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Am Anfang war der Tod

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08.07.2002
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Am Anfang war der Tod

Die Nacht war wirklich angenehm. Durch die schwüle Luft zogen unabdinglich kühle Windböen, die meine nackten Oberarme streichelten und mir den Schweiß auf der Haut trockneten. Der Horizont lag Sternenklar über mir, während das silbrige Licht des Vollmondes die Umgebung um mich herum erhellte. Auf dem Spielplatz war es ruhig. Lediglich die kleine Holzschaukel quietschte in regelmäßigen Abständen vor sich hin, wenn der Wind ihr einen Schubs versetzte. Ich thronte auf dem großen, gelben Elefanten und ließ meine Beine auf der Rutsche, die seinen Rüssel darstellen sollte ruhen. Hier oben war ich den Blicken der anderen Tiere ausgesetzt, die in Reih und Glied vor mir auf dem Rasen standen. Das Mondlicht verlieh Pferd, Tiger und Krokodil einen unheimlichen Ausdruck, verzerrte ihre verniedlichten Gesichter zu irren Fratzen. Vielleicht aber waren es auch nur die Tränen, die von Minute zu Minute meine Augen fluteten und die Realität verschwimmen ließen. Ich kramte aus meiner Jeans den ausgeschnittenen Zeitungsartikel von heute Morgen heraus. Das Fernsehen war zwar voll mit Bildern, die rund um die Uhr als Dauerschleife und auf fast allen Kanälen gezeigt wurden, aber ich konnte den Blick des Mädchens nur in Schwarz/Weiß ertragen. Wenn auch da nur schwerlich. Ihre Augen waren so verwirrt und ängstlich, aber zugleich auch panisch und zornig. Mir schauderte augenblicklich, als ein starker Windzug an mir vorüberging und zugleich das Rasseln der Bäume und das Quietschen der Schaukel einsetzten. Das war der pure Wahnsinn, der hinter ihren Augen loderte. Genau wie bei mir damals. Ich versuchte den Text zu lesen, wobei ich eigentlich schon jedes einzelne Wort auswendig konnte. Es handelte sich hierbei um den größten Skandal, den die Welt im einundzwanzigsten Jahrhundert je hervorgebracht hatte. Und zugleich sollte es eigentlich mein größter Triumph sein, denn heute ist der Tag gekommen an dem ich endlich ein freier Mann sein kann. Mit dem Untergang der Orcon Inc. war ich mit einem Schlag alle meine Verfolger losgeworden. Ich schaute wieder auf das Foto des Mädchens, wie es von Polizisten aus dem Hauptsitz des Konzerns herausgeführt wurde, kaum fähig zu laufen und zu verarbeiten, was da gerade eben mit ihr geschah. Ihr Name, Eva. Alter und Herkunft waren unbekannt. Experten schätzten sie auf gewiss jünger als fünfzehn. Eigentlich existierte dieses Kind gar nicht. Kurz nach ihrer Geburt wurde sie Eigentum von Orcon. Hier steht, dass sie die Mauern des Konzernanwesens nie verlassen hat. Mit ihr zusammen wurden zwanzig weitere Kinder befreit, denen ein ähnliches Schicksal zuteil war. Ich zerknüllte das Papier in meiner Faust, denn die Erinnerungen kamen zurück. Ich wollte das nicht. Ich wollte die Vergangenheit nie wieder aufleben lassen. Doch sie holte mich immer ein, es war wie ein Fluch. Oh ja, es war ein Fluch, der seitdem unabänderlich mein weiteres Leben bestimmte. Ich hatte mir so viele Gedanken gemacht. Selbst mit dreißig Jahren konnte ich nicht aufhören damit. Ich hatte viel nachzuholen. Was bleibt einem Mann, der eigentlich erst mit elf Jahren das Licht der Welt erblickte und seitdem als Einzelgänger und Weltfremdling angesehen wird?
Orcon war am Boden, hatte uns Kindern von Damals und Heute aber allen ein Geschenk hinterlassen. Mich interessierte wirklich, was diese Eva drauf hatte. Fünfzehn Jahre lang isoliert und als Forschungsobjekt eingesperrt. Sie hatten ganz sicher große Pläne mit ihr. Fraglich ist nur, ob sie noch vor der Befreiung alles vollenden konnten. Vielleicht hatten sie ja wenigstens bei ihr einmal ganze Arbeit geleistet. Ich schaute Gedankenverloren in den klaren Nachthimmel. Die Sterne waren so wunderschön. Der Mond so voll und herrschend. Ich kannte nur eine Person, die selbst diese Schönheit noch übertraf...

*

„Sie sehen traurig aus, fehlt ihnen irgendwas?“
Die junge Frau saß schon einige Zeit neben mir auf der Bank. Ich hatte sie aber erst vor kurzem bemerkt, denn ich war wie so oft in meinen eigenen Weltschmerz vertieft. Sie machte den Eindruck, als wäre sie besorgt um mich. Ihre großen Augen funkelten geradezu vor Gutmütigkeit.
„Ich hatte einen miesen Arbeitstag und Stress mit meinem Boss. Also nichts wichtiges“, log ich.
Die Frau schien das so hinzunehmen. Sie nickte bloß kurz und lehnte sich danach wieder entspannt gegen die Holzlehne der Parkbank. Ich erwartete, dass sie irgendein Buch oder eine Zeitschrift zur Hand nahm, aber nichts dergleichen passierte. Sie starrte bloß genauso Gedankenverloren wie ich in die Ferne. Irgendwie war mir diese kollektive Realitätsflucht ein wenig unangenehm. Ich überlegte schon einfach aufzustehen, mich zu verabschieden und weiter zu laufen, da schaute sie mich wieder so unverhohlen an.
„Mit Verlaub, dann haben sie aber anscheinend ziemlich oft Stress am Arbeitsplatz“, erwiderte sie fordernd.
„Ich sehe sie oft in diesem Park herumlaufen. Und wenn sie nicht gerade über die Wege spazieren, sitzen sie auf dieser Bank und wirken nachdenklich.“
Oh man, diese Frau war wirklich um keine noch so intime Frage verlegen. Entweder wollte sie mich anmachen, oder verspotten. Beides war mir ziemlich unerwünscht, aber ich wollte nicht unhöflich sein.
„Es tut mir leid, ich muss wirklich weiter. Was ihre Vermutung betrifft...“, sagte ich und zögerte. Sie sah mich gespannt an, war aber schon sichtlich entmutigt durch mein rasches Aufstehen.
„Wir können eben nicht alle Optimisten sein“, sagte ich und hob zum Abschied kurz die Hand. Dann drehte ich mich um und lief den Weg zurück zur Stadtmitte. Ich konnte ihre Blicke ganz deutlich auf meinem Rücken spüren und es war mir unangenehm.
„Woher wollen sie wissen das ich eine Optimistin bin?“, rief sie mir nach.
Ich drehte mich noch einmal halb um und versuchte zu lächeln.
„Das haben mir ihre Augen verraten.“
Sie lächelte jetzt ebenfalls. Ihre Schulterlangen, dunkelbraunen Haare umrahmten ihr hübsches Gesicht und ließen sie aussehen wie einen Engel. In diesem Moment berührte sie kurzzeitig mein Herz.
Ich beschloss, einen Zahn zuzulegen...

*

In den nächsten paar Tagen sollte ich die junge Frau öfter und öfter sehen. Ich kam wie gewohnt jeden Tag in den Park um frische Luft zu schnappen und die Ruhe hier zu genießen. Die Bank aber wurde seit jenem Tag von mir gemieden. Wir beide sahen uns immer nur über weite Distanzen. Sie bevorzugte zum Glück andere Wege als ich. Dennoch winkten wir uns stets zum Gruß, wenn sich unsere Blicke aus der Ferne trafen. Ich musste mich selbst überführen, wie ich immer ganz ungeduldig auf ihr Erscheinen wartete. Die Frau gefiel mir und das machte mir Angst. Ich hatte kein Problem mit Frauen und auch nicht damit welche kennen zu lernen, aber richtige Gefühle wollte ich wenn möglich vermeiden. One Night Stands waren meine Leidenschaft geworden, wenngleich sie auch nur ein Mittel waren um meine Lust zu befriedigen. Einige der Frauen sah ich wieder, manchmal auch nur für ein weiteres Abenteuer. Aber Gefühle wie Liebe oder Abhängigkeit hatten sich nie ergeben. Um so mehr war ich jetzt davon verunsichert. Ich wollte unbedingt in ihrer Nähe sein. Und da war noch nicht einmal dieses übermäßige Verlangen nach Sex mit ihr, dass mich normalerweise beflügelte. Nein, ich wollte einfach nur mit ihr Sprechen und dabei tunlichst vermeiden, sie mit meinen Depressionen zu vergiften.

An diesem ganz speziellen Tag traf ich sie an einem wirklich ungewöhnlichen Ort im Park. Ich war schon ganz deprimiert, sie heute nicht gesehen zu haben, als ich an dem kleinen Spielplatz vorbeikam, der von den meisten Kindern scheinbar gar nicht bemerkt wurde. Jedenfalls war es hier immer extrem leer und einsam. Sie saß auf der arg tiefergelegten Holzschaukel und pflügte mit ihren Schuhen die Erde. Ihr Blick war ebenfalls auf den Boden gerichtet. Ich musste kurz überlegen, ob ich einfach weitergehen oder ihr Gesellschaft leisten sollte. Ich entschied mich fast zu rasch für letzteres, aber mein Herz trieb mich förmlich zu ihr hin.
„Sie sehen traurig aus, fehlt ihnen irgendetwas?“
Der wunderhübsche Engel schaute zu mir auf und lächelte unbefangen. Ich konnte ganz deutlich sehen das sie geweint hatte und schon bereute ich meine Worte. Ich wollte sie nicht direkt darauf ansprechen, außerdem war ich sicherlich nicht gut im Umgang mit tröstenden Worten, also lehnte ich mich nur gegen den schmalen Holzbalken des Schaukelgestells und schaute sie an. Viel lieber hätte ich sie in diesem Moment einfach in die Arme geschlossen und gedrückt.
„Mir geht es eigentlich Gut, ich bin bloß ein wenig durcheinander“, sagte sie mit gefasster Stimme.
Ich kannte sie nicht gut genug um mir die Dreistigkeit zu erlauben nach dem Grund zu fragen. Sie hätte das wahrscheinlich nicht daran gehindert, wenn ich in dieser Situation gewesen wäre, aber ich achtete lieber auf meinen Anstand. Stattdessen kratzte ich mir nur unbeholfen am Kopf herum und schaute sie irritiert an.
„Darf ich fragen wie sie heißen?“
Ich war froh, dass sie die Initiative ergriff und lächelte ihr so gut es ging entgegen.
„Ich bin Tom“, sagte ich ohne ihr dabei die Hand anzubieten.
„Sarah“, sagte sie vergnügt. Ich war froh das sie wieder etwas entspannter wirkte.
Trotzdem war mir die ganze Situation irgendwie peinlich. Meine Absichten waren klar und ich glaubte auch zu erkennen, dass ich ihr nicht unsympathisch war. Trotzdem benahm ich mich wie ein verknallter Teenager. Ich wusste ehrlich gesagt überhaupt nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich versuchte meine Unsicherheit zu überspielen und forderte sie dazu auf, ein wenig mit mir zu laufen.
„Wäre es in Ordnung für dich, wenn wir uns einfach da drüben draufsetzen und ein bisschen reden?“, sagte sie kleinlaut und zeigte auf einen großen, gelben Elefanten, dessen Rüssel zur Rutsche umfunktioniert war. Jetzt musste ich wirklich lachen, sie aber zeigte als Reaktion darauf bloß ein schüchternes Schmunzeln.
„Können wir machen“, sagte ich noch sichtbar erheitert. Jetzt durfte ich mich zurecht fühlen wie ein verliebter Teenie. Ich nahm das als guten Vorwand, mich mal nach ihrem Alter zu erkundigen. Sie hatte mich wohl durchschaut, das verriet mir ihr neckisches Grinsen, aber letztendlich war sie doch schon vierundzwanzig und ich war froh, denn das war ein akzeptables Alter für einen alternden Mann wie mich.
Mit meinen knapp 1,90 m war es ein leichtes für mich, die Leiter am Hinterteil des Elefanten zu umgehen und seinen Rücken direkt über den Rüssel zu besteigen. Sarah aber nahm den kindgerechten Weg und machte es sich zugleich neben mir gemütlich.
Meine Nervosität und Anspannung war augenblicklich verflogen und ich war an dem Punkt, wo ich endlich meinen Charme ausspielen konnte. Jetzt war Sarah diejenige, die ein paar Stufen zurückschaltete. Aber das war in Ordnung, schließlich war ich an die klassische Rollenverteilung gewöhnt, und nun hatte ich als Mann meinen Beitrag zu leisten.
„Willst du mir erzählen, warum du geweint hast?“, fragte ich nun völlig ungeniert und ehrlich.
Sarah schaute plötzlich wieder ein wenig ernster drein.
„Ich glaube wirklich nicht, dass du das wissen willst“, sagte sie mit zittriger Stimme.
Daraufhin schaute ich sie bloß erwartungsvoll an und war zugleich bezaubert von ihren sinnlichen Lippen und den grüngrauen Augen, die eine solche Ehrlichkeit vermittelten, dass mir ganz warm ums Herz wurde.
„Du hast sehr schöne, braune Augen Tom“, versuchte sie sich rauszureden. Trotzdem schien sie es ehrlich zu meinen und ich war natürlich erfreut über dieses Kompliment.
„Bitte erzähl mir, was dich bedrückt.“
Sarah seufzte kurz auf, wohlwissend das sie dieses Thema nicht mehr abwenden konnte.
„Also gut, aber ich kann dir nicht versichern, dass du danach nicht einfach aufspringst und die Fliege machst“, sagte sie ruppig und verzweifelt.
Ich konnte ihr deutlich anmerken, wie schwer ihr das Ganze fiel.
„Es hat mit meinem alten Beruf zu tun und mit der Tatsache, dass mir heute morgen die Wohnung gekündigt wurde“, sagte sie bestimmt und dennoch mit bebender Stimme. Ihre Augen fingen an zu schwimmen als sie mich durchdringend ansah.
„Ich bin ne arbeitslose Nutte. So sieht’s aus.“
Sie versuchte das mit einer solchen Bestimmtheit rüberzubringen als wolle sie sagen, bitte verurteile mich nicht dafür, ich bin deswegen nicht minderwertig. Aber die Tränen bildeten kleine Flüsse auf ihren Wangen und tropften dann runter auf das Holz. Einen Moment lang war ich geschockt von diesem Geständnis, dass musste auch sie bemerkt haben und stand ruckartig auf um davon zu laufen. Ich reagierte prompt und schnappte sie bei der Hand. In diesem Moment wurde mein Schock nur noch deutlicher. Mein Mund stand offen und ich habe sie mit großen Augen angestiert, als die Bilder in meinem Kopf gewitterten. Für einen unendlich langen Augenblick sahen wir uns gegenseitig in die Augen, dann riss sie sich los und kletterte die Leiter hinab. Ich konnte nur mit ansehen, wie sie völlig aufgelöst durch den Sand stampfte und am Gehweg angekommen keinen einzigen Blick mehr zurück warf.
Wie konnte diese Situation nur dermaßen eskalieren. Aber viel schlimmer als ihr Geständnis war der Augenblick ihres Abgangs. Mich erfüllte wieder einmal diese vollkommene Leere. Ich hatte für einen kurzen Augenblick das Dilemma meiner eigenen Existenz vergessen, nur um im nächsten doppelt und dreifach so hart daran zurückerinnert zu werden. Das Thema hatte sich endgültig erledigt, so dachte ich jedenfalls zuerst...

*

Noch am gleichen Abend ging ich zurück in den Park um nach Sarah zu suchen. Sie hatte sich mir anvertraut und ich habe in diesem Moment absolut unpassend reagiert. Ich konnte mich nicht der Verantwortung entziehen, immerhin hatte sie ihre Wohnung verloren und war so verzweifelt und aufgelöst, dass ich sie ungern alleine lassen wollte. Der Moment von vorhin lag mir immer noch schwer im Magen. Dieser Moment, in dem ich ihre Hand berührte, in dem all meine Kraft versagte und meine Wünsche und Hoffnungen kleinlaut verschwanden. Jetzt wollte ich trotzdem für sie da sein, wollte ihr eine Hilfe sein ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Vielleicht war sie schon längst wieder bei ihrem Zuhälter oder bei irgendeinem Freier. Der Gedanke daran ließ mich erzittern. Dieses Engelsgesicht. Diese Anmut in ihren Bewegungen. So Unnahbar. Niemals im Leben hätte ich einer solchen Frau zugetraut, ihren Körper derart billig an den Mann zu bringen.
Ich musste nicht lange suchen, denn sie saß genau dort wo ich sie wenn überhaupt vermutet hätte. Der gelbe Elefant starrte mich lustig und gut gelaunt an. Sarah aber bemerkte mich erst, als ich die Rutsche heraufgeklettert kam.
Sie war total verwirrt, ihre Augen lasteten ungläubig auf mir.
„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte ich entschuldigend.
„Warum bist du hier?“, war ihre Antwort.
Ich nahm das einfach mal als Einverständnis und setzte mich ihr gegenüber auf den Holzboden.
„Ich bin hier weil ich dir unbedingt was sagen wollte. Heute Mittag hast du mich ja quasi überfahren mit diesem Geständnis.“
Ich merkte, wie sie versuchte etwas zu ihrer Rechtfertigung zu sagen, aber ich schnitt ihr einfach das Wort ab.
„Ich mag dich gerne okay? Und ich will versuchen mit deiner Vergangenheit umzugehen, denn nichts anderes ist sie. Das ist alles vergangen, oder?“
Ich schaute sie so fordernd und konsequent an, dass sie es gar nicht wagen durfte zu lügen.
„Ich habe damit abgeschlossen, in Ordnung? Und ich hole mir lieber hier im Freien den Tod, als noch einmal als Prostituierte irgendwo anzufangen. Ich hoffe das reicht dir als Antwort.“
Sie wirkte ein wenig gereizt, aber schien das sehr ernst zu meinen. Noch immer konnte ich merken, wie sie sich dafür schämte.
„Dann sag mir noch eins. Hast du mich damals im Park so heftig angeflirtet, um nicht auf der Straße zu landen, oder weil ich dir wirklich gefallen habe?“
Jetzt zögerte sie ein wenig. Darauf war sie wohl nicht gefasst gewesen.
„Und ich bitte dich, antworte ehrlich.“
Sie schaute auf den Boden und ich konnte ganz deutlich sehen, wie ihre Augen wieder zu glitzern anfingen.
„Ich habe dich so oft in diesem Park gesehen. Und so oft warst du traurig und nachdenklich. Ich wollte einfach, dass wir beide etwas davon haben und so hab ich dich angesprochen.“
Das hatte jetzt wirklich gesessen. Sie war ganz gewiss ehrlich, aber in dem Moment hatte ich mir einfach eine andere Antwort gewünscht. Ich wollte und konnte nichts erwidern.
„Ich dachte, du bist so traurig weil du einsam bist. Ich war traurig, weil ich mein bisheriges Leben bereute und auch schon so lange einsam war.“
Sarah fing jetzt wieder an zu weinen.
„Ich wollte einfach auch mal Glücklich sein. Ich wollte auch mal ein geregeltes Leben führen. Einen Mann haben, der sich um mich kümmert und mich versorgt. Es tut mir leid Tom, aber ich bin so furchtbar egoistisch.“
Sarah konnte diese Sätze kaum noch hörbar aussprechen. Trauer und Verbitterung schnürten ihr die Kehle zu.
„Ich würde eher sagen, dass deine Wünsche vollkommen verständlich und gerechtfertigt sind“, wollte ich ihr ehrlich Mut zu sprechen.
„Aber erzwingen kannst du so etwas nicht.“
Ich kratzte nachdenklich an meinen kurzen Bartstoppeln und machte ihr dann ein Angebot.
„Warum ziehst du nicht einfach bei mir ein und wir probieren es aus? Wenn du mich wirklich magst, dann werden deine Wünsche ganz sicher in Erfüllung gehen. Das ist das einzige Angebot, dass ich dir machen will.“
Sarah zögerte kurz. Ich glaube sie war misstrauisch. War ihr nicht einmal zu verübeln, schließlich hatte sie es damals jeden Tag mit Perversen zu tun. Ich war anders, aber es war jetzt an ihr das herauszufinden.
„Du willst mich wirklich zur Freundin haben?“, fragte sie zur Sicherheit noch einmal nach, so als ob ich ihr einen supergünstigen Kaufvertrag angeboten hätte.
„Erst einmal will ich gar nichts. Du sollst einfach nur bei mir einziehen und dir einen anständigen Job suchen. Du hattest Recht, ich bin einsam. Warum also sollen wir uns nicht einfach zusammen tun?“
Sarah fing an zu lächeln, als ihr endlich klar zu werden schien, wie simpel mein Angebot gemeint war.
„Okay“, sagte sie verheult aber glücklich und wischte sich die Tränen weg.

An diesem Abend saßen wir noch bis spät in die Nacht auf dem Spielplatz und redeten. Sie erzählte mir Dinge aus ihrer Vergangenheit und ich ein paar aus meiner. Wir redeten wie ganz normale Freunde über unsere Wünsche und Hoffnungen. Über unsere Ziele in der Zukunft und über unsere Partnerschaften, von denen sie erstaunlich wenig hatte. Jedenfalls, was die echten Beziehungen anging. Ich log ihr vor, auch schon mal eine gehabt zu haben. In Wirklichkeit hatte ich noch nie eine feste Partnerschaft. Ihr zu sagen, dass ich das nicht wollte wäre falsch gewesen, denn eine Erklärung konnte ich ihr nicht geben.
Wir gingen nach Hause als bereits die Morgendämmerung einsetzte und auf dem Rückweg sprachen wir gar nicht mehr miteinander. Wir liefen einfach still nebeneinander her und machten uns unsere eigenen Gedanken...

*

Die darauf folgende Zeit gestaltete sich wirklich wunderbar, auch wenn es anfangs einige Probleme gab. Beide gaben wir unser Bestes, um uns an die plötzliche Zweisamkeit zu gewöhnen. Es war schon seltsam, abends von der Arbeit nach Hause zu kommen und plötzlich einen gedeckten Tisch vorzufinden. Sarah tat ihr möglichstes, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie nur damit glänzen konnte sich auf meine Kosten zu ernähren. Sie suchte fieberhaft nach einem Job, aber durch ihren undurchsichtigen Lebenslauf war da nie etwas zu holen. Sie versuchte akribisch, ihre Vergangenheit zu verdunkeln und neu anzufangen. Natürlich bemerkte ich sofort diese unbeholfene Art und erkannte mich selbst sofort darin wieder, daher wusste ich auch wie zwecklos dieses Unterfangen war. Man konnte die Scherben unter den Teppich kehren, aber einfach verschwinden lassen war nicht drin. Ich wusste wie sehr sie sich anstrengte und wie sehr sie darunter litt, mir finanziell keine Unterstützung geben zu können. Ich bemerkte sogar, dass es ihr peinlich war in meiner Anwesenheit an den Kühlschrank zu gehen. Ich habe ihr klar und deutlich gesagt, dass es okay sei und sie nicht erwarten könnte von Heute auf Morgen einen Job zu finden, aber sie blieb stur. Trotz ihrer ganzen traurigen Geschichte war sie eine stolze Frau, dass bewunderte ich an ihr. Und so war nach etwa zwei Monaten der Tag gekommen, an dem sie jubelnd und mit einer Flasche Sekt unterm Arm nach Hause kam. Ein kleiner Coffee-Shop an der gegenüberliegenden Straßenseite meines Apartments hatte ihr einen Job als Kellnerin angeboten. Da verdiente sie Recht ordentlich, besonders in der ersten Zeit. Wir sahen uns kaum noch, weil unsere Arbeitszeiten grundverschieden waren. Während ich meistens schon vor 18 Uhr zu Hause war, begann ihre Schicht in der Regel erst um 17 Uhr und endete nicht vor Mitternacht. Ich fand das wirklich schade, weil es nun mit der Geselligkeit vorbei war, aber immerhin war da dieser beruhigende Gedanke nicht alleine zu sein. Wir waren immer noch kein Paar, obwohl der ein oder andere Romantische Augenblick greifbar nahe gewesen wäre. Und so schliefen wir in getrennten Zimmern. Ich wachte fast jede Nacht auf, wenn ich das Türschloss knacken hörte und fühlte mich dabei sehr wohl. Und zugleich machte es mich innerlich tief traurig, weil ich wusste das dieses schöne Gefühl eines Tages enden würde...

*

Dieser verdammte Martin. Warum nur wollte es der Zufall, dass ausgerechnet ein Zuhälter wie er in meinen Laden kam. Warum musste ausgerechnet ich ihn bedienen? Müde und wütend ließ ich die Tür grob ins Schloss fallen, was mir aufgrund meines schlafenden Mitbewohners sofort leid tat. Ich konnte die Tränen nicht unterdrücken und wollte es auch gar nicht. Es war dunkel und ruhig. Ich fühlte mich sicher und so ließ ich mich langsam an dem Türrahmen runtersinken. Noch im selben Moment fühlte ich mich wie die Hauptdarstellerin eines großen, melodramatischen Hollywood Films, was die Bitterkeit in mir nur noch verstärkte. Er hatte gedroht mich Bloß zu stellen, wenn ich nicht wieder zu ihm zurück kommen würde. Er machte sich über meine Arbeitskleidung lustig und pöbelte andere Gäste an. So ein schmieriger Wichser, fluchte ich in mich hinein. Er sollte nicht alles wieder kaputt machen. Warum nur konnte ich diese ganze Scheiße nicht einfach endlich hinter mir lassen. Mein Schluchzen wurde verräterisch laut und so presste ich mir die Hand auf den Mund. Ich war endlich dabei mein Leben in den Griff zu bekommen. Ich mochte meinen Job, meine neuen Kollegen und diese Wohnung hier. Und natürlich Tom, meinen Retter. Der Filmgedanke kam mir auf einmal gar nicht mehr so abwegig vor. Nur das Genre wollte ich gerne wechseln. Konnte denn aus einem Drama wirklich irgendwann eine romantische Lovestory werden? Sollte ich wirklich einmal so empfinden dürfen, wie eine Julia Roberts in dem Klassiker Pretty Woman? Die Tränen begannen wieder zu fließen, denn ich wusste, dass sich eine Sünderin wie ich es war nie wieder reinwaschen konnte. Mein altes Leben verfolgte mich. Und Martin war dabei noch das kleinste Problem. Ich schaute in den dunklen Flur, während meine inneren Dämonen langsam damit begannen mich aufzufressen. In diesem Moment konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es war, als wenn eine dunkle Wand im Begriff war, mich zwischen sich zu zermalmen. Ich stand auf und lief so schnell ich konnte zur Schlafzimmertüre von Tom. Es war nicht so, dass ich keine Angst hatte die Tür zu öffnen, aber die Einsamkeit trieb mich förmlich hinein. Ich musste jetzt einfach bei ihm sein. Ich wollte bei ihm sein. Hauptsache nicht mit mir alleine bleiben. Diese Gedanken waren es, die mich plötzlich dazu veranlassten vor seinem Bett zu stehen.

Das Mondlicht strahlte in gebündelter Form durch das große Schlafzimmerfenster und errichtete eine breite Brücke, die sich quer über das Bett zog. Tom lag da und schlief noch immer tief und fest. Die Decke hatte er sich bis zum Hals gezogen. Die hellbraunen Haare waren so weit durcheinander, wie es bei einem solchen Kurzhaarschnitt wie Tom ihn eben hatte möglich war. Er sah so schutzlos und angreifbar aus, ganz anders als Tagsüber. Tom war ein großer, sehniger Mann. Ein Beschützertyp, der seinen ganz eigenen, ruhigen Charme versprühte. Aber er war auch die Sorte Mann, dessen Herz man nie ergründen würde. Unnahbar und mysteriös, spiegelte sich trotzdem die Trauer hinter seinen müden, braunen Augen. Ich kam mir plötzlich richtig Blöde vor, wie ich hier so in der Dunkelheit vor seinem Bett stand und ihn beim schlafen beobachtete. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, das Zimmer einfach wieder leise zu verlassen, aber einen Rückzieher wollte ich mir nicht erlauben. Auf Zehenspitzen schlich ich um das Bett herum und zog meinen Rock und danach die Bluse aus. Um Zeit zu gewinnen faltete ich beides sorgfältig zusammen und legte es auf den Stuhl zu Toms Sachen. Mein Puls raste, als ich mich langsam aufs Bett setzte und die Beine hochlegte. Mein Herzschlag musste sich mittlerweile schon verdreifacht haben. Der Lattenrost begann unter meinen Bewegungen zu quietschen. Ich streckte ganz vorsichtig meine Hand nach der Decke aus und hob sie an. Toms Reaktion darauf war nur ein lauter Seufzer. Ganz langsam rutschte ich zu ihm rüber und legte sogleich meine Hand auf seine Flanke. Er war so warm. Meine Hand war anscheinend ziemlich kalt, denn er zuckte unter meiner Berührung zusammen. Jetzt war der Moment gekommen, an dem mein Herz die Kontrolle übernahm. Ich legte meinen Arm um seine Taille und kuschelte mich sogleich an seinem Rücken fest. Tom zuckte kurz zusammen, drehte sich dann irritiert um und funkelte mich mit seinen freundlichen, verwirrten Augen an. Dann lächelte er und ich erwiderte. In meinen Augen sammelten sich abermals Tränen, die ich auch nicht verbergen konnte. Diesmal wendete ich mich ab. Er sollte mich nicht schon wieder weinen sehen. Tom wälzte sich auf meine Seite, griff nach meiner Hand und zog sich ganz dicht an mich heran. Seine starken Arme hielten mich umschlossen und ich konnte seine flache Atmung im Rücken spüren. Ich griff ebenfalls nach seiner Hand und hatte den Eindruck, fast ein wenig zu sehr zu klammern.
Danach passierte nichts mehr. Wir lagen die Ganze Zeit einfach nur so zusammen. Ich wollte nicht einmal ans schlafen denken. Diese Geborgenheit und diese Kraft, mit der er mich umschlossen hielt. Mein Herz hüpfte innerlich vor Glück und ich fühlte mich das erste Mal in meinem Leben vollends erfüllt. Es gab weder ein Danach noch ein Davor. In diesem Augenblick war ich die glücklichste Sünderin auf der ganzen Welt. Alle Probleme, alle Wünsche, Hoffnungen und Ängste waren hier nicht mehr wichtig. Von diesem Moment würde ich ein ganzes Leben lang zehren können...

*

Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir beide so still und ruhig zusammen lagen. In diesem Moment war mir alles andere egal. Die Zukunft, der Fluch der auf mir lastete und meine Vergangenheit. Dieser Augenblick war zeitlos. Ein haargenau solches Gefühl erhoffte ich mir für ein mögliches Paradies. Diese eine Nacht damals strafte mich endgültig als Lügner und Pessimisten. Ich wendete meinen Blick ab von den Sternen und rutschte vom Elefanten herunter. Der grobkörnige Sand unter meinen Schuhen ließ meine schweren Schritte noch mühseliger werden. Ich hatte Sarah damals bei mir aufgenommen um meine Überzeugung zu untermauern, dass ich mit dieser Frau keine Zukunft aufbauen könnte. Ich war wirklich der Meinung, dass sie nur bei mir bleiben würde um mich auszunutzen. Warum nur verdammt konnte ich damit nicht Recht behalten. Warum nur liebte sie mich wirklich? Warum musste ich sie lieben? Alles andere wäre so viel einfacher gewesen. Meine Beine waren schwach und zittrig, im Anbetracht dieser unmenschlichen Bestrafung. Ich ließ Pferd, Tiger und Krokodil hinter mir und stapfte müde über den Rasen davon. Sie fragen sich sicherlich, welcher Fluch denn wohl genau auf mir lastet. Welches Geschenk mir Orcon in meinem Gehirn hinterlassen hat. Nun, ich würde sagen das ich eines von Gottes verlassenen Kindern bin. Wenn nicht sogar ein von Gott verhasstes Kind. Glauben sie an das Schicksal? Oder glauben sie wirklich daran, dass hinter allem nur der Zufall steht? Ich würde so gerne daran glauben, aber ich kann es nicht, weil ich stets eines besseren belehrt werde. Und zwar genau dann, wenn ich einen anderen Menschen berühre. In diesem Augenblick spüre ich am eigenen Leib die Zahnräder des Schicksals. Den Masterplan Gottes.
Ich lasse mich auf den Boden fallen und reiße Büschelweise Gras aus, während bittere Tränen meine Wangen herunterfließen. Ich erinnere mich wieder zurück an den Tag mit Sarah, als sie mir hier auf dem Spielplatz ihr bitteres Vergehen dargelegt hat. An den Moment, wo ich ihre Hand nahm und sich danach unsere Blicke unendlich lang trafen. In diesem Augenblick dachte ich wirklich, sie hätte das gesehen was ich sehen musste. Ihr Blick war plötzlich so entschuldigend, so voll mit Reue. Sie schien es einfach so hinzunehmen. Ihren eigenen Tod, schon damals so unerbittlich für den morgigen Tag vorherbestimmt.
Ich wälzte mich wütend auf dem Boden, ließ meine Fäuste auf das Erdreich trommeln. Warum nur musste sie sterben. Waren denn schlappe fünf Monate des Glücks alles was ich Gott Wert war? War es wirklich an mir die Strafe zu verbüßen, die andere Leute mir und meinem Verstand angetan hatten? Oder war es vielleicht gar kein Gott, sondern schlicht und einfach meine erweiterte Gehirnkapazität, die mein Leben so unerträglich machte? Damals, als ich aus dem Forschungslabor fliehen konnte lebte ich danach eine sehr lange Zeit als Straßenkid vom betteln und klauen. Ich lebte in ständiger Angst vor meinen Verfolgern. Zu dieser Zeit waren es zwei selbstlose Rentner, die mich bei sich aufnahmen und sich um mich kümmerten. Jetzt im Nachhinein war ich mir eigentlich sicher, dass sie mich nur aufgenommen haben, weil ihnen selbst keine Kinder vergönnt waren, aber damals waren sie für mich die Retter in der Not. Damals hatte ich auch den einzigen und letzten Versuch unternommen, mich gegen das Schicksal zu stellen. Der dritte Dezember sollte sich als Todestag für meinen neugewonnen Ziehvater erweisen. Ich hoffte so sehr, dass es keine natürliche Ursache sein würde, wie beispielsweise ein Herzinfarkt. Dagegen war ich nämlich vollkommen machtlos. Und so betäubte ich ihn Tags zuvor mit einer hohen Dosis von den Schlaftabletten seiner Frau. Diese sollte erst Tags darauf von einer Kur wiederkommen. Mein Plan ging auf und er überlebte. Ich hatte fast durchgehend dafür gebetet. In diesem Moment glaubte ich sogar noch, meine Fähigkeit wäre ein Segen Gottes. Wie närrisch ich doch war, denn am nächsten Tag fuhr mein Onkel zum Bahnhof, um meine Tante abzuholen. Ich wartete zu Hause sehnlichst auf ihre Rückkehr, doch war es schließlich die Polizei, die mich zuerst besuchte und mich mitnahm. Ich erinnere mich nicht mehr an die Worte der Beamten. Ich wusste schon vom ersten Augenblick an, dass mein Onkel und meine Tante nicht mehr am leben waren...
Für mich war danach klar, dass Gott keine Einmischung duldete. Der Unfall damals war seine Strafe für mein Vergehen, das Schicksal meines Onkels abwenden zu wollen. Aber Sarah kann und will ich nicht einfach so gehen lassen. Sie hat meinem Leben einen möglichen Sinn gegeben. Mit ihr konnte ich das Glück erfahren, welches mir vorher verwehrt blieb. Warum auch wollte Gott sie mir wegnehmen? Sie war zu einem guten Menschen geworden, obgleich ihrer dunklen und unrühmlichen Vergangenheit.
Ich ballte die Hände zu Fäusten und straffte meine Muskeln. Dann stand ich auf und unterdrückte die Weinkrämpfe. Ich habe mich gegen das Schicksal entschieden. Wen soll Gott mir auch schon als Strafe dafür wegnehmen? Außer Sarah habe ich niemanden mehr, der mir etwas bedeutet.

Als ich so die leergefegten Wege des Parks entlang lief, fröstelte es mich plötzlich. Ich hatte stets panisch versucht mein Leben unter Kontrolle zu bringen. Ich wollte das Schicksal der anderen Menschen um mich herum nicht kennen, dass machte mich einsam. Dennoch kann ich den Gedanken nicht verwerfen, dass mein ganz eigenes Schicksal mich bald einholen wird...


Drei Tote und ein Schwerverletzter sind die traurige Bilanz einer gestrigen Auseinandersetzung im Carolines, einem Coffee-Shop in der Innenstadt. Um Punkt 22 Uhr kam es zwischen einer dort angestellten Kellnerin und ihrem damaligen Lebensgefährten Martin M. zu einem heftigen Streit. Augenzeugen berichteten, dass der zornige Mann sie aufs übelste beschimpft hatte. Nachdem die Geschäftsführerin ihn freundlichst gebeten hatte den Laden zu verlassen, eskalierte die Situation. Martin M. zog eine kleinkalibrige Waffe aus der Hose und schoss auf die völlig entsetzte Frau. Während diese in der Brust getroffen zu Boden fiel, versuchte die Kellnerin Sarah M. den Personalausgang zu erreichen. Ein weiterer Schuss wurde abgefeuert. Die Augenzeugin Monika L., die zugleich Stammgast in dem beschaulichen Cafe war, sagte später zur Polizei: „ Es ging alles so wahnsinnig schnell“. Genau in diesem Moment betrat ein offensichtlicher Freund des Opfers den Laden und stürzte sich sofort selbstlos auf den Täter, so Monika L. „Sie sind sofort aufeinander losgegangen. Ich konnte erkenne, dass der fremde Mann einen Gegenstand in der Hand hielt, mit dem er auf den Täter einschlug. Dann fiel wieder ein Schuss“, sagte die völlig verstörte Rentnerin unter Tränen. Bei dem Gegenstand den Tom W. bei sich trug handelte es sich um ein längeres Küchenmesser, mit dem er dem Täter einige gezielte Hiebe versetzte, bevor ihn selber eine Kugel im Bauch traf. Warum Tom W. genau zu diesem Zeitpunkt das Cafe betrat und anscheinend gut vorbereitet war, ist nach wie vor unklar. Ebenso in welcher Beziehung er zu Sarah M. stand, die noch hinter der Theke ihrer schweren Schussverletzung erlag. Genauere Informationen wird uns wohl erst der Täter Martin M. geben können, der zur Zeit in der städtischen Klinik um sein Leben kämpft. Sein drittes Opfer, Tom W. starb ebenfalls noch am Unfallort. Monika L. kann sich noch genau an seinen Gesichtsausdruck erinnern. „Der Mann hat gelächelt, er hat wirklich gelächelt, kurz bevor er starb.“
Welche Ereignisse dieser Wahnsinnstat vorauseilten ist also noch unklar. Was die ganze Sache aber noch umso trauriger macht ist die Tatsache, dass Sarah M. im vierten Monat schwanger war. Vermutlich hatte sie den Vater ihres Kindes, Martin M. für den Neuen Freund Tom W. verlassen. Ein mögliches Tatmotiv wäre also Eifersucht. Wie sich die Dinge aber tatsächlich abgespielt haben, kann uns nur der Täter selbst erklären. Vorausgesetzt, er überlebt sein eigenes Massaker...

 

Hallo ANiMA,

um es dir ganz ehrlich zu schreiben, ist diese Geschichte mir zu schwülstig und im Plot etwas zu unentschlossen. Der Teil der seherischen Fähigkeiten ist mir nicht deutlich genug beschrieben, ebenso wie der Teil über die Versuche bei der Firma Orcon, und die Folgen für Tom.
Was ich besonders störend finde, sind die moralischen Wertungen, die du deinen Protagonisten gibst. Da ist von Sünderin und Schuld die Rede, als ob deine weibliche Hauptfigur ein Verbrechen begangen hätte. Dabei war sie Prostituierte. Ihre Freier waren "Perverse" obgleich noch nicht mal klar ist, in welcher Fachart deine Prot gearbeitet hat.
Natürlich ist der Absprung aus der Prostitution schwer. Nicht umsonst gibt es dafür Hilfsprogramme, aber die moralischen Bewertungen finde ich beim besten Willen eher klischeehaft, als wirklich zeitgemäß.
Gut finde ich an diesem Plot die Nebengeschichte der Versuche. Sie hätte vielmehr Aufmerksamkeit verdient, auch um besser dahinter zu kommen, was es damit auf sich hatte, und wo dort die Verbindung zu den übersinnlichen Fähigkeiten deines Prot ist. Vielleicht baust du das etwas aus?
Leider sind auch noch einige Fehler in dem Text.

Der Horizont lag Sternenklar über mir,
sternenklar
das Rasseln der Bäume
rasseln wie Ketten? Oder meintest du rascheln?
Ich schaute Gedankenverloren in den klaren Nachthimmel.
gedankenverloren
Sie starrte bloß genauso Gedankenverloren wie ich in die Ferne.
noch mal das Gleiche ;)
Oh man, diese Frau war wirklich um keine noch so intime Frage verlegen
Sie ist zwar hartnäckig, aber wirklich intime Fragen hat sie noch nicht gestellt, jedenfalls nicht besonders intim.
In den nächsten paar Tagen sollte ich die junge Frau öfter und öfter sehen.
ein ofter reicht mE. Zur Steigerung vielleicht ein "Immer" davor.
Ich hatte kein Problem mit Frauen und auch nicht damit welche kennen zu lernen,
damit, welche
Der wunderhübsche Engel schaute zu mir auf und lächelte unbefangen. Ich konnte ganz deutlich sehen das sie geweint hatte und schon bereute ich meine Worte.
Da du den Bezug noch auf Engel hast, muss es trotz des neuen Satzes heißen: deutlich sehen, dass er geweint hatte.
„Mir geht es eigentlich Gut, ich bin bloß ein wenig durcheinander“,
gut
Sie hätte das wahrscheinlich nicht daran gehindert, wenn ich in dieser Situation gewesen wäre, aber ich achtete lieber auf meinen Anstand.
ich würde "wenn ich in ihrer Situation" vorziehen.
„Dann sag mir noch eins. Hast du mich damals im Park so heftig angeflirtet, um nicht auf der Straße zu landen, oder weil ich dir wirklich gefallen habe?“
geflirtet? Mit der Frage, sie sehen traurig aus? und dem Nachfassen?
„Ich wollte einfach auch mal Glücklich sein
glücklich
Das ist das einzige Angebot, dass ich dir machen will.“
statt "will" würde ich "kann" schreiben
Natürlich bemerkte ich sofort diese unbeholfene Art und erkannte mich selbst sofort[/strike darin wieder

ist sonst ein bisschen viel sofort.
Da verdiente sie Recht ordentlich, besonders in der ersten Zeit.
recht

17 und 18 Uhr bitte als siebzehn und achtzehn Uhr schreiben

ein oder andere Romantische Augenblick greifbar nahe gewesen wäre.
romantische
weil ich wusste das dieses schöne Gefühl eines Tages enden würde...
wusste, dass
Leerzeichen vor den drei Punkten.
Er hatte gedroht mich Bloß zu stellen
bloß
Wir lagen die Ganze Zeit einfach nur so zusammen
ganze
Ich wollte nicht einmal ans schlafen denken
Schlafen (besser noch: daran denken, zu schlafen)
Sie fragen sich sicherlich, welcher Fluch denn wohl genau auf mir lastet
Warum brichst du dort aus der Erzählung aus und sprichst den Leser direkt an?
Nun, ich würde sagen das ich eines von Gottes verlassenen Kindern bin. Wenn nicht sogar ein von Gott verhasstes Kind.
sagen, dass
von Gott gehasstes (oder bei Gott verhasstes)
Damals, als ich aus dem Forschungslabor fliehen konnte lebte ich danach eine sehr lange Zeit als Straßenkid vom betteln und klauen
Sraßenkid bricht aus deiner sonstigen Sprache aus, da wäre Straßenkind passender.

Trotz böser Kritik einen lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Abend,

Du schreibst hervorragend! Ich habe die doch recht lange Geschichte gespannt verschlungen, war aber gegen Ende etwas enttäuscht.

Du scheinst so zu schreiben wie Stephen King (und ich:-)), also hast Du am Anfang nicht das Ende im Kopf. (S.K. meinte dazu, dass man nur spannende Geschichten schreiben könnte, wenn man während des Schreibvorgangs das Ende noch nicht kennt, auf diese Weise könnte es auch niemand erraten. Er entwickelt die Story also während des Schreibens, nicht vorher.)

Schreib weiter! Du hast es echt drauf, auch wenn du deine Rechtschreibung (ganz besonders die Kommasetzung und das "dass") verbessern solltest, weil man die Sätze oft erst nach dem zweiten Lesen kapiert, also: "ich konnte sehen das sie geweint hatte" -> "ich konnte sehen, dass sie geweint hatte"

Die falsche Großschreibung ist für das Verständnis der Story nicht sooo wichtig, das würde ja im Falle einer VÖ ein Lektor glattbügeln.

Was ich hier schreibe, klingt negativ, aber das, was vielen Leuten fehlt, beherrschst du perfekt: Du schreibst fesselnd und verstehst es sehr gut, Stimmungen zu beschreiben, denen sich niemand entziehen kann.

Ich war nach 3 Sätzen in der Geschichte drin und habe den Spielplatz vor mir gesehen. Jetzt gucke ich mal, was du sonst noch so verzapft hast.

Gruß

Hexenmeister/Ralf

P.S.: Kennst Du "Charlotte sometimes" von The Cure? Die einzige Version, die zählz, ist die Live-Aufnahme von 1984 auf dem Album "Concert - The Cure live".
Bei Deinem Verständnis von Traurigkeit müsstest Du diesen Song abgöttisch lieben.

Meld dich mal!

 

ach ja, wenn jemand gesiezt wird, schreibt man das groß!

Ich möchte Sie bitten, dies oder das zu tun.

 

Hallo ihr beiden!

Sim, ich kann deine negative Kritik teilweise wirklich nachvollziehen. Schon beim schreiben habe ich gemerkt, dass einige Passagen vollkommen uninspiriert wirkten. Jedenfalls waren sie ganz anders geworden, als ich sie ursprünglich haben wollte.
So verhielt sich das eigentlich mit der gesamten Geschichte, die sich wirklich nicht entscheiden kann, ob sie einen Science Fiction oder einen Romantik Schwerpunkt bekommen soll.
Die angesprochenen Fehler werde ich ausbessern, wenn ich etwas mehr Zeit habe. Dank dir aber für die vielen Aufzählungen. Ortographisch gesehen muss ich noch sehr viel lernen :(

Was das angesprochene Klischee mit der Prostitution angeht, finde ich es natürlich schlimm, wenn es als solches aufgenommen wird. Ich bin eigentlich der Letzte, der irgendwelches Schubladendenken annehmen will. Zu meiner Rechtfertigung will ich sagen, dass Sarah sich selber als Sünderin sieht. Sie fühlt sich schlecht, will weg aus der Ganzen Szene. Und gleichzeitig fühlt sie sich von ihrer Vergangenheit verfolgt, immerhin erwartet sie ein Kind, von dem sie sicherlich nicht mal weiß, wer der Vater ist.

Dir Hexenmeister danke ich für deine überwiegend positive Kritik! Es ehrt mich natürlich ungemein, wenn du meinen Stil als "hervorragend" einstufst! Du hast übrigens Recht damit, dass ich vor dem Schreiben nur ein grobes Handlungsgerüst vorgebe und sich alles weitere beim schreiben selbst entwickelt. Bei dieser Geschichte allerdings war ich doch arg unentschlossen. Ich habe meine Ideen, betreffend Ende und Message mindestens zwanzig Mal über den Haufen geworfen. Wenn man das der Geschichte jetzt anmerkt, kann ich mich natürlich nicht wirklich freuen.

Das Lied von The Cure kenne ich noch nicht, aber bei Gelegenheit kannst du mir das ja vielleicht via ICQ schicken!

besten Dank an euch beide!
*Christian*

 

Hallo ANiMA,

Zu meiner Rechtfertigung will ich sagen, dass Sarah sich selber als Sünderin sieht.
Das ist eine gute Entschuldigung, da kann ich das auch gut stehen lassen. Aber schaue dir noch einmal die Gedanken, deines männlichen Prot diesbezüglich an. ;) Da stecken einige Wertungen drin, über die ich diesbezüglich viel eher gestolpert bin.

Lieben Gruß, sim

 

Hehe, oh das kann sein. An den habe ich nicht mehr gedacht :)
Naja, dann sieht der das eben auch subjektiv......aber ich werds abändern sobald ich Zeit und vor allem Lust dazu habe. Bin ja so entsetzlich faul was das ausbessern von Geschichten angeht :(

Mhhh, zur Idee selber wollte ich unbedingt noch sagen, dass die keineswegs Neu ist. Unter Science-Fiction habe ich eine Geschichte mit ganz ähnlicher Thematik gepostet. "Leila" der Name. Auch darin kommt Orcon vor...wahrscheinlich weitaus besser beleuchtet.
Ich war damals nicht so zufrieden damit und wollte alles nochmal richtig aufziehen. Jetzt sieht es so aus, als ob die alte, halb so lange Story doch besser ist...

 

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