Was ist neu

Am Ende gingen alle ihres Weges…

Mitglied
Beitritt
19.11.2017
Beiträge
1

Am Ende gingen alle ihres Weges…

Sie strömten in die vier Himmelsrichtungen, und alle hatten die vergangenen Minuten und Ereignisse aus ihrem Bewusstsein verbannt. Der junge Mann, der alles um sich herum genau beobachtet hatte, der ältere Herr, seine Zeitung zusammengerollt unter den Arm geklemmt, das Schulmädchen, die Kopfhörer weiter fest in den Ohren verankert, der Inder, den leeren Kaffeebecher in der Hand, und natürlich die Tochter und ihre Mutter, deren Verhalten sie in den zurückliegenden Momenten unfreiwillig zu den Hauptdarstellern dieser kleinen Episode machte, und die es schafften, mehrere zueinander fremde Menschen im Geiste zu verbinden.

Als er an diesem Morgen um sechs in die Bahn einstieg, war alles wie immer, gewohnt und vertraut. Er saß im immer gleichen Abteil, und eine Stimmung des leisen Aufwachens umgab ihn und seine Mitreisenden. Es war ein nie ausgesprochener Konsens darüber entstanden, dass die Stille bewusst gelebt wird und ein jeder in dem ihm eigenen Rhythmus in den Tag starten kann.
Er beobachtete jeden Morgen die Menschen um ihn herum. Da war das Mädchen ihm schräg gegenüber, die Musik auf ihren Ohren gerade so laut eingestellt, dass niemand um sie herum wirklich ahnen konnte, welcher Künstler sie in den Tag begleitete, kein Bass oder ähnliches drang nach außen. Der Herr mit der Tageszeitung studierte intensiv Artikel um Artikel, hochkonzentriert brachte er sich auf den neuesten Stand. Den heißen Kaffee genießend startete der südostasiatisch stämmige Mann in seinen Tag. Ein unsichtbares Band der Stille und Ruhe verband sie alle.

Es war wie an jeder Station, für einen kurzen Augenblick wurde die Stille jäh durch Zu- und Aussteigende unterbrochen. Doch dieses Mal breitete sie sich nicht wieder aus.
Die Mutter setzte sich gegenüber des jungen Mannes, neben das Mädchen, schräg versetzt zum Zeitungsleser wie zum Kaffeetrinker. Ihre Tochter blieb aus Mangel aus freien Plätzen stehen, unmittelbar neben ihrer Mutter, welche das Rentenalter schon erreicht haben sollte,
Noch ehe das erste Wort fiel, musterte er die junge Frau mittleren Alters. Die dickabsätzigen Stiefel reichten bis zu den Knien, die unvorteilhaft enge Jeans, die jede Körperwelle deutlich kennzeichnete, war mit scheinbar großer Mühe über den wuchtigen Unterkörper getrieben worden. Gleiches galt für die eng anliegende Winterjacke, die trotz ihrer eigenen Dicke den üppigen Menschen darunter kaum zu verdecken vermochte. Das Gesicht blieb ihm fremd, es strahlte nichts aus, und das einsetzende Reden tat sein Übriges dazu.
Es kam wie ein Donnerschlag, und mit einem Mal veränderte sich alles.
Es begann, und die Frau startete ihren Monolog. Sie sprach jugoslawisch, der Klang ihrer Stimme war hart und unangenehm, und die Lautstärke erinnerte stark an einen Redner, der versucht, sich bei einer aufgebracht tosenden Menge Gehör zu verschaffen. Die Verbindung der Nebendarsteller war binnen Sekunden hergestellt. Die Fremde hatte ihren Alltagsbrauch massiv unterbrochen, sie war fremd, verhielt sich fremd und sprach in einer fremden Sprache.
Die Zeitung geriet zur Nebensache, der Kaffee wurde bitter und selbst die Musik vermochte ihren Zweck nicht mehr zu erfüllen. Lediglich der Beobachter empfand eine gewisse Süffisanz an der Situation.
Wer war diese Fremde, und war sie es, die sich fremd verhielt, oder waren die Gewohnheitsmenschen diejenigen, die sich kaum einer neuen Situation anpassen oder mit ihr anfreunden konnten. Wäre es anders wenn sie deutsch gesprochen hätte? Wenn ihre äußerliche Erscheinung eine angenehmere gewesen wäre?
Die weitere Fahrt beherrschte sie das Geschehen, keiner konnte sich ihr mehr entziehen. Es war kurz vor Erreichen der Endstation, da geschah bemerkenswertes:
Die Mutter ermahnte ihre Tochter anscheinend, leiser zu sprechen, zumindest deutete ihre Körpersprache darauf hin. Während diese sich zügelte, begann im Rest des Abteils ein anregendes Gemurmel zu entstehen, und so verschwand die fremde Stimme mit samt ihres fremden Verhaltens in einer größer werdenden Masse an Kommunikation.

Die Bahn hielt, die Menschen gingen ihrer Wege, und der beobachtende junge Mann freute sich schon auf den nächsten Morgen.

 

Hola Bahnchris,

sprichst Du europäisch:)? Klingt ungefähr so wie:

Bahnchris: schrieb:
Sie sprach jugoslawisch, ...
:D.
Auf jeden Fall willkommen im WK-Forum!

José

 

Hallo Bahnchris

Ich nehme an, der Pendler in dir verarbeitet seine Erlebnisse. ;)

Den ersten Absatz kannst du getrost streichen, ich würde direkt mit "Als er an diesem Morgen um sechs in die Bahn einstieg, war alles ..." einsteigen. Das erzeugt gleich mehr Fahrt.

Nach dem letzte Satz fragte ich mich allerdings, was war da jetzt humoristisch dran? Klar, Humor ist immer auch eine Geschmacksfrage, mir fehlt halt das übertriebene Element, z.B. ein realer Konflikt, der sich grotesk zuspitzt und in amüsanter Art auflöst.
Dein Text stellt eine mollige junge Person zur Schau, die in einer fremden Sprache anscheinend ohne Gegenpart zu referieren beginnt. Ein strenger Blick der Mutter und schon nimmt sie sich zurück, während der allgemeine Geräuschpegel anderer Gespräche zunimmt.

Das ist mir zuwenig, das ist simpler Alltag, mit flegelhaften Adjektiven auf Lustig getrimmt.

Texmex:

kein Bass oder ähnliches drang nach außen.
Bei Ohrstöpseln dringen nur die hohen Töne wie vom Hi Hat nach draussen, der Bass wird geschluckt.

Der Herr mit der Tageszeitung studierte intensiv Artikel um Artikel,[PUNKT] hochkonzentriert brachte er sich auf den neuesten Stand.

Ein unsichtbares Band der Stille und Ruhe verband sie alle.
Unschöne Wortwiederholung

Doch dieses Mal breitete sie sich nicht wieder aus.
Hier musste ich zweimal lesen, die ausbreitende Stille war mir nicht gleich klar.

Die Mutter setzte sich gegenüber des jungen Mannes, neben das Mädchen, schräg versetzt zum Zeitungsleser[KOMMA] wie zum Kaffeetrinker.
Ist recht kompliziert ausgedrückt, spätestens hier würde ich über eine Perspektive als Ich-Erzähler nachdenken. "Die Mutter setzte sich mir gegenüber, neben das Mädchen mit den Kopfhörern."

Ihre Tochter blieb aus Mangel aus freien Plätzen stehen, unmittelbar neben ihrer Mutter, welche das Rentenalter schon erreicht haben sollte,[PUNKT]
aus Mangel freier Plätze stehen. Der Rest kann weg. Auch die abschätzig wirkenden Altersangaben (Rentenalter/mittleres Alter) tragen nichts zur Geschichte bei.

Die Fremde hatte ihren Alltagsbrauch massiv unterbrochen, sie war fremd, verhielt sich fremd und sprach in einer fremden Sprache.
Zu wem spricht die Frau? Hier fehlt mir das Motiv. Wenn sie ein Handy hätte, ja dann würde es einen Sinn ergeben, aber einfach so? Tourette-Syndrom?

Die Zeitung geriet zur Nebensache, der Kaffee wurde bitter und selbst die Musik vermochte ihren Zweck nicht mehr zu erfüllen. Lediglich der Beobachter empfand eine gewisse Süffisanz an der Situation. Wer war diese Fremde, und war sie es, die sich fremd verhielt, oder waren die Gewohnheitsmenschen diejenigen, die sich kaum einer neuen Situation anpassen oder mit ihr anfreunden konnten. Wäre es anders wenn sie deutsch gesprochen hätte? Wenn ihre äußerliche Erscheinung eine angenehmere gewesen wäre?
Kann der Beobachter in die Köpfe der anderen blicken? Finde ich etwas anmassend, für alle Anwesende zu sprechen. Die Fragen werfen denn auch eher ein schlechtes Licht auf den Beobachter, denn auf die junge Frau.

Die weitere Fahrt beherrschte sie das Geschehen, keiner konnte sich ihr mehr entziehen.
Das holpert, und warum konnte man sich ihr nicht entziehen? Verstanden die Reisenden alle Kroatisch/Serbisch/Slowenisch? :p

Es war kurz vor Erreichen der Endstation, da geschah bemerkenswertes:
Die Mutter ermahnt ihr Kind, und zwar nonverbal. Boah, wie bemerkenswert. Nein, Bahnchris, das ist mau.

Das ist natürlich nur meine Meinung und vielleicht sehen das andere ja ganz anders.
Ich hoffe, du kannst mit meinen Gedanken trotzdem was anfangen.

Viel Spass noch hier.
Liebe Grüsse, dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Bahnchris,

obwohl Du den Ball bei Deiner ersten KG flachhältst, saß ich doch mit im Abteil bei diesen braven Leuten. So kennt man das, und so ist es auch gut.
Könnte auch die Wohnsituation der Leute „em Veedel“ oder sonstwo sein.

Dann kommen die Fremden; sehr aktuell. Bis auf das Plappermaul hast Du die ziemlich zurückhaltend gezeichnet, aber ausreichend, um die neue Situation zu beschreiben.
Viele Leser werden hierzu ihre eigenen Gedanken oder Erfahrungen haben und es ist ein ganz brisantes Ding.
Deshalb gibt’s von mir auch:thumbsup: für Deine Geschichte, denn um dieses Thema machen die meisten Autoren – und auch ich – einen Bogen. Zu schnell wird man in die falsche Ecke gestellt, fast ist es ein bisschen riskant, einen Text zu erstellen, der nicht hundertprozentig ‚politisch korrekt’ ist.
Wenn man’s aber täte, dann wär’ das eine Heidenarbeit. Grips und Fingerspitzengefühl wären notwendig. Statt von eins bis zehn brauchte hier die Sensibilitätsskala eine feinere Einstellung – von eins bis hundert. Jedoch wäre das eine tolle Arena; fast bis zum Eklat könnte man alles ausreizen, um dann das große Versöhnungsfest zu feiern – oder so ähnlich:shy:.
Momentan sieht’s so aus, als ob wir diese Thematik ‚überschweigen’.

Auch Du hast ein Ende ohne viel Aufwand gesucht – was mir allerdings nicht einleuchtete:
Wieso reden / kommunizieren plötzlich die Abteilinsassen miteinander, die sonst allmorgendlich sehr separiert die Zugfahrt hinter sich brachten?

... so verschwand die fremde Stimme mit samt ihres fremden Verhaltens in einer größer werdenden Masse an Kommunikation.
Die ‚größer werdende Masse an Kommunikation’ liest sich wie ein buchhalterischer Begriff, und dafür sind der junge Mann, das Mädchen, der Zeitungsleser und der Inder zu wenig.
Auch diese Behauptung finde ich sehr willkürlich:
... die Tochter und ihre Mutter, deren Verhalten sie in den zurückliegenden Momenten unfreiwillig zu den Hauptdarstellern dieser kleinen Episode machte, und die es schafften, mehrere zueinander fremde Menschen im Geiste zu verbinden.
Diese schöne Formulierung sollte etwas Positives ausdrücken, aber ist das wirklich so?

Es ist Deinem Text anzumerken, dass Du Schreiberfahrung hast. Ich hab’s gerne gelesen und spekuliere, ob Du hin und wieder ein heißes Eisen anfasst. Mich tät’s freuen.
Noch ein paar Kleinigkeiten:

der südostasiatisch stämmige Mann ...
Klingt furchtbar umständlich. ‚Inder’ ist okay.
... , da geschah bemerkenswertes ...
mit samt
mitsamt
Die Mutter setzte sich gegenüber des jungen Mannes, ...
Dativ

Einen schönen Gruß von mir!
José

 

Hallo Bahnchris,

ab und zu lese ich gerne einen erbaulichen humorigen Text. Besonders an grauen Novembertagen.
In deiner Geschichte habe ich den Lustig-Faktor vergeblich gesucht. So inflationär wie du das Wort „fremd“ verwendest, vermute ich eher einen schwelenden Unterton, der mir gar nicht gefällt. Kürzlich hörte ich das Gespräch einiger Brionigewandeten vor einem Bankturm, die drei Farbige beobachteten. „Die Kanaken gehen jetzt da rein, weil’s dort kostenlos WLAN gibt.“ Sie kicherten lauthals.

Die Fremde hatte ihren Alltagsbrauch massiv unterbrochen, sie war fremd, verhielt sich fremd und sprach in einer fremden Sprache.
lachst du da drüber?

Willkommen hier, auch wenn es sein kann, dass du den Kommentar weder liest noch beantwortest. Schließlich hast du auf die anderen auch nicht reagiert.

Viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Bahnchris,

erst mal möchte ich dich ganz herzlich hier bei den Wortkriegern begrüßen.

Danke, dass du uns mit in dieses Abteil genommen hast.

Dein Schreibstil gefällt mir, du schreibst flüssig, deine Beschreibungen sind bildhaft und du nimmst den Leser mit.

Deine Zuordnung in die Kategorie Humor passt nicht wirklich. Es kann sein, dass sich der Beobachter der quasselnden Fremden und der Mitreisenden still amüsiert hat, aber das lässt sich nicht schriftlich transportieren, Loriot schaffte diese Situationskomik auch nur filmisch.
Es passiert zu wenig. Du könntest nur etwas Komik in die Situation bringen, indem die Mitreisenden überzogen genervt reagieren.

Die Zeitung geriet zur Nebensache, der Kaffee wurde bitter und selbst die Musik vermochte ihren Zweck nicht mehr zu erfüllen
Du behauptest das, aber woran machst du das fest?

Ja, mit der politischen Korrektheit ist es sehr schwierig und da läuft man Gefahr Prügel zu beziehen. Gehört ein Werk aber tatsächlich zum Genre Humor/ Satire hast du einen etwas größeren Spielraum. Dort darf man in einem gewissen Rahmen mit Klischees spielen.

Ich lese in deiner KG aber absolut keine Fremdenfeindlichkeit, im Gegenteil. Dein Beobachter ist sehr selbstkritisch, er fragt sich sogar, ob sie anders gewirkt hätte, wäre sie nicht mollig oder hätte sie deutsch gesprochen.

die Gewohnheitsmenschen diejenigen, die sich kaum einer neuen Situation anpassen oder mit ihr anfreunden konnten. Wäre es anders wenn sie deutsch gesprochen hätte? Wenn ihre äußerliche Erscheinung eine angenehmere gewesen wäre?
Hier sehe ich eher den Appell, toleranter zu sein.


Du hast jetzt hier dein "Baby" in den Ring geworfen, es wartet darauf verteidigt zu werden und wir auch. ;-)


Ich würde mich freuen, mehr von dir zu lesen.


Liebe Grüße

Matahari

 

Hallo,
dotslash hat hier recht.
Berta, das Ei ist hart liest sich ganz wunderbar amüsant, es ist ja auch ein Dialog. Es gibt noch andere herrliche Geschichte von Loriot, die ich gerne lese.
Mit meiner Bermerkung meinte ich auch nur jene Szenen, wo es um reine Beobachtungen wie in der Bahnchris Story geht, ohne Handlungen, geschweige denn überzogene Handlungen.
Loriot ´s "Das Bild hängt schief" z.B. funktioniert nur über die filmische Darstellung. Die Mimik transportiert hier die Komik.
Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt.:Pfeif:

Liebe Grüße
Mata

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom