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Am Ententeich
Es war im vorigen Sommer. Nach den Vorlesungen nahm ich manchmal den Weg durch den Uni-Park. An seinem Ende liegt ein Teich. Immer, wenn ich dort entlangging, sah ich einen alten Mann auf der Bank sitzen, der die Enten fütterte. Seine Kleidung war schmutzig und zerrissen. Neben ihm standen Plastiktüten, aus denen Flaschenhälse hervorragten. Die meisten Spaziergänger rümpften die Nase, wenn sie an ihm vorüberkamen.
An einem besonders schönen Tag blieb ich am Teich stehen. Die Sonnenstrahlen glitzerten auf der Wasseroberfläche. Das Gefieder der Tiere schimmerte in warmen Farben. Der alte Mann kramte ein Stück Brot aus seiner Tasche hervor, das er ihnen bröckchenweise zuwarf. Die Enten schnatterten und drängten einander beiseite. Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, bis er mich bemerkte und heranwinkte. Einen Moment lang zögerte ich, dann trat ich zu ihm. Er bedeutete mir leise zu sein und streckte seine Hand aus. Eine der Enten watschelte aus dem Teich, schnappte sich mit einer schnellen Bewegung das Brot und schoss wieder ins Wasser zurück. Ich lächelte. Der alte Mann zwinkerte mir zu. Ich blieb noch eine Weile bei ihm sitzen, ehe ich mich verabschiedete.
Eine Woche darauf ging ich wieder durch den Park. Die Enten schwammen auf dem Teich, aber der alte Mann war nicht da. Auch am nächsten und am übernächsten Tag sah ich ihn nicht. Ich sah ihn überhaupt nicht mehr.
Wenn ich Zeit habe, setze ich mich auf die Bank und beobachte die Enten. Manchmal frage ich mich, ob sie ihn auch vermissen.