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Als der Löwenzahn blühte

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31.10.2004
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Als der Löwenzahn blühte

»Als der Löwenzahn blühte«, begann Oma zu erzählen. Ich saß am Fenster. Die Sonnenstrahlen schlugen Purzelbäume auf meinem Rücken. Ria, Omas Katze, schnurrte und streckte die Tatzen über der Fensterbank aus. Draußen lockte der Frühling die Maulwürfe aus der Erde. Im hohen Gras tummelten sich die Schmetterlinge, während am Ende des Gartens, von der schattigen Hecke umwuchert, die Sense vor sich hin rostete. Und ich weinte.

»Als der Löwenzahn blühte«, fuhr Oma fort, »mussten wir fliehen.« Ria biss mir ganz sanft in den Finger, als ich sie auf meinen Schoß hob. Ihr dunkles Fell war angenehm warm. Oma stand auf und räumte das Kaffeeservice mit dem blauen Nelkenmuster zurück in den Schrank. Sie hatte für drei gedeckt und ich mochte kein Stück Kuchen essen. Stattdessen bot sie mir ihre klebrigharten Pfefferminzbonbons an. »Für später«, fügte sie lächelnd hinzu.

Der alte Lehnstuhl krachte leise, als Oma sich wieder hineinsetzte. Ria sprang erschrocken auf. Ich streichelte sie hinter dem rechten Ohr, denn das hatte sie besonders gern. Oma aber lachte. Dann wurde sie ernst. »Der ganze östliche Himmel war rot gefärbt und ich hörte ein ganz fernes, ganz leises Poltern und Rummeln. Obwohl ich den Krieg mit all seinen Schrecken noch nicht kannte, wusste ich: Das ist die Front.«

Ich blickte durch das Fenster nach draußen. Die Baumwipfel hatten die Sonne aufgespießt, deren Rot nun über den gesamten Himmel floss. Wie beim Omelettbraten mit Opa, damals. Oma hatte immer fürchterlich geschimpft, wenn sie nach Hause kam und die dreckige Küche sah. Ein Omelett aß sie dann doch mit uns und wir lachten. Ria schnurrte. »Meine Schwester, deine Oma Annegret, und ich, wir spielten gerade Verstecken auf der Koppel. Mutter hatte uns gebeten, ein paar Kräuter auf der Wiese zu sammeln. Doch wir flochten Kränze aus Löwenzahn.« Oma hielt inne und verfolgte meinen Blick in den Garten. »Wir bekamen Angst, Angst, vor dem, was über uns hereinzubrechen drohte wie ein Gewitter.«

»Am nächsten Morgen, gegen fünf Uhr, wurde ich von erregten Stimmen geweckt. Ehe ich recht begriff, um was es ging, kam Mutter zu mir und sagte: ›Steh auf, wir müssen fort.‹ Sie gab mir meine Sachen und half mir mit zitternden Händen beim Anziehen. In der Küche saß Bernhard, ein älterer Mann, mit dem sich mein Vater gut verstanden hat. Er brachte uns Fleisch und Fett und war erstaunt, ja entsetzt, uns noch schlafend zu finden. Als mein Vater ihm seinen Entschluss mitteilte, zu bleiben, wurde der sonst so gutmütige Alte böse. Er schimpfte so lange in allen Tonarten auf meinen Vater ein, bis dieser sich entschloss, uns – und vielleicht auch sich selbst – der Fremde anzuvertrauen. Um sieben Uhr sollte der Treck das Dorf verlassen. Wir hatten also zwei Stunden Zeit zum Packen.«

Ich war gerne bei Oma zu Besuch. In ihrer Wohnung gab es viel Merkwürdiges zu entdecken. Außerdem liebte ich es, mit Ria im Garten zu spielen. Zuhause durften wir keine Haustiere haben. Und wenn ich einmal traurig war, so wie heute, wusste Oma immer eine tröstende Geschichte zu erzählen.

»Keiner von uns sprach mehr als unbedingt notwendig. Ich hing meinen eigenen Gedanken an unseren Bauernhof nach und lauschte dem Klappern der Pferdehufe, dem Quietschen und Knarren der Wagenräder. Keiner wagte, die ansonsten majestätische Stille dieses klaren, aber kalten Maimorgens durch lautes Rufen oder Reden zu stören. Ich konnte vor Aufregung nicht schlafen, denn für mich war es wie eine abenteuerliche Geisterfahrt in eine ungewisse, Unglück verheißende Fremde. In der Ferne hinter uns zogen immer öfter Leuchtspurgeschosse ihre Lichterbahnen durch den Morgenhimmel.«

Über Omas faltigen Wangen glitten ein paar Tränen. »Ich kann mich noch erinnern, ich weiß, für dich klingt es etwas komisch, dass ein verwundeter Soldat eine Mundharmonika hatte und unter anderem spielte ›Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus …‹«

Ria streifte derweil durch die Wohnstube und schabte nun ungeduldig an der Verandatür. Zu Oma sagte ich, dass ich auch los müsse. Es dämmerte schon. Sie steckte mir noch eine Handvoll Lakritze in die Jackentasche und gab mir schöne Grüße an Vater mit auf den Weg.

An der Hauswand, gleich neben der Treppe, blühte Löwenzahn. Ich pflückte ihn und dachte daheim an Omas Geschichte. Als der Umzugswagen in unsere Straße einbog, versteckte ich ihn schnell in einen der vielen Kartons. Einfach so.

 

Hallo MoonaY,

erst Mal: Deine Geschichte hat mir gefallen.
Die Oma konnte ich mir sehr gut vorstellen - genauso die Umgebung, samt der rostenden Sense und der Katze. Die Rückblenden der Oma fand ich etwas kurz geraten - ich denke ein Kind hat zu einer solchen Zeit sehr viel Angst. Die könntest du noch eindringlicher schildern.
Den letzten beiden Sätze fand ich sehr schön!

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob diese Geschichte wirklich eine Kindergeschichte ist. Für meinen Geschmack wäre sie in "Alltag" besser aufgehoben. Für eine typische Kindergeschichte ist die Sprache doch zu "erwachsen."

LG
Bella

 

Moin moonay!
Du verirrst dich hier, soso ;)

Eine schöne Geschichte, aber ich schließe mich bella an. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich für Kinder geeignet ist.
Die Sprache finde ich etwas zu erwachsen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Kinder wirklich etwas mit den Figuren anfangen können.
Anfangs dachte ich, jetzt kommt eine Art Kriegsgeschichte (dann hättest du aber was zu hören bekommen ;)), letztendlich wars ok. Auch wenn ich es nicht so toll finde, in Kindergeschichten von Krieg zu lesen. Ich bin der Meinung, Kinder sollten eine unbeschwerte Kindheit erleben dürfen, und dazu zählt nicht, dass ihnen die Schrecken des Kriegs erzählt werden.

Für welches Alter hast du die Geschichte geschrieben?
Und irgendwo hast du nach wörtlicher Rede ein Komma gemacht, wo keins hinkommt, weiß aber nicht mehr, wo ;)

moon

 

Hi moonay,

eine schöne, leise Geschichte, die du da erzählst. Sehr stimmig geschrieben, und in all ihrer Schönheit fast schon melancholisch.
Für Kinder halte ich sie geeignet, wenn auch eher für ältere. Eher weniger wegen der blumenreichen Sprache (ich finde nicht, dass man Kindern nur einfache Sätze zumuten sollte), sondern eher wegen dem, was du zwischen den Zeilen ausdrückst. Zum beginnenden Interpretieren, zum selbst-Mitdenken beim Lesen halte ich deine Geschichte sehr geeignet. Also nicht zum lesen lernen, sondern zum lesen lernen (ich hoffe, du kennst den feinen Unterschied ;) ).

Mir persönlich fehlte noch die Reaktion des Kindes auf die Geschichte der Oma. Dadurch entsteht meines Erachtens ein kleiner Bruch - das Kind bekommt eine Geschichte erzählt, reagiert aber nicht darauf. Du erwähnst Omas Geschichten nur noch im allgemeinen, wodurch du dir mE einiges an Potential verschenkst. Die beiden Handlungsstränge solltest du noch mehr miteinander verknüpfen, da fehlt mir noch etwas.

Auch wäre schön, wenn du an kleinen Beispielen geschildert hättest, wie sehr dem Kind die regelmäßigen Besuche bei seiner Oma am Herzen liegen. So hättest du noch anschaulicher werden können, noch mehr in die Geschichte mitreißen.

Hat mir gefallen, du kannst aber noch einiges herausholen.

lieben Gruß,
Anea

 

moony: Ich denke, es ist wichtig, Kindern auch früh von den ernsten, schlimmen Seiten der Welt zu erzählen. Ansonsten gerät man schnell in die Gefahr, "naive Traumtänzer" aufzuziehen, die mit Problemen und Elend (womit sie früher oder später konfrontiert werden) nicht umgehen können. Eine unbeschwerte Kindheit kann man auch haben, wenn man sich über die dunklen Seiten des Lebens im Klaren ist. Ich finde, in dieser Hinsicht sollte man ehrlich sein und nichts beschönigen, um das Kind zu schonen.
Eine Bekannte von mir durfte zum Beispiel erst mit zehn die Nachrichten anschauen (eben, um ihr eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen). Sie hatte dafür eine sehr erschwerte Jugend, galt als naiv, kindisch und oberflächlich. Zu Unrecht.
Ich halte es nicht für richtig, einem Kind um jeden Preis Scheuklappen anzulegen, das geht nicht lange gut. Kinder sollten kindgerecht, aber ehrlich die Welt erfahren. Und dazu gehören Geschichten wie diese dazu, solange sie mit Einfühlvermögen und Gespür für die jeweilige kindliche Reife erzählt werden.

 

Anea, von Scheuklappen rede ich auch nicht. Und ihc rede ebenso nicht von 10jährigen Kindern, sondern von den ganz kleinen. Ich persönlich finde es nicht besonders toll, z.B. 4jährigen Kindern alles vom Krieg zu erzählen und Bilder von verstümmelten Leichen zu zeigen. Meine Meinung.

 

hi moony,

ja, das meinte ich mit altersgerecht. In dem Alter macht es sicher noch keinen Sinn. Dann haben wir uns missverstanden. Aber die Rubrik hier ist ja auch für ältere Kinder gedacht, oder? Dass diese so etwas lesen können, halte ich jedenfalls für wichtig. Und wenn ich dich jetzt richtig verstehe, du auch.

gruß

 

Argh, dann haben wir uns wirklich missverstanden ;)
Ja klar gibts hier auch Geschichten für ältere Kinder, aber die sind eher selten und ich lese die Geschichten hier immer unter der Aspekt, dass die Geschichte für die kleinen Kinder sind, eben weil es die häufiger gibt ;)

 

Hallo moonaY,

ich finde deine Geschichte schön, wenn ich sie auch fast ein bisschen unruhig finde. Über eine längere Distanz ist es sicher gut, auch Bewegung außerhalb der großmütterlichen Erzähluung unterzubringen, bei dieser kurzen führte das manchmal dazu, dass die Unterbrechung schon nach einem Satz kam, gerade nach der Einleitung.
Das ist natürlich nur eine Frage meines Geschmacks. Es war ein Gedanke, der mir dabei kam.

Zwei Details noch:

Zu hause durften wir keine Haustiere haben
Bist du bei Zu hause sicher? mE Zu Hause
und lauschte auf das Klappern der Pferdehufe, das Quietschen und Knarren der Wagenräder.
Hier würde ich anstelle der Verbiegung in den Nominativ den Dativ vorschlagen. und lauschte dem Klappern der Pferdehufe, dem Quietschen und Knarren der Wagenräder.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bella, moonshadow, Anea und sim,

Vielen Dank für eure prompten Kritiken. Ich habe mich natürlich besonders gefreut, dass euch allen die Geschichte im Großen und Ganzen gefällt.

Um eure Fragen zu beantworten, bevor das alles in einen großen Streit mündet: Der Text ist in meinen Augen für Kinder ab dem 10. Lebensjahr geeignet. Wie Anea schon gesagt hat, sollte man Kinder nicht mit lapidaren* (*nicht abwertend) Texten unterfordern, sondern sie allmählich auf die spätere Welt vorbereiten. Krieg und das Erleben von Flucht und Vertreibung zählt dazu. Außerdem sollten Kindern lernen, öfters den Erlebnissen ihrer Großelteren zuzuhören, um einerseits Bestätigung zu erfahren und andererseits eigene Probleme leichter zu überwinden.

Die Geschichte liest sich in ihrer Kürze sehr fragmentarisch, da gebe ich dir Recht, sim. Allerdings wollte ich nicht, dass der Text über eine Seite hinaus lang wird. Das klingt jetzt wie eine schlechte Entschuldigung, ich weiß, aber nach meiner Erfahrung mögen Kinder kürzere Geschichten lieber. Die Sprache habe ich bewusst einfach und kindgerecht gewählt. Nur leider scheine ich in der Hinsicht ein wenig daneben zu liegen. Vielleicht könnt ihr mir ein paar Textstellen nennen, die ein Kind überfordern könnten. Das wäre sehr nett.

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hallo MoonaY,

ich fange gleich mit einem Zitat von dir an. Du schreibst in deiner letzten Äußerung

Außerdem sollten Kindern lernen, öfters den Erlebnissen ihrer Großelteren zuzuhören,

Ich hatte aber beim Lesen der Geschichte eher das Gefühl, dass das Mädchen den Erzählungen der Großmutter nicht zugehört hat. Sie scheint meiner Meinung nach gar kein Interesse an dem zu haben, was ihre Oma erzählt. Ich würde als Kind laufend Zwischenfragen stellen. Das fehlt mir an der Geschichte. Und wie Anea schon erwähnt hat, es fehlt die Verknüpfung. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Die Oma erzählt und die Ich-Erzählerin denkt an alles mögliche, nur nicht an die Geschichte.

Dann noch eine Anmerkung:

Im Mai, wo die Vertreibung stattfand, ist es morgens um sieben Uhr meines Erachtens nicht mehr sternenklar und auch kein Morgengrauen. Wenn du morgen früh aus dem Fenster siehst, scheint wahrscheinlich um diese Zeit schon die Sonne (außer es regnet).

Zusammenfassen hat mir die Geschichte nicht so gut gefallen. Aber das ich nur meine Meinung.

Viele Grüße

bambu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo bambu,

Über deine Kritik habe ich mich sehr gefreut. Es ist richtig und von mir beabsichtigt, dass der Ich-Erzähler kaum auf das Erzählen der Großmutter reagiert. Schließlich ist er traurig und bedrückt, wirkt abwesend, will nichts essen und vertreibt sich die Zeit damit, mit Ria, der Katze, zu spielen, anstatt die Oma mit Fragen zu deren quälenden Kindheitserlebnissen zu überhaufen. Zwischen den beiden besteht eine schamhafte Distanz, die sich auch im Text zeigt. Erst am Ende findet der Ich-Erzähler Trost in der Geschichte der Großmutter.

Ich danke dir sehr, dass du den Logikfehler mit der Tageszeit erkannt hast. Was hältst du davon, wenn ich die genannten Uhrzeiten jeweils um eine Stunde vermindere?

Herzlichen Dank.

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hallo moonaY,

habe gerade deine Antwort gelesen.

Ich finde hier macht eine Stunde früher auch keinen Unterschied. Wenn ich morgens gegen sechs Uhr wach werde, ist es schon ziemlich hell draußen.

...dieses sternenklaren, aber kalten Maimorgens durch lautes Rufen oder Reden zu stören.

Sternenklaren würde ich vielleicht durch frühen, aber kalten Maimorgens ersetzen.

Auch das Wort Morgengrauen könntest du durch Morgenlicht austauschen.

Ist nur ein Vorschlag. Damit umgehst du, genau auf die Helligkeit und das Wetter einzugehen.

Viele Grüße

bambu

 

@bambu: Okay, ich habe deinen Vorschlag umgesetzt. Vielen Dank.

 

Hallo moonaY,

deine Verbesserungen passen besser in die Geschichte als meine Vorschläge.
So hast du jetzt das Problem der Uhrzeit und Helligkeit ausgeräumt.

Ich wollte dir schon vorschlagen, morgens einmal um sechs Uhr aufzustehen, um die Lichtverhältnisse zu überprüfen. Aber das hat sich ja zu deinem Glück erledigt.

Viele Grüße

bambu

 

Hallo moonay,

deine Geschichte hat mich sehr berührt! Du schreibst sehr flüssig und schwungvoll und verwendest viele poetische Bilder, die ich ganz wunderbar finde! Als Beispiel möchte ich nur die Sonnenstrahlen erwähnen, die auf dem Rücken der Erzählerin Purzelbäume tanzen oder schlagen und die Bäume, die die Sonne aufspießen. :)

Spannend fand ich deine Geschichte auch - fast von Anfang an wollte ich wissen, warum die Erzählerin weint. Und die Auflösung, dass es um den Abschiedsschmerz bei einem Umzug geht, war für mich total stimmig. Sehr schön auch das Bild des Löwenzahns, der schnell in einen Umzugskarton gesteckt wird, als kleine Erinnerung an eine "alte Heimat". :)

Beim Lesen dachte ich, dass sich die Geschichte sicher für ältere Kinder, so ab zehn Jahren, eignen würde und später stellte ich beim Lesen der Kritiken fest, dass das auch genau deine Zielgruppe ist.

Alles in allem ist dir eine sehr schöne, kleine Trostgeschichte gelungen, die überhaupt nicht rührselig oder kitschig ist. Jedem Kind ist so eine Oma nur zu wünschen!

Liebe Grüße
al-dente

 

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