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Am laufenden Band
Am laufenden Band
„Warum?“, fragte ich mich. Warum hatte Georg, einer meiner angeblichen Freunde, gestern Abend beschlossen, noch eine Runde Pils zu schmeißen? Und warum fanden Martin, Reinhard, Thomas und Markus diese Idee so genial, dass sie sie unbedingt kopieren mussten? Und welcher Idiot hatte dann noch diesen gloriosen Einfall, die öde Biermonotonie mit einer, zwei, drei Runden Vodka aufzulockern? Es fiel mir wieder ein. Der Idiot war ich gewesen, und was dem Vodka noch so nachgefolgt war, entzog sich genauso gnädig meiner Erinnerung, wie die näheren Umstände meiner Heimkehr.
Nun lag ich gerädert und geläutert auf meinem Bett und weigerte mich die Augen zu öffnen. „Nur keine allzu raschen Bewegungen!“, signalisierte mir mein Schädel. Ich musste aber einfach herausfinden wie spät es war. Meine Fünf-Uhr-Verabredung mit Moni durfte ich auf keinen Fall verpassen. Vorsichtig öffnete ich das linke Auge. Die Leuchtziffern meines Weckers glühten mir ein lakonisches „16:12“ entgegen.
Ich schoss blitzartig in die Höhe, eine Bewegung, die auf der Liste der guten Ideen im Moment ziemlich weit unten rangierte. Egal. Ich schaltete meinen Körper auf Autopilot, um mich zu duschen, zu rasieren und anzuziehen. Zwanzig Minuten später war ich fast überzeugt, mich wieder unter die Lebenden begeben zu können.
Wir hatten einen nahegelegenen Kinopalast als Treffpunkt vereinbart, in dem eine reichliche Auswahl an Lokalen angesiedelt war. Ich schaffte es sogar pünktlich zu sein. „War wohl spät gestern?“, grinste mich Moni an, als sie mich sah.
„Seh’ ich so schlimm aus?“, fragte ich gequält zurück.
„Schlimmer, mein Hase, viel schlimmer.“
„Wonach steht dir heute der Sinn?“, bemühte ich mich von meinem kläglichen Zustand abzulenken.
„Wie wär’s mit Running Sushi?“, erkundigte sich mein liebend’ Weib.
In diesem Augenblick holte mich meine geringe Erfahrung mit solchen Situationen ein: Wenn man die Nacht durchgesoffen hat, geht man zum Italiener, um sich mit Pizza vollzuhauen. Oder man besteht auf Schnitzel, täuscht eine Fischallergie vor oder erfindet einen Japanboykott. Aber man lässt sich unter keinen Umständen auf Running Sushi ein. Nie. Kein Sushi. Kein Running. Punkt.
Damals war ich aber zu blauäugig, um zu widersprechen. Außerdem mag ich Sushi und ich war hungrig. Aber schon als wir uns zu Tisch setzten, kamen mir schwere Bedenken, ob unsere Entscheidung mit meiner Tagesverfassung harmonierte. Die Teller, beladen mit Shiromi, Toro, Tobiko, California Roll, Tekka Maki und Sashimi schossen mit rasender Geschwindigkeit an meinen Augen vorbei. Es war wie verhext. Kaum wollte ich nach einem Teller greifen, war das verflixte Ding schon wieder einen Meter weiter. Musste ich hier und heute verhungern? Nur mit äußerster Konzentration schaffte ich es endlich, einen Teller mit zwei bescheidenen Sake-Sushis zu ergattern.
„Isst du mit Stäbchen oder brauchst du Besteck?“, erkundigte sich das Biest gegenüber amüsiert. Sie war bereits beim dritten Teller angelangt, und ich hatte noch keinen einzigen Bissen zu mir genommen.
„Stäbchen sind ok!“, fauchte ich gereizt zurück. Ich bin selbst unter normalen Umständen ein erbärmlicher Stäbchenesser, aber jeder hat seinen Stolz. Trübsinnig beäugte ich meine Beute. Beim Anblick der beiden Lachsstücke, die rosa und fettglänzend auf ihren Klebreishäufchen thronten, verflüchtigte sich mein Appetit rascher als ich „Tokio“ sagen konnte. Auch die Essstäbchen erwiesen sich als unwillig und wollten einfach nicht den ihnen zugedachten Platz zwischen meinem zitternden Daumen und Zeigefinger einnehmen.
Seufzend schob ich den Teller von mir weg, wickelte meine Stäbchen sorgfältig in eine Papierserviette und verbannte sie aus meinem Sichtfeld. „Ich glaube, ich bleibe heute bei etwas Misu-Suppe.“, verkündete ich kleinlaut.
„Armer Hase.“ Das Mitgefühl in Monis Stimme klang fast echt, als sie sich genüsslich das fünfte Tekka Maki in den Mund schob. Aber so würdelos wollte ich dann doch nicht untergehen. „Glaubst du, dass die in Japan Cappuccino haben?“