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Am Tag, als Lenz zu spät kam
Eine Verspätung erfolgreich herunterzuspielen, erfordert einen energischen Auftritt. Nichts ist effektiver als Ablenkung. Der Luginbühl, ja, der war Meister darin. Lenz hingegen zögerte. Mit einem Ohr an der Tür zum Sitzungszimmer vernahm er gedämpfte Laute. Dr. Kauer hatte persönlich zu einer dringenden Besprechung geladen, Punkt zehn Uhr.
Das war vor drei Minuten ...
Ein Geräusch! Lenz wich erschrocken von der Tür zurück. Vor ihm stand Luginbühl, in den Händen ein Pack Unterlagen. Unbemerkt hatte er sich von hinten genähert. Ein Zwinkern, dann öffnete er die Tür und stolzierte mit durchgedrücktem Kreuz in den Sitzungsraum.
"Gut, dann können wir ja anfangen", hörte Lenz Dr. Kauers Stimme, dann fiel die Tür geräuschvoll ins Schloss. Lenz stand da wie angewurzelt.
Er hasste Luginbühl, aber mehr noch sich selber. Warum hatte er Luginbühl nicht kommen hören? Jetzt konnte er unmöglich den gleichen Auftritt hinlegen. Wieder presste er ein Ohr an die Tür und hoffte inständig, Luginbühls Arroganz habe diesmal bei Dr. Kauer keinen Erfolg.
"Die Sachlage ist somit klar", hörte er Luginbühl referieren.
"Wir müssen die Abteilungen reorganisieren ..."
Das ist es also! Schon wieder läuft es auf Ressourcenabbau hinaus. Der Luginbühl betrachtet Menschen immer nur als Ressourcen, Kostenfaktoren ohne Gefühle, nackte rote Zahlen in der Bilanz. Lenz musste an Gabi Teuscher denken, mehr Barbie als Assistentin von Frau Holzer, der Brünetten aus der Finanzbuchhaltung. Er hatte Margrit Holzer gemocht, auch wenn sie ihm am Abschlussfest seine Tanzaufforderung abgelehnt hatte. Im Vorfeld der letzten Sparrunde bat Luginbühl beide Frauen zum Gespräch. Das Resultat war erschütternd. Offiziell bestand zwischen Luginbühl und Teuscher zwar keine Affäre, aber in den Herrentoiletten war es ein beliebtes Gesprächsthema. Die Teuscher fuhr neuerdings einen Porsche Cayenne und Frau Holzer wurde nach ihrem Zusammenbruch in die psychiatrischen Dienste der Stadt Bern eingeliefert. Immerhin verlängerte sich so ihre Kündigungsfrist, meinte Luginbühl.
Wieso hatte der vorhin eigentlich diesen Berg Akten dabei? Lenz dämmerte es, diesmal sind die Ressourcen der Teppichetage dran. Sein Stuhl, der wackelte, und damit auch sein Haus, das sich dann wohl die Bank zu eigen machen würde. Er sah seinen Sohn Udo, wie er statt Patienten zu heilen zukünftig am Güterbahnhof Lastwagen mit Waren befüllte. Er dachte an seine Frau Gertrud, die im Supermarkt das Aktionsfleisch an der Kasse zurücklegen musste, weil das Kartenguthaben aufgebraucht war. Kurz, sein Leben ging den Bach runter, und daran war nur dieser Luginbühl schuld. Er und seine Porschetussi.
Energisch riss Lenz die Tür auf, trat in den Raum und stand direkt im Lichtkegel des Hellraumprojektors. Die Anwesenden verstummten, Luginbühl liess seinen Laserpointer sinken, die anderen konnte Lenz im Gegenlicht nicht ausmachen.
"Ich kann das so nicht länger unterstützen", rief Lenz in den Raum.
"Herr Lenz, bitte setzen Sie sich doch."
"Luginbühl macht hier, was Er will und Sie schauen einfach zu. Keiner von Ihnen hat auf meine Arbeitsstudie reagiert, man kann nämlich sehr wohl Synergien schaffen, aber das interessiert ja keine Sau, lieber nickt Ihr dem Luginbühl seinen Rotstift ab, solange nur Euer Name nicht auf der Liste steht. Aber wisst Ihr was?"
"Herr Lenz, bitte hören Sie ..."
"Nein, Herr Doktor Kauer, ich höre nicht, ich will nicht mehr nur zuhören."
"Herr Lenz, Sie machen da einen ...", weiter kam Luginbühl nicht.
"Sie können mich mal, Luginbühl. Sie mit Ihrem arroganten Auftritt, jede Sitzung sind Sie der letzte, auf den alle warten müssen." Lenz erkannte den Widerspruch leider zu spät.
"Äh - jedenfalls weiss ich, dass Sie die Teuscher der armen Frau Holzer nicht wegen Ihrer Kompetenz vorgezogen haben."
Lenz redete sich in Fahrt, zu viel Frust hatte sich angestaut, ja Lenz war ein ganzer Stausee voll verdrängter Gefühle, und wenn die Mauer erstmal einen Riss bekam ...
"Ist sie wirklich so gut im Bett, Luginbühl?"
Die Zeit stand still, ein Bleistift fiel klappernd auf die Tischplatte, der Projektor summte stoisch vor sich hin.
Dann fiel ein Stuhl krachend um und Lenz sah, wie Gabi Teuscher heulend aus dem Raum rannte. Lenz schluckte. Die Teuscher an einer mittleren Kadersitzung? Was ging hier vor?
"Sie sind so ein Depp, Lenz." Luginbühl trat neben ihn und zeigte auf die Leinwand. Der Schatten seines Zeigefingers endete in einem Organigramm, ein grünes Rechteck markierte die neue Abteilung für Qualitätssicherung, hinter Abteilungsleiter stand neu Lenz' Name, und bei Assistentin: Gabi Teuscher.
Das Rauschen des Hellraumprojektors schwoll an, flutete Lenz' Kopf. Dann betätigte jemand den Ausschalter.