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Am Abgrund
Seit drei endlos langen Stunden in der prallen Sonne mühe ich mich hier schon ab. Die Hitze der Mittagssonne brennt mir unangenehm auf den Kopf, der nur von dem dünnen Stoff der Kapuze geschützt ist. Die harte Arbeit der letzten Stunden hat Spuren hinterlassen. Ich blicke auf meine erdverschmierten Hände, die wie Feuer brennen. Meine Finger sind wund, die Nagelbetten aufgerissen von dem harten trockenen Boden, den wir mit den Händen durchpflügen müssen um die Kartoffel zu ernten. Die ganze Arbeit, dafür dass wir am Ende zwei, drei der kleinsten Früchte mit nach Hause nehmen dürfen. Meine Hand gräbt sich wieder in den Boden und scharrte die Erde zur Seite. Ich muss lange wühlen bis ich endlich eine kleine geschrumpelte Kartoffel in Händen halte. Ich werfe sie in den braunen Weidenkorb der wenige Meter neben dem Feld steht. Der Korb ist erst halb voll. Scheint ein schlechtes Erntejahr zu sein. Wenn sie uns noch weniger zu essen geben, als wir jetzt schon haben, werden wir das nächste Jahr nicht überstehen. Beim Gedanken daran, macht sich ein glucksendes Geräusch in meinem Bauch breit. Ein lang gezogenes Knurren zieht sich quer durch meinen Magen. Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen? Als ich weitermache blicke neidisch auf die dicke ältere Frau neben mir, die eine Schaufel in Händen hält. Ich frage mich, wie sie es schafft nicht abzunehmen und durchforste weiter das Feld nach Früchten. Die Erde brennt in meinen Wunden. Wären wir doch wie alle anderen früher hergekommen, dann hätten wir vielleicht eine der Schaufeln ergattert. Fünfzig Schaufeln für fünftausend Menschen. Das ist doch ein Witz.
Ich stoppe, richte mich auf und überblicke das weite Feld. Überall Frauen, jung und alt, die mühsam Kartoffeln ernten. Keiner spricht ein Wort, die meisten keuchen und schwitzen leise vor sich hin, in der Hoffnung die Qual hätte bald ein Ende. Es musste lustig aussehen, wenn man uns von der Ferne aus beobachtet. Ein Feld, darauf fünftausend Menschen, in weißen Uniformen. Die weiße Uniform wirkt angesichts des Ortes wo ich mich aufhalte noch lächerlicher, als sie es ohnehin im Alltag schon ist. Wer kann sich so einen Schwachsinn nur ausdecken? Ach ja richtig. Hill! Ich blicke weiter und bemerke, dass eine der Aufsichtsperson der Bürgerwehr mich bereits beobachtet oder zumindest in meine Richtung schaut. Sie steht zu weit von mir entfernt, dass ich ihren Gesichtsausdruck hätte deuten können. Ich nehme an, sie wird mich feindselig mustern, so wie sie das die Roten immer tun. Wir nennen sie „ die Roten“, weil sie immer in roten Uniformen rumlaufen. Warum das so ist weiß kein Mensch genau, doch manche munkeln es wäre die Lieblingsfarbe von Präsident Hill. Würde mich nicht wundern, der Alte hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.
„Serafina“ höre ich eine besorgte Stimme neben mir flüstern. Es ist Nonna, die verstohlen zu mir hochblickt. „Willst du Schläge kassieren?“ Als ich Nonnas Gesicht betrachte, sehe ich die vielen Falten, die sich auf ihrer Stirn und rund um die Mundwinkel tief in ihre Haut gegraben haben. Sie war eine so schöne Frau, doch nun sieht ihr Gesicht hager und eingefallen aus. Ihr Teint wirkt ungesund blass und selbst ihr Blick ist stumpf und leblos geworden.
Ehe ich weiterarbeiten kann, ertönt ein schrilles Pfeifen, das uns signalisiert die Arbeit für heute ist beendet. Erleichtert erhebt sich auch Nonna und in ihrem Gesicht erkenne ich wie sich die Anspannung etwas löst. Sie greift sich an ihren Rücken, der wie meiner nach der langen Arbeit und der schlechten Haltung schmerzt. Wie jeden Tag, gehen wir nach der Ernte zurück zum Eingangstor, wo wir an den Roten vorbeigehen, die uns unseren Lohn aushändigen. Eine lange Schlange hat sich gebildet, denn niemand verzichtet auf den mühsam verdienten Lohn. Ich sehe in der Ferne die roten Busse stehen, die uns hergebracht haben und nun auf uns warten um uns wieder nach Hause zu bringen. Wir leben in Fide, eine der drei Städte des Landes. Eine aufgebrachte Frauenstimme reißt mich aus meinen Gedanken. „Was soll das heißen, es sind keine Kartoffeln mehr da?“ Ich dränge mich seitlich an der Menschenschlange vorbei um etwas sehen zu können. Eine junge Frau mit halblangen dunkelbraunen Haaren, deren Gesicht rot glüht. Ob es vor Wut oder der Sonne ist, kann ich nicht erkennen. Ihr Körper ist hager und sie bewegt sich seltsam gekrümmt, als hätte sie Schmerzen. Ich schätze sie ist etwa so alt wie ich. Sie stürmt auf eine der Roten zu und schubbst sie, so dass diese das Gleichgewicht verliert und in die leeren Weidenkörbe plumpste die hinter ihr stehen. Die Frau mit den schwarzen Haaren lacht wirr. Hinter ihr weichen alle erschrocken zurück, als ob sie ahnen dass gleich etwas Schlimmes passieren wird. Die Rote rappelt sich wortlos auf, streicht sich ihre Uniform glatt, ehe sie in ihren Halfter greift und ihre Waffe auf die Frau richtet. Sie zielt direkt auf die Brust der Frau. Doch als diese spöttisch weiterlacht zögert die Rote nicht und drückt einfach ab. Ein tosender Knall ertönt, als die Kugel aus der Waffe schießt. Die Frau versucht zu schreien, doch als sie den Mund öffnet kommt nur ein ersticktes Röcheln gefolgt von einem dunkelroten Blutschwall, der ein grauenvolles Farbenspiel auf ihrer weissen Uniform hinterlässt. Sie ist mit Blut besudelt, so dass man das Einschussloch nicht mehr genau erkennen kann. Die angeschossene Frau torkelt, greift sich staunend auf ihre Brust, ehe sie wimmernd zusammenbricht. Die umstehenden Frauen eilten der Verwundeten die am Boden liegt sofort zur Hilfe, doch als ich ihr verzweifeltes Schluchzen hörte, wusste ich es war bereits zu spät.
Nonna drückt mich fest an sich. „Nicht hinsehen“ flüstert sie mir ins Ohr während sie mich besorgt hin und her wiegt. Sie vergisst mal wieder dass ich bereits zwanzig Jahre alt bin, in zwei Wochen sogar einundzwanzig.
Noch einigen Momenten entlässt mich Nonna aus ihren Armen. Sie fährt sich rasch übers Gesicht, um die Tränen in ihren Augen wegzuwischen. Als sie sieht, dass ich sie besorgt mustere, blickt sie schnell in die andere Richtung. Ohne weiter über Nonnas Tränen nachzudenken, wende ich meinen Kopf wieder nach vorne, wo ich sehe, dass sich die letzte der knieenden Frauen weinend hochrappelt. Nur schwer kann sie sich von der Verletzten trennen, deren Kopf sie in ihrem Schoß gebettet hatte. Auch ihre Uniform ist nun voller Blut. Als ich in das Gesicht der Frau blickte, bemerke ich eine frappierende Ähnlichkeit zu der inzwischen toten jungen Frau. Ein eisig kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Das war ihre Mutter.