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Am Highway

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12.01.2015
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Am Highway

Jessica steckt die Zapfpistole in ihren mausgrauen Buick und versucht, mit der anderen Hand eine Straßenkarte zu entfalten. Als sie merkt, dass sie dazu beide Hände benötigt, klemmt sie sich die halb entfaltete Karte unter den Arm, doch beim Blick auf die Zapfsäule entgleitet ihr die Karte und fällt auf den staubigen Boden. Sie flucht und schaut sich mit hastigen Kopfbewegungen um. Ein vollbärtiger Mann mit schmutziger kurzer Hose und offensichtlichen Gewichtsproblemen kommt auf sie zu.
„Kann ich helfen? Sie machen mir so den Eindruck, wie wenn Sie was suchen.“
„Entschuldigen Sie, wie heißt dieser Ort?“
„Dinosaur. Bin ich auch bald, hahaha. Ich arbeite hier seit siebendreißig Jahren. Lange Zeit. Ist nicht viel los hier, seit sie die Tankstelle am Highway gebaut haben. Seitdem kommen nur Touristen. Sie sehen mir gar nicht aus wie eine. Wie heißen Sie? Mein Name ist Alvin.“
„Was sagten Sie, Dinosaur? Seltsamer Name, den finde ich gar nicht auf meiner Karte. Sind Sie sicher?“
„Absolut. Sie befinden sich auf historischem Gelände, Mrs… Wie heißen Sie noch gleich?“
„Parker. Prof. Parker. Professorin für Literaturgeschichte. Yale . Ich wollte eigentlich nur…“
„Eine Professorin, sieh mal einer an. Sehr angenehm. Literatur. Ich hatte auch mal ein Buch, hahahaha. Hier finden Sie nur Erdgeschichte. Vor ein paar Millionen Jahren liefen hier `ne Menge Dinos rum. Die Touris kommen, um die Spuren in den Felsen zu sehen. Sehen Sie den Berg dort drüben? Dahinter ist der Eingang zum Nationalpark. Ganz ehrlich, ich versteh die Leute nicht. Bringen ihre neueste Sony mit, filmen die Gegend ab und haben am Ende alles nur durch die Kameralinse gesehen. Da können Sie sich ja eigentlich gleich `ne DVS anschauen, finden Sie nicht?
„Ja, sicher.“, sagt sie.
„Ich würd Sie ja glatt zum Nationalpark begleiten, damit Sie mal was anderes sehen als Ihre Bücher. Aber ich kann die Tankstelle nicht unbeaufsichtigt lassen. Ich treff mich immer nach Feierabend mit den Leuten vom Park, Bier trinken, bisschen plaudern, Football schauen, Spaß haben. Viel kann man ja hier nicht machen.“
Er blickt zur Zapfsäule. „Der Wagen ist voll, Sie können das Teil wieder rausnehmen.“
„Ach so, ja, danke, hatte ich nicht bemerkt.“ Sie kramt in ihrer Handtasche. „Hier, der Rest ist für Sie. Sagen Sie, gibt es ein Restaurant in der Nähe?“
„In diesem Kaff? Nichts für eine Professorin, nehme ich an. Hier wohnen nur 228 Menschen. Es gibt einen Supermarkt drüben am Brontosaurus Boulevard. Fahren Sie lieber nach Craig. Knappe Stunde von hier, da müsste sich was finden lassen für eine Professorin. Oder fahren Sie Richtung Salt Lake? Dann kommen Sie durch Vernal, da gibt’s nen verdammt guten Chinesen an der Main Street. Dahin lade ich meine Lucy manchmal ein. Immer an unserem Hochzeitstag. Sie liebt es. Wir essen sonst immer zuhause, dann ist die Vorfreude auf unseren jährlichen Tag in Vernal umso größer. Sagen Sie, was treibt jemanden wie Sie hierher? Haben Sie keine Angst, so ganz allein zu reisen?“
„Na ja, geht schon. Ich muss weiter. Haben Sie vielen Dank für Ihre Tipps.“
„Lassen Sie mich raten, Online-Date? So was wie Schlaflos in Seattle?“
Jessica quält sich zu einem Lachen. „Nein. Ich muss jetzt weiter.“
„Entschuldigen Sie, es geht mich ja nichts an.“, sagt er.
„So ist es. Ich habe es wirklich eilig. Auf Wiedersehen.“ Sie dreht sich weg und geht zum Wagen.
„Ist ja gut“, ruft er ihr nach und steckt sich eine Zigarette an. Direkt neben ihm hängt an der Zapfsäule ein leicht verblichener wespenfarbener Aufkleber, Rauchen verboten. „Ich würd aber noch Luft auf die Reifen machen.“
„Was?“
„Ganz schön platt die Reifen. Ich würd so nicht weiterfahren. Wenn Sie hier irgendwo liegen bleiben, haben Sie Pech gehabt. Große Entfernungen zwischen den Orten. An vielen Stellen ist kein Handyempfang, wegen der Berge nehme ich an.“
„Oh, wirklich? Wenn Sie so freundlich wären… Ich zahle natürlich.“
„Aber klar mach ich das für Sie, Frau Professorin. Es kostet auch nichts. Fahren Sie den Wagen bitte dort drüben hin.“
„Ich zahle das aber.“, bittet sie.
„Behalten Sie Ihr Geld. Sie können mir ein wenig von sich erzählen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Wohin fahren Sie?“
„Denver.“
Und was machen Sie in Denver, wenn die Frage gestattet sei?“
„Beruflich.“
„Und warum nehmen Sie nicht den Highway?“
„Ist gesperrt. Ein Unfall. Hören Sie, ich habe es wirklich eilig und außerdem bin ich hungrig.“
„Deswegen der Hubschrauber vorhin. Hätte ich mir denken können. Dann müssen Sie jetzt also diesen weiten Umweg nehmen. So ein Pech. Aber man kann es auch positiv sehen. Die schöne Landschaft hier hätten Sie sonst nie im Leben gesehen. Hier, ich hab was zur Überbrückung der Wartezeit.“ Er kramt eine angebrochene Tüte Erdnüsse aus seiner Hose und reicht sie ihr.
Während er die Reifen aufgepumpt, lässt Alvin nicht locker. Fragt und fragt und erzählt und erzählt, ohne dass ihn Jessicas einsilbige Antworten zu entmutigen scheinen. Sein Urgroßvater sei aus Irland eingewandert und habe in Colorado ein Lederwarengeschäft eröffnet. Sein Vater habe die Tankstelle in den 60er Jahren gegründet und sei vor einigen Jahren gestorben, seine alte Mutter lebe mit einer Horde Hunde im Nachbardorf und sei fast blind, er sehe zweimal am Tag nach dem Rechten, kaufe für sie ein. Er sei geschieden, seine Ex-Frau habe sich gelangweilt und sei ohne ihn, aber mit den beiden gemeinsamen Söhnen in die Stadt gezogen, doch er sei ein Mann der Wildnis, die Stadt würde ihn depressiv machen und aggressiv, er habe in seiner Jugend ein Jahr in Chicago in einer Bar gearbeitet, aber die Sehnsucht nach Colorado und die egoistischen Menschen und der Stress und der nahende Drogentod hätten ihn fortgetrieben, ein Wachmann habe ihn nach einer Überdosis auf der Toilette eines großen Warenkaufhauses gefunden und schon für tot gehalten, ehe Gott oder wer auch immer da oben verantwortlich sei ihn doch noch einmal auf die Erde geschickt habe, um in seine Heimat zu gehen, er sei seitdem clean und könne sich kein anderes Leben mehr vorstellen. Er stehe morgens mit den ersten durchs Fenster dringenden Sonnenstrahlen auf und freue sich auf den ewig gleichen Tag, die ewig gleiche Arbeit, die ewig gleichen Menschen, auf die sich im Laufe der Jahreszeiten wandelnde Landschaft, die plötzlichen Wetterumschwünge, die Sonnenuntergänge, das abendliche Bier mit seinen Kumpels, den nächtlichen, von Grillenkonzert und Sternenlicht begleiteten Nachhauseweg, ja und er liebe seine Lucy über alles, obwohl sie nicht viel redeten, aber sie sei einfach da und erwarte nichts von ihm und versuche nicht ihn zu ändern und mache ihm niemals ein schlechtes Gewissen und sei trotz seiner Mittelmäßigkeit und Macken und trotz ihrer Kinderlosigkeit auf ehrliche und gesunde Weise glücklich mit ihm und das mache ihn wiederum glücklicher als alles andere auf der Welt.
Am Schluss gibt Jessica dem Tankwart die Hand und bedankt sich. Während sie auf die Straße abbiegen will und den Tankwart zurück in seine Tankstelle trotten sieht, rinnen Tränen über ihre Wangenfalten. Klarer denn je sieht sie im Innenspiegel ihrer Seele ihr verkorkstes Leben.

 

Hola, Herr Direktor Garcia!
Ich grüße Sie in der Annahme, dass M und D für Monsieur le Directeur stehen.
Du hast eine klasse Geschichte geschrieben, eine, die mir richtig gut gefallen hat. Dieses Highway-Gefühl kommt gut rüber.
Der Endlossatz kurz vorm Ende ist ein Stilmittel Deiner Wahl und ich trete mit der Professorin von einem Bein aufs andere in der Hoffnung, das Ende des Redeschwalls noch zu erleben.

Aber null Zuschriften? Selbst schuld! Du schreibst total am Zeitgeist vorbei. Irgendwas an sozialer Problematik solltest Du Dir vorknöpfen. Guck doch mal, was die anderen so schreiben.
Den Smiley mit dem Augenzwinkern schenken wir uns.
Bleib Dir treu!
Joséfelipe

 

Hallo MDHerrGarcia!

Er stehe morgens mit den ersten durchs Fenster dringenden Sonnenstrahlen auf und freue sich auf den ewig gleichen Tag, die ewig gleiche Arbeit, die ewig gleichen Menschen, auf die sich im Laufe der Jahreszeiten wandelnde Landschaft, die plötzlichen Wetterumschwünge, die Sonnenuntergänge, das abendliche Bier mit seinen Kumpels, den nächtlichen, von Grillenkonzert und Sternenlicht begleiteten Nachhauseweg, ja und er liebe seine Lucy über alles, obwohl sie nicht viel redeten, aber sie sei einfach da und erwarte nichts von ihm und versuche nicht ihn zu ändern und mache ihm niemals ein schlechtes Gewissen und sei trotz seiner Mittelmäßigkeit und Macken und trotz ihrer Kinderlosigkeit auf ehrliche und gesunde Weise glücklich mit ihm und das mache ihn wiederum glücklicher als alles andere auf der Welt.
Dass du einen so langen Satz geschrieben hast, tröstet mich, denn hier machst du den Höhepunkt, besser, den Sinn der Geschichte, fühlbar: schon im Diesseits die Aufhebung von Raum zu Zeit zu spüren.
Natürlich, die Yale-Professorin hat es eilig und wird angesichts der Landschaft in Colorado mit der "Aktualität" der Dinosaurier zur komischen Figur, denn sie will mit dem Lebenstempo einer Eliteuniversität gegen die Urzeiten ankämpfen. Und verliert: Es ist zum Heulen. Ein Unfall auf der Autobahn zwingt sie zu einem Umweg.
Aus der gewohnten Zeit gefallen, kommt sie an der Tankstelle nicht zurecht.
Sie flucht und schaut sich mit hastigen Kopfbewegungen um.
Hilfe kommt von einem "zeitlosen" Einsiedler, der sogar ihrem Fortbewegungsmittel (Auto) auf die Beine hilft, was sie vernachlässigt hat: Leben ohne Luft? Bewegung ohne "Saft"? Ein Lebensstil, der am Ende ist, oder schon darüber hinaus. Nun ja, sie lebt im luftigen Raum der Literatur.
Sie hat nichts zu erzählen, während der alte Mann voller Geschichten ist.
Fragt und fragt und erzählt und erzählt, ohne dass ihn Jessicas einsilbige Antworten zu entmutigen scheinen.
Sein Leben in der Einsamkeit und der Natur ist lebendiger als ihres.
Während sie auf die Straße abbiegen will und den Tankwart zurück in seine Tankstelle trotten sieht, rinnen Tränen über ihre Wangenfalten. Klarer denn je sieht sie im Innenspiegel ihrer Seele ihr verkorkstes Leben.
So ist es wohl: Symbolisch gibt ihr der alte Mann, ein Tank-Wart, Erd-Nüsse zu essen, um sie zu erden. Dies will nach meiner Ansicht dein ganzer Text. Die moderne Hysterie (Hype) geht an der Fülle des Lebens (siehe dein langer Satz) vorbei.
Wie in der Literatur Kurzsatz auf Kurzsatz folgen soll, damit der Leser keine Anstrengung erfahren soll, so gliedert sich das Leben auf kurzfristig erreichbare Ziele, denen immer neue folgen sollen. Langatmigkeit für die Mühen der Ebenen und eben lange Sätze sind unmodern – vielleicht aber doch bald modern.
Jedenfalls ist deine Geschichte trefflich erzählt, sinnreich im Inhalt, gut gegliedert und aussagekräftig.
Aber reicht dies, um gehört zu werden und um geschätzt zu werden?
Dies allerdings wünsche ich dir und der Geschichte, die einfach nur gut ist.
Gracias, Herr Garcias
Fröhlichst
Wilhelm Berliner

["]Und was machen Sie in Denver, wenn die Frage gestattet sei?“
Nachhauseweg, ja [KOMMA?]und er liebe

 
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Hallo Josefelipe!

Verzeihe die verspätete Antwort und auch das Fehlen des Akzents auf dem e deines Namens, den kriege ich gerade nicht hin.
M und D stehen für etwas anderes, was mit meinem Sohn zu tun hat.

Das war meine erste Veröffentlichung überhaupt, und daher habe ich mich über deinen Kommentar gefreut.
Ob die Geschichte den Zeitgeist trifft, weiß ich nicht, aber ich schreibe generell weniger nach dem herrschenden Zeitgeist. Dass ich damit nicht den kommenden Bestseller schreibe, nehme ich in Kauf.

Herzliche Grüße
MD

Hallo Wilhelm,

die verspätete Antwort bitte ich zu entschuldigen.

Ich habe schon mehrere Kommentierungen von dir gelesen und mich jedes Mal gefreut. Das hat Mut gemacht.

Und du hast die Intention dieser Geschichte treffend auf den Punkt gebracht. Ich glaube, der Zeitgeist wird sich wieder mehr in diese Richtung entwickeln, weg von der Hektik und der Oberflächlichkeit des Gegenwartsmenschen, hin zu mehr Erdung und Langsamkeit, die erst wahres Glück ermöglichen.

Ein herzliches Dankeschön!

HD

 

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