sie ins Hospital fahren könnte?“, fragte die Stimme unfreundlich. Mercedes erstarrte. Völlig unfähig sich zu bewegen stammelte sie, von sich selbst überrascht ein „Nein“ in die Hörermuschel. „Ich schickte ihnen jemand vorbei, der sie abholt. Schönen Abend noch. Auf Wiedersehen.“, antwortete die Stimme freundlicher. „Tut … tut … tut … tut“. Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können rief sie noch ein „Bye“ in den Hörer und lies diesen fallen.
„Aua“, war der erste Gedanke den Manny fassen konnte. Er lag in einem weißen, neutralen Raum. Er war allein. Starke Tabletten ließen seine Augen schnell wieder zufallen. Tage später erwachte Manny und sah mehrere Personen in weißen Kitteln um ihn herum stehen. „Mister Calavera, wie geht es Ihnen heute?“ fragte eine der Personen. „Mister Calavera? Wer ist das? Heute? Wo bin ich? Was mache ich hier?“, dachte Manny. „Wer ist Mister Calavera?“, fragte Manny unbeholfen. Eine der Personen seufzte leise. „Sie sind Mister Calavera. Und keine Sorge, alles wird wieder gut“ entgegnete die Person. „Ahja“, antwortete Manny. „Wollen Sie Ihren Besuch empfangen?“ fragte die Person. „Welchen Besuch? Wer sind Sie? Wo bin ich eigentlich? Was ist passiert? Wer bin ich?“, fragte Manny. „Ihr Besuch kann Ihnen bestimmt bei Ihrem Problem helfen.“, entgegnete die Person. „Bei meinem Problem?“, fragte Manny dumm. „Ja, Sie werden schon sehen …“ rief die Person und verließ das Zimmer. Eine der anderen Personen hob den Daumen nach oben und setzte ein unglaubwürdiges Lächeln auf. Lächelnd verließen er und die restlichen Personen das Zimmer. „Bringt sie zu ihm …“, hörte er noch, bevor sich die Türe von außen schloss. Keine Minute verging, als sich die Türe erneut öffnete und Mercedes herein kam. „Oh Manny“, sagte sie weinend. „Manny?“, dachte Manny. „Das muss das schönste Geschöpf auf der Welt sein“, dachte Manny und musterte sie aufmerksam. Es machte ihn traurig, dass sie traurig war. „Wer bist du? Und woher kennst du mich?“, fragte Manny verunsichert. „Ich bin Mercedes, ich bin deine Freundin, erinnerst du dich nicht an mich?“, fragte Mercedes immer noch weinend. „Ich muss der glücklichste Mensch der Welt sein, dich gekannt zu haben“, sagte Manny. „Oh Manny, es tut mir so leid“, flüsterte Mercedes, sie hatte aufgehört zu weinen. „Was tut dir denn Leid?“, forschte Manny. Mercedes erzählte, sie erzählte ihm alles. Wie sie sich kennen gelernt haben, ihre Probleme worüber sie sich gestritten hatten, einfach alles was er gerne wissen wollte. Einige Zeit später fiel ihm nichts mehr ein, was er noch fragen konnte. Mercedes sah ihn traurig an und fragte „Kannst du mir verzeihen“. „Mercedes …“, sagte Manny und setzte das Lächeln auf, dass ihm am wenigstens weh tat „die Vergangenheit interessiert mich nicht. Alles was mich interessiert ist die Zukunft“. Mercedes strahlte. „Danke, Manny.“, sagte sie und küsste ihn auf die Stirn.