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Als der Sessel brannte
Als der Sessel brannte
Er war zu alt für den 2. Krieg, hatte schon im ersten gekämpft. Aber als dann alles zusammenbrach, alte Männer und Kinder die Stadt verteidigten, den Endsieg bringen sollten, da sollte er sie führen.
Er hat meinen Vater nur selten geschlagen, aber als der in das Zimmer kam, das Radio nicht die gewohnten Siegesmeldungen brachte, sondern BBC, da hat er ihn verdroschen.
Dann kamen die Amis, standen vor der Stadt, die alten Männer und Kinder warteten auf die Befehle, in ihren Augen die Fragen an den Führer. Er sagte: Geht nach Hause.
Es dauerte nicht lange, bis die SS kam. Wie durch ein Wunder wurde er nicht erschossen.
Als alles vorbei war, sagte sie: Du kannst nach Bonn gehen, aber deine Hosen bügele ich dir nicht. Also ging er mit ungebügelten Hosen nach Bonn. Den Kanzler störte es nicht, den freute es ihn zu sehen, gab ihm die Hand im Bundestag, wann immer sie sich dort sahen.
Er war kein Redner, stand nicht in der ersten Reihe. Er wirkte einfach durch seine Person. Ich erinnere mich an das Bild in der Zeitung: Adenauer spricht, dahinter, darüber, im Präsidium sitzt er, ist einfach da.
Ein anderes Bild: Das Auto fährt vor, Standarte der BRD, Ludwig Erhardt steigt aus, die unvermeidliche Zigarre, auch er raucht eine, steht in der Mitte vom Bild.
All das war vor meiner Zeit.
Ich war der einzige Enkel, der von sich aus zu den Großeltern wollte. Warum auch? Es gab zwei Plastikautos, völlig unspektakulär, gespielt werden durfte sowieso nur auf dem roten Teppich.
Ich ging trotzdem hin: Da war die Standuhr, gebannt stand ich mit ihm davor, schaute nach oben, als wir sie zusammen aufzogen: So entstand also die Zeit?!
Ich ging spazieren mit ihm. Im Winter waren da Spuren im Schnee. Er sagte: Das war wohl ein Hund.
Ich entgegnete: Nein, die sind so groß, das war bestimmt ein Seehund.
Er hatte immer mehr Stimmen bekommen als die eigene Partei, war drei Mal in Bonn.
Kurz vor der nächsten Wiederwahl, wurde etwas in die Zeitung gesetzt, es war zu spät um darauf zu reagieren. Er hatte nicht mal einen Listenplatz, so sicher war die Wiederwahl.
Er war über die Alpen gewandert, der Breite und auch der Länge nach. Aber wenig später dann bekam er den ersten Schlaganfall.
Er hatte Klavier gespielt, die Mondscheinsonate, als die Finger nicht mehr ganz so wollten, knallte er ungehalten den Klavierdeckel runter und hat nie mehr gespielt.
Dann saß er in seinem Sessel und schwieg. Nicht ganz, er drehte Däumchen.
Die Großmutter band ihm die Serviette um und sang: Sitz grade, sitz grade, der Kaiser hält Parade. So hat sie ihn gefüttert.
Ich war zehn Jahre alt, hab Gitarre gespielt und gesungen an seinem Sterbebett. Er rief mich zurück, flüsterte, das war aber schön.
Er hat sich dann entschuldigt, bei meinem Vater, für dass, was er getan hat.
Ich erbat mir den Sessel, da saß er, drehte Däumchen, das war meine Erinnerung.
Ich hatte nichts zum Einrichten, aber jeden Umzug machte das unhandliche Ding mit. Ich saß kaum drauf.
Ich war schon erwachsen, als ich verstand, was damals in der Waschküche geschah. Und trotzdem dauerte es weitere Jahre, bis ich merkte, wie die alte Geschichte mein eigenes Leben bestimmt hatte: Da hab ich den alten Sessel rausgezerrt, bin zur Tanke und hab Benzin geholt; den Sprit drüber gekippt und angezündet:
Es hat so gebrannt.