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Am Fenster
[second draft 896 words]
Es ist kalt draußen und der Schnee, der diese Nacht gefallen ist, liegt noch auf den Dächern.
Ich liege mehr als ich sitze auf meiner Couch mit einem Laptop auf dem Schoss und frage meine Mailbox ab, in der sich nur Müll befindet. Ich lösche den Mist und öffne meine Programmierumgebung, um an meiner Homepage zu arbeiten. Wenn ich etwas programmiere, brauche ich ungefähr eine viertel Stunde, um in Fahrt zu kommen. Ich schaffe mir eine vertraute Umgebung in einem akurat aufgeräumten und sauberen Zimmer, drehe die Heizung auf und lege eine CD ein, schaue hin und wieder aus dem Fenster und versuche, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Das gelingt mir idealerweise so, dass ich mich nach besagten 15 Minuten in einer Art Trancezustand befinde, in dem ich nur noch wie gebannt auf den Monitor schaue und meine Finger sich auf der Tastatur austoben, in meinem Kopf sich nur noch Programmieranweisungen befinden, die im nächsten Moment auch schon auf dem Display erscheinen. Und ehe ich mich versehe, ist die CD auch schon zu Ende, und ich drücke wieder auf PLAY, und irgendwann ist sie wieder zu Ende, und dann muss ich erst einmal was trinken oder auf die Toilette gehen oder Jlines spielen oder nochmals meine Mailbox abfragen oder chatten gehen. Aber chatten ist Scheisse und lenkt mich nur von meiner Arbeit ab, und ich zwinge mich, an meinem Programm weiter zu arbeiten. Aber irgendwie merke ich, dass ich RAUS bin, und ich wieder von vorn anfangen muss, mich in diesen Zustand zu versetzen.
Wie gesagt, das ist der Idealfall, der sich über einen Nachmittag hinziehen kann.
Und heute habe ich Glück, und ich erreiche auch diesen Zustand, in dem ich gut mit meiner Arbeit vorankomme. Doch dann, etwa eine Stunde später...
Ich höre plötzlich auf zu tippen und blicke aus dem Fenster, weil ich auf der anderen Strassenseite eine alte Frau registriere, die anfängt, ihr Fenster zu putzen. Als ich sie sehe, fokussieren sich meine Augen automatisch auf meine eigenen Fenster und denke, wenn die Alte fertig ist, kann sie gleich bei mir mir weitermachen. Sie zieht sich langsam am Fenster hoch, und ich denke, die Alte sollte es lieber lassen, als es wirklich passiert: Ihr Stuhl oder worauf sie sich auch gestellt hat, fängt an zu wackeln. Vielleicht hat sie sich vor ihrem kläffenden Hund erschreckt oder hat einfach aus Schwäche den Halt verloren, jedenfalls sehe ich nur noch, wie sie wie mit den Armen rudert und mit letzter Kraft versucht, sich irgendwo festzukrallen. Ich ahne bereits,was passieren könnte und lege schon mal meinen Laptop beiseite, da fällt ihr bereits das Putztuch aus der Hand. Mir stockt der Atem, als ich die Frau schreien höre und fast hätte sie sich auch gefangen, aber da fällt sie zur Seite und so ungünstig auf das Fensterbrett, dass sich ihr Schwerpunkt außerhalb des Fensters befindet. Die Alt fällt tatsächlich kopfüber aus dem 3. Stock.
Ich schrecke nun hoch und eile zum Fenster, welches angekippt ist, um vielleicht noch zu sehen, wie sie auf den Boden knallt, aber ich komme zu spät. Ich meine noch während ihres Falles einen Schrei zu hören, der sich aus ihrer alten Kehle quält und denke, das es ihr letzer ist.
Ich öffne das Fenster ganz und sehe, wie bereits Menschen auf die alte Frau zurennen, die völlig geknickt vor einem Hauseingang liegt. Ein kleines Kind mit einer blauen Mütze steht neben der Toten und schaut unglaubwürdig auf sie herab. Die Stimmen werden lauter und ich spüre die Hektik, die sich dort unten entwickelt. Eine jüngere Frau fängt hysterisch an zu kreischen und rennt in den Hauseingang wahrschenilich hoch in ihre Wohnung, wo sie sich auf der Toilette erst einmal übergeben wird. Das kleine Kind mit der blauen Mütze schaut sich verwundert um. Ein Mann kniet sich neben die alte Frau und dreht sie auf den Rücken. Ich sehe aus der Entfernung Blut auf die Strasse fliessen, weil wahrscheinlich ihr Kopf aufgeplatzt ist. Ein anderer Mann zückt sein Handy aus der Tasche und fängt wild gestikulierend an zu telefonieren, wahrscheinlich um einen Rettungswagen zu holen. Und während er telefoniert, fängt nun auch das Kind an zu plerren, und der Mann mit dem Handy hält sich das eine Ohr zu und wendet sich ab. Als er sich wieder umdreht, schreit er irgendwas, von wegen jemand sollte sich um das Kind kümmern und es von diesem Ort wegschaffen.
Der Rettungswagen kommt bereits 5 Minuten später.
Aber die Frau ist schon tot: Genickbruch, ihr Kopf ist aufgeplatzt, sie hat sehr viel Blut verloren und möglicherweise hat sie sich sämtliche Knochenbrüche zugezogen.
Eine große Menschenmenge hat sich nun um den Ort versammelt und ich sehe die Rettungssänitäter, oder sicher ist auch ein Notarzt dabei, die schliesslich in ihren Bewegungen immer langsamer werden,was vielleicht bedeuten soll, das der Frau nicht mehr zu helfen ist.
Sie legen eine Decke über die Frau und nun trifft auch die Polizei ein.
Aber das interessiert mich nun nicht mehr.
Ich schliesse das Fenster ganz und setze mich wieder. Ich bin leicht geschockt und mir ist etwas mulmig in der Magengegend. Aber die Bilder waren gut!
Und im selben Moment denke ich, dass ich für die nächste halbe Stunde programmieren ersteinmal vergessen kann, weil ich eh RAUS bin und schalte deswegen den Fernseher an. Im Fernsehen laufen die Nachrichten und dort erwartet mich der nächste Angriff auf mein Gemüt.