Am Ende der Reise
Er hatte in seinem Leben schon so viel gesehen...
Auf der anderen Seite der Galaxie war er auf den Schockwellen explodierender Sterne geritten, hatte die Materieströme zwischen kollidierenden Roten Riesen durchflogen, den siebenfachen Sonnenaufgang auf Plejax III beobachtet und in die verschlingende Düsternis im Auge eines Schwarzen Lochs geblickt.
Situationen größten Erstaunens, Momente voller Erfurcht aber auch erschütternden Schreckens – all diese Bilder tauchten nun vor seinem geistigen Auge wieder auf.
...Die übelriechende Ursuppe auf Aräum VII, deren Evolution er auf die Sprünge geholfen hatte...
...Die blinden Wale von Ulgur IX, die ihre gigantischen Leiber aus dem goldenen Ozean erhoben und der sinkenden Sonne entgegensprangen...
...auf dem Mond des Cestus hatte er gegen die Tentakeln der bleichen Zungenquallen gekämpft um ihnen ihre für die Forschung so wichtige Brut abzuringen...
...In den fernen Ausläufern von Omega Centauri war er auf urzeitliche Dinosaurier gestoßen, die in ihrer Bestialität gewaltige Artgenossen jagten und die zerfleischten, von Insekten umschwärmten Kadaver den aasfressenden, geflügelten Ungetümen überließen...
...Und in noch ferneren Welten hatte er fremdartige protoplasmatische Lebensformen entdeckt, quillendes amorphes Leben, so fern aller menschlichen Vorstellungskraft, dass die Forschungen letztendlich an seinem eigenen Unverständnis scheiterten.
Das alles lag jetzt so weit zurück und die Dinge, die einst das erschütterten, was er als grundlegende Erfahrung des Menschseins ansah, beeindruckten ihn kaum noch. Es war so friedlich hier, an diesem Ort. Fast schwerelos schwebte er durch diese weiche Umgebung und bis auf die gedämpften Geräusche von weit außerhalb und das beruhigende, rhythmische Pumpen seines Sauerstoffgeräts war es ganz still.
Als Exobiologe hatte er natürlich immer wieder Begegnungen mit solchen unglaublichen Monstrositäten gehabt. Obwohl er sich bisher immer vor dem oft tödlichen Einfluss dieser Geschöpfe rechtzeitig hatte in Sicherheit bringen können, verfolgten sie ihn jedoch bis in seine Alpträume.
Aber eigentlich waren diese fremdartigen Wesen gar nicht das, was ihm die langen Jahreb am meisten zugesetzt hatte. Viel erschreckender war doch das Universum an sich, in seiner unendlichen Unfassbarkeit, chaotischen Finsternis und leeren Einsamkeit. Dieses gesichtslose Grauen war immer Teil seines Raumfahrerlebens gewesen, hatte ihn immer umgeben auf seinen Reisen und doch hatte er die agoraphobische Beklemmung die die Trostlosigkeit des Alls in ihm auslöste, nie überwinden können.
War er doch nach Außen hin der gefeierte Held, der große Forscher und Weltraumpionier musste er innerlich gegen eine Macht kämpfen, die stärker war als sämtliche Gefahren die seine abenteuerliche Arbeit mit sich brachte. Eine Macht, die ständig drohte ihn von innen heraus zu zerfressen. Viele, die wie er lange Zeit im Weltall verbrachten, wurden darüber Wahnsinnig - so weit war es aber bei ihm Gott sei Dank noch nicht gekommen. Doch die andauernde unterschwellige Angst kannte auch er sehr gut.
Ständig fröstelte es ihm – als ob sich auch sein Körper an die tödliche Kälte des Alls erinnerte.
Ständig war da diese Schreckhaftigkeit und schleichende Ungewissheit wegen der überall lauernden Gefahr, die nur darauf zu warten schien sich ihn zu greifen und in die Verdammnis zu stoßen.
Doch jetzt im Moment war alles ganz anders. Er fühlte sich völlig entspannt und Wärme durchströmte seinen Körper. Es war angenehm hier...
Kurz dachte er gar an die Erde. Tausende von Lichtjahren lag sie entfernt, dieser hübsche kleine Ort den sie noch immer alle Heimat nannten - doch sie war nur ein unbedeutender Punkt im Horror des Universums.
Immer hatte er gekämpft, sein ganzes Leben lang ist er stark gewesen und nie hatte er sich von all den Gefahren unterkriegen lassen, war es auch noch so schwer.
Letztendlich war es dann aber doch passiert....
Auf seiner letzten Forschungsreise landete er mit seinem Raumschiff in der grünen Hölle dieses düsteren, verdächtig dampfenden Steinkohlewaldes und stapfte wenig später durch das kniehohe, trübe und stinkende Wasser des zwischen den Wurzeln lauernden Sumpfes. Einen Tauchgang zur Erforschung der Unterwasserwelt hatte er auch geplant – und es grauste ihm vor der möglichen Begegnung mit riesigen unbekannten Wesen am schlammigen Grund des Gewässers.
Er sollte Recht behalten: kaum war er untergetaucht, schnellte die fette, wurmartige Kreatur, die sich mit ihren hunderten Ärmchen an den verrotteten Unterwasserpflanzen festgekrallt hatte, hervor und sog ihn mitsamt Unmengen brauner Brühe in ihren dunklen Schlund. Tief im aufgeblähten Bauch des schwammigen Ungeheuers, dieser riesigen, sich windenden Wurmmutter, fühlte er sich nun auf eine seltsame Art behaglich und zufrieden. Während die pumpende Peristaltik ihn stetig dem Gedärm und der Verdauung entgegentreiben ließ, fühlte er sich wunderbar geborgen und langsam schwanden alle Erinnerungen an die kosmischen Schrecken die er erlebt hatte.