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Alte Liebe
Ihre Augen öffnen sich. Ein schwerer, kalter Körper stützt sich über ihr und unter ihr spürt sie eine raue Unterfläche. Alleine die Augen sieht sie in dem Gesicht über ihr. Sie kann kaum etwas in dem dunklen Raum, in dem sie ist, erkennen. Zudem ist das einzige Geräusch, das sie hört, das leise Stöhnen des Mannes über ihr.
„Gefällt es dir denn? Du siehst so nachdenklich aus“, fragt der Mann plötzlich. Seine Stimme klingt rau und verrucht. Kein Wunder, er raucht bereits seit 35 Jahren. Sie gibt im einen Kuss auf die Wange, schaut im in die Augen, die sie kaum sieht und sagt mit trauriger Miene: „Ja! Es ist wunderschön, aber was ist, wenn es jemand mitbekommt?“.
„Das wird keiner erfahren, dafür sorge ich!“. Sie schließt ihre Augen erneut und genießt weiter wie er vorsichtig in sie eindringt, bis hin zu dem beidseitigem Höhepunkt. Erschöpft steigt der Mann von ihr herunter, legt sich neben sie und umarmt mit seinen Arm ihren Bauch. Sie streichelt ihm durch seine grauen, etwas längeren Haare und gibt ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.
„Möchtest du diesmal über die Nacht bei mir bleiben?“, fragt der Mann vorsichtig und hoffnungsvoll. Ein unsicherer Blick taucht auf ihrem Gesicht auf. Sie zuckt mit den Schultern. „Komm schon, es erfährt niemand. Wir verhalten uns völlig normal und hier in meiner Wohnung sieht uns auch niemand“. Sie seufzt und antwortet: „Na gut, dann bleibe ich bis morgen früh.“
Seine Augen öffnen sich langsam und er bemerkt, als er sich umdreht, dass sie nicht mehr neben ihm liegt. Seine Augen schließen sich und eine kleine Träne fließt ihm die Wange herab.
„Wieso? Wieso gerade sie?“, denkt er. Er fühlt sich wie ein Versager und er kann nicht mehr abwägen, was richtig oder falsch ist. Es ist Liebe. Wenn er sie sieht, klopft sein Herz bis an den Hals, er hat verschwitzte Hände und er fühlt sich wie neu geboren. Er steht auf, zieht sich seine Schuhe an und sucht in der gesamten Wohnung nach seiner großen Liebe.
Nach dem hoffnungslosen Versuch sie zu finden, geht er an sein Telefon, wählt ihre Nummer und wartet, bis sie abnimmt. „Liebling? Warum bist du nicht mehr hier? Geht es dir gut?“, fragt er besorgt. Stille. „Ich kann das nicht mehr!“, antwortet sie, „wie soll unsere Beziehung funktionieren? Wir sind blutsverwandt, verdammt nochmal!.“ „Aber ich liebe dich!“, gab er zurück.
Sie fängt an zu weinen und legt auf. Aus Verzweiflung ruft sie ihren Glücks-Bringer an.
Dringend braucht sie jetzt eine Betäubung. Eine kleine, mit flüssigem Dreck gefüllte, Spritze.
„Was? Warum? Du bist clean! Hör auf mit der Scheiße!“, sagt ihr Dealer. „Halt’s Maul und komm’ auf direktem Weg hier her!“, schrie sie mit verheulter Stimme. Es klingelt an der Tür. Mit schnellen Schritten gleitet sie zu Tür und macht diese auf. Sie reißt ihm die Tüte aus den Händen und schlägt ihrem Dealer die Tür vor der Nase zu. Weiterhin verheult, mit roten Augen geht sie in ihr kleines Badezimmer.
„Die Spritze ist bereits gefüllt, Glück gehabt!“, denkt sie. Der Schuss ist gesetzt, sofort beginnt die Wirkung. Ihr ist schwarz vor den Augen und mit schweren Beinen kann sie sich gerade so aufrecht halten. So gut es geht, läuft sie Richtung Telefon und versucht ihren Freund in ihrer Kontaktliste zu finden. Erfolglos. Sie fällt samt dem Telefon in ihrer Hand auf den Boden. Bewusstlos. Acht Wochen ist sie clean gewesen.
„Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache“, denkt er, als er auf seinem Bett liegt.
Nachdenklich verfällt er in einen kurzen Tagtraum. Er und seine große Liebe zusammen in einer neuen Wohnung, in einer anderen Stadt. Nein, am besten in einem anderen Kontinent. Er kommt zu sich und zieht sich seine Schuhe an.
„Ich brauche sie, verdammte Scheiße!“, sagt er mit erhobener Stimme zu sich selbst. Mit erhöhtem Puls steigt der Mann in seinen PKW und denkt einen kurzen Moment über sein Vorhaben nach. Ist Liebe stärker als die Moral? Sind seine Gefühle so stark, um diesen Kampf auf sich zu nehmen. Aber wichtiger dennoch, ist sie denn stark genug? Diese Fragen schwirren ihm einen Augenblick in seinem Kopf herum. Er legt den ersten Gang ein, richtet seine Spiegel aus und gibt Gas. Sein Auto parkt nach wenigen Minuten vor ihrem Haus. Er steigt aus, schlägt die Tür hinter sich zu und geht mit schnellen Schritten an die Haustüre. Er klingelt. Der Mann klingelt erneut. Ihr Auto steht. Sein erster Gedanke: Heroin.
„Scheiße, nein!“. Er drückt auf jede Klingel, um schnellstmöglich in das Reihenhaus zu gelangen. „Mach doch! Los!“, schreit er. Endlich. Er rennt in den dritten Stock. Mit geringer Luft und schon am Keuchen versucht er mit einem starken Anlauf die Tür einzufallen. Nach dem ersten Versuch, dank seinem erhöhtem Adrenalin, gelingt es ihm.
„Schatz? Liebling? Wo bist du?“, ruft er laut durch die Wohnung. Er geht mit schnellem Schritt in das Wohnzimmer. Nach wie vor liegt sie mit einer Platzwunde auf dem Boden. Er nimmt sie in den Arm. „Schatz! Wach auf!“, sagte er und schlägt ihr sanft an die Wange. Keine Reaktion. Er ruft so schnell er kann den Notarzt und widmet sich dann erneut seiner Geliebten.
„Verlass mich bitte nicht, ich liebe dich“, sagt er mit weinerlicher Stimme. Er umarmt sie.
„Ich lasse dich nicht los!“. Er will ihr gerade einen Kuss auf die Stirn geben, da hört er es klingeln. Die Notärzte stürmen rein, als er die Tür aufmacht. „Sie ist im Wohnzimmer, rechte Tür!“, informierte er einen der Ärzte. „Sie hat sich Heroin gespritzt“, fügt er hinzu.
Im Krankenhaus angekommen, wird sie sofort in den OP-Saal gefahren. Er läuft ungeduldig im Wartebereich umher, Tränen fließen ihm die Wange herunter. Der Arzt kommt um die Ecke gelaufen, sein Blick deutet auf eine schlechte Nachricht hin.
„Atemstillstand. Wir haben unser Bestes versucht. Mein Beileid“, sagt der Arzt mit ruhiger, trauriger Stimme. Der Mann sackt in sich zusammen, auf seinen Knien fängt er an zu weinen. Er legt seine Hände ins Gesicht.
„Nein! Nein! Nein! Das darf nicht sein. Nicht sie“, brüllt er. Verzweiflung breitet sich in seinem Körper aus. „Falls sie der Vater der Frau sind, könnten wir mit Ihnen die Papiere diese Woche besprechen“, sagt der Arzt vorsichtig. „Nein, sie hat keinen Vater mehr! Sie ist mein Enkelkind und meine große Liebe!“, gibt er zurück.
Er steht auf und lässt den verdutzen Arzt stehen, geht Richtung Straße und läuft zum Tabakstand. Er kauft sich ein Päckchen Camel, macht sie auf und steckt sich eine an. Mit der Zigarette in der Hand macht er sich auf den Weg zu dem Wohnhaus seiner verstorbenen Liebe. Erneut klingelt er von oben nach unten, zieht die Türe auf und geht in den dritten Stock.
Er setzt sich ins Wohnzimmer, schaltet den Fernseher ein, zieht die letzten Züge seiner Zigarette durch seine Lunge und schaut entrüstet auf die Blutlache seiner Freundin. Mit gesenktem Blick sieht er vor sich die Tüte, in dem das Heroin verpackt ist. Er macht diese auf und sieht, dass darin eine weitere aufbereitete Ladung in eine Spritze aufgezogen ist. Er nimmt sie in die Hand, betrachtet bestürzt und macht sich bereit für einen goldenen Schuss. „Ohne sie, ohne mich!“, spricht er das letzte Mal zu sich selbst.