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Am Teich
Am Teich
Caro hasste es - ständige Anspielungen, unterschwellige Vorwürfe und zynische Spitzen. Es ging ihr gut. Sie wollte, dass sie damit aufhörten. Aber es war Sonntag.
Der Flur ihres Elternhauses glich einer Galerie. Unzählige Fotos in unterschiedlichsten Rahmen betonten aufdringlich, was hier im Mittelpunkt stand: Die Familie. Als ihre Mutter kürzlich zwei leere Bilderrahmen mitten in das Enkel-Meer ihrer Schwestern gehängt hatte, konnte Caro sich die Wuttränen nur mühsam bis zur Gästetoilette verkneifen. Wann hörten sie endlich auf und akzeptierten wie sie jetzt lebte? Alleine.
„Caroline, siehst Du, hier ist Platz für DEINE Familie.“
Ihre Mutter hatte dabei gelacht und die gerade hängenden Rahmen demonstrativ geradegerückt. Ihr Lachen war humorlos und sie hatte ihre Stirn in missbilligende Falten gelegt. Bei diesem Gesichtsausdruck stellte sich bei Caro schlagartig ein schlechtes Gewissen ein.
„Schatz, lass sie in Ruhe. Sie wird ihr richtiges Eisen schon noch finden – oder umgekehrt.“
Dabei hatte ihr Vater kräftig einen Arm um die Schulter seiner Tochter gelegt, während er mit dem anderen theatralisch einen Golfschläger durch die Luft wirbelte.
Ihre jüngere Schwester hatte den Zwillingskinderwagen mit dem Fuß geschaukelt, während sie gleichzeitig mit Kaffeetasse und Kuchengabel hantierte. Dabei plapperte sie pausenlos und erklärte das Mutterdasein zum Inbegriff von Dasein - was ihre Mutter mit seligem Nicken und glänzenden Augen bestätigt hatte. Dass Evas Mann immer häufiger betrunken und die Kinder ständig krank waren, hatte sie genauso ausgelassen, wie die finanziellen Probleme, in die sie durch ihren Hausbau gestürzt waren. Aber sonntags war „Familie“ und alles gut.
Caroline war ein Klischee-Schaf – schwarz.
36 und kein bisschen unter der traditionellen Haube – in dieser Schublade hatte sie sich eingerichtet. Der Zug war weg, ganz klar – und laut Statistik fiel sie gar nicht so sehr aus dem Rahmen. Mit Job, Appartement, Putzfrau und Kurzhaarfrisur hatte sie sich arrangiert, nachdem sie ihren Verlobten mit seiner Arbeitskollegin im Bett überrascht hatte. Das Klischee lebte – es war so!
Aufräumen nach dem Schock, Auszug, Einzug, all der Schmerz und verletzte Stolz – zentnerweise Selbstzweifel und Kummerspeck hatten sie so viel Kraft gekostet, dass sie emotionalem Tiefgang abgeschworen hatte. Ihre Mutter hatte sie für die Trennung verantwortlich und ihr Vorwürfe gemacht. Klar, Caro war selber schuld am Seitensprung ihres Zukünftigen. Sie machte eben immer alles falsch.
Dank Fitnesstrainer, einem nicht schwulen Friseur und Melanie, ihrer besten Freundin, war aus Caro nach mühevollen Wochen wieder eine Person geworden, die man nicht automatisch bemitleiden musste, wenn man sie sah.
Melanie prahlte gerne damit, wie sie ihre Freundin nach dem „Herzinfarkt“ wieder ins Leben zurückgeholt hatte und Caro liebte sie dafür – aber immer nur bis zu diesem bestimmten Augenblick.
„Caroline, Du brauchst wieder einen Mann!“, sagte sie in der Woche vier, fünf Mal – und ihr Tonfall umfasste die Bandbreite von liebevoller Empfehlung bis hin zu energischer Aufforderung. Sie war dabei weniger unterschwellig wie Caros Mutter und genauso nervtötend.
Für Caro war dieses Thema zum Grundrauschen ihrer Freundschaft geworden – wie ein Tinnitus, mal besser, mal schlechter zu ertragen.
Heute, nach dem Besuch bei ihren Eltern, war es 100%ig nicht zu ertragen.
Melanie kam mit einer Flasche Wein aus der Küche und klopfte im Vorbeigehen mit dem Fingerknöchel an das Glas des Aquariums – ein Überbleibsel aus glücklichen Beziehungstagen. Caro wusste, was jetzt kam und griff zur Fernbedienung ihrer Musikanlage.
„Ey, du kannst keinen Karpfen fangen, wenn du nicht zum Angeln an den See gehst.“
„Und wenn ich einen Aal will?“
Caro fand sich witzig und drehte AC/DC in den Raum.
„Mach, ma leiser. Im Ernst. Wenn Du nen Aal willst, dann gehst du eben an den Fluss. Mensch, du weißt doch was ich meine. Und wenn Du lieber geangelt werden willst, dann musst du wenigstens ins Wasser springen.“
Sie nahm Caro die Fernbedienung aus der Hand, drehte den Ton leiser und sprang neben sie aufs Sofa. Eine Sprungfeder im Inneren der Couch knackte und Caro tat die Seele weh – sie hatte den riesigen Dreisitzer gemeinsam mit ihm gekauft … damals, als alles noch gut war. Als sie nach Sonntags-Sex und Frühstück im Bett gemeinsam zu ihren Eltern gefahren waren. Als die Gegenwart so gemütlich und die Zukunft so klar war – die Bilderrahmen mit Babygrinsen quasi schon ausgefüllt.
Caro schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu verscheuchen – und ihre Gefühle.
„Mel, hör‘ auf und mach mein Sofa nicht kaputt.“
„Ach, das alte Ding. Hat ER das nicht gekauft?“
„Wir!“
„Ach jaaaa…“ Melanie verdrehte genervt die Augen.
Sie hatten sich darauf geeinigt, seinen Namen nicht mehr zu erwähnen. Und doch ging es ständig immer wieder um IHN – Er war einfach zum Personalpronomen geworden.
„Krieg ihn endlich raus aus deiner Birne.“
Melanie griff nach dem Laptop auf dem Beistelltischchen, klappte ihn auf und öffnete geübt das Portal einer bekannten Singlebörse.
„Hast Du mal geguckt?“
Sie drückte Caro das Gerät so fest auf den Schoß, als würde sie es dort festschnallen wollen und mit einem Gesichtsausdruck, der jeden Einspruch ausschloss.
Caro reckte sich und hangelte nach ihrem Weinglas. Sie wusste, sie trank zu viel – aber diese Sonntagabende, nach dem Gesichtsausdruck ihrer Mutter, wollte sie ohne Chianti nicht mehr aushalten müssen.
„Ne, das sind doch alles Idioten, Heuchler, Looser …“
Melanie unterbrach sie, nahm ihr das Glas aus der Hand und leerte es in einem Zug.
„Du spinnst, echt. Versuch’s doch einfach ma. Nur ma gucken….nur gucken.“
„Hey, das ist die letzte Flasche von dem teuren Chianti…“
„Ja, ja….den IHR kistenweise in Italien gekauft habt. Endlich isser wech. Schmeckt eh‘ wie Gorgonzola. Ich hab‘ n Dornfelder inner Tasche“, nuschelte sie mit schwerer Zunge.
Melanie sprang auf und kam einen Moment später mit Flasche und Korkenzieher aus der Diele.
„Ne, nich weglegen.“
Caro schob gerade den Laptop unter ein Kissen.
„Ach Mel, lass doch. Ich will jetzt Zombies.“
„Du bist ein Zombie, weißt du das?“
Aber Melanie gab Ruhe, schenkte nach und kuschelte sich neben ihre Freundin in die Kissen. Caro war froh – das Thema schien für heute wieder erledigt. Sie schaltete von Musik auf TV und startete Walking Dead – 8. Staffel. Genau das, was sie jetzt brauchte – irreale Gewalt und ein Schicksal jenseits ihres eigenen Lebens.
Eine Dreiviertelstunde später war Melanie mit offenem Mund eingeschlafen und Caro fühlte sich abgestumpft und betrunken. Das waren die Momente, in denen die Welle des Selbstmitleids Anlauf nahm um gnadenlos über ihr zusammenzuschlagen und sie zerknautscht und verkatert wieder auszuspucken. Was war ihr Leben doch trist. Der Wein schmeckte trist, der Job, die Wohnung – trist. Das Wetter, der Kühlschrankinhalt, Video on demand – trist. Als Melanie leise anfing zu schnarchen, leerte Caro den Rest der Flasche in ihr Glas und betrachtete ihre Freundin.
Einfach mal gucken hatte sie gesagt. Die hat gut reden. War mit dem Chef der Werbeagentur, in der sie beide als Grafikerinnen arbeiteten, seit Jahren liiert und kannte Singlebörsen nur theoretisch.
Nur mal gucken. Caro lehnte sich zurück und guckte.
Wen haben wir denn da?!
Michi. Ganz schön groß – ok, ganz schön dick. Dein Blick hat irgendwas Lethargisches.
Ronaldo … was für ein Name. Tolle Figur, elegant, aber ziemlich gräulich. Bestimmt Typ Chef … keine Götter neben mir…
Pete, boah, schon beim Gucken anstrengend. Viel zu exaltiert, kein Geschmack, viel zu bunt – außerdem viel zu klein.
Bolle ! Mensch, wie kann man nur Bolle heißen oder sich so nennen. Siehst auch aus wie ein Bolle … bist Du nicht schon viel zu alt um hier …. Aber irgendwie strahlst Du Ruhe aus.
Caro musste lachen und bekam langsam Spaß am „Gucken“. Sie trank den letzten Schluck Wein und lehnte sich zurück. Da waren noch ein paar Kandidaten…
Benji. Typ Intellektueller mit Brille um die Augen - weiß wie die Wand. Wenn das nicht der geborene Außenseiter war.
Colt & Seavers. Hä? Zwillinge unter Pseudonym im Doppelpack ? Was es alles gab. Aber sympathisch und echt sexy.
Caro rieb sich den Nacken und bereute jetzt schon den vielen Wein – der Montag würde schwerfällig werden.
Als sie sich dem nächsten Potentiellen zuwenden wollte stand Melanie hinter ihr und legte Caro die Hände auf die Schultern.
„Sach ma … machste jetzt Mediation oder was?“
„Wieso?“
„Du bist ja noch besoffener als ich.“
„Neee, vielleicht… aber du hast doch gesagt, ich soll mal gucken…“ Caro nahm die Hände ihrer Freundin und zog ihre Arme von hinten um sich herum.
„Ach Caro, ich geb’s auf. Du sitzt hier vor deinem Aquarium und guckst dir deine Fische an, das ist dir klar, oder?“
Caro prustete los vor Lachen.
„Du hast gesagt, ich soll an den See.“
Melanie kicherte und nahm die Dose mit dem Fischfutter aus dem Regal. Während sie großzügig davon in das Wasser rieseln ließ, entstand im Becken eine aufgeregte Stimmung. Guppys unterschiedlichster Form und Farbe rissen sich um das Futter zu dieser unüblichen Uhrzeit.
„Wie im echten Leben. Eine Gattung und doch so unterschiedlich.“ Caro war plötzlich nachdenklich.
„Mel, mit welchem Foto soll ich ins Wasser springen?“
Melanie jauchzte auf, zog den Laptop vom Sofa und klickte drauf los.
„Ich sag Dir, die Angler werden die geilsten Köder für Dich werfen. So, Du heißt jetzt GUPPY - Deinen echten Namen brauchst erst mal gar nicht...“
„Na dann, Waidmannsheil.“
„Das heißt Petri Heil“ sagte Melanie, lachte und drehte Caro das Display zu.