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Alte Liebe und kalter Kaffee
Als sie ihn sah, hatte sie das Gefühl die Zeit sei stehengeblieben. Er sah aus wie damals. Obwohl es fünf Jahre her gewesen war, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten, sah er kein bisschen älter aus. Er wirkte gelassen und strahlte Zufriedenheit aus, was ihn von dem jungen Mann von damals unterschied. Es machte ihn interessant.
Einen Moment standen sie beide einfach so da und sahen einander an. Anfangs hatten sie sich noch regelmäßig geschrieben, als allerdings feststand, dass er seine Arbeit in Frankreich fortsetzen würde und nicht wie eigentlich geplant nach einem Jahr zurück kommen würde, hatte der Kontakt langsam nachgelassen. Sie dachte viel an ihn und schrieb mehr als nur eine Mail, die sie am Ende nicht abschickte, aus Angst, Dinge über sein Leben zu erfahren, die sie besser nicht hören wollte.
Für sie hatte es nach ihm nicht viele Männer gegeben, zumindest keinen, der in ihr annähernd die Gefühle auslöste, wie sie sie damals bei ihm kennengelernt hatte. Sie hatte sich noch während ihrer Beziehung zu ihrem damaligen Freund in ihn verliebt. Einfach so. Liebe auf den ersten Blick, ganz clichéhaft, so wie sie es nie wirklich für möglich gehalten hatte. Am Ende war sie, nach einer intensiven aber kurzen Affäre, bei ihrem Freund geblieben und er war beruflich nach Frankreich gegangen. Sie hatten nie über Gefühle gesprochen. Sie waren einfach da und das wussten sie beide. In dem Moment aber, als sie mit ihrem Freund zusammenzog, war es vorbei. Sie waren ‚Freunde’, aber der Zauber war nicht vorüber, nie.
Sie wollte, dass das so blieb und wollte einfach nichts darüber hören, dass er womöglich jetzt glücklich verheiratet war und zwei Kinder hatte. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte und spürte, wie sehr der Gedanke sie immer noch traf, senkte sie ihren Blick und schaute angestrengt auf das Büffet, als könnte sie dadurch ihre innere Aufgewühltheit über dieses plötzliche und unerwartete Wiedersehen verbergen.
„Wir stehen im Weg", sagte er grinsend und zog sie sanft vom Buffet fort. Fasziniert bemerkte sie, dass er noch immer das gleiche charmante Lächeln hatte, das ihr schon damals am besten an ihm gefallen hatte. „Wollen wir zusammen einen Kaffee trinken?", fragte sie mit weichen Knien. „Wir haben uns fünf Jahre nicht gesehen, klar trinken wir einen Kaffee zusammen", sagte er. Ihr wurde plötzlich bewusst, wie sehr sie ihn all die Jahre vermisst hatte. Am liebsten hätte sie ihn auf der Stelle umarmt. Sie gingen auf einen Tisch zu und er rückte ihr den Stuhl zurecht. „Wie geht’s Dir?", fragte sie ihn nervös. „Vielen Dank, mir geht’s sehr gut", antwortete er strahlend. Ihr Herz zog sich zusammen. „Wie waren die letzten fünf Jahre?“ Sie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. Er legte die Stirn in Falten und mit diesem, ihr erschreckend vertrauten Gesichtsausdruck erzählte er ihr über seinen beruflichen Werdegang der letzten Zeit, seine Erfahrungen in einem anderen Land zu arbeiten und zu leben.
Sie hatte ihm früher sehr gerne zugehört, aber jetzt konnte sie sich nur schwer auf das, was er sagte konzentrieren. Sie sahen sich lange schweigend an, so als wisse der eine was der andere gerade denkt und nach langem, hoffnungsvollen Schweigen fragte sie schließlich, auf die Art und Weise, die er eigentlich noch gut von ihr kennen sollte, auf die Art, die nie ganz klar machte, ob sie scherzte oder es ihr ernst war: „Und? Verheiratet? Verlobt? Kinder...?"
Sie versuchte weiter zu atmen und sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich und er atmete tief ein. Sie wollte nichts hören. Oder doch? Die Situation war unerträglich.
Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, sagte er: „Nein. Nicht verheiratet, nicht verlobt, keine Kinder und über all das auch nicht ernsthaft nachgedacht. Ich hab mich schon damit abgefunden, dass ich einsam sterben werde", fügte er in gespieltem Bedauern hinzu. Unmerklich atmete sie aus und ließ ihren Körper erleichtert entspannen. „Und bei Dir?", fragte er und schaute auffallend gelangweilt auf seinen kalt werdenden Kaffee. Sie grinste ihn an und sagte: „Du weißt doch, dass ich eigentlich immer nur auf Dich gewartet habe."
Nach kurzem Schweigen wurde ihr Gesicht ernst und sie senkte nun ihrerseits den Blick um ihm bei den folgenden Worten nicht in die Augen schauen zu müssen. "Ich hab’ dich nie vergessen. Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, warum ich es mit niemandem lange ausgehalten habe. Ich habe jedes Mal gedacht, dass es geht, dass ich es überstanden habe, aber ich hab's nie geschafft. Du warst bei mir, die ganzen verdammtem fünf Jahre." Langsam sah sie zu ihm auf. "Verdammt, das war ehrlich", dachte sie und konnte es selbst kaum glauben. Im Hintergrund lief ‚Sad Beautiful Tragic’ von Taylor Swift und alles passte. Die Welt stand still. Alles war egal. Sie sahen sich einfach nur an. Wie damals. Nur jetzt. Nur frei. Und entschlossen. Plötzlich war alles so einfach. Sie saßen da, jeder vor einem fast kalten, unberührten Kaffee. „Wir sollten ihn trinken, bevor er kalt wird", sagte er.
„Ja, mit manchen Dingen sollte man sich nicht allzu viel Zeit lassen“, sagte sie lächelnd. Er nahm ihre Hand und antwortete leise: “Das stimmt. Aber offenbar macht es bei anderen Dingen gar nichts aus...“.