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Alpträume (Trilogie I. Teil)
Eine Trilogie ist ein Werk (meist Buch oder Film), welches aus drei Teilen besteht. Im Gegensatz zu einer Serie gehören diese Werke zwar zu einem gemeinsamen Rahmen, sind jedoch in sich abgeschlossen.
„… Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.“ Die kleine Kimberly Jones macht plötzlich ganz große Augen als ihre Mutter das dicke Buch zuschlägt.
„Erzähl mir die Geschichte von den kleinen Schweinchen Mum!“
„Aber die habe ich dir doch schon so oft erzählt, nun ist Schlafenszeit…“
„Aber ich bin doch gar nicht müde und…“
„Schluss jetzt, du siehst müde aus und außerdem hättest du schon vor einer halben Stunde deine Glubscher zumachen müssen. Nun schlaf gut mein Schatz.“
Kinberly spürt den sanften Kuss ihrer Mutter auf ihren Lippen. Konnte sie gegen soviel Liebe protestieren? Doch natürlich konnte sie, musste sie, denn da war es, irgendwo, es würde wieder kommen und sie besuchen und…
„Muuuuuuuumm!“
„Kimy nun gib Ruhe, Mum ist auch schon ganz müde, siehst du?“ Nachdem ihre Mum so lang gegähnt hatte, wie Kimberly es selbst nur dann tat, wenn sie auf einer dieser Familienfeiern lange aufbleiben durfte und sich irgendwo versteckt hatte, damit keiner ihr Gähnen sah und sie hoffentlich bald länger fernsehen durfte. Was die kleine Kimberly nicht ahnte war, dass Mum keineswegs ins Bett ging sondern erst noch eine Weile mit Daddy fern sah (bis die Filme ab 18 auf dem Programm standen) um dann – weil Freitag war – die Anregungen der kleinen schmutzigen Filmchen in die Tat umzusetzen. Irgendwann sollte Kimberly ein Schwesterchen bekommen und es war nur noch eine Sache von Glück, wann der Zeitpunkt kommen würde.
Liebevoll deckt die junge Mutter ihre kleine Tochter zu. Ein Ritual dass sich allabendlich wiederholt. Kimberly achtet genaustens darauf, dass ihr die Zudecke bis zur Nase reicht und dass ihre Mum ja nicht vergisst, die Steckdosenlampe in die Steckdose an der Tür zu stecken, damit sie nachts, wenn sie für große Mädchen müsse, die Tür findet. Mit schläfrigen Augen sieht sie noch, wie ihre Mum ihr einen Kuss zuwirft bevor sich die Tür schließt.
Plötzlich ist Kimberly von Dunkelheit umhüllt. Das hell-orangene Licht der Steckdosenlampe taucht einen Teil ihres riesigen Reiches in einen schaurigen Verschlag, in dem Schatten hausen und Gespenster spuken. Den ganz dunklen Teil hinter ihrem Bett, der bis zur Ecke ihres Kleiderschrankes reicht, haben die bösen Schatten schon eingenommen, doch sie wird nicht zulassen dass…
Das Fenster über Kimberlys Bett öffnet sich wie von Geisterhand. Der Schatten eines Astes greift in die Dunkelheit ihres Zimmers wie ein Fangarm, der alles Leben aus dem Raum saugen wird. Nach dem ersten großen Windstoß weicht er zurück. Kimberly starrt wie gebannt durch das offene Fenster. Draußen ergießt sich ein Schauer. Das Wasser spritzt auf ihr Fensterbrett, erst dem marmornen draußen, dann auch auf das, auf welches sie später wie ihre Mum Zimmerblumen stellen möchte. Die Dunkelheit, der Schauer, sie kommen näher. Als ein Tropfen sie trifft, zuckt Kimberly zusammen und zieht ihre pinkfarbene Barbie-Steppdecke bis unter die Augen. Ein Blitz erhellt die Nacht. Eine Sekunde später grollt der Donner und Kimberly kann sich nicht mehr rühren. Der Schreck sitzt tief, er lähmt ihre Glieder und füllt ihre Augen mit Tränen. Ich will zu meiner Mum. Daddy, mach dass es weggeht. Doch nichts tut sich. Ein lautes Knacken reißt Kimberly aus ihrer Starre. Als wäre es ein Startschuss gewesen der ihr bei der Schulolympiade erlaubt, endlich loszulaufen, zieht sie ihre Decke über den Kopf. Tränen rinnen über ihre Wangen. Daddy, Daddy, Mum, bitte kommt, bitte kommt, Daadddyyy, Muum.
Der Kältezug der Luft, die durch das offene Fenster in ihr kleines stickiges Kinderzimmer floss hatte die Temperatur schlagartig abgekühlt und das Birkenholz ihrer schönen Schränke (die mit den roten Griffen und glatten Flächen auf die man Sticker kleben konnte) zog sich zusammen. Für Kimberly jedoch bedeutete das Knacken dass sich das Böse nun auch durch die Ritzen ihrer Schränke verbreitete, dass es nun überall war und wenn sie ihren Kopf aus der Decke strecken würde, würde es sie packen und ihr die schlimmen Bilder zeigen, aus ihren Träumen, tausende von Skelette, menschliche, mit nahezu durchsichtiger dünner Haut bespannte Skelette, die von Menschen mit Uniformen in große Gruben geschmissen wurden, oder durch die Luft wirbelnde, zerfetzte und grausam schreiende Männer umgeben von Rauch und noch mehr zerfetzten Männern, die in den Sand eines Strandes aufschlugen, an dem blutrotes Wasser einen jeden von ihnen in das Reich der Toten zu holen scheinen wollte.
Hektisch streicht Kimberly ihre langen gelockten Haare vom Kopfkissen näher an ihre Schultern heran. Sie werden sie greifen und mich daran rausziehen. Sie werden daran ziehen wie Ashley als ich ihre Gummihopse wegnahm, nur werden sie mich nicht hauen wenn sie mich haben, sie werden mich zu sich holen.
Für Kimberly bedeutet ihre kleine Bude unter der schützenden Barbie-Decke Sicherheit. Sie würde einfach hier unten warten bis ihr Daddy schaut ob sie eingeschlafen ist. Er konnte die Geister immer verjagen, ihr Daddy war schließlich der stärkste Mann der Welt und wenn er da war um nach ihr zu schauen erschien alles so friedlich in ihrem Zimmer. Danach waren ihre Schränke wieder die Schränke, auf denen bunte Dinosaurier-Aufkleber hefteten und in denen dicke Aktenordner lagen, solche, wie Daddy sie hatte, nur dass bei ihm langweilige beschriebene Blätter lagen, bei ihr waren bunte Zeichnungen. Sicher warteten auch ihre Kuscheltiere auf Daddy. Sicher fürchteten auch sie sich, genauso wie… Nancy! Sie hatte Nancy ihre liebste Puppe vergessen. Sie würden Nancy mitnehmen, ihr für immer stehlen. Und dann würde ihre Mum schimpfen, denn auch sie hatte in Kimberlys Alter in jeder Nacht auf Nancy geachtet und sie nie dem Bösen überlassen. Oh ja Mum wird schimpfen, wie damals, als ich mit Nancy buddeln wollte und ihr leuchtend rotes Kleid vom Sand ganz schmutzig war.
In Sorge um Nancy überwindet Kimberly sich, ihren sicheren Bau zu verlassen. Sie zieht hektisch die pinke Decke über ihren Kopf bis zum Bauch, strampelt sich mit aller Kraft bis zum Bettende, greift über die Kopflehne und mit dem Arm immer tiefer neben das Bett. Da sie im Liegen nicht bis zum Boden kommt, kniet sie sich auf ihr Kopfkissen und zieht mit beiden Händen schnell die Decke bis an ihren Hals. Da, im Nacken, es piekst schon, gleich wird es mich kneifen, es hat mich, es hat mich! Ein kribbelnder Schauer durchfährt Kimberlys kleinen wehrlosen Körper. Ihre Hand tapst auf dem rauen Teppich entlang und endlich ertastet er die Wollfäden von Nancys knallroten Haaren. „Entschuldige.“ flüstert Kimberly laut, fast schreiend und zieht ihren Arm schnell ein damit er es noch schafft unter die Decke zu kommen, bevor der andere Arm diese Sicherheitstür schließen wird. Hektisch stopft sie die weiche Puppe bis auf Pohöhe, wo sie in Sicherheit sein wird und ebenso hektisch streicht sie wieder ihr braunes Haar unter die Decke. Ihr lauter Atem wird vom Donner durchbrochen. Mit ihren Oberschenkeln schiebt sie die Puppe mit den großen Knopfaugen näher zu ihrem Gesicht um sie zu umarmen. Geschafft, wir sind in Sicherheit Nancy, hörst du, sie wollten dich holen aber ich beschütze dich vor ihnen.
Ein lauter Knall durchdringt Kimberlys Gedanken als sich das Fenster wieder schließt. Einige Sekunden später öffnet sich ihre Zimmertür und durch einen Spalt unter ihrer Decke sieht Kimberly wie ihr Dad schnell aber geschickt und leise zu ihrem Bett kommt. Als er ihre Decke unter Kimberlys Kinn schiebt und ihr einen Kuss auf die Wange gibt, stellt sie sich schlafend. Ihre Eltern sollen nicht wissen dass sie Angst hat nachts, sonst lesen sie ihr keine Geschichten mehr vor, wie die, wo einem der Schweinchen das Dach wegweht, weil der Wolf so doll pustet. Blinzelnd beobachtet Kimberly noch, wie ihr Daddy das Fenster schließt und als er fast gleich darauf die Tür zu ihrem Zimmer von außen schließt, wird es wieder dunkel. Sie horcht, wie sich seine Schritte von ihrem Zimmer kilometerweit zu entfernen scheinen und nachdem sie das Klicken des Lichtschalters im Flur hört, herrscht totale Stille.
Daddy hat es verscheucht. Wie um sich zu vergewissern öffnet Kimberly ihre großen braunen Augen und schaut sich in ihrem Zimmer um. Die Kuscheltiere auf ihrem Schrank lachen sie glücklich an. Auch sie sind froh, dass es vorbei ist. Im Dunkeln erkennt sie die Schemen ihres Lieblings-Turtles-Aufklebers.
Beruhigt dreht sich Kimberly wieder zum Fenster. Sie schläft immer auf der linken Schulter liegend ein und wenn früh die Sonnenstrahlen durch ihre Fenster scheinen wird sie umso schneller wach werden, wenn diese ihr Gesicht kitzeln. Dann konnte sie rausgehen und bei Sam klingeln. Vielleicht würden sie Rollschuh laufen oder bei Mrs. Scott vorbeischauen, die ihnen bestimmt wieder Tee kochen und Geschichten von früher erzählen würde. Damals, als alles noch ganz friedlich war. Natürlich würde sie die neuen Barbie-Puppen bewundern und ihre Mutter - wie jedes Mal nach einem Besuch bei Mrs. Scotts Spielwarengeschäft – bitten, ein neues Kostüm für ihre Barbies zu kaufen oder sie daran erinnern, dass sie zu ihrem Geburtstag das weiße Barbie-Pferd mit dem rosanen Zaumzeug haben möchte (dass schon heimlich im Schlafzimmerschrank ihrer Eltern liegt).
Ihr Blick nach draußen fällt auf die dunklen Wolken am Himmel, die sich auch als die Nacht schon ganz dunkelblau ist noch vom Hintergrund abheben. Regentropfen hatten das eben geschlossene Fenster schon ganz nass gemacht und an der Scheibe rennen die Tropfen um die Wette, welcher als erstes am unteren Scheibenrand sein würde. Amüsiert betrachtet sie das Schauspiel bis sich der Himmel durch einen Blitz erhellt.
Wieso war dort etwas Dunkles? Da war doch was Dunkles? Der Himmel war weiß aber an der Ecke meines Fensters war doch was Dunkles? Als sich ihre Augen wieder von dem gleißenden Licht erholen, wartet sie wie gebannt auf das Bild, das sich in der rechten unteren Ecke ihres Fensters abzeichnen wird.
Ein Kopf, dort sitzt jemand, unter meinem Fenster, der wartet auf mich, der wollte durch das offene Fenster und nun ist es zu und er beobachtet mich, wartet, solange bis das Fenster wieder aufgeht, vielleicht bis morgen Nacht und dann holt er mich und zeigt mir diese Bilder und…
Ihre Gedanken zeigen Kimberly plötzlich Augen, die in sie einzudringen scheinen. Das Böse hat Augen, es sieht meine Gedanken, es sieht meine Angst, ich muss standhalten, damit es weiß dass ich keine Angst habe. Ein weiterer Blitz (das Donnern des vorherigen hatte Kimberly nicht bewusst wahrgenommen) erhellt die Nacht und tatsächlich sieht Kimberly nach dem blind-machenden Licht überall grüne Augen, die, durch die Tropfen am Fenster mal größer und mal kleiner, auf der ganzen Scheibe verteilt sind.
Immer noch in die Ecke ihres Fensters starrend ziehen Kimberlys Hände die – so scheint es ihr – tonnenschwere Decke über sich und Nancy, die nun unbeachtet neben ihr liegt. Nachdem sie wiederum ihre Haare nahe an die Schultern gestrichen hatte, starrt Kimberly in das totale Schwarz der Decke und als ihre Augen zufallen träumt sie von den Bildern, die es ihr zeigt. Es würde sie holen, wenn sie beim nächsten Mal nicht daran dachte, das Fenster zu schließen, es wird warten bis sie eingeschlafen ist, in ihr Zimmer steigen und ihr vorerst nur Angst machen. Dann, wenn sie n och nicht vor Angst gestorben ist und wehrlos in die dunklen Ecken starrt, würde es auf sie zukommen und wenn sie starr vor Angst ist, wird es sein wahres Gesicht zeigen und alles woran sie denken können würde, werden die Augen sein und außer an die grünen grässlichen und unmenschlichen Augen und die schrecklichen Bilder (Daddy hat sie auch gesehen, im Fernseher, er hatte keine Angst, aber Daddy hat sie auch gesehen, dass Blut an der Rasierklinge, das Blut, dass aus dem Hals pulsierte, das viele Blut) wird nichts anderes mehr für Kimberly existieren, weder ihre Eltern, noch ihre Freunde, weder Mrs. Scotts Spielwarengeschäft, Nancy oder die Barbie-Puppen.
Es wird kommen, irgendwann, ich darf nie einschlafen und muss immer wachsam sein damit es mich nicht holt (es, das draußen vom Fensterbrett springt und Unterschlupf unter einem Balkon sucht – Katzen sind wasserscheu).
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