Hallo Cinnamon Butler,
die Idee zu deiner Geschichte gefällt mir eigentlich sehr gut. Und sprachlich finde ich sie auch ganz ansprechend. Aber leider gefällt mir die Geschichte an sich nicht.
NWZed hat es eigentlich schon sehr gut auf den Punkt gebracht, wie es mir damit gegangen ist. Trotzdem werde ich auch noch ein bisschen genauer darauf eingehen. Die Geschichte ist nämlich ein gutes Beispiel für verschiedene Dinge, die ich bei anderen Texten schon oft als störend empfunden habe, und es ist immer schön, wenn man solche Sachen mal klar formulieren und an einem Beispiel festmachen kann, als wenn man bloß so ein nebelhaftes "hmm, irgendwas ist hier nicht stimmig"-Gefühl hat. Dass soll nicht heißen, dass deine Geschichte schlecht ist - es haben sich ja auch schon einige Leser geäußert, denen sie richtig gut gefällt - sondern einfach, dass sie ein paar Dinge tut, die nicht mein Fall sind, und das so deutlich macht, dass sie mir beim Nachdenken geholfen hat. Von daher muss ich dir auf jeden Fall für die Geschichte danken, auch wenn sie mich in literarischer Hinsicht nicht so richtig überzeut hat.
Also, was sind diese Dinge, die nicht mein Fall sind?
Ding #1: Metaphern-Overkill
Metaphern sind eine großartige Sache, ganz besonders, wenn man so etwas ausdrücken will, das irgendwie nebelhaft und schwer auf den Punkt zu bringen ist. Aber ich finde es wichtig, sie nicht überzustrapazieren, denn sonst verkehrt sich der Effekt gerne mal ins Gegenteil.
Wie meine ich das? Du hast ein sehr schönes Beispiel gleich am Anfang des Textes geliefert.
Wieder jonglierte er die Antworten wie rohe Eier.
Das gefällt mir richtig gut. Es gibt ja solche Gedankenprozesse, wo sich immer und immer wieder die selben Gedanken im Kreis drehen, und wo man unbewusst immer dafür sorgt, dass ja alles auf der gewohnten Bahn bleibt, nicht dass irgendwas schief geht und man sich irgendetwas Schmerzhaftem stellen muss. Und wenn man so einen komplexen gedanklichen Vorgang gut und schnell auf den Punkt bringen möchte, würde mir spontan kein besseres Beispiel einfallen als dein Satz. Das Bild, dass jemand mit rohen Eiern jongliert, bringt das wunderbar rüber, ohne dass du viel herumreden musst. Vielleicht ist das, was ich hineingelesen habe, nicht
genau das, was du ausdrücken möchtest - genau können Metaphern auch nicht wirklich sein - aber ich lese den Satz und habe auf der Stelle das Gefühl, ich weiß, was du sagen willst. Das ist richtig gut, und gelingt bei weitem nicht so oft, wie man sich das als Autor wünscht. Leider habe ich den Eindruck, du hättest selbst kein Vertrauen in die Kraft dieses Satzes. Und deshalb hast du da noch einen Haufen anderer Sätze hinterhergeschoben, die nichts hinzufügen, sondern eher etwas wegnehmen.
Mal auf einem Bein. Mal mit geschlossenen Augen. Bis das erste Ei runterfiel und zerbrach. Und auch das Zweite ließ nie lange auf sich warten. Bis die Wut über die eigene Unfähigkeit jedes weitere Ei auf dem Boden zerschellen ließ und nur die Frage wie ein hypnotisierter Clown weiter in der Manege tanzte.
Das fand ich beim Lesen richtig, richtig schade. Gerade hattest du mir dieses schöne Gefühl geschenkt, dass ich einen Satz gelesen hatte und dachte, ich wüsste ganz genau, was du damit ausdrücken willst. Und dann kommt eine ganze Palette von Sätzen, wo ich schlichtweg
keine Ahnung habe, was das aussagen soll. Wie jongliert man
mental auf einem Bein und mit geschlossenen Augen? Was für ein Bein? Was für Augen?
Also gefühlt sagst du mir erst: Perdita, du bist eine schlaue Leserin, du hast genau verstanden, was ich meine. Und dann: Haha, verarscht, in Wirklichkeit kapierst du überhaupt nichts und meine tolle Metapher ist viel zu hoch für dich. Erwartest du wirklich, dass ich deine Geschichte hinterher noch lieb habe?
Wie man mit Metaphern umgeht, also wieviele man verwendet, und wie lange man auf einem einzelnen Bild herumreitet, ist eine sehr individuelle Angelegenheit und natürlich hat die künstlerische Freiheit da das letzte Wort und nicht, wie ich persönlich mich nach dem Lesen eines Absatzes fühle.
Aber so generell bin ich da schon der Meinung: Weniger ist mehr.
Ding #2: Erschlichener Twist
Ich finde es richtig toll, wenn eine Geschichte mich überrascht. Es ist klasse, wenn der Mörder jemand war, den man nie im Verdacht hatte, oder der Protagonist die ganze Zeit ein Geist war. Und für einen Autor ist es ein großartiges Gefühl, wenn man es schafft, Leser hinters Licht zu führen und am Ende der Geschichte die Reaktion kriegt: Wow, das hätte ich wirklich nicht vermutet.
Ich habe also viel Verständnis für den Wunsch, eine Geschichte mit einem Twist enden zu lassen. Aber ich habe zu dem Thema auch strenge moralische Ansichten. Ich finde, man muss sich so einen Schluss ehrlich verdienen. Man darf dabei nicht mogeln - oder höchstens ein kleines bisschen. Das Schöne an so einer Wendung ist für den Leser ja die Erkenntnis: Man hätte es von Anfang an ahnen können, aber der Autor war so geschickt, dass man auf eine falsche Fährte gelockt wurde oder etwas eigentlich Offensichtliches übersehen hat. Wenn man aber etwas nicht bemerkt hat, weil der Autor einem quasi etwas vorgeschwindelt hat, dann stellt sich dieses Gefühl eben nicht ein.
Man kann dir nicht vorwerfen, du hättest in deiner Geschichte aktiv geschwindelt. Es gibt keine Stelle, wo du explizit sagst: Charlie ist ein Mensch, nur um dann am Schluss zu sagen: Haha, denkste, Charlie ist ein Hund.
Aber aus meiner Sicht ist das Problem, dass du es implizit ausdrückst. Und gefühlt ist das für mich dann am Ende genausowenig ein verdienter Twist, als wenn du geradewegs behauptet hättest, dass Charlie ein Mensch ist.
Ein paar Beispiele:
Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen Charlie sich fragte, wann das Leben statt der asphaltierten Straße plötzlich den Trampelpfad genommen hatte.
Die Aussage hier ist: asphaltierte Straßen sind besser als Trampelpfade, und es ist schlecht, wenn das Leben von der asphaltierten Straße abkommt. Wer mag asphaltierte Straßen lieber als Pfade? Hunde, die gerne spazieren gehen und ungern von Autos überfahren werden? Oder Menschen, die sich gerne schnell fortbewegen? Also schon beim ersten Satz gibt es eigentlich nur eine logische Schlussfolgerung hinsichtlich der Spezies deines Protagonisten, und "Hund" ist es nicht.
Wieder jonglierte er die Antworten wie rohe Eier.
Wir wissen nicht, wie Hunde denken - sie haben völlig andere Sinneswahrnehmungen als wir, in denen Gerüche eine viel größere Rolle spielen, und keine verbale Sprache. Keine "Übersetzung" von Hundegedanken in Textform wird je an die Realität herankommen. Aber ich denke, wir können beruhigt davon ausgehen, dass das Jonglieren roher Eier kein Bild ist, das ein Hund für seine Denkprozesse verwenden würde. Natürlich kann man argumentieren: Das sagt ja nicht Charlie, das sagt der Erzähler. Trotzdem hast du den Eindruck erweckt, du würdest Charlies Gedanken wiedergeben - und das sind eindeutig die Gedanken eines Menschen. Du führst mich nicht geschickt hinters Licht, sondern stülpst mir einfach einen Sack über den Kopf, damit ich nicht sehe, was du treibst.
Kein Strom. Kein Gas. Neuer Planet.
Kein Hund weiß, was Strom, Gas oder Planeten sind. Alles, was Charlie rechtmäßig wissen kann, ist dass er von den Menschen, die er geliebt hat, allein zurückgelassen wurde. Alles andere ist der Erzähler, der sich einmischt - aber auch hier ist nicht deutlich, dass an der Stelle nicht Charlies eigene Gedanken wiedergegeben werden.
Auch Charlie packte fleißig mit, bis es plötzlich hieß: Tiere waren nicht erlaubt.
Das schrammt dann schon sehr nah an einer aktiven Schwindelei vorbei. Hunde bringen vielleicht mal einen Gegenstand, wenn sie darauf trainiert sind. Aber für einen intergalaktischen Umzug zu packen, dürfte sie überfordern.
Ich weiß, dass es eine wirklich schwierige Übung ist, aus der Sicht eines nichtmenschlichen Protagonisten zu schreiben, und nur wenige Autoren bekommen das überzeugend hin. Und wenn man sich dann noch das Ziel setzt, die Leser sollen bis zum Schluss nicht merken, dass der Protagonist kein Mensch ist, ist das natürlich noch mal ein zusätzlicher Schwierigkeitsgrad. Aber nach meinem Eindruck hast du hier gar nicht erst versucht, diese Hürden zu nehmen. Es ist doch nun wirklich keine Kunst, dass kein Leser erahnen kann, dass Charlie ein Hund sein soll, wenn nichts von dem, was du über ihn erzählst, auch nur annähernd hundeartiges Verhalten beschreibt. Du hast dir deinen "überraschenden Schluss" nicht ehrlich erarbeitet, weil die Überraschung allein darauf basiert, dass du bis zu dem Moment, wo du enthüllst, dass Charlie ein Hund ist, quasi vortäuschst, dass es um einen Menschen geht.
Ding #3: Unplausibles Dystopie-Szenario
Das ist für die Intention deiner Geschichte zwar kein besonders wichtiger Punkt, aber ich muss trotzdem ein bisschen darauf herumreiten, weil ich mich mit den diversen Möglichkeiten, literarisch die Welt untergehen zu lassen, gerne beschäftige und mir bei solchen Geschichten deshalb kleine Unstimmigkeiten besonders auffallen.
Die Entscheidung wurde innerhalb weniger Tage getroffen.
Die Entscheidung, auf einen neuen Planeten überzusiedeln, ist ganz sicher keine Sache von Tagen (zumal es nach heutigem Stand der Technik keine bewohnbaren in Reichweite gibt). Vor allem nicht in einer vom Krieg verheerten Welt, wo es nicht mal mehr eine Stromversorgung gibt (aber Raumschiffe???). Du hast zwar den Tag Fantasy statt Science Fiction gewählt - aber trotzdem würde ein Anstrich von ein bisschen Plausibilität nicht schaden.
Wie er geahnt hatte, war der Supermarkt gefüllt mit Lebensmitteln.
Gesellschaften, die nicht mit ausreichend Energie versorgt sind, haben selten reich gefüllte Supermärkte. Damit Lebensmittel dort landen, müssen sie mindestens transportiert und gekühlt werden - ohne Strom und Gas nicht so einfach. Charlie müsste sich wahrscheinlich mit Jagd durchschlagen, um zu überleben.
Insgesamt fand ich es schade, dass diese Dinge für mich die Geschichte so überschattet haben. Die Grundidee, die Geschichte eines Hundes zu erzählen, der auf einer Erde, die von den Menschen verlassen wurde, zurückgeblieben ist, gefällt mir richtig gut - aber aus meiner Sicht würde so eine Geschichte am besten wirken, wenn man sich auf dieses - eigentlich ja herzerreißend traurige - Szenario konzentriert und nicht mit überstrapazierten Metaphern und Wendungen von diesem emotionalen Kern ablenkt. Die Geschichte hat mich zwar viel zum Denken angeregt - was auf jeden Fall schon mal eine gute Sache ist. Aber was ich mir von dem Text eigentlich gewünscht hätte, wäre, etwas zu fühlen - nämlich Mitgefühl mit Charlie. Das war leider nicht der Fall.
Grüße von Perdita