Am Rand der Gesellschaft...
Draußen stürmte es, die Luft war kalt. Blätter flogen herum, der Wind zischte.
Herumliegender Müll, achtlos weggeworfen, fegte durch die Strassen.
Die Welt wirkte auf ihn, wie ein zerstörerisches Chaos.
Er fror, nein er fror nicht nur, ihm war eisigkalt.
Verzweiflung keimte ihn ihm auf, so hoffnungslos verloren hatte er sich noch nie gefühlt.
Er zog sich die Jacke noch ein Stück tiefer ins Gesicht.
Der eisige Wind sollte ihn nicht erwischen, er hatte bis jetzt doch auch vor allen Schwierigkeiten retten können.
Er setzte sich die Mütze auf, zog die Handschuhe an und deckte sich soweit es ging zu.
Er nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche und in seinem Körper wurde es wohlig warm.
Er schloss die Augen und dort tief in der ferne verschwand das kalte, eisige Grau.
Er sah sich als Kind, als glückliches behütetes Kind an einen Tisch voller Brote mit Kirschmarmelade, anderer Leckereien und Eis.
Er fühlte sich wohl, fühlte die Umarmung seiner Mutter, sah die liebevollen Blicke seines Vaters, die soviel sagten und ihm immer soviel bedeutet hatten.
Er erinnerte sich, wie er mit seinem geliebten Vater im Keller saß, stundenlang vor diesem Mauseloch, um zu verhindern, dass diese hilflose Maus in die todbringende Falle tappte.
Vater hatte immer ein warmes Lächeln auf den Lippen gehabt, hatte immer ein liebes Wort für ihn bereit.
Seine Eltern liebten ihn und er war sich sicher auch sie liebten sich.
Er erinnerte sich an die wunderschönen gemeinsamen Wochenenden, lustige Ferien, die gemeinsam geschmiedeten Zukunftspläne und nie vergessenen Erlebnisse.
Doch da plötzlich verschwand das wohlig warme Gefühl in seinem Körper.
Die Erinnerungen kamen wieder, an etwas das real war, das nicht nur existent war, wenn er dieses wohlig warme Gefühl in seinem Körper hatte.
Jetzt war er allein. Es war kalt. Die Orkanböen wurden stärker.
Die Realität wurde ihm immer bewusster...er musste sich einen sicheren Zufluchtsort suchen...erst mal für diese Nacht.
Unter dieser Brücke konnte er nicht schlafen...nicht heute Nacht.
Er setzte sich auf, nahm einen tiefen Schluck aus seiner Flasche, doch bevor das wohlig warme Gefühl in seinem Körper übermächtig wurde sah er der Realität in ihr riesiges starrendes Auge.
Er machte sich auf einen Platz zu finden, wo er sicher war für eine Nacht, so sicher, wie er sich damals beim Anblick seines lächelnden Vaters gefühlt hatte.
Nach einer langen, erschöpfenden Suche hatte er einen Ort der Zuflucht gefunden.
„Wie gut, dass immer wieder Menschen vergessen ihre Kellertüren zu verschliessen.“, dachte er bei sich.
Sogar einen alten, ausgedienten Schlafsack fand er dort und plötzlich schien die Welt um ihn herum wieder warm und gemütlich zu sein.
Der Sturm war draussen, die Kälte hatte er aussperren können... jetzt zählte nur noch das er sich warm eingepackt in die Vergangenheit flüchten konnte.
Er zog an der Pfeife, endlich hatte er wieder Geld gehabt sich neuen Stoff zu kaufen... was er dafür getan hatte... nein darüber wollte er nicht mehr nachdenken.
Er merkte wie der Stoff sich in seiner Blutbahn verteilte schnell war er high und das war so ein schönes Gefühl.
Er genoss den Moment des Rausches, doch im tiefsten Inneren seines Ich wusste er, dass es so nicht weitergehen konnte.
Sein Leben war die Hölle.
Er war doch erst 23 Jahre jung oder war er schon 23 Jahre alt.
Er hatte schon soviel erlebt in seinem jungen Leben.
Nach dem Tod seiner Mutter vor zehn Jahren war er alleine mit seinem Vater.
Es war keine schlechte Zeit.
Nein, das musste er gestehen, aber es war eine schwere Zeit.
Nachts wachte er immer wieder auf, sah seine Mutter vor sich, wie sie ihm immer wieder sagte, dass es nicht seine Schuld gewesen war.
Aber das konnte er nicht einsehen, schliesslich sollte er sie abholen, damals vom Bahnhof.
Doch für ihn war es wichtiger mit seinen Freunden unterwegs zu sein.
Er holte sie nicht ab und sie ging alleine den Weg vom Bahnhof nach Hause.
Wer konnte schon ahnen, dass zwei Drogensüchtige auf dem Weg sie als Opfer auswählen würden, wahrscheinlich war es gar nicht wichtig wer sie war, Hauptsache sie hatte Geld dabei.
Warum wehrte sie sich auch, warum lies sie die beiden nicht einfach mit dem Geld verschwinden?
Sie war schon immer eine Kämpferin gewesen, aber warum wusste sie nicht, dass sie dieses Mal keine Kämpferin sein musste.
Er war schuld... das hatte auch immer sein Vater gesagt.
Wäre er da gewesen, wäre das alles nicht passiert... genau das sagte sein Vater immer.
Er erinnerte sich genau an den Tag vor ein paar Jahren, als sein Vater wieder schreiend und tobend in der Wohnung stand.
Alles war besser als Mutter noch da war und er, ja er ganz alleine war Schuld, das dies alles nicht mehr so war.
Er hörte seinen Vater toben und schreien.
Und dann erinnertete er sich genau, er packte seine Sachen und verschwand von zuhause,
Für immer, das hatte er sich geschworen.
Doch was war das für ein Leben, das er jetzt führte?
Es war nicht mehr wert, als das der beiden Drogensüchtigen, die seine Mutter überfallen hatten.
Nicht besser als das Leben derer, vor denen er als Kind immer gewarnt wurde.
Drogen... nie im Leben hätte er gedacht, dass Drogen mal der Hauptpunkt seines Leben sein würden.
Er kam doch aus einem ordentlichen Elternhaus, er war doch ein behütetes Kind gewesen.
Sein Körper begann sich zu verkrampfen, er musste husten...
Langsam wurden die Krämpfe schlimmer... er wollte nur noch sterben oder mehr Stoff besorgen, aber er konnte sich nicht mehr bewegen.
Seine Gedanken waren bei seiner Mutter als er ein letztes Mal versuchte Luft zu holen und zu atmen.
Er konnte nicht... etwas war in seinem Körper, das ihn davon abhielt.
Er merkte nicht mal mehr als er zur Seite kippte, sich den Kopf auf dem kalten Kellerboden stieß.
Als man ihn fand, hatte er ein Lächeln auf dem Gesicht...
er schien zufrieden...
[ 04.06.2002, 16:12: Beitrag editiert von: Babsi ]