Mitglied
- Beitritt
- 23.08.2002
- Beiträge
- 11
Als ich mit Gott Schluss machte
Als ich mit Gott Schluss machte - eine Satire auf die Apokalypse (1999)
Es begann alles in der kleinen Kirche meines Heimatdorfes. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ein moderner, technologisierter Mensch. Wäre ich dies nicht gewesen, hätte ich alles vermutlich
erst viel später mitgekriegt.
Ich war auf der Beerdigung meiner Tante. Ich hatte sie kaum gekannt, aber irgendwie hatte meine Firma von dem Todesfall Wind gekriegt und mich dorthin beordert. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass es vor den Feiertagen ohnehin nicht mehr viel in der Firma zu erledigen gab und die meisten Kollegen ohnehin schon im Urlaub waren.
Auf jeden Fall hatte ich überhaupt keine Lust auf die Beerdigung und war schon so schlecht gelaunt. Mein Lebensgefährte hatte mir versprochen, mich heute um elf Uhr anzurufen, und nun war es schon
viertel nach elf und mein Handy hatte immer noch kein Lebenszeichen von sich gegeben. Gerade wurde, durch eine kleine Menschenmenge von mir getrennt, meine Tante ins Grab niedergelassen. Dem kaum Achtung zuweisend holte ich ärgerlich mein Handy heraus und wollte es auf klingeln stellen, vielleicht hatte ich sein Vibrieren nicht
mitbekommen. Nur sprang das Display des Handys nicht an. Ich
bemühte mich, nicht zu laut zu fluchen: das hatte mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt. Aber es sollte noch besser kommen.
Als die Beerdigung endlich zu Ende war und ich gerade nach Hause fuhr, klingelte mein Handy. Verwundert nahm ich das Gespräch an. Es war mein Lebensgefährte. Er schien nicht seinen geistreichen Tag zu haben, aber ich ließ seinen Monolog über mich ergehen und wunderte mich stattdessen lieber weiter, als ich vor mir eine Autoschlange sah, obwohl kein Hindernis zu erkennen war. Ich bremste und wollte hupen, aber die Hupe funktionierte neuerdings nicht mehr. Zur
Krönung fiel mein Handy erneut aus, genau wie mein gesamter Wagen. Sprachlos über diesen Technologieaussetzer, raste ich meinem
Vordermann aufs Heck, der allerdings nicht einmal allzu sauer wirkte, weil ihm wohl dasselbe vorher passiert war.
Ratlos und total verwirrt stieg ich aus. In dem Moment hörte ich einen lauten, tiefen Glockenton. Neben meinem angeschlagenen Wagen stand eine Kirche, aber ich war mir sicher, der Glockenton
kam nicht von ihr...
Auch die anderen Leute schauten sich sichtlich verwirrt um, also hatte entweder wirklich eine Glocke geläutet, oder wir waren alle verrückt geworden. Derjenige, dem ich aufs Heck gefahren war, sprach
mich an. "Das ist uns allen so ergangen. Wir haben schon einen zu einer Telefonzelle geschickt, aber die funktionierte auch nicht mehr. Als ob es keinen Strom mehr gäbe!" Geistesabwesend nickte ich.
In diesem Moment raste an uns ein seltsames Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit vorbei, aus ihm tönte laute Satanistenmusik, das Fahrzeug war über und über mit Oktagrammen und anderen
satanistischen Zeichen bemalt - mit einer braun - rötlichen Farbe... Und - sie fuhren...
Ich verstand überhaupt nichts mehr, schnappte aber noch ein Stück ihres Sounds auf: "Auf in den Kampf, auf in den Kampf!", von tiefen Bässen unterlegt. Ich beschloss, zur nächsten Polizeistelle
zu gehen, wobei mir klar wurde, wie sehr ich ausser Form war.
Die Glastür der Polizeiwache war ausser Betrieb, und als ob ich heute nicht schon genug hätte erdulden müssen, hatte sich bereits ein große
Menschenmenge davor angesammelt. Die beiden Beamten an der Tür hatten sichtlich Mühe, die Leute ruhig zu halten. Ich drängelte mich, von
unfreundlichen Blicken begleitet, zu einem der beiden durch. "Was ist hier eigentlich los?" fragte ich den Polizeibeamten. Der Mann ignorierte mich erst, aber als er sah, dass ich sonst wohl keine
Ruhe geben würde, antwortete er: "In fast allen Stadtteilen ist der Strom ausgefallen, selbst in den Wasserpumpen und Kläranlagen." Er wollte weiterreden, aber ich unterbrach ihn. "Haben die keine Notstromaggregate?" "Das ist es ja eben. Die Notstromaggregate liefern keinen Strom, genau wie die Kraftwerke, und bis jetzt haben die Experten noch keine Erklärung gefunden." Allmählich wurde ich echt sauer. Dabei wollte ich doch heute Abend ins Kino! In diesem Moment hörte ich eine Glocke zweimal läuten, der Himmel wurde rot und ich ohnmächtig.
Ich wurde zwischen Kerzen wach. Es sah aus wie in einer Kirche, auf den zweiten Blick entpuppte das von Kerzen beleuchtete Zimmer sich als Büro. Ich war im Polizeipräsidium. Eine junger, freundlich
wirkender Beamte kam mit einer heißen Tasse Tee auf mich zu. "Schön, dass sie wieder bei Bewusstsein sind. Ich heiße Josef" stellte er sich vor und drückte mir die Tasse Tee in die Hand. Ich dankte ihm, schaute auf die Vorhänge, die normalerweise weiß waren, aber durch das Licht draußen rosa aussahen und setzte an: "Was ist das
für ein seltsames Licht?" Josef, was auch der Name war, der auf dem Plastikschildchen auf seiner Uniform stand, seufzte. "Das wissen wir leider auch nicht. Die Wissenschaftler streiten sich darum, ob
das alles durch eine Veränderung der Sonneneinstrahlung oder doch einer Atmosphärenschicht ist, und die Zeugen Jehovas haben schon wieder begonnen, sich die hundertvierundvierzigtausend schönsten Häuser des Planeten auszusuchen." Er grinste über seinen Witz, und auch ich musste lachen.
"Soll ich sie nach Hause bringen? Im Moment sind die Strassen nicht sicher.", bot er an. Ich überlegte einen Moment und nickte. Es war sicherer und außerdem mochte ich ihn irgendwie. Auf dem Weg nach unten kamen wir an einer Karte vorbei, an der einige von Josefs Kollegen gestikulierend standen. "Das sind die stromlosen Zonen." erklärte Josef. Ich blieb einen Moment stehen und betrachtete die Karte, da fiel es mir auf. Aber - das konnte nicht sein! Das war schlicht unmöglich. Ich entsann mich: mein Handy war auf der Beerdigung ausgefallen, aber später wieder angesprungen, um
wieder auszufallen - bei einer Kirche... aber die Satanisten blieben unberührt. Ich hatte das Gefühl, alles und gar nichts zu verstehen.
Die Karte gab mir recht: um sämtliche Kirchen dieser Stadt und dann auch wohl dieses Landes, des Planeten gab es keinen Strom. Und wenn ich die Beamten gerade richtig verstanden hatte, dann wuchsen diese Radien, auch wenn sie noch nicht auf den Gedanken mit den Kirchen gekommen waren. Wenn Josef wusste, wie recht er vielleicht mit seinem Witz eben gehabt hatte...!
Ich wandte mich zu Josef um und teilte ihm meine Erkenntnisse mit. Er bekam große Augen, war aber nicht so überrascht, wie ich es erwartet hatte. Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt. "Ich werde es den anderen sagen, aber erst mal bringen wir Dich nach Hause." Ich hatte nichts einzuwenden. Die Menschenmenge vor der Tür war weiter angeschwollen. In dem Moment, wo wir das Gebäude verliessen, schoss ein Wagen der Satanistenbewegung, die es wohl in dieser Stadt
gab, an der Menschenmenge vorbei und eröffnete das Feuer. Schreiend stürzten Menschen zu Boden. Man kann sich vorstellen, dass ich erschrocken war.
Das waren die Polizisten auf dem Dach des Gebäudes nicht. Das Satanistenmobil sah kurze Zeit später aus wie ein Schweizer Käse, doch der Fahrer war entweder nicht getroffen worden oder
konnte noch so weiterfahren, denn er versuchte während seines Rückzuges, noch ein paar Passanten unter die Räder zu bekommen. Was war los hier? Auch Josef sah - nein, nicht entsetzt, er sah
unglaublich wütend aus. Ich hätte ihn meiner ersten Einschätzung nach für jemanden gehalten, der überhaupt nicht so wütend werde konnte, aber jetzt war er es eindeutig. "Wir sollten uns beeilen, wir brauchen im Moment jeden Einzelnen." Ich nickte nur. Ich bat Josef, ob wir eventuell einmal bei meinem Auto vorbeischauen könnten. Er war einverstanden.
Mein Auto war ein Schrotthaufen und die Gegend gepflastert mit... die Satanisten waren scheinbar auch hier einmal vorbeigekommen. Um die
wenigen Verletzten kümmerten sich einige Leute, die eine seltsame weiße Kleidung trugen. War denn jetzt die gesamte Welt religiös durchgetickt? Mir auf jeden Fall kam es so vor. Eine Glocke läutete
dreimal. Letztes Drittel, dachte ich. Das dachten sich unsere weißen Helfer auch, denn sie ließen die Verletzten zu deren Überraschung und
Verzweiflung liegen und stürmten in die Kirche, und auch die Satanisten schienen da definitiv einer Meinung zu sein, denn man konnte hören, wie sie mit ihren Waffen in die Luft feuerten. Das Ganze wurde mir zu bescheuert, aber das wurde sie demjenigen, der gerade diese ganze Show abzog, wohl auch. Das Grinsen verbot ich mir, ich sah sie.
Die himmlischen Heere. Josef fluchte und lief los, ich hinterher. Aber wohin wollten wir schon fliehen? Ich bekam ganz genau mit, wie sie heruntergeritten kamen. Sie schienen aus der Sonne zu kommen, auf strahlenden Rossen mit blitzenden Waffen. Dann waren sie auch schon da. Sie hatten lange, goldene Flügel, langes blondes Haar und verdammt scharfe Schwerter, die aus ihren Mündern kamen, mit
denen sie sich mit den Satanisten Kämpfe lieferten. Diejenigen, die Ihnen zu nahe kamen, aber keine Satanisten waren, wurden mit einem goldenen Stab berührt und sackten darauf wie tot - tot - zusammen.
Josef und ich rannten im Moment vor einem uns lieblich anlächelndem Engel davon, der uns wahrscheinlich, wenn schon nicht mit seinem
Mundschwert, doch mit seinem Zauberstab im Jenseits zu einem Schwefelpoolbad einladen wollte. Davon hielten wir aber nicht so viel. Wir kamen an einem Satanistenmobil vorbei. Noch hielten sich die Satanisten. Ihr Mobil war ein besonderes: ein alter Armeeschützenpanzer, auf den sie vorne eine 666 gemalt hatten, natürlich in rot-brauner Farbe.In diesem Moment schrie Josef auf und starb. Ein mich gnädig anlächelnder Engel hatte ihn kaltgestellt. Ich schrie wuterfüllt und, wie ich nicht recht zugeben wollte, verzweifelt auf und schlug nach dem Engel. Überrascht wich er zurück, ich passte einen Moment nicht auf und knallte rückwärts gegen das 666-Mobil. Der Engel kam schon wieder angeflogen, seinen Stab auf mich
gerichtet. "Schwirr' ab!" rief ich in Verzweiflung, doch er kam
immer näher. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich kletterte auf das 666-Mobil. Die Satanisten, die sich dort verschanzt hatten, schauten mich verwundert an, aber verzichteten darauf, mich abzuschießen, sondern warfen mir sogar eine MP zu. Ich hatte keine Ahnung, wie man mit dem Teil umging, aber das konnte wohl nicht so schwer sein, wenn diese Satanistenprimaten, die mir wohl gerade das Leben geschenkt hatten, das konnten.
Ich zielte mit der MP auf meinen Erlöser, der schon wieder fast bei mir war, und drückte ab. Der Kopf des Engels zerplatzte in tausend Stücke. Mir wurde speiübel, unter anderem, weil mir klar wurde, dass
ich mir gerade unendlich Jahre Schwefelpool eingehandelt hatte. Eine halbe Stunde später hatten uns die himmlischen Heere zur Hölle
geschickt, mir gab man den Stab.
Ich kam in einer kleinen, nur mit einem Stuhl, einem Tisch und einem Bett ausgestatteten Zelle zu mir. Hatte Gott sich nicht entscheiden können und mich in ein Zwischending zwischen Hölle und Himmel, natürlich mit Tendenzen zur Hölle, gesteckt? Ich hörte eine Stimme von draußen. "Katharina Coelei wird gebeten, sich in den Gerichtssaal zu begeben. Ihr Prozess beginnt sofort." Mir war nicht gerade wohl zumute, aber ich war auch verdammt sauer. Ich verließ den Raum
durch seine einzige Tür und erschrak mich zu Tode, da viel mir ein, dass ich schon Tod war. Vor mir stand der Engel, dem ich den Kopf weggepustet hatte. Er schien nicht einmal böse zu sein. "Folge
mir!" forderte er mich mit einer furchtbar sanften Stimme auf.
Er brachte mich direkt in den Gerichtssaal. Rechts waren mehrere Engel an unglaublich gewaltigen Schriftrollen, auf denen wohl alle Taten aller Menschen aufgeschrieben waren. Wie viel Platz Gott mit einem Computer hätte sparen können!
Links saßen einige Engel, vermutlich vertrieben sie sich die Langeweile der Ewigkeit durch Zuschauen bei diesen Prozessen. In der Mitte war Gott. Er hatte einen langen Bart, war ständig von einer leicht transparenten, grauen Wolke umgeben, und hatte glühende Augen.
Trotzdem sah er nicht besonders furchteinflössend aus, aber auch nicht väterlich, sondern eher gestresst, müde, gelangweilt. Ich setzte mich auf einen mir dargebotenen Platz.
"Katharina Coelei, Ihnen wird folgendes zur Last gelegt:" Ich schaute zu einem der Engel rechts an den dicken Schriftrollen hinüber, der nun zu lesen begann. "Sie haben nicht die zehn Gebote befolgt.
So haben Sie gestohlen, einen Engel bei der Arbeit behindert und von ihrer früheren Affäre wissen wir auch. Ausserdem hatten Sie Sex vor der Ehe." Gott schüttelte den Kopf. "Diese leichten Vergehen
wären zu vergeben, wenn man an meinen Jesusbonus denkt," setzte Gott an, "aber dass Du nicht an mich geglaubt hast und auch nicht zur
Kirche gegangen bist", das stimmte leider, "finde ich unmöglich. Dazu hast Du weder Geld für Arme gespendet, Nächstenliebe kennst Du ohnehin wohl nur aus dem Wort zum Sonntag, außerdem, aha,
Du hast Dir als kleines Kind ein Bild von mir gemacht. Selbst wenn es nahezu stimmte, habe ich das verboten. Wie, hast Du nicht gewusst? Engel 2.473, bitte für Mensch 7.123.654.678 und 7.123.654.679 eine kleine Sünde anschreiben." Er wandte sich wieder mir zu. "Selbst wenn wir die Erbsünde mal unter den Tisch fallen lassen", er
schüttelte erneut den Kopf, "kann ich Dich einfach nicht unter die hundertvierundvierzigtausend Erwählten lassen, verstehst Du?"
Ich verstand nicht und setzte, zu Gottes und der Engel Empörung,
zum Konter gegen den Allmächtigen an! "Also ich finde das unfair. Du hättest Dich halt mal zeigen müssen. Wenn Du doch so allmächtig bist, hättest Du erstens es uns ein bisschen einfacher machen können und warum nimmst Du dann nur so wenige auf, statt gnädig zu sein, die Gesetze ein bisschen zu lockern und uns ein bisschen nachzuhelfen in
unseren Taten? Ich frage mich eh, warum Du uns für etwas verurteilst, wofür wir im Endeffekt gar nichts können, aber Du! Wer hat uns denn
geschaffen. Bist Du vielleicht einfach gar nicht allmächtig? Wenn Du es bist, dann hättest Du nämlich mal so nett sein können, uns im Rahmen Deiner Nächstenliebe uns ein bisschen perfekter zu schaffen. Geht das in Deinen Kopf?" Den Mut, dies zu sagen, kam wohl aus meiner Wut, die aus meiner Angst entstanden war.
Ein Raunen ging durch die Engel. So etwas wagte kaum einer. Der Engel, dem ich das Gesicht weggepustet hatte, grinste. "Gut gemacht hätte ich nicht besser machen können." Aha, schöner Schutzengel, den ich da hatte! Gott räusperte sich und drückte einen Knopf, unter
mir öffnete sich der Boden, ich rutschte eine lange Rutsche entlang und landete in einem Schwefelpool, nicht etwa in einem temporären
Fegefeuer oder einer Wolkentreppe, leider. Einige Satanistenkumpels erkannte ich wieder, dann kam aber auch schon ein roter Pfleger und meine erste Stunde quälen begann.
---
Ich habe die Geschichte vor drei Jahren geschrieben und nun, wo ich das auf dieses Forum gestoßen bin, dachte ich, ich stelle sie mal online. Viel Vergnügen!