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Am Ende des Regenbogens -0- Die Kreissägenreitervorgeschichte
Bob schritt den Hügel hinauf. Da die Oberfläche mit Kratern bedeckt war, sah dieser Hügel wie eine Billigversion der Mondlandschaft aus, mit käsig bleichem Kalksteinboden, rissig und zerklüftet.
Vor ihm stand ein kleiner Verkaufsstand auf dem Gipfel, hinter dem die Klippe steil abfiel. Er war nur ein Tisch, auf dem sich Akten und Dokumente befanden, deren Seiten im sanften Höhenwind hin und her geblättert wurden. Der Verkäufer: Nirgends zu sehen.
Es war eine Falle. Das herannahende, extrem gefährlich wirkende Geräusch kündigte Bobs erste Begegnung mit dem Kreissägenfahrer an. Bobs wahre Absichten waren aufgeflogen, jetzt stand ihm die sichere Exekution bevor.
Anscheinend schien es niemanden zu kümmern, dass er ganz und gar nicht damit einverstanden war, in der Mitte seines Körpers gespalten zu werden, schon gar nicht, wenn dies von einer im Sopran kreischenden 30-Zoll-Kreissäge vollbracht wurde.
Der Kreissägenfahrer, die allerbizarrste aller allerbizarrsten Gestalten im Universum, mit Ausnahme vielleicht des Bewohners des Planeten Mankius, war ein wilder, verrücktanmutender Einradfahrer mit Schweißerbrille und Pilotenkappe. In grotesker Pose fuhr er auf seinem Presslufthammer durch die endlichen Weiten des Universums.
Das untere Ende des Presslufthammers war zu einem Einrad umfunktioniert worden, dessen „Rad“ die berüchtigteste Kreissäge im Multiversum war.
Es war noch keinem Todgeweihten gelungen, ihr mehr als einer Stunde zu entkommen.
Auf einmal war er ganz nah, der verrückte Fahrer. Er kam hinter einem halbmannshohen Kraterrand hervorgeschossen und preschte direkt auf Bob zu. Was sollte dieser tun? Hinter ihm ging es in die Tiefe, vor ihm wurde sein Weg von einem gewissen Kreissägenmann abgeschnitten.
Bob sprang auf den Tisch des Verkäufers, die letzte Zuflucht vor der bodennahen Kreissäge. Der mit vierzig Kilometer pro Stunde fahrende Raser war nur noch wenige Meter von Bob entfernt.
‚Wahrlich eine verrückte Gestalt’, war das Letzte, was Bob durch den Kopf schoss, als der Fahrer direkt vor ihm war: Ein affenartiges Wesen, hockend, die Beine gespreizt, nur die Füße umfassen den Lenker, und das Gesicht eines Goblins aus Warcraft 3.
Aus einem Reflex heraus sprang Bob nach oben. Der Goblin raste unter ihm hindurch, man hörte, wie der Tisch unter der rotierenden Kreissäge zerbarst. Im hohen Bogen, wie von einer Sprungschanze fliegend, schoss der Kreissägenfahrer vom Gipfel des Mondlandschafthügels, begleitet von einem gellenden Geheul.
‚Völlig durchgeknallt, dieser Typ’, dachte Bob, als er selbst auf dem Boden landete.
Er wusste, wie zäh der Kreissägenmann war, deshalb vergeudete er keine Zeit und rannte den Hügel hinunter in Richtung Stadt.
Er gelangte auf die Hauptstraße, die leicht nach oben führte. Er rannte, als ob der Shaitan persönlich hinter ihm her wäre. Es lässt sich allerdings darüber streiten, ob der Shaitan schrecklicher als der Kreissägenfahrer ist.
Bob sauste an den Markisen vieler Blumenläden vorbei, doch natürlich war seine Flucht vergeblich, denn schon hörte er wieder die kreischende Kreissäge von hinten nahen.
Das Geräusch holte mit immenser Geschwindigkeit auf und schon war es wieder hinter ihm.
Bob wollte schon aufgebend stehen bleiben, als er einer kleinen Seitengasse gewahr wurde, in die er schnell verschwand. Die Kreissäge sirrte sehr knapp an ihm vorbei. Der Kreissägenfahrer war aufgrund seines Gefährts etwas eingeschränkt im schnellen Wenden.
Bob benutzte von nun an nur noch kleine Nebengassen. Das ging so lange gut, bis er die Stadt am anderen Ende wieder verließ.
Er befand sich rennend auf offener Ebene, leichter konnte er es dem Kreissägenfahrer gar nicht machen. Und schon wieder hörte er das Sirren der Säge hinter ihm. Warum nur hatte Bob das getan?
„Finden und töten Sie diesen Betrüger!“
„Wenn die Bezahlung stimmt, finde und töte ich für Sie sogar den Shaitan persönlich.“
„Ein andermal vielleicht.“
Bobs Auftraggeber verziehen ihm und vereinbarten mit ihm ein Treffen. Sie wollten sich mit ihm auf einem Hügel treffen, bei einem Verkaufsstand.
Bob nahm die drei Millionen Zorsch, die gültige Währung auf dem Planet und verschwand.
Warum nur hatte Bob das getan? Nun musste er die Suppe auslöffeln, die er sich eingebrockt hatte. Aber wenigstens hatte er ein Brotstück, um dies zu tun: Er war, wie er schnell nachgerechnet hatte, nun schon seit drei Stunden erfolgreich auf der Flucht vor dem Kreissägenfahrer. Das war absoluter Rekord. Damit hatte er den bisherigen Rekordhalter, Zing Poing, aus der Dressingstraße, um das Dreieinhalbfache übertrumpft. Schade, dass er diesen Ruhm nicht genießen konnte.
Bob war ein Auftragskiller – wenn auch nicht einer des Kalibers des Kreissägenfahrers. Eines Tages erschien ein Klient in seinem Büro. Er erschien einfach, ohne, dass er durch eine Tür oder Ähnliches den Raum betreten hatte.
„Ich habe gehört, Sie sollen der Beste sein?“
„Ich? Nein, ich bin auf der gerade neuen, aktualisierten Weltrangliste der Auftragskiller nur auf Platz 34.“
„... Okay, eigentlich hätten Sie antworten sollen: ‚Schon möglich. Was kann ich für Sie tun,... Lady?’“
„Aha. Also, am Besten kommen Sie noch mal rein.“
„Ich habe gehört, Sie sollen der Beste sein?“
„Schon möglich. Was kann ich für Sie tun,... was sind Sie eigentlich?“
„Das ist nicht von Interesse. Wir möchten, dass Sie diesen Mann ausschalten. Wir zahlen Ihnen drei Millionen Zorsch.“ Das ging weit über sein normales Honorar. Plus Spesen.
„Kein Grund, das in Buchstaben zu sagen.“
Die Gestalt reichte Bob ein Foto.
„Auf der Rückseite finden Sie Adresse und weitere nützliche Informationen.“
„Aha. Ich mag es gerne, wenn ich weiß für wen ich arbeite. Also, Sie sind...“
„Wir sind die mit den drei Millionen.“
„Ah, ja.“
Schon wieder hörte er den Presslufthammer hinter sich. ‚Presslufthammer’, dachte er. ‚Komisches Wort eigentlich. Ich meine, wenn man es einmal mit ‚Auto’ vergleicht...“
Und dann geschah etwas, dass aus dem ‚Kreissägenfahrer’ einen ‚Kreissägenreiter’ machte: Ihm ging der Sprit für seinen Presslufthammer aus.
„Des dorf net wohr sei!“, dachte er sich. „Ausgrechnat jotzt, wann ich ein Ufftrag hätt.“
Wutentbrannt – es gab niemanden, der seinen ekligen Dialekt mehr als er selber hasste – musste er mitansehen, wie Bob juchzend entkommen konnte.
Aber er war es, der lachte, als er sah, dass Bob stürzte, sich ein Bein brach und hinfiel. Fast sofort kamen wie aus dem Nichts riesige Oktaflügler angeschossen, das multiversale Äquivalent zu irdischen Geiern, und trugen den bewusstlosen Körper fort, wahrscheinlich, um ihn an ihre Kinder zu verfüttern.
Der Kreissägenfahrer – noch war er es – betrachtete damit seinen Auftrag als erledigt und machte sich wieder auf den Weg durch das Multiversum, um Existenzen auszulöschen.
Irgendwann vergaß er Bob. Was natürlich nicht korrekt ist, denn der Kreissägenfahrer vergisst nie ein Opfer. Aber er vergaß ihn. Was natürlich nicht korrekt ist. Aber er vergaß ihn halt so, dass er nicht an ihn dachte. So. Das war eine der Vorgeschichten des Kreissägenreiters. Der Kreissägenreiter vergisst nie.