Als die Schmetterlinge die Nachtfalter entdeckten
Auf einer Wiese, weit weg von den Städten der Menschen, umgeben von einem Wald, wimmelte es nur so von Insekten. Am Tage, sah man weit und breit nur noch das Meer aus Schmetterlingen. Groß, klein, bunt und vielfältig waren sie. Unten am Boden tummelten sich Käfer, Heere von Ameisen und allerlei andere winzige Insekten. In der Nacht verschwanden die Schmetterlinge, und die Nachtfalter nahmen ihren Platz ein. Majestätisch wie die Schmetterlinge, bloß in dunklen Farben, mit teilweise merkwürdigen Formen und ungekannten Größen, zogen sie ihre Kreise über die Graslandschaft. Sie hatten niemals einen Schmetterling gesehen, und die Schmetterlinge hatten noch nie einen der nächtlichen Schwärmer zu Gesicht bekommen. Sie existierten friedlich miteinander am gleichen Ort, ohne von des anderen Existenz zu wissen. Als eines Abends der kleine Schmetterling Rupert die Zeit vergaß und in einer Blume verweilte, bis die Sonne bereits untergegangen war, flogen die anderen Schmetterlinge ohne ihn zu den Schlafplätzen. Als er sein Nickerchen in der Blume beendet hatte, stellte er erschrocken fest, dass um ihn herum vollkommende Dunkelheit herrschte. Als er dann gen Himmel blickte, sah er den runden Mond, und fragte sich, ob die Sonne wohl krank sei, und deshalb nur noch so schwach leuchtete. Suchend schaute Rupert sich um, um die anderen Schmetterlinge zu entdecken. Er war schon bereit aufzugeben, und einfach in der Blume auf die Genesung der Sonne zu warten, da entdeckte er einen Schatten, der ihm bekannt vorkam. Es war der Schatten eines Nachtfalters, der Ähnlichkeit mit dem eines Schmetterlings aufwies. Rupert schoss aus der Blume heraus, und machte lautstark auf sich aufmerksam. Da kamen auf einmal noch viele andere Schatten auf ihn zu, und erst freute er sich, doch dann sah er, dass die Flügel dieser Schmetterlinge, grau und braun waren, und dass ihre Körper pelzig und dick waren. Erschrocken wich er vor ihnen zurück, doch sie flogen ihm hinterher, denn sie hatten noch nie einen so bunten Falter gesehen, und fanden ihn wunderhübsch. Laut riefen sie dem flüchtenden Rupert hinterher, er solle doch anhalten, und sich ansehen lassen, doch Rupert sprach nicht ihre Sprache, und vernahm bloß bedrohliches Zirpen und Zischen. Panik stieg in dem kleinen Schmetterling auf. Er hatte Angst, dass er sein Heim nicht rechtzeitig finden würde, und diese grässlichen Schmetterlingsungeheuer ihn einholen könnten. Plötzlich entdeckte er den Baumstumpf in dem seine Schmetterlingsgefährten jeden Abend zurückkehrten, und rief laut „Zu Hilfe, zu Hilfe!“ Im Baumstumpf brach rasch ein unruhiges Surren aus, und die Schmetterlinge strömten in einem Schwarm aus flatternden Flügeln und brummenden Körpern aus dem kleinen Eingangsloch hervor.
Die Nachtfalter hatten Rupert mittlerweile eingeholt, da ihre Flügel viel kräftiger waren als seine, und versammelten sich nun um den deutlich größeren Schmetterlingsschwarm. Bewundernd schauten sie die Farbenpracht ihrer Flügel an, und glaubten Faltergötter vor sich zu haben. Die Schmetterlinge nahmen Rupert nun wieder in ihre Mitte auf, und betrachteten voller Abscheu die farblosen, unförmigen Nachtfalter. Sie waren unschlüssig, ob diese Wesen eine Gefahr darstellten, und schwiegen deshalb. Doch plötzlich hörte man in den Schmetterlingskreisen „Seht doch, wie hässlich sie sind! Das müssen Missgeburten sein!“, ein kleiner Bläuling hatte gesprochen, und zeigte mit den Fühlern anklagend auf die Fremden. Die meisten Schmetterlinge nickten nun zustimmend und tuschelten leise.
Einer der Nachfalter, mit einem besonders haarigen Körper, fühlte sich durch das Fühlerzeigen des Bläulings angesprochen, und flog nun auf diesen zu. Mit ganz und gar nur Freundlichkeit und Neugierde im Sinn, näherte er sich dem Schwarm der Schmetterlinge. Diese reagierten jedoch heftig, und stießen den Nachtfalter brutal nach hinten, indem sie ihn in den pelzigen Bauch rammten.
„Vertreibt sie!“, „Eindringlinge“, „Missgeburt“ und „Widerlinge“, ertönte nun von allen Seiten bei den Schmetterlingen, und in einem riesigen Schwarm schossen sie gebündelt auf die wenigen Nachtfalter zu, um diese zu vertreiben.
Endlich erkannten die Falter, dass die schönen Geschöpfe, ihnen nicht gutgesonnen waren, und verschwanden mit einigen Flügelschlägen ihn die Nacht. Die Schmetterlinge, die nicht an die Dunkelheit gewöhnt waren, stellten fest, dass sie die Angreifer vertrieben hatten, und zogen sich in ihre Höhle zurück. In dieser Nacht fanden nur wenige Schmetterlinge Ruhe. Der kleine Rupert, musste die ganze Zeit an sein großes Abenteuer denken, und fühlte sich wie ein Held und das Schmetterlingsvolk, diskutierte über die eigenartige Begegnung.
„Ich habe schon mal von jenen dunklen Faltern gehört. Sie fressen solche wie uns!“, erzählte ein prächtiger Schwalbenschwanz
Ein Anderer nickte, und sagte „ich habe gehört, sie mögen in Honig eingelegte Raupen, und deshalb arbeiten sie mit den Bienen zusammen.“
Nun meldete sich ein kleiner Zitronenfalter zu Wort „Ich glaube sie wollten unseren Rupert fressen!“
Der Schwalbenschwanz nickte bedächtig. Wir müssen etwas unternehmen. Sie wissen nun, wo unser Heim ist, und könnten mit Verstärkung zurückkommen.
„Und habt ihr gesehen wie hässlich sie sind? Kein Wunder dass sie nachts unterwegs sind. Würde ich so aussehen, dann würde ich mich auch nicht tagsüber nach Draußen trauen“, lästerte nun ein Pfauenauge.
„Wir können so eine Ungeheuerlichkeit nicht auf unserer Wiese dulden“, erklärte der Schwalbenschwanz, „wir werden eine Armee aufstellen. Freiwillige bitte in diese Ecke des Baumstumpfes!“
Erst waren es Wenige, die sich der Armee anschlossen, doch dann wurden es immer mehr, und im Laufe der Tage und Nächte, hatte der Schmetterlingsbau eine riesige Armee aufgestellt, die nachts umherzog, um die Nachtfalter aufzuspüren.
Eines Nachts stieß eine Truppe der Schmetterlingsgarde auf eine kleine Gruppe von Nachtfaltern. Unter ihnen, auch eine kleine Motte.
„Verschwindet von hier!“, forderte einer der Schmetterlinge die Nachtfalter auf.
Die älteren Falter, die die Sprache der Schmetterlinge beherrschten, schauten sich an. „Wir waren immer hier“, sprach einer von ihnen, „wieso sollen wir jetzt gehen?“
„Weil ihr nicht zur Herrenrasse gehört. Ihr seid hässliche Missgeburten, die nicht würdig sind, mit uns Schmetterlingen auf einer Wiese zu leben“, sagte der Kohlweißling, der die Gruppe anführte.
Die Nachtfalter sahen ein, dass sie keine Chance gegen die Übermacht an Schmetterlingen hatten, und zogen sich kapitulierend zurück. Verletzt und gedemütigt, flogen sie davon, um ihren Freunde von der Neuigkeit zu erzählen. Der kleinen Motte lief sogar eine Träne über ihr winziges Gesicht.
Die Tage vergingen, und die Schmetterlinge waren mehr denn je davon überzeugt, etwas Besseres zu sein, und dass die Nachschwärmer beseitigt werden mussten. Mittlerweile leitete der alte Schwalbenschwanz den Schwarm, und hielt jeden Morgen eine Ansprache über die Fortschritte der vergangenen Nacht, was die Vertreibung der Schwärmer anging. Jeden Morgen, stachelte er die Menge an, und predigte, dass nur die wahren Schmetterlinge ein Recht hatten, auf der Wiese zu leben.
Rupert der kleine Schmetterling war sich nun gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich richtig gewesen war, den Schwarm auf die Nachtfalter aufmerksam zu machen. Vielleicht hätten sie ihn ja ziehen lassen. Er fand es irritierend, dass plötzlich alle gegen die Falter waren, obwohl sie sich noch nie bemerkbar gemacht hatten, oder einen Schmetterling bedroht hatten. Vielleicht, dachte Rupert, vielleicht war das alles seine Schuld. Wäre er doch bloß nie in dieser Blume eingeschlafen.
Am nächsten Tag machte Rupert sich auf den Weg nach Draußen, um ein wenig Sonne zu tanken, und ein bisschen Nektar zu schlürfen. Er flog an den Tulpen vorbei, und auch an den Lilien zog er vorüber. Letztendlich landete er auf einer strahlenden Kornblume, am Waldrand, wo die Wiese zu Ende ging. Er steckte seine Rüssel in die Blume, und kostete den süßen Nektar. Es schmeckte ihm so gut, dass er versuchte, noch das letzte bisschen auszuschlürfen. Dabei stützte er sich mit den dünnen Beinchen am Rand der Blume ab, und schob den Kopf weit nach vorn. Er bemerkte nicht, dass der Stiel der zierlichen Blume sich gefährlich verbog. Plötzlich kam eine Windböe, und ließ die Blume zurückschnellen. Rupert flog im hohen Bogen aus der Blüte, und ehe er sich versah, landete er in einer kleinen Pfütze. Es war eine ganz kleine Pfütze, doch für Rupert war es nun ein Kampf um Leben und Tod. Er wusste, wenn er sich zu viel bewegte, würden seine Flügel nass werden, und sein wertvoller Staub würde verloren gehen. Ohne den Staub, könnte er nicht mehr fliegen. Also vermied er es sich viel zu bewegen. Er sank zwar nicht, da die Pfütze nicht tief war, doch sein rechter Flügel, lag flach auf der Wasseroberfläche, und er konnte spüren, wie dieser immer schwerer wurde. Der Flügel durfte auf keinen Fall mit Wasser bedeckt werden. Panik stieg in Rupert auf. War das sein Ende? Er konnte nichts tun, um sich aus dieser ungemütlichen Lage zu befreien. Er sah sein Ende schon kommen, da hörte er plötzlich ein leises Rauschen. Flügelgeflatter. Zum Glück, dachte er, ein Schmetterling hat mich entdeckt. Doch es war kein Schmetterling, der ihn nun mit kräftigen Beinchen packte, ihn aus dem Wasserloch zog und ihn dann in die nächstbeste Blume setzte. Es war ein ungewöhnlich großer Nachtfalter, mit einem dicken Kopf, und riesigen Augen. Rupert schaute den Falter verdutzt und ängstlich an. Würde der Falter ihn jetzt fressen? Was machte der zu dieser Zeit überhaupt hier? Doch dieser machte keine Anstalten Rupert zu fressen, sondern verharrte einfach stumm vor dem kleinen Schmetterling, und starrte ihn aus großen, runden Augen an. Als Ruperts Flügel wieder trocken war, versuchte er zu fliegen, und es klappte glücklicherweise. Bevor er davon flog, schaute er nochmal zu der Blume, um sich bei dem Nachtfalter zu bedanken, doch dieser war bereits verschwunden. Wehmütig blickte Rupert in den Wald hinein. Nun erkannte er, dass die Nachtfalter gar nicht böse oder garstig waren, sie waren einfach anders. Er musste den Anderen hiervon erzählen. Er musste die Bewegung gegen die Nachtfalter sofort stoppen, beschloss er, und machte sich auf den Weg, zum Schmetterlingsbau.