Was ist neu

Ameisen

Mitglied
Beitritt
04.04.2003
Beiträge
15

Ameisen

Sie kniff ein Auge zu und stellte sich vor, mit einer Pistole genau in den sich ständig vor ihren Augen öffnenden Mund zu zielen. Sie wünschte sich, seine Schädeldecke durch den Druck in viele kleine Teile zerlegt und in sekundenschnelle ein bizarres Muster an der Kellerdecke über ihnen hinterlassend. Seine letzten Gedanken – für die Nachwelt erhalten.

Den abgetrennten Schädel würde sie in einen Ameisenhaufen legen. So wie sie es früher mit Hühnerknochen getan hatte. Ein, höchstens zwei Tage, und der Knochen war blank. Die Ameisen hatten dann alles abgenagt. Sie selbst hatte dann den Knochen in ihr Versteck gelegt.

Er hatte damals sehr schnell das Interesse daran verloren, als sie ihn einmal gebeten hatte, die Ameisen bei ihrer Arbeit an einem Knochen zu beobachten. Seine Ungeduld hielt sie ihm immer noch vor.

Mit dem Schädel würde es wohl etwas länger dauern. Aber sie hatte ja Zeit. Sie kannte niemanden, der ihr dabei hätte behilflich sein können. Es sollte allein ihr Werk sein.
Kalkweiß, blitzblank stellte sie sich seinen Schädel auf ihrem Schreibtisch vor, und in den oben offenen Schädel wollte sie ihre Bleistifte stellen.

Mit diesen Bleistiften würde sie versuchen, die Vorstellungen auf das Papier zu bringen, die sie von ihm hatte. Es waren viele. Sie wollte sich lang damit beschäftigen. Zeit hatte sie ja nun genug. Die leeren Augenhöhlen des Schädels würde sie mit Heftpflaster verkleben.

So wie er einmal ihren Mund mit Heftpflaster verklebt hatte - um ihre Schreie nicht hören zu müssen. So würde sie es mit seinen Augen machen. Und zwischen seine Kieferknochen würde sie eine frische Aster legen, die langsam verwelken würde.

Sie würde sie nie berühren. Aber sie würde ihr Leben in seinem Mund zeichnen.
Er erkannte sie.
Er schwieg.
Er schloss den Mund.

 

Hallo toll.er!

Stilistisch und orthographisch ist dieser Text schon besser als die Männer-Geschichte. ;)

Zum Inhalt: Du schilderst die grausamen Vorstellungen der Protagonistin, aber warum sie diese hat, wodurch sie sie aufgebaut hat oder ob sie verrückt ist, enthältst Du dem Leser vor. Das wäre aber nicht schlecht, um diese Gedanken irgendwie nachvollziehen zu können.
Du postest unter Alltag, also denke ich, Du willst auch irgendeine Aussage mit Deiner Geschichte treffen, eine Alltagssituation aufzeigen. - Aber was veranlaßt diese Frau denn, so einen Haß auf ihn aufzubauen?
Ging es Dir nur um die Schilderung dieser grausamen Szenen?

Liebe Grüße,
Susi

 

Ja, ich entziehe Einiges dem Leser.
Mit Absicht. ;)

Ich stelle den Text ohne Anfang und ohne Ende ein.
Die Vermutung, es ginge mir nur um die "grausamen Szenen", ist erstaunlich. (Das habe ich bisher zu dieem Text noch nie gehört.)

Die Vorstellung, was zu diesen Phantasien geführt hat, die überlasse ich dem Leser. Klar, da muß der Leser denken! Er muß vielleicht abstrahieren. Er muß vielleicht seine eigene Phantasie spielen lassen. Aber das mute ich ihm zu. Und dafür beziehe ich gerne Prügel. Ich möchte es dem Leser nicht leicht machen.

Hier geht es um einen Konflikt zwischen einem Mann und einer Frau. Um einen Moment aus ihrem Leben. Dieses Leben (gemeinsam?) hat natürlich eine Vorgeschichte. (Die kann aber individuell gefüllt werden.)
Um Hass, der durch die Phantasie der Frau ein Gesicht bekommt. Ein brutales, gewalttätiges, vielleicht sogar grausames.

Hier geht es auch um Hilflosigkeit, denn wahrscheinlich hat die Frau als "Waffe" nur ihre Phantasie.

Aber dies Phantasie scheint so stark zu sein, dass der Mann im letzten Absatz erkennt, dass es für ihn gefährlich werden kann. Er erkennt. Er schweigt.

Viele Grüße
und danke fürs Lesen
Toll.er

 

Hallo toll.er,

im Grunde fand ich Deine Geschichte ganz gut. Sie hat sich flüssig gelesen und gleich im ersten Satz hast du es geschafft, den Leser neugierig zu machen. Ich wollte wissen, wie es weitergeht.
Aber es waren so viele Geheimnisse, so viele, fehlende Informationen, daß ich gegen Ende ein wenig den Spass am Lesen verloren haben. Ich meine, es ist nicht verkehrt, dem Leser einige Informationen vorzuenthalten, um seine Phantasie anzuregen, aber nur in einem gewissen Maße. Nicht falsch verstehen, aber Deine Protagonistin ist mir nicht im Entferntesten nahe gekommen. Ich habe kein Bild von ihr gehabt, konnte ihre Gefühle nicht nachvollziehen und somit habe ich auch nicht mitgelitten.
Vielleicht ist die Geschichte ein wenig zu kurz ausgefallen.

Gruß,
Alexa

 

Hallo toll.er!

Der Title "Ameisen" ist sehr gut gewählt. Der Text an sich ist flüssig und gut geschrieben. DIe Gefühle der Frau an sich kommen gut an bei mir, diese Vorstellungen, die nur in tiefer Ablehnung begründet sein können, diese perversen, kranken Ideen und Fantasien, das schilderst Du ausgezeichnet. Ein Anhaltspunkt zu den Ereignissen, die vorangegangen sein müssen, wäre nicht schlecht, aber so, als Momentaufnehme der Gefühle, finde ich den Text gelungen.

Hier geht es auch um Hilflosigkeit, denn wahrscheinlich hat die Frau als "Waffe" nur ihre Phantasie
- ein bisschen hatte ich auch das Gefühl, das Du hier ansprichst. Eine Phantasie, zu deren Umsetzung aber der Mut endfültig fehlt(Gottseidank - oder leider?) Und dennoch können diese Gedanken alleine etwas verändern.
Gut gemacht - finde ich.
Achja, ein kleins bisschen hat mich der Text an Benns "kleine Aster" erinnert - eben wegen der Aster, die sie ihm in den Kiefer legen möchte. Eine schöne Parallele, auch wenn der restliche Text nichts mit dem Gedicht zu tun hat, ob gewollt oder nicht.

schöne Grüße, Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Anne,
danke für deinen Kommentar.
Die Aster ist schon bewußt eingesetzt worden.
Und auch in Anlehnung an Benn.

Die Zärtlichkeit bei Benn:
"Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!"
ist bei mir nicht mehr vorhanden.

Die frische Aster (zwischen die Kieferknochen gesteckt) verwelkt (in der Vorstellung.)

Bei Benn ist es ein Bierkutscher in der Anatomie,
hier legen die Ameisen die Schädelknochen frei des gehassten Partners (?) in der Phantasie frei.

Bei Benn erhält die Aster (für eine gewisse Zeit) Leben aus dem Leichnam durch die Tätigkeit des Anatom.
Bei mir hat die Aster keine Chance.
Sie wird zwischen die "fruchtlosen" Kiefern.

Und mein Text endet in der Sprachlosigkeit:
Er schwieg.
Er schloß den Mund.

Ich will beileibe nicht sagen, dass ich Benns Gedicht umschreiben wollte. In keinster Weise.
Nur: Wenn ich das Wort Aster höre, lese oder auch selbst schreibe, dann macht sich in meinen (zum Teil unbewußten) Gedanken auch meine eigene Leseerfahrung zu schaffen. Und der gute Benn gehört nun mal dazu.

Nochmals, mich freut, dass du an Benn gedacht hast.

Viele Grüße
Toll.er

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom