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Am Anfang war WEISS

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10.09.2002
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Am Anfang war WEISS

Eine Leinwand steht im Raum. Sie ist gross und noch völlig weiss.
Doch wie die Zeit so voranschleicht, kommen Leute an dieser Leinwand vorbei. In ihren Händen halten sie Eimer bis obenhin gefüllt mit Farbe und ohne die Leinwand eines längeren Blickes zu würdigen, schütten sie ihre Farbe über die einst weisse, unberührte Fläche. Jeder, der vorbeikommt trägt seinen eigenen Eimer, mit dem er die Leinwand bekleckert. Ihre Bewegung, wenn sie mit ihren Eimern durch die Luft fahren, ist nicht kontrolliert, hat selten ein bestimmtes Ziel zu Grunde liegen, es ist einfach ein Akt der Gleichgültigkeit und Gewohnheit. Und so füllt sich die Leinwand mit Farbe. Mit den verschiedensten Farben, in den unmöglichsten Formen und Mustern. Und aus der leeren Leinwand wird ein Gemälde, ein Gemälde des Zufalls.
Wenn man weiter hinein in den riesigen Raum blickt, so sieht man noch tausende weiterer solcher Leinwände und Personen, die mit ihren Farbeimern von der einen zur anderen gehen und ihre Spuren hinterlassen.
Einige der Bilder sind schon mit zentimeterdicken Schichten von Farbe bedeckt, manche noch beinahe weiss. Andere sind schon so alt, dass sie langsam auseinander fallen und zum Schluss von mysteriösen Gestalten weggeräumt werden, in einen geheimen, versteckten Raum.
Ich sah hinein, durch den offenen Spalt der Eingangstüre. Ich sah hinein, in die Galerie MENSCH.

 

Hi
Ich fand deine Geschichte nicht schlecht, erst am Ende war klar um was es ging, gut gemacht. Die Geschichte kann man flüssig lesen.

cu

 

Hi Jismail,

die Idee des Textes an sich finde ich gar nicht schlecht. Allerdings müsstest Du, zumindest für meinen Geschmack, einige Abschnitte noch ausbauen bzw. einige (scheinbare) Allgemeinplätze durch eigene Bilder und Formulierungen ersetzen.

Ich erlaube mir einfach mal durch die Geschichte hindurchzugehen:

Sie ist gross und noch völlig weiss
Auch nach neuer Rechtschreibung: groß , weiß (da nach langem Vokal bzw. Diphtong); wozu die Worte "noch völlig"? Der Leser sieht doch im Laufe der Geschichte, was mit der Leinwand passiert.

Wieso "schleicht die Zeit voran"? Der Rest der Schilderungen passiert in Normalzeit bzw. sogar im Zeitraffer.

...hat selten ein bestimmtes Ziel zu Grunde liegen,
Diese Formulierung ist sehr ungeschickt; ein Ziel wird anvisiert, angestrebt; zu Grunde liegt ein Plan, ein Muster o.ä.
Überhaupt habe ich bei diesem Absatz das Gefühl, Du könntest noch eindringlichere Bilder finden. Viele kommen einem auch vor, als hätte man sie schon oft irgendwo gelesen. "Einfach ein Akt der Gleichgültigkeit ..." z.B. ist etwas zu wenig für meine Vorstellungskraft, bzw. die des Lesers. Verstehtst Du, worauf ich hinaus will?

Ach ja, einen kleinen Logikfehler habe ich auch gefunden: zu Beginn schreibst Du, die Leute würden volle Farbeimer zur Leinwand tragen, später schilderst Du wie sie von Leinwand zu Leinwand gehen. Es müssen also auch Personen mit halbleeren Eimern unterwegs sein, oder?

und zum Schluss von mysteriösen Gestalten weggeräumt werden, in einen geheimen, versteckten Raum.
Warum werden sie weggeräumt und warum sind die Gestalten mysteriös? Können die Bilder nicht einfach verfallen? Das wäre evtl. auch noch auszugestalten.

Eine Leerzeile würde die letzten beiden Sätze gut vom übrigen Text abheben.

Soweit meine Gedanken dazu, nix für ungut; meiner Meinung nach ein Experiment aus dem noch eine schöne Geschichte werden kann :)

 

hallo zusammen
vielen dank erstmal für eure Meinungen.
vielen Dank auch dir Raskolnika für die etwas kritischere Meinung.
Das mit dem Doppel "s" gleich vorweg, ich komme aus der Schweiz und bei uns wird doppel"s" immer ausgeschrieben.
die leute welche die Bilder fortbringen, stehen für den Tod und die dazugehörige gesellschaftliche Ordnung.
Wir lassen die Leute ja auch nicht einfach auf der Strasse verwesen.
Auch den Logikfehler der Farbeimer darf ruhig so stehen bleiben. Das Bild, das ich beschreibe ist ja nicht real und so darf es ruhig solche "Logikfehler" geben, da die Geschichte keiner Logik unterliegt.
Ich werd den Text aber auf alle Fälle später noch einmal durchlesen und bearbeiten.

Nochmals danke und gruss
jismail

 

Hi Jismail,

... und so darf es ruhig solche "Logikfehler" geben, da die Geschichte keiner Logik unterliegt.
Ist doch nicht wahr. Selbstverständlich unterliegt deine Geschichte einer Logik. Wenn sie das nicht täte, könntest du auch keine Metapher auf das Leben bilden, was du ja aber tust. Nur eben weil die Geschichte in sich einer gewissen Logik folgt, können wir, als Leser, deine eigentliche Absicht erkennen und zuordnen. Wäre sie einfach nur wirr und ziellos, gelänge uns das nicht.

Was ich interessant finde ist, dass du dem Menschen in deiner Geschichte, keinerlei Macht von Eigenbestimmung zugestehst. Andererseits bestimmen aber auch nicht höhere Kräfte über ihn, sondern einfach "nur" seine Mitmenschen. Das heißt, das was ein Mensch darstellt, was sein Leben ausmacht, wird in deiner Geschichte einzig und allein von anderen Menschen bestimmt, das Individuum an sich hat keinen Einfluss. Denn die Leinwand steht ja doch wohl für den Menschen bzw. das Leben. Und er bekleckert sich nicht selbst, sondern wird nur von anderen gemalt.

Womit ich mehr anfangen könnte, wäre zB, wenn man viele Maler vor ihren Leinwänden sieht und jeder bepinselt sozusagen sein eigenes Leben. Jeder hat ein gewisses Bild vor seinem geistigen Auge, wie das Gemälde einmal auszusehen hat. Die Maler stehen aber nicht nur still vor ihren eigenen Werken, sondern treten auch in Interaktion mit anderen Menschen, wandeln also herum und fügen bei anderen vereinzelte Pinselstriche hinzu, was zu einem völlig anderen Erscheinungsbild führt. Der Maler hat also keine Chance mehr, sein Werk genau so zu malen, wie er es wollte, er muss sich auf die neue Situation einstellen und es ergibt sich zwangsläufig ein anderes Bild.

Oder eine andere schöne Metapher auf die Menschheit (könnte ich mir als "künstlerischen" Kurzfilm vorstellen):
Man sieht Malerhände in Großaufnahme, große dicke Pinselborsten verteilen Farbe auf weißer Leinwand. Man sieht andere Hände, andere Pinsel, andere Farben. Der eine malt fein und graziös, ein anderer ungestüm und wild, der nächste mit Händen und Füßen, wieder ein anderer mit seinen Haaren oder verschüttet einfach Farbe, etc.
Die Kamera fährt schließlich langsam rückwärts und erst jetzt wird dem Zuschauer klar, dass es sich um eine einzige große Leinwand handelt, dass niemand nur für sich alleine malt, jeder jeden beeinflusst und das Gemälde im Endeffekt ein Spiegelbild der Menschheit darstellt.

Naja, nur so eine Idee. Aber immerhin hat mich dein Text offenbar inspiriert. ;)
Übrigens versteh ich nicht ganz, warum du ihn unter Experiment laufen lässt. Dachte, das bezöge sich eher auf die äußere Form. Aber auch inhaltlich seh ich das nicht als Experiment. Dein Text ist einfach eine Metapher und würde wahrscheinlich am ehesten noch unter Philosophisches fallen.

Grüße
Visualizer

 

hi visualizer

ich weiss auch nicht, ob der Mensch als Individuum sehr viel bestimmt. Die Leute mit den Eimern, stehen nicht nur für die Mitmenschen sondern auch für die Erfahrungen und Geschehnisse die um einen von statten gehen.
Bei Geburt ist jeder ein Baby und jeder gleich. Das, was dann kommt prägt ihn doch, auch seine Entscheidungen, werden davon geprägt wie er "gemalt" wurde.
Hitler ist auch nicht als böser Mensch zur Welt gekommen.
Irgendwie deprimierend, aber ich bin nicht sicher ob viel mehr dahinter steckt, ob es eine Seele oder so was wirklich gibt, die eben individuell ist.
Weiss nicht, ob ich klar machen konnte, was ich meine, ist mir vorher ja nicht so geglückt.
Trotzdem danke viel mal für deinen Vorschlag, wäre interessant zu wissen, wie du das siehst.

gruss Jismail

 

Verschoben von Experimente nach Philosophisches.

 

Hi Jismail,

wie ich das sehe, hab ich doch eh schon angerissen. Ich stimme mit dir überein, dass äußere Einflüsse große Macht über uns haben, aber im Gegensatz zu dir (oder zumindest zu deinem Text), halte ich die Selbstbestimmung des Individuums nicht nur für ein Schlagwort. Es ist einer von vielen Faktoren, aber so dass wir gar nichts mitzureden hätten, wohin unser Weg führt, das seh ich nicht so.

Aber auch deinen jetzigen Satz "Bei Geburt ist jeder ein Baby und jeder gleich" will ich so nicht unterschreiben, weil ja vieles schon in den Genen und Erbanlagen vorprogrammiert ist, was uns voneinander unterscheidet. Es sind eben nicht nur die äußeren Einflüsse und Entscheidungen, die einen prägen, sondern meiner Meinung nach sehr wohl auch unser tiefstes innerstes Selbst. In wie fern das jetzt wirklich eigener Wille ist oder dieser eigener Wille nicht doch auch wieder nur Vorbestimmung, ist halt genau der Knackpunkt und natürlich nicht so einfach, wenn überhaupt, zu beantworten. Aber diese Fragen sind ja schließlich das Schöne an der Philosophie. ;)

Grüße
Visualizer

 

hi visualizer
tja du hast recht, die Antwort werden wir wohl nicht 100Prozentig ergründen können, aber wer will das schon.
Trotzdem noch ein Wort zu den Genen. Die Gene sind auch wiederum abhängig von deinen Eltern, deinen Vorfahren, sie werden dir gegeben.
Ein anderer Vergleich wäre ein Computer. Er hat eine Festplatte und gwisse technische Voraussetzungen und der Rest wird mit der Zeit gefüllt und programmiert.
Das Problem ist ja die Definition Selbstbestimmung oder Definition von Seele.
Hätte man diese wäre man wohl schon einen ganzen Schritt weiter.

 

Hallo Jismail!

Zunächst erinnert mich deine Geschichte an Platons Höhlengleichnis, obwohl sie von Inhalt und Aussage komplett verschieden ist. Aber auch da geht es um eine Wand und Menschen die hin- und herlaufen.

Ich mag philosophische Geschichten und insofern kann ich mich auch für deine erwärmen. Eine Metapher herzunehmen, um einen Gedanken auszudrücken, das ist dir sprachlich und bildlich gut gelungen.

Ein Problem habe ich nur mit deinem Grundgedanken.
Zum einen ist er nicht gerade neu. Kann es sein, dass du durch den Begriff "tabula rasa" zu deiner Geschichte inspiriert wurdest?
Zum anderen bin ich nicht deiner Meinung. Ich glaube nicht, dass man Menschen bei der Geburt mit weißen Leinwänden vergleichen kann. Babys selbst sind sehr verschieden, sie haben unterschiedliche Veranlagungen. Im Sinne deiner Geschichte müßten die Leinwände beispielsweise aus unterschiedlichen Materialien sein, die verschieden auf Farbe reagieren, beispielsweise Farben besonders gut aufnehmen oder abstoßen.
Aja, und das Material verändert sich natürlich im Laufe der Zeit. Einerseits wird der Stoff selbst älter und andererseits reagiert er natürlich auch auf die Farbe ..

Ich hoffe du kannst mit meinen Gedanken etwas anfangen. Die Geschichte ist in jedem Fall interessant. Über die Aussage kann man diskutieren, auch wenn die Diskussion darüber, wie sehr der Mensch durch seine Veranlagungen oder durch seine Erfahrungen geprägt ist, nicht gerade neu ist. ;)

lg
klara

 

Hallo Jismail,

eigentlich eine schöne Szene, die Du da beschreibst, in Kürze kann damit viel erfaßt und ausgesagt werden. Die Aussage leidet aber doch unter einigen Vereinfachungen:

Nicht alle Leinwände können weiß sein (verschiedene genetische Voraussetzungen).
Das `Farbe annehmen´ geschieht nicht nur passiv.

„beflecken“ finde ich ungünstig ausgedrückt, es klingt wie eine Wertung. Gefüllt mit Farbe ( nicht „obenhin“) halte ich für passender.

Tschüß... Woltochinon

 

hallo nochmals
Bin ganz happy über die vielen Antworten.
Das mit den Genvorgaben ist wahr. Das ist bestimmt ein wichtiger Teil, wo ich gar nicht gross drüber nachdachte. Wenn ich mir aber vorstelle auch das (vielleicht wie erwähnt in der Beschaffenheit des Materials) einzubauen, müsste ich aber auch wieder noch einen weiteren Schritt machen, zu den beiden Erschaffern, die die Gene ja liefern, also die Eltern. Und von denen ginge es dann noch weiter.
Wenn ihr Lösungsvorschläge zur Darstellung habt nur weiter her damit.

 

Servus Jismail!

Deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Die Farben und Leinwände zu nützen um das Erleben, das Anerziehen, das von Außen auf die Leinwand klatschen, darzustellen, finde ich sehr schön. Dennoch hat sich beim Lesen ein gewisser Widerwille hervorgetan, der aber keineswegs gegen deinen Stil zu richten ist, der gefällt mir wirklich gut.

Die weiße Leinwand ist mir zu starr. Sie kann sich nicht ausdehnen oder zurückziehen, wäre dem Pinsel völlig hilflos ausgeliefert. Es scheint mir die Farbe ein gutes Mittel zu sein, den Einfluss aufzuzeigen, dem der Mensch unterliegt. Aber die Leinwand hat nur zwei Möglichkeiten, aufsaugen oder wenn sie straff gespannt ist, die dicksten Farbpatzer abprallen zu lassen. Das lässt zuwenig Spielraum für die Darstellung von Lebensinhalten.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

hallo schnee.eule
Ich glaube, der Mensch nimmt alles auf. Wir werden auch von Dingen geprägt, die wir für falsch halten oder von denen wir nichts wissen wollen. Aber alles was dem Mensch begegnet nimmt er auf. Und färbt ihn auf eine Weise. Glaub ich zumindest.
Gruss Jismail

 

Hallo Jismail.
Vielleicht kann die "leinwand" ausser Farbe auch noch plastische Formen annehmen, im Laufe der Einfärbung? Dann wird es noch Dreidimensional...
Ansonsten gefielen mir Gedanke und Ausführung ganz gut, technisches wurde ja eingangs schon erwähnt.
Lord

 

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