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Am Kanal
Am zwölften oder dreizehnten Tag - wer zählt so etwas schon genau - konnte man den Eindruck gewinnen, die Stadt habe sich an die Hitze gewöhnt. Meine Hunde krochen morgens schon sehr früh unter die hintere Veranda und erst, wenn die Schatten sich mittags auflösten, kamen sie hervor und wechselten nach vorn unter die Bäume, wo sie aus dem Teich trinken konnten. Nachdem Clarissa gegangen war, hatte ich Frau Vendt gebeten, den Gärtner zu entlassen - einen Naturgarten fand ich schon immer schöner, Mama hatte das damals wenigstens für unser Ferienhaus in Nizza so durchgesetzt.
Ich ging barfuß über die Holzdielen in der Küche auf und ab, der Kaffeeautomat brummte alle paar Minuten und verlangte eine Reinigung. Die wenigen noch lebenden Wespen und Fliegen versuchten träge, sich auf den Rotweinrändern niederzulassen, die auf der weißen Marmorfläche ein Muster bildeten. Die Vorhänge hingen schlaff herunter, ich hatte sie zugezogen, aber sie ließen das grelle Licht weitgehend ungehindert herein. Den Tag verbrachte ich meist auf den Sofas, die vergilbten Zeitungen lagen davor und die Bücher stapelten sich im gesamten Zimmer zu kleinen Türmen: Erstausgaben auf dem Flügel, die russischen Klassiker und die Novellensammlung die Fensterbänke entlang und meine geliebten Kunstbücher aufgeschlagen auf dem Boden verteilt, leicht bewegt von dem Deckenventilator auf niedrigster Stufe. Den Fernseher hatte ich bei unserem Streit im Frühling umgestoßen, und die Vase mit den Callas in die Plasmascheibe geworfen. Richtig gegessen hatte ich schon länger nicht mehr, meine fleckige Leinenhose wurde von einem Strick gehalten, das gefiel mir, als Mama sie mir in Marbella im Yachtshop kaufte. Ein frisches Hemd ziehe ich jeden Tag an, das wird noch längere Zeit möglich sein, gestern erst stand ich im Ankleidezimmer und staunte über die vielen Anzüge, mein Schneider hatte mehrmals im Jahr gut an mir verdient.
Ich brach immer erst auf, wenn die Sonne nur noch knapp über dem Horizont zu sehen war, meist mit dem Jaguar, die anderen Wagen waren mir zu auffällig. Mein Ziel stand fest, auch wenn ich mir jeden Tag einredete, mich treiben zu lassen, spätestens nach einer Stunde parkte ich, obwohl es noch zu hell war, auf dem verdeckten Parkplatz am toten Arm des Kanals. Die üblichen Stricher wussten, dass ich nicht zu ihnen wollte und hielten sich zurück. Wenn ich kam, lagen Frederiq und Massimo meist schon auf unserem Platz, zwei Linien für jeden bereiteten sie immer vor. Wir sprachen wenig, sie wussten was ich wollte und wie ich es wollte, das Geld gab ich ihnen immer hinterher. Frau Vendt überwies regelmäßig vom Firmenkonto, die Rücklagen der letzten Jahre würden wohl länger reichen als der Hemdenvorrat.
Heute war es beim Abschied etwas anders, ich merkte, wie sie sich ansahen, als ich aufstand. Massimo ging neben mir zum Auto und redete mit seinem angenehmen, italienischen Akzent auf mich ein, Frederiq hielt seine Hand. Ich hörte mehr darauf, wie er es sagte, als was er sagte, und nahm sie mit, wir fuhren mit offenem Verdeck, die Nacht war angenehm warm. Als ich das Tor mit dem Sender öffnete und die Lampen in der Einfahrt aufleuchteten, kam mein Nachbar vorbei und grüßte wie früher, aber ich wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben. Meine Hunde waren zu träge, um herbeizulaufen, die kleinen Steine spritzten gegen das Tor, als ich die Räder durchdrehen ließ.
Massimo mixte Daiquiris, Frederiq stieg über den Fernseher ohne etwas zu sagen und wählte Rachmaninov aus, die Platte lag immer griffbereit oben auf dem Stapel. Die Türen zur Veranda ließen wir offen, wir konnten die Musik gut hören, als wir hinten im Pavillon saßen, die Beleuchtung der Teiche zog die Mücken an, die von den Kois gejagt wurden. Die beiden Ecstasys spülte ich mit dem Daiquiri herunter, einige Flaschen standen noch im Weinkühlschrank direkt neben mir, die einzig gute Idee der Landschaftsarchitekten. Offenbar ging es um eine Transaktion, die nicht illegal war aber etwas ungewöhnlich und daher Diskretion erforderte. Die beiden hatten einen größeren Geldeingang zu erwarten, ein Freund hatte sich kurzfristig bereiterklärt, zwei Millionen Euro zu schenken und anschließend monatlich 30.000 Euro zu zahlen, sie benötigten ein Konto. Ich wollte ihnen den Gefallen gern tun, für Frau Vendt wäre das sicher kein Problem, und für die beiden war es eine große Erleichterung. Wir stießen an und Massimo küsste mich auf den Mund, Frederiq zeigte sich noch dankbarer, ich musste nicht einmal bezahlen, und freute mich über unser stilles Einverständnis.
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Als der Haftrichter einige Wochen später die Untersuchungshaft verlängerte, war ich mir im Klaren, dass sie nicht kommen konnten, aber der Haifisch auf meinen linken Unterarm erinnerte mich an unsere Freundschaft und gab mir Kraft.