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Alpha-Kunst
„Das ist widerlich. Das kann man nicht machen.“ Michaela gestikulierte mit einem Zwieback in der Hand. Ihr Speichel hatte die Bisskante aufgeweicht, ein dunkler Halbmond auf Goldgelb.
„Kunst kann alles“, sagte er.
„Ich nicht.“
Mit zerzausten Haaren und Resten von Lidschatten um die Augen, erinnerte sie ihn an früher, als er jeden Morgen neben ihr erwachte und aufstand, um Frühstück zu machen für zwei. Jetzt huschte sie wie ein Tier durch seine Träume, ein Tier, das sich an ihn schmiegte im modrigen Laub, mit heißem Atem und Reibeisenzunge, und ihn aus dem Schlaf riss. Zurück blieben verklebte Laken und Kopfschmerzen.
„Es wäre nicht echt“, sagte er.
„Oh, natürlich nicht.“ Der Zwieback beschrieb einen dramatischen Bogen.
„Du würdest zustimmen, damit wäre es per Definition nicht echt.“
„Das macht es nicht besser.“
„Dann sag mir den Grund.“
„Es ist ekelhaft.“
„Ekel ist ein Symptom, meine Liebe, und kein Grund.“
Eigentlich erwartete er, dass sie ihm den Mittelfinger zeigte, allein schon für die Anrede, aber sie verzog nur die Augenbrauen und nuckelte an ihrem Zwieback.
Bis auf das Summen des Kühlschranks herrschte Stille in der Wohnung. Ihre Mitbewohner schliefen noch. Sonnenlicht kroch über den Boden und wärmte Konstantins Füße. Michaela stand auf und verstaute den Zwieback im Ikea-Regal zwischen Instant-Nudeln und Tütensuppen. Ihre Schritte klangen klebrig auf dem PVC.
Weil sie noch immer nichts sagte, fuhr Konstantin fort: „Also, was stört dich? Dass ich mitmache?“
Sie sah ihn an als müsste er die Antwort wissen und schüttelte den Kopf.
„Dass man dich nackt sieht? Dass wir das Ganze filmen?“
„Nein.“
„Dann hilf mir. Sag mir deinen Grund.“
Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte sie an der Spüle. Sie trug ein verwaschenes T-Shirt und Boxershorts und im staubigen Licht schimmerten Arme und Beine braun wie frisch gebackenes Brot. Seit Sommeranfang verträumte sie ganze Tage im Park, fast nackt unterm erbarmungslosen Himmel. Die Jahre davor hatte Konstantin ihr den Rücken eingecremt und neben ihr gelesen und seine Finger hinterließen Fettabdrücke auf den Seiten. Jetzt half ihr Roland.
„Man spielt das einfach nicht.“
Konstantin lachte. „Dir geht es tatsächlich um die Moral.“
„Und?“
„Das passt nicht zu dir.“ Schließlich stahl sie Billigschmuck aus Trödelläden und brach nachts in ihre alte Schule ein, um durch monddämmrige Korridore zu tollen, SED-Parolen an die Tafel zu schmieren und auf dem Lehrerpult zu ficken - weil das Leben sonst langweilig war.
„Das verharmlost das“, sagte Michaela.
„Was?“
„Echte Vergewaltigungen.“ Sie stieß sich von der Spüle ab. „Ich geh wieder schlafen.“ Ihre Schritte tapsten über den Flur davon und die Jalousie am Küchenfenster knatterte im Luftzug, als sie ihre Zimmertür öffnete.
Konstantin trank den Kaffee aus, und ging auf sein Zimmer. Dort roch die Luft nach Kohlendioxid und Schlaf. Auf dem Regal standen Bücher über Graffiti, Kunst und Streetart, und ein Bambus wand sich in Korkenzieherwindungen zur Decke. Bei geöffnetem Fenster setzte er sich an den Computer, schrieb einen neuen Eintrag für die Website von Street-Riot: Nach langer Zeit wieder eine Performance! Wer zuschauen will ...
Angefangen hatte ihr Kunstprojekt nach dem Abitur. Statt abends auf Partys zu gehen und Mädchen aufzureißen, besprühten Eric und Konstantin die Schaufenster der Innenstadt mit Sprüchen, die sie von Nietzsche stahlen und von Gaspar Noe. Die Aktionen filmten sie erst mit ihren Handys, später mit Erics Kamera und stellten die Videos ins Internet. Während des Studiums kamen sie vom Graffiti zur Performance-Kunst, liefen nackt und mit beschrifteten Oberkörpern wie Femen-Aktivistinnen über Volksfeste, rappten männerverachtende Texte am Schlossteich.
Als Michaela hinzustieß, stieg die Anzahl der Videos rapide. Sie schlug Flick-Flaks auf dem Dach der Uni, hüllte sich in eine Burka und verfluchte Schulmädchen wegen ihrer obszönen Kleidung. Mit der Zeit war Eric genervt von der Überproduktion und dem sinkenden Niveau. Das letzte Video zeigte Konstantin und Michaela unterm Titel Freud‘s Fault, wie sie mit Farbe den Triebwagen einer U-Bahn in einen Penis verwandelten und die Tunnelöffnung der ersten Haltestelle in eine tentakelhaarige Vagina.
Konstantin schaltete den PC ab und ging duschen. Mit tropfnassen Haaren kehrte er ins Zimmer zurück, zog einen schwarzen Pulli, eine schwarze Cargo-Hose an, dazu Nietengürtel und Springerstiefel.
Er wechselte ins Wohnzimmer. Auf dem Sofatisch reihte sich eine Phalanx angesengter Räucherkegel, deren süßlicher Geruch noch immer die Luft verklebte.
Ebenfalls in Schwarz gekleidet, schlurfte Eric aus seinem Zimmer, in der Hand die Kamera.
Neben Street-Riot verband die beiden eine endlose Reihe gemeinsamer Nachmittage - Kriegsspiele auf ehemaligem Militärgelände, Kiffen im Wald, Tage vorm PC, durchsoffene Nächte, Sommerurlaube in Paris, Stockholm, Madrid.
Eric ließ sich aufs Sofa fallen und gähnte. „Gott, bin ich müde.“
„Es ist fast elf.“
„Immer noch zu früh.“
Michaela lief in ein Handtuch gewickelt zum Bad, ihre Beine nackt bis zum Hintern.
„Kleiner Spanner, wie?“ Eric grinste.
Konstantin zeigte ihm den Mittelfinger.
„Ich mein‘s ernst. Komm von ihr los. Such dir ne neue Freundin, anstatt ihr ständig auf den Arsch zu schauen.“
„Sie wohnt nun mal hier.“
„Du wolltest nicht, dass sie auszieht. Ich hätte sie rausgeworfen.“
„Hattest ja auch schon viele Freundinnen zum Rausschmeißen.“
„Touche.“
Minuten später lag Michaela schwarzgekleidet mit auf dem Sofa und alle drei sahen fern.
Roland kam ins Wohnzimmer. „Meint ihr nicht, wir sollten doch Masken benutzen?“ Er stand vorm Sofa wie der Kandidat einer Casting-Show, linkisch und unbehaglich. Die schwarzen Klamotten hatte er sich von einem Freund geliehen, weil seine eigene Garderobe zu bunt war – normalerweise trug er T-Shirts in Primärfarben und Hosen in senfgelb oder bordeaux.
Michaela stieß Luft zwischen den Zähnen durch. „Wir haben gesagt, ohne Masken und du wolltest mitmachen. Jetzt heul nicht rum.“
„Zur Abwechslung könntest du mal auf meiner Seite sein.“
Sie zuckte die Schultern und hauchte einen Kuss auf seine Wange, als er sich setzte.
„Kannst du mir wenigstens den Grund sagen?“, wandte sich Roland an Konstantin.
„Mein Lieber, wenn wir uns da heute mit Masken hinstellen, dann sind wir nicht besser als irgendwelche Politikfreaks. Dann besteht kein Unterschied zu ein paar Nazis, die ein bisschen Randale machen. Für echte Kunst darf man sich nicht verstecken. Man muss bereit sein, die Konsequenzen zu tragen.“
„Ich will keinen Ärger.“
Konstantin lächelte, strahlend und breit wie ein Autoverkäufer. „Ganz ehrlich, es ist irre unwahrscheinlich, dass uns tatsächlich wer erkennt. Und selbst wenn, wird kaum einer loslaufen und uns anzeigen. Letztlich ist es denen doch egal, was wir machen.“
„Der Guru hat gesprochen.“ Michaela drückte sich vom Sofa hoch.
Sie fuhren mit Fahrrädern den Campusberg hinauf. Wasser fleckte den Asphalt und die Luft roch frisch gewaschen. Aber die Sonne schien wieder, glasig hinter Dunstschleiern, und heizte die Straße zur Sauna.
„Fuck, ist das schwer.“ Konstantin keuchte. Er schleppte einen Ghettoblaster am Schulterriemen mit.
„Du wolltest die lautstarke Version.“ Eric lachte. In der rechten Hand hielt er die Kamera und schwenkte damit über die Häuser am Straßenrand und in die Fluchtpunktperspektive zum Gipfel. „Mein Weg zur Uni. Wie werd ich diesen Scheißberg vermissen.“
Im Herbst würde er für seinen Master nach Leipzig ziehen. Eine WG war bereits organisiert und abends chattete er stundenlang mit seiner zukünftigen Mitbewohnerin.
Eigentlich hätte auch Konstantin dieses Semester fertig werden sollen, aber er verschleppte seine letzten Hausarbeiten, besuchte wahllos fachfremde Vorlesungen und wusste nicht recht, was er nach seinem Abschluss machen sollte. Manchmal erwachte er nachts mit dem Gefühl, dass ihm die Zeit zwischen den Fingern zerrann – grenzenlose Tiefsee im Kopf.
Vor der Mensa stellten sie ihre Fahrräder in Straßennähe ab. Konstantin wuchtete den Ghettoblaster von der Schulter.
Studenten strömten vorüber wie Fische – Mädchen in Hot-Pants, Uniordner unterm Arm, zukünftige Anwälte im Anzug, Hipster auf Fahrrädern ohne Gangschaltung, dazwischen vereinzelte Professoren mit Dreitagebart und Umhängetasche aus Leder. Etwas abseits pries ein Telekom-Stand Flatrates für unter vierzig Euro an, die Mitarbeiter verteilten Grillzangen als Werbegeschenke.
„Wir hätten doch Masken mitbringen sollen.“ Roland kaute auf seiner Unterlippe – in Prüfungen lief ihm davon manchmal Blut übers Kinn und die überforderte Aufsicht bot ihm Taschentücher an, die er ablehnte, weil er Wattebäusche dabei hatte und Heftpflaster.
Michaela hieb ihm mit der flachen Hand über den Hinterkopf. „Jetzt zeig mal Eier und hilf mir.“
Sie sortierte Flaggen auf dem Boden, schwarzer Stoff um Dachlatten gewickelt, sodass nur vereinzelte weiße Buchstaben zu lesen waren. Beim Bücken rutschen ihr Pulli und T-Shirt über den Rücken. Konstantins Blick klebte an ihrer Haut. Währenddessen suchte Eric den besten Winkel für die Aufnahme, zwängte sich, die Kamera überm Kopf, durch die Menge und verscheuchte ein Pärchen von der Bank am Mensaeingang. Unter bösen Blicken räumten sie den Platz.
Die ersten Schaulustigen blieben stehen, vereinzelte Neugierige und kleine Gruppen, die einen Halbkreis bildeten und den Strom der Passanten stauten. In kaum fünf Minuten sammelte sich ein Publikum. Die Stimmung erinnerte an den Auftritt einer Lokalband – niemand erwartete echtes Können, aber alle wollten sich begeistern.
„Also“, sagte Konstantin: „wir hauen ab, bevor sie uns die Fresse einschlagen.“
Roland wurde blass.
Michaela grinst. „Hört sich nach 'nem Plan an.“
„Und los geht‘s.“
Wie Wasser trug der Bass über den Asphalt. Konstantin fing an zu tanzen – kantige Schritte, aggressive Körperhaltung, stundenlang eingeübt an blassen Frühlingsnachmittagen im Hinterhof. Er fühlte sich wie ein Gangster aus dem Film, groß und furchteinflößend. Aus dem Augenwinkel sah er Michaela und Eric, die seine Bewegungen kopierten.
Im Publikum wurde Murmeln laut. Die Zuschauer schüttelten den Kopf oder lächelten mitleidig, flüsterten sich Abfälliges ins Ohr. Denn die Drei tanzten zu schlecht für einen öffentlichen Auftritt, ihre Bewegungen erinnerten mehr an Bronzetanzkurs als an Streetart. Die Ersten wandten sich ab.
Konstantin griff sich eine der Flagge, schwenkte sie wie ein Revolutionär auf den Barrikaden und flatternd im Wind entrollte sich die Aufschrift: Multikulti wegbassen.
Verwirrung breitete sich aus. Augenbrauen zogen sich kraus, Freunde wechselten zweifelnde Blicke und Buhrufe wurden laut. Ganz vorne im Publikum stand ein Professor mit Hippietuch im weißen Haar, Unverständnis und Empörung furchten sein Gesicht. Er gestikulierte heftig in Konstantins Richtung. Der ließ die Flagge fallen und griff nach der zweiten: Tanz den Fremdethnien. Die Musik wurde schneller.
Konstantin stütze den Flaggenstab auf den Boden und beugte sich vor wie gegen Wind und Regen und spürte Michaelas und Rolands Hände auf seinen Schultern - eine Imitation des Iwo Jima Memorial.
Die Stimmung kippte ins Feindselige. Eine Gruppe Sportwissenschaftler, braungebrannte Muskeln in Tank-Tops, drohten mit Mittelfingern und Fäusten, einige Pakistani sprachen heftig durcheinander und schienen kurz vorm Angriff zu stehen, und der Professor verlor jede Fassung und spie Schimpfworte, die Konstantin wegen der Musik und dem Stimmengewirr nicht verstand.
„Zeit für den Abgang.“
Konstantin schnappte sich den Ghettoblaster und sie flüchteten zu den Fahrrädern. Einige halbherzige Flaschen flogen ihnen nach, als sie den Campusberg hinunter jagten. Wind rauschte in Konstantins Ohren und schluckte die Schreie und Verwünschungen, schluckte Michaelas Glücksgeheul. Links zappten die Autos vorbei – blau, silber, silber, rot standen sie im Mittagsstau. Eine Oma lief auf den Fahrradweg. Haarscharf wich Konstantin aus und der Ghettoblaster riss an seiner Schulter und warf ihn fast in die Flanke eines Lieferwagens. Sein Puls sprang auf über 200.
Sie bogen von der Hauptverkehrsader ab, hinein in ein Gewirr aus Nebenstraßen - krakeliges Graffiti auf grauen Fassaden, Gardinen hinter fleckigen Fenstern, Punks standen mit Bierflaschen vor einem Hauseingang und johlten, als sie vorüber fuhren. Fast klang es wie Beifall. Endlich auf ihrem Hinterhof, sprangen sie von den Rädern und fielen sich in die Arme wie Sportler nach dem Rennen. Michaela hing an Konstantins Hals, ihr Mund, ihr Lachen ganz nah, ihre Brüste fest an seinen Rippen, und er hielt sie fest, bis sie sich befreite. Sie legte den Kopf zurück und drehte sich begeistert wie ein Kind auf dem Jahrmarkt. Eric lief in die Wohnung, holte Wodka und Gläser. Die Dinge fühlten sich wie früher an – ein Leben aus lockerleichter Zuckerwatte.
Abends lagen sie angetrunken auf dem Sofa. Im Fernsehen lief eine Dokumentation über die Slums in Indien. Familien drängten sich zwischen Wellblech, Pappe und Sperrholz. Kinder verbrannten Elektroschrott, um an Edelmetalle zu kommen.
„Immer das gleiche“, sagte Konstantin. „Sie sprechen nur vom Elend in den Slums. Dabei ist es der Motor für den Aufschwung. Billige Arbeitskräfte und alle sind super motiviert.“
„Überleg mal, was du da sagst“, erwiderte Eric.
„Nur die Wahrheit.“
„Mir ist langweilig“, sagte Michaela. Sie aß Zwieback und Krümel bedeckten ihr T-Shirt wie Staub.
„Lasst uns tanzen gehen.“
„Gute Idee.“ Konstantin stand auf.
„Abflug in ner halben Stunde“, sagte Michaela und verschwand mit Roland in ihrem Zimmer.
Nur Eric blieb mit einem Gesichtsausdruck sitzen als hätten ihn alle verraten. „Komm schon, lass sie doch alleine gehen, wenn ihr langweilig ist.“
„Beweg dich.“
Konstantin wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, strich seine Haare mit Gel zum Seitenscheitel, wechselte sein T-Shirt. Zurück im Wohnzimmer trank er einen Energy-Drink aus der Palette, die Michaela bei ihrem Supermarktjob geklaut hatte, ein Geschmack wie aufgelöste Gummibärchen und auf seinen Zähnen wuchs Moos. Er warf ein Mint-Bonbon hinterher.
Sie verließen die Wohnung. Leichter Wind wehte. Die Straßen glänzten fettig vom Laternenlicht. Eric ließ eine Flasche Cola-Rum wandern.
Im Club zog Michaela Roland zur Tanzfläche, wo Kunstnebel wallte und Stroboskoplicht die Bewegungen auf Einzelbilder reduzierte. Konstantin und Eric setzten sich ans Ende der Bar, bestellten Cocktails, sprachen über Leipzig. Der Barkeeper jonglierte mit Glas und Shaker und verbeugte sich nach jedem Cocktail wie ein Zirkusstar. In seiner Braue steckte ein Piercing.
Als die Musik lauter wurde und das Sprechen schwierig, saßen sie schweigend nebeneinander, zwei Freunde aus Kindheitstagen. Eric simste mit seiner neuen Mitbewohnerin und Konstantin fühlte sich betrunken.
„Na, wie wär‘s mit einer von denen?“ Eric berührten fast sein Ohr, blies ihm feucht-warme Luft in den Kopf.
Mit Minirock und der Schminke im Gesicht wirkten sie wie Nutten, aber sie waren hübsch und die Kleinere hatte niedliche Ohren. Sie standen am anderen Ende der Bar, warteten auf ihre Cocktails und applaudierten dem Barkeeper bei seinen Kunststücken. Der schenkte ihnen ein Playboy-Lächeln und der Shaker glitt ihm durch die Hände. Glassplitter und Eis spritzen lautlos über den Boden und er sprang fluchend zur Seite, ein Pantomime mit hochrotem Kopf.
Konstantin lachte. „Nur, wenn du die andere übernimmst.“
„Ne, danke.“ Eric deutete auf sein Handy.
„Dann mal viel Spaß mit deinem Date.“ Er verließ die Bar und wanderte zur Tanzfläche, suchte Michaela im Menschenmeer und fand sie beim DJ-Pult, wo zwei Frauen auf die umlaufende Sitzbank gestiegen waren und sich als Gogo-Girls versuchten. Zwischen Leibern, von denen Schweiß und After-Shave triefte, schob er sich zu ihr.
„Wo ist Roland?“
Sie zeigte in Richtung Ausgang.
„Was ist los mit ihm?“
„Braucht Frischluft. Und jetzt beweg dich.“
Sie tanzte mit dem Rücken an seiner Brust, lehnte ihren Kopf in den Nacken, bis sie ihn anlächelte, schweißnass, mit der Zungenspitze im Mundwinkel, und fast hätte er sie geküsst. Schwummrig vom Alkohol schloss er die Augen und tastete über ihren Bauch aufwärts. „Nana, du Lüstling.“ Michaela hielt seine Hände fest, altbekannte Finger, altbekannte Zärtlichkeit. Flüchtig sah er Rolands Gesicht, eine Maske zwischen die Tanzenden gehängt, dann drängten zwei Panzerschränke der Security vorüber und er verlor ihn aus den Augen.
Als sie an die Bar zurückkehrten, fragte Michaela nach Roland.
„Der ist nach Hause“, erwiderte Eric.
„Fuck!“ Sie bestellte einen Gin Tonic, den ihr der Barkeeper ohne Kunststücke mischte, und leerte das Glas in einem Zug. „Los wir verschwinden.“
Eric fasste sich an den Kopf.
Draußen war es kühl geworden und Konstantin fröstelte in seinem durchgeschwitzten T-Shirt. Ein Taxi fuhr ein paar Meter im Schritttempo mit, der Fahrer zeigte sein Goldzahnlächeln und brauste fluchend davon, als Konstantin ihn weiterwinkte. Die Hände in den Hosentaschen, stapfte Michaela vorneweg.
„Ist eigentlich was passiert?“, fragte Eric. „Roland sah aus, als wäre er schlecht drauf und ist dann ziemlich ohne Kommentar gegangen.“
„Nein nichts. Hatte wohl keine Lust mehr.“
Als Konstantin im Bett lag, hörte er Michaelas und Rolands Stimmen durch die Wand, hastiges Murmeln und Flüstern, dann das Stöhnen beim Sex. Nach Michaelas zweitem Orgasmus, kramte er im Nachtschrank nach Oropax.
Am nächsten Tag traf er sich mit Roland auf dem Campus. Dichter Regen fiel. Nur vereinzelt hasteten Gestalten vorüber, bei jedem Schritt spritze Wasser unter ihren Schuhen hervor.
Roland schwieg und Konstantin redete drauflos, erzählte von den Videoaufnahmen, die er am Morgen gesichtet hatte, sprach von Erfolg und brillanter Botschaft. Der Regen lief ihm den hinunter Nacken und durchweichte den Kragen seiner Jacke, während sich Roland unter einem Schirm verbarg, groß genug für zwei.
„Nachher zeig ich dir mal das Material. Ist wirklich, wirklich gut geworden.“
„Hoffentlich“, sagte Roland. „Dann hat sich der Ärger wenigstens gelohnt.“
„Die paar Flaschen? Die haben nicht mal getroffen.“
„Nicht die Flaschen. Die Vorladung heute vom Uni-Sekretariat. Wenn ich so was nochmal mache, flieg ich raus.“
„Was?“ Konstantin hoffte, dass er überrascht klang und empört.
„So viel zu deinem das petzt niemand. Scheiße, weißt du, was los ist, wenn meine Eltern rausbekommen, dass ich meinen Platz los bin?“
Gewaltig wie ein Schlachtschiff schälte sich das Hörsaalgebäude aus den Regenschleiern, die oberen Stockwerke ragten über den Vorplatz und die Fenster leuchteten rund wie Bullaugen.
„Aber du hast deinen Studienplatz noch. Und die nächste Aktion findet eh nicht auf Unigelände statt.“
„Und ohne mich.“
Konstantin fasste Roland an der Schulter. „Wirklich? Willst du vor denen einknicken? Oder willst du Mut beweisen? Frag dich mal, was Michaela lieber ist.“
Sie erreichten den Eingang. Drinnen war die Luft feuchtwarm und roch nach durchweichter Kleidung. An der Wand gegenüber hing mondweiß und riesig eine Uhr. Aus den Hörsälen drang das Murmeln einer Legion.
„Tut mir übrigens leid wegen dem Ärger“, sagte Konstantin. „Ich dachte wirklich nicht, dass uns wer erkennt und nichts Besseres zu tun hat als uns zu verpetzten.“ Mit einem Taschentuch wischte er sich das Wasser aus dem Gesicht.
„Wieso? Für echte Kunst muss man doch Konsequenzen tragen.“ Und er rauschte Richtung Fahrstuhl.
Konstantin zeigte Rolands Rücken den Mittelfinger und betrat seine Vorlesung. In aufsteigenden Reihen warteten fünfhundert Studenten auf ihren Professor, der fahrig und hilflos versuchte seinen Laptop mit dem Beamer zu verbinden – anscheinend war sein HiWi krank.
„Hey Konstantin.“ Eine Hand winkte ihm und er setzte sich neben Noi, Kind thailändischer Einwanderer und ebenfalls eine Fachlose, die die Vorlesungen besuchte wie sie ihr in den Weg fielen. Sie hatte Konstantin auf einer Erstsemesterveranstaltung angesprochen. Seitdem lud sie ihn auf Partys ein, auf Kneipenabenden und Clubtouren. Manchmal ging Konstantin mit und erwachte am nächsten Morgen mit grausamem Kater.
Als Konstantin die Tür öffnete, saßen Michaela und Roland auf dem Teppich, der rot und flauschig das halbe Zimmer füllte, und rauchten Joints. Der Qualm stand nebeldick über ihren Köpfen.
„Na, willste auch?“ Michaela grinste.
„Sicher nicht, wir wollen los.“
„Oh scheiße! Das haben wir voll vergessen.“ Roland sprang auf und hielt sich dann am Schreibtisch fest, um nicht umzufallen. Sein Gesicht verlor für einen Augenblick alle Farbe. Michaela lachte so heftig, dass sie auf den Rücken kippte.
„Komm schon“, sagte Konstantin. „Reiß dich zusammen. Abflug ist in fünf Minuten.“
Er überließ die beiden sich selbst und ging in die Küche. Unsichtbar bis auf das Glimmen seiner Zigarette, lehnte Eric am Fenster. Als er Konstantin bemerkte, drückte er die Kippe aus und löste sich von der Wand und das Licht der Straßenlaternen schnitt seine Umrisse aus der Dunkelheit.
„Kein Grund zur Eile“, sagte Konstantin. „Die beiden brauchen noch.“
„Was denn jetzt schon wieder?“ Er strebte an Konstantin vorbei, Richtung Michaelas Zimmer.
„Geh nicht, du regst dich nur auf.“
„Was machen die beiden?“
„Kiffen“
„Fuck! Dass Michaela nicht einmal bei der Sache bleiben kann.“
„Ist nun mal ihre Art.“
„Die hält keine fünf Minuten ohne Bespaßung aus. Wie schafft die eigentlich ihr Studium? Spielt Vier-Gewinnt in der Klausur, oder was?“
„Sie kann dich hören.“
„Und?“
Konstantin faste ihn an der Schulter, schob ihn in die Küche zurück, schloss die Tür. „Ganz ruhig. Ist doch alles in Ordnung.“
„In Ordnung? Scheiße, wir können die Aktion abbrechen. Ich geh doch nicht mit zwei bekifften Vollidioten los und zünde Autos an.“
„Glaub mir, es ist okay. Eigentlich ist es mir sogar ganz lieb so.“
„Was zum …?“
„Roland wäre uns nur abgesprungen. Nach dem kleinen Anschiss braucht der alle Mutmacher, die er kriegen kann.“
„Sollen wir noch Alkohol kaufen? Bisschen Tequila für die Nerven. Damit er uns alles vollkotzt?“
„Vertrau mir, das funktioniert.“ Er grinste. „Und im schlimmsten Fall sind wir ohnehin schneller im Weglaufen.“
„Können wir nicht einfach nur zu zweit losziehen. So wie früher.“
„Du bist bald weg.“
Fünf Minuten später marschierten sie los, Roland an der Spitze - sie gingen zur Wohnung seiner Tante. Kurz vor voll stand der Mond über den Dächern, sein Licht glänzte auf Fensterscheiben und Autos. Immer wieder blieb Michaela stehen und brach in Lachen aus, ihr Kichern trug endlos weit in den menschenleeren Straßen und Konstantin musste zurückgehen, sie am Arm nehmen und weiterziehen. Eric warf genervte Blicke über die Schulter, Roland lief schweigend weiter. Inzwischen hatten die beiden dreißig, vierzig Meter Vorsprung.
Schließlich blieben sie am Anfang einer Nebenstraße stehen.
„Wir sind da?“, fragte Konstantin.“
„Ja.“ Roland kaute wieder seine Unterlippe und wirkte dabei wie ein Teenager, der betrunken vor der Tür stand und darauf wartete, dass ihn seine Freundin zum ersten Mal ins Schlafzimmer rief.
„Gut, dann suchen wir uns mal ein Auto.“
In keinem der Fenster brannte noch Licht, aber die großzügig verteilten Laternen tauchten die Straße in kaltes Weiß. Konstantin warf einen flüchtigen Blick in eines der Zimmer im Erdgeschoss - Spitzengardinen, Blumen auf dem Fensterbrett, weiter hinten ein Schatten, der ein riesiger Fernseher sein konnte - und wandte sich dann den Autos zu. Familienkutschen dominierten die markierten Parkflächen, aber auch zwei Geländewagen standen da und einige Modelle von BMW und Audi.
„Deine Tante muss gut Kohle haben“, sagte Konstantin.
„Ne, die wohnt nur noch von früher hier und die Vermieter wollen sie nicht rausschmeißen.“
„Was für Gutmenschen.“
„Wie wär‘s mit dem Porsche da?“, fragte Eric.
Konstantin schüttelte den Kopf und zeigte auf einen blauen Golf am Ende der Straße. „Ne, der da. Der ist gut.“
Eric sah ihn verständnislos an, sagte aber nichts.
Konstantin umrundete das Auto. Das Wageninnere wirkte sauber und gepflegt, auf dem Beifahrersitz lagen eine gefaltete Wolldecke und ein Stadtplan. „Jap, der ist perfekt.“
Michaela und Roland stellten sich je an eine Ecke des Autos, während Eric seine Kamera aus dem Rucksack fischte. Rot glomm die Aufnahmeleuchte und schräg darunter die Glut seiner Zigarette.
„Meint ihr wirklich, dass das eine gute Idee ist?“, fragte Roland.
„Klappe“, fuhr ihn Michaela an. „Ich hab kein Bock zu diskutieren. Wir machen das jetzt.“
Konstantin war überrascht - er hatte damit gerechnet, das selbst regeln zu müssen, aber Roland wich dem Blick seiner Freundin aus und kaute wieder seine Lippe.
Als Konstantin die Grillanzünder anbrach, stach ihm der chemische Geruch in die Nase, eine Erinnerung an Abende im Park, heiter und warm, an Handymusik, schmelzende Kräuterbutter auf saftigem Fleisch und Shisharauchen in der Dämmerung, wenn die Kohle ausglühte und der Bauch schmerzte vom vielen Essen. Er gab Roland und Michaela je zwei der weißen Brocken, dazu ein Feuerzeug.
„Dann mal los.“ Gelb und orange leckte die Feuerzeugflamme über die Anzünder in seiner Hand. Als sie brannte, legte er sie auf den linken hinteren Reifen des Golfs, direkt unter den Fahrzeugtank „Und jetzt weg hier.“
Kurz bevor sie um die Ecke bogen, brach Michaela in Lachen aus. Die Arme um den Bauch geschlungen ging sie in die Knie und rollte sich auf dem Boden als hätte sie Schmerzen.
„Fuck, reiß dich zusammen.“ Konstantin beugte sich zu ihr, versuchte sie auf die Beine zu ziehen.
„Da geht Licht an.“ Hektisch zeigte Roland auf ein Fenster im dritten Stock, wo ein Mann erschien, ein Scherenschnitt im Gegenlicht.
„Ruhe! Ich will schlafen, ihr scheiß Jugendlichen. Verpisst euch. Sucht euch Arbeit.“ Seine Stimme übertönte mühelos Michaelas Lachen und hallte zwischen den Häusern. Weitere Fenster erwachten zum Leben.
„Was machen wir jetzt, was machen wir?“ Rolands Stimme klang kläglich hoch.
Ein Blick und Konstantin und Eric packten Michaela unter den Armen und schleiften das kichernde Bündel um die Ecke der Kreuzung. In ihrem Rücken beschimpften sich die Anwohner gegenseitig.
„Nun halt endlich den Rand.“ Eric zog Michaela an den Haaren hoch und sie kam japsend auf die Beine und wischte sich Lachtränen aus dem Gesicht.
„Tut mir leid. Tut mir leid. Passiert nicht wieder.“
Sie liefen um den Block und dann über den Hinterhof ins Treppenhaus. Die Stufen knarrten verräterisch unter ihren Füßen und sie erstarrten, als fremde Schritte zu hören waren, schlurfend hinter einer Wohnungstür, aber das Licht über der Schwelle erlosch und Ruhe kehrte ein.
Roland sperrte die Wohnung seiner Tante auf und Eric eilte an ihm vorbei ins Wohnzimmer, stellte die Kamera aufs Fensterbrett und zoomte den Golf auf volle Bildschirmgröße. Erste Flammen leckten aus den Radkästen. Das Feuer warf bereits Schatten auf den Bürgersteig. Konstantin kramte in seinem Rucksack nach der Sektflasche zum Feiern, billig aus dem Supermarkt und kühl in seiner Hand. Langsam sickerte das Adrenalin aus seinen Adern.
„Scheiße!“ Alle zuckten zusammen. Roland stand mit offenem Mund am Fenster. „Das ist das Auto meiner Tante.“
Inzwischen füllte Rauch das Wageninnere und Flammen schlugen aus den Ritzen der Motorhaube. Die Anwohner hatten ihren nächtlichen Hass gestillt und betrachteten das brennende Auto wie hilflose Insekten, hirntote Zaungäste.
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“
„Du Idiot. Sag das doch früher“, fuhr ihn Eric an.
„Wir müssen was machen. Scheiße! Das Auto.“
„Zu spät. Das Teil brennt.“
Michaela lachte – sie fiel auf einen der Sessel, ein Designer-Stück mit seltsam geschwungenen Lehnen, ihr Japsen klang als würde sie ersticken. Scheinbar mit der Kamera beschäftigt, wartete Konstantin auf das soziale Armageddon.
„Halts Maul! Halts Maul! Halts Maul! Halts Maul!“
Michaela biss sich auf die Hand, aber das Lachen schüttelte ihren Körper.
„Du sollst dein Maul halten!“ Die Ohrfeige warf Michaelas Kopf gegen die Rückenlehne, ein Klatschen gefolgt vom dumpfen Aufschlag, und sie klappte zusammen wie ein Taschenmesser, zog die Knie an, hob die Arme vors Gesicht. Ihre Schutzhaltung wirkte erschreckend einstudiert. Roland stand schwer atmend vorm Sessel, sein Gesicht unsichtbar im Dunkel. Langsam sank seine Hand herab.
„Fuck!“ Eric packte Roland an der Schulter, stieß ihn aus dem Zimmer. „Verpiss dich!“
Zaghaft beugte er sich zu Michaela, streichelte ihr Haar und sprach beruhigend auf sie ein, als sie zurückzuckte. „Los hilf mir.“
Konstantin löste sich vom Fenster und gemeinsam griffen sie Michaela unter den Armen und trugen sie aus der Wohnung und auf die Straße. Sirenen rasten heran und zwei Feuerwehrfahrzeuge jagten in Gegenrichtung vorbei.
Zu Hause saß Michaela auf ihrem Bett, drückte ein Taschentuch auf ihre gerissene Unterlippe, weichte Zwieback in warmer Milch auf. Sie weinte nicht. Konstantin blieb die Nacht bei ihr, streichelte ihren Rücken, genoss ihre Nähe und dachte an glückliche Tage.
Menschen füllten den Garten. Unter rauschenden Bäumen, im Licht von Lampions unterhielten sich Erasmusstudenten auf Englisch, Tschechisch und Spanisch. Mädchen mit Blumen im Haar tranken Erdbeer-Bowle und ein schwarzes Jazzquartett aus der bayrischen Provinz spielte Klassiker wie Take Five und Kind of Blue. Fast unsichtbar huschten Fledermäuse durch die Baumwipfel. Zwei Zwillinge standen am Grill und wendeten Schafskäse, Knoblauchsteaks und Maiskolben, während sie mit einer Dänin flirteten, die sich ihr Blondhaar um den Finger wickelte und lachte wie ein Schaf.
Konstantin und Michaela standen beim Haus. In Naturstein gefasste Gemüsebeete trennten sie vom Rest der Party. Michaela lehnte an der Hauswand und rauchte eine schwarze Zigarette, fadendünn stieg der Rauch vor ihrem Gesicht empor. Schorf bedeckte den Riss in ihrer Lippe, von Zeit zu Zeit leckte sie darüber - vermutlich unbewusst, aber frivol und sexy für Konstantin.
„Wie steht es zwischen dir und Roland?“
Michaela blies ihm Qualm ins Gesicht. „Seit wann interessiert du dich für unsere Beziehung?“
„Ich will nur, dass es dir gut geht.“
„Oh danke.“ Und nach einer Pause, in der sie ihre Lippe befühlte. „Wir haben uns wieder vertragen. Er hat sich entschuldigt. Ich hab mich entschuldigt.“
„Wo ist er dann?“
„Lernen. Er muss Statistik nochmal schreiben.“
„Ah, okay.“ Er wandte sich zum Gehen. „Ich hol uns mal was zu trinken.“
Vorbei an einer Gruppe Kunststudenten, die Richters Einfluss auf die moderne Malerei diskutierten, suchte er sich seinen Weg zum Getränketisch. Eine aufgebockte Sperrholzplatte bog sich unter der Last von Spirituosen und Soft-Drinks. Plastikbecher lagen im Gras verstreut und die Papiertischdecke war aufgeweicht vom verschütteten Alkohol. Er mischte einen Gin-Tonic für sich und Rum-Cola für Michaela. Inzwischen stand nur noch ein Zwilling hinterm Grill, sein Bruder lutschte am Gesicht der Dänin.
Michaela wartete mit einer frischen Kippe in der Hand. Ihr Lippenstift klebte am Filter.
„Danke.“
„Bitte, bitte.“ Er lehnte sich neben ihr an die Wand. Die Steine strahlten Restwärme ab und doch frisierte der Wind seine Arme zu Punks. „Weißt du, ich hab über deine Antwort nachgedacht.“
„Welche?“
„Zu deiner persönlichen Lieblingsaktion.“
„Ich dachte, du willst, dass es mir gut geht?“
„Macht es dich wirklich so fertig, wenn wir darüber reden?“
Sie trat ihre Zigarette in den Staub. „Natürlich nicht.“
„Gut.“ Er trank einen Schluck wie ein Redner, der sich für sein Publikum vorbereitet, eine Pause, ein Spannungsmoment. „Also, du bist gegen die Vergewaltigungsnummer. Und soweit ich das verstanden habe, ist der Grund, dass wir damit echte Vergewaltigungsopfer verhöhnen?“
„Ja.“
„Okay. Damit hast du recht.“
„Wirklich?“ Ihre Augenbrauen wanderten die Stirn hinauf.
„Natürlich. Die meisten Opfer werden es als Verhöhnung empfinden, wenn wir Vergewaltigung zur Kunst machen. Nun funktioniert aber praktisch jede unserer Aktionen über Hohn.Weißt du noch, die Sache mit der Burka. Du und die kleinen Schulmädchen. Das war purer Hohn. Oder die Nazi-Aktion. Da haben wir Rassismus verharmlost, haben ihn als Kunst benutzt. Wir haben jeden einzelnen Ausländer verhöhnt, der von Nazis ins Krankenhaus geprügelt wurde. Wenn du‘s genau nimmst haben wir sogar den Holocaust verhöhnt. Und das alles war für dich kein Problem. Warum also bei den Vergewaltigungen?“ Er sprach sachlich und gelassen, ein Professor beim Vortrag. Michaela wartete mit schmalen Lippen, trank ihren Rum, raucht die nächste Zigarette.
„Können wir nicht einfach Sachen machen wie früher?“
„Wenn‘s die Moral also nicht ist, was dann?“
„Du kannst so ein Arsch sein.“
„Wer ausfallend wird hat die Diskussion verloren, meine Liebe.“
Auf Michaelas Wangen blühten hektische Flecken und Falten furchten ihre Stirn – Konstantin verkniff sich ein Lächeln.
„Fick dich!“ Michaela warf ihren Becher ins Beet, schwarze Flüssigkeit spritze über die Erde wie Pech. Sie wollte gehen, aber Konstantin stieß sie gegen die Mauer zurück. Die Arme auf beiden Seiten ihres Kopfes gegen die Wand gestützt, versperrte er ihr den Weg und kam dabei ihrem Gesicht so nah, dass er trotz der Dunkelheit die Sommersprossen sah und den Schönheitsfleck links vom Mund. Erschrocken schloss sie die Augen.
Konstantin zischte ihr ins Ohr: „Mir ist diese Aktion sehr wichtig. Und ich brauch dich dafür. Also lass mich nicht hängen.“
„Ich kann nicht. Ich hab noch nicht mit Roland gesprochen.“
„Der hat längst zugesagt.“
„Du bist so ein beschissener Kontrollfreak!“ Sie tauchte unter seinem Arm durch und floh übers Beet, ihre Schuhe zerdrückten Zucchini und Kohlrabi. Zwei Männer, die mit ihren Bierflaschen in der Nähe standen, rissen Witze über Beziehungskrisen und starke Frauen. Konstantin lehnte sich an die Wand und trank seinen Gin Tonic.
„Hey, Konstantin.“ Noi winkte ihm von jenseits des Beetes. Sie trug ein auffallend elegantes Abendkleid, changierendes Grün, gesticktes Dekolleté, und wirkte zwischen blumenbedruckten Röcken und einfachen Blusen fast übertrieben schick. „War das deine Freundin?“
„Meine Ex.“
„Ah, okay.“ Sie lief ums Beet herum und brachte eine Wolke Parfüm mit sich, tropisch-schwül und zuckersüß. „Ich wollte nicht lauschen.“
„Ich fürchte wir waren zu laut, zum weghören.“
„Habt ihr euch vor kurzem getrennt?“
„Nein, letztes Semester.“
„Und ihr streitet euch immer noch?“
„Manche Dinge werden nicht besser.“
Sie nickte und nippte an ihrem Mojito – die Minzblätter schwammen darin wie Unterwasserpflanzen. „Du, ich wollte dich fragen, ob du zu meiner Geburtstagsfeier kommen willst?“
„Wann denn?“, fragte Konstantin und schüttelte bedauernd den Kopf, als sie ihm das Datum nannte. „Da kann ich nicht. Da haben wir eine Performance.“
„Oh, schade. Aber du hast ja meine Nummer. Also falls doch ...“
Eric rauchte am Küchenfenster. Er trug noch seinen Pyjama, blaue Quadrate auf Dunkelgrau, und leichter Fettglanz überzog Haut und Haare, Bartstoppel bedeckten die Wangen. Auf dem Küchentisch stand eine Müslischüssel, an deren Rand Haferflocken und Joghurt klebten. Das Radio, ein schwarzer Würfel auf der Fensterbank, spielte Rockmusik.
„Ich glaube, ich hab Michaela soweit.“ Konstantin suchte sich einen Apfel aus der Obstschale und scheuchte dabei eine Horde Fruchtfliegen auf, schwarzer Pixel, die ihm entgegenschossen wie ein zorniger Dämon. Angewidert legte er den Apfel zurück. „Lass mich noch einmal mit ihr reden und sie mach mit.“
„Schön für dich.“
„Du klingst nicht gerade begeistert.“
„Ist halt nicht sehr relevant für mich.“
Auf der Straße donnerte eine Müllabfuhr vorbei und der Geruch von Abgasen und Fäulnis wehte durch die Küche. Konstantin stand am Regal und versuchte eine Packung Kaffeebohnen zu öffnen. „Was soll das heißen?“
„Du hast mich nie gefragt, ob ich mitmache.“
„Natürlich machst du ...“
„Nein, eben nicht.“
„Ist nicht dein Ernst.“ Die Tüte riss der Länge nach auf und die Bohnen spritzten wie Schrapnell über den Küchenboden. „Scheiße!“
Auf den Knien krochen sie übers Linoleum und schaufelten die Bohnen händeweise in Tupperdosen.
„Die Aktionen in letzter Zeit, ich weiß nicht“, sagte Eric. „Du wusstest doch, dass wir das Auto von Rolands Tante abfackeln, oder?“
„Sch!“ Konstantin warf einen Blick Richtung Tür, aber alles blieb still, kein Wutschrei, kein Fluchen, Roland und Michaela schliefen wohl noch oder ihr Fernseher überdeckte alle Geräusche.
„Ich liege echt richtig?“
„Ist doch egal.“
„Eben nicht. Ich hab keine Ahnung, worum es geht. Du erzählst mir nichts. Aber du willst, dass ich mitmache.“
„Es geht nicht, ich kann‘s dir nicht sagen.“
„Weil ich dann nicht mitmachen würde?“
Konstantin wich seinem Blick aus.
„Siehst du“, sagte Eric. „Was immer du mit Roland und Michaela klären musst, klär das allein. Ich will da nicht reingezogen werden, das ist nicht meine Sache.“
Neben Staub und versprengte Kaffeebohnen fand Konstantin ein unbenutztes Kondom unterm Küchenregal. Er wedelte damit in der Luft. Eric lächelte müde.
„Es ist nur noch eine Aktion“, sagte Konstantin.
„Du weißt, ich hab immer gerne mitgemacht. Aber nein.“
„Fuck!“
Eric stand auf und klopfte sich Krümel von der Jeans. „Was regst du dich eigentlich so auf?“
„Scheiße, du bist in einem Monat weg.“
„Und?“
„Ich will nochmal was mit dir unternehmen, aber du sagst mir, meine Aktionen sind fürn Arsch.“
„Das hab ich nicht gesagt.“
„Hast du. Und du willst auch immer, dass ich mit meiner Beziehung klar komme. Du sagst, ich soll von Michaela los kommen. Aber eigentlich hast du keine Ahnung. Wie willst du wissen, wie das mit Frauen ist? Du hast noch nie eine angefasst.“
„Tolles Argument, Arschloch!“
Eric warf seine Tupperdose auf den Tisch, die Box schlitterte über die Kante und die Bohnen schwebten für einen Augenblick in der Luft, bevor sie verschwand. Eric stürmte aus der Küche.
Als Konstantin die Tür öffnete, saß Michaela auf dem Bett und hörte Musik über Kopfhörer. Sie hielt die Augen geschlossen, bemerkte ihn nicht. Die Fenster standen offen und der Wind blies die Vorhänge über Sessel und Schreibtisch wie verspielte Zungen. Trotz der frischen Luft roch das Zimmer nach Räucherwerk, ein Relikt der letzten Nacht, als sie kifften, bis ihnen schlecht wurde, und anschließend Opferriten abhielten gegen den verräterischen Geruch. Die Asche häufte sich noch in Porzellanschalen auf dem Regal.
Er stupste Michaela an, sie schreckte zusammen und öffnete die Augen.
„Störe ich?“, fragte er.
„Kommt drauf an.“ Sie nahm die Kopfhörer ab und rückte zur Seite, während er sich aufs Bett setzte. „Was willst du?“
„Nur ein bisschen Reden.“
„Wirklich? Müssen wir da nochmal durch.“
„Warum so misstrauisch?“
Sie stieß die Luft zwischen den Zähnen aus. „Als hätte ich keinen Grund dazu.“
Konstantin lehnte den Rücken gegen die Wand. Noch blieb der Weg zurück, er konnte die Sache vergessen, konnte Noi anrufen und ihr sagen, dass er Zeit hatte für ihre Party. Vermutlich wäre es nicht schwer, sie ins Bett zu bekommen. Vermutlich wäre sie eine tolle Freundin, einfühlsam und lieb und weniger anstrengend als Michaela, weniger fordernd. Aber Michaela würde bei ihm bleiben, in Gedanken und im Traum, und er würde auch an Nois Seite mit Kopfschmerzen erwachen, mit der Sehnsucht nach früher. .
„Also gut, du hast Recht. Ich wollte ...“
„Dann raus.“ Ihr Finger wies den Weg.
„Komm schon. Nur ein bisschen Reden.“
„Raus aus meinem Zimmer!“ Ihre Unterlippe bebte – früher hatte Konstantin das süß gefunden, seine kleine Kriegerin, früher war sie auf andere wütend gewesen. Er stand auf, ging zur Tür und stieß fast mit Roland zusammen, der mit alarmierter Miene hereinstürmte.
„Was ist denn los?“
„Wir unterhalten uns nur über die kommende Performance.“
Verwirrte blickte Roland zu Michaela, schien ihre Erklärung zu erwarten. Sie schwieg und er ging zu ihr und berührte zögernd ihre Schulter. „Was ist denn?“
„Halt‘s Maul!“
Er zuckte zurück. „Ich hab doch nur gefragt.“
„Bei dem Thema ist sie überempfindlich. Sie reagiert da sehr heftig.“
Aber Roland schien Konstantin nicht zu hören. Mit verständnisloser Miene stand er am Bett, ein getretener Hund, rehäugig und hilflos.
„Manchmal hab ich das Gefühl, ich bin nur ein Anhängsel für dich. Ein Haustier, mit dem du manchmal spielst.“
Michaela rieb sich die Schläfe wie bei Kopfschmerzen, Zeige- und Mittelfinger kreisten auf der braunen Haut. „Nicht jetzt Roland, nicht jetzt.“
„Aber wann dann? Du lässt mich nie mit dir reden. Du würgst mich immer ab. Nicht jetzt, nicht jetzt. Aber wir kommen nie darauf zurück. Du hörst mir einfach nicht zu. Ist es dir wirklich egal, was ich fühle?“
Auf der Straße schwebten die Köpfe von Zaungästen, fein säuberlich abgeschnitten vom Fensterbrett, und sie wandten betreten die Gesichter ab, als Konstantin versuchte das Fenster zu schließen. Aber die Vorhänge verhedderten sich und verklemmten das Scharnier und er kämpfte mit einem Meer bunter Gaze, säuselnd und zart und nervig wie Juckreiz. In seinem Rücken hörte er Roland: „Dir geht es immer nur um Spaß. Ich bin einfach Unterhaltung für dich. Stimmt doch? Ich soll Party machen, soll kiffen, soll saufen, soll ficken wie‘s dir passt. Ich bin wie ein Vibrator für dich.“
„Bitte Roland, wir klären das. Wirklich. Egal wann. Aber nicht jetzt.“
„Nein.“
Schließlich war das Fenster geschlossen, die Außenwelt ausgesperrt. Konstantin wandte sich wieder dem Zimmer zu. Michaela kauerte an der Wand, die Knie unters Kinn gezogen, während Roland noch immer vorm Bett stand und sich beim Sprechen soweit vorbeugte, dass er wie ein Krüppel wirkte.
„Um wieder zum Thema zu kommen“, sagte Konstantin. „Unsere Liebe hier will nicht mitmachen.“
Roland hörte ihm nicht zu, sprach nur weiter mit rauer Stimme auf Michaela ein: „Du machst mich fertig. Du machst es mir so schwer, mit dir zusammen zu sein. Als wäre unsere Beziehung Leistungssport.“
„Aber nach dem Grund gefragt, weicht sie nur aus. Ich hab sie gefragt. Ist es dies, ist es das. Und dann sagt sie ja und ich denke, endlich verstehe ich sie. Aber dann kommt raus, dass es der Grund gar nicht sein kann. Weil er nicht zu ihr passt.“
„Ich fühle mich unbedeutend neben dir. Auf Partys stellst du mich nie vor. Ich stehe dann nur am Rand und warte darauf, dass du dich auch mal mit mir unterhältst. Aber du trinkst mit den Andern, lachst mit den Andern.“
Michaela verbarg das Gesicht zwischen den Händen und Konstantin fühlte sich schlecht.
„Aber die Frage hat mir keine Ruhe gelassen. Was stört sie an einer gespielten Vergewaltigung?“
Inzwischen kniete Roland vorm Bett und berührte Michaelas Füße, süße Zehen, mit rot lackierten Nägel, und eine Feder über den Knöchel tätowiert.
„Ich fühl mich unbedeutend neben dir. Und das will ich nicht mehr. Ich liebe dich. Ich will glücklich mit dir sein. Aber ich fühle mich so hilflos.“
„Und dann die Idee: Vielleicht hat sie selbst Erfahrungen in die Richtung machen müssen. Nicht unbedingt eine Klischee-Vergewaltigung vom Fremden im Park. Aber vielleicht ein lieber Onkel. Oder ein Junge auf der Party. Eigentlich ganz süß, nur etwas aufdringlich. Der sie abfüllt und dann auf sein Zimmer zieht. Der sie überall anfasst. Aber Schreien geht nicht. Schließlich ist er kein Ungeheuer. Vielleicht hat sie so ihre Unschuld verloren.“
„Ich mach mit.“ Michaelas Stimme klang dünn hinter ihren Händen.
„Was?“
„Hör auf. Bitte.“
Michaela weinte, zwischen ihren Fingern liefen Tränen durch. Völlig überfahren saß Roland vorm Bett. Sein Kiefer hing herunter wie ausgeklinkt und er sah Konstantin an, als erwartete er eine Erklärung.
Konstantin ging.
Eric schnitt Rohkost in Streifen und füllte einen Teller mit Paprika, Mohrrüben und Gurken, sein Beitrag für den Fernsehabend – falls es einen geben sollte, denn Michaela hatte sich seit dem Nachmittag im Zimmer eingesperrt und sprach mit niemanden. Er führte das Messer routiniert wie ein Profikoch. Konstantin saß ihm gegenüber am Küchentisch und trank Bier aus der Flasche.
„Ich hab Michaela überredet.“
„Ich hab das Geschrei gehört.“
„Tut mir leid.“
„Nicht so schlimm.“ Eric hielt kurz inne, wischte sich eine Wimper aus dem Augenwinkel. Dabei verzog er sein Gesicht zur Fratze.
„Ich mein auch wegen heute Morgen.“
„Ist mir schon klar.“
„Weiß auch nicht, was mit mir los ist. In letzter Zeit bin ich einfach schlecht drauf.“ Die Flasche war leer, er ging zum Kühlschrank und nahm sich die vierte für den Abend. Im obersten Fach schimmelte trug ein Stück Gouda einen flauschiger Pelz in grün und weiß. Er ließ es liegen.
„Du solltest die Sache vergessen. Und lass Michaela in Frieden. Du hast schon genügend kaputt gemacht. Ich mein, Roland kann nicht mal seine Sachen aus ihrem Zimmer holen.“
„Das wird schon wieder bei den Beiden. Die sind da unverwüstlich.“
Eric schüttelte den Kopf. „Ich mein‘s ernst. Vergiss das Ganze. Ruf lieber die Kleine an, von der du mir erzählt hast.“
„Werd ich machen, werd ich machen.“ Er stand jetzt am Fenster, den Kopf an die Scheibe gelehnt und sein Atem beschlug die Scheibe. Jemand rauchte jenseits der Straße, der Glutpunkt wanderte im Dämmerlicht wie ein Glühwürmchen.
„Wirst du nicht.“ Eric warf das Messer in die Spüle, Metall polterte auf Metall. „Warum kommst du nicht von ihr los?“ Und nach einer Pause. „Ach, vergiss es. Ich versteh‘s einfach nicht.“
Konstantin löste sich vom Fenster, gab auch Eric ein Bier. Trocken stießen die Flaschen zusammen.
„Hast du Helmkameras?“
„Ja, wieso?“
„Weil wir eine Möglichkeit zum Filmen brauchen.“
„Du willst die Sache also wirklich durchziehen.“
„Ich muss. Wie komme ich sonst von ihr los?“
„Sag ihr, sie soll ausziehen.“
Der Marktplatz lag verwaist im Mondlicht. Rolands Cowboystiefel hallten weit und der Schatten des Brunnens kauerte als verzerrter Zwilling auf dem Pflaster. Nur in den Schaufenstern der Häuser brannte noch Licht, die Stockwerke darüber wirkten tot. Ein Nachtbus grollte vorüber. Seine Scheinwerfer wischten über den Rande des Platzes und verschwanden wieder.
„Ich glaube, wir sollten abbrechen.“ Roland verlagerte sein Gewicht so häufig von einem Fuß auf den andern, dass er fast tanzte.
„Ernsthaft? Müssen wir das wieder durchgehen? Schau dir unsere Klamotten an. Darin erkennt uns niemand.“ Konstantin breitete die Arme aus. In Fransen fiel die Cowboyjacke an ihm herab. Roland trug eine Hose mit Strassbesatz und ein Hawaiihemd in purpur und türkis – selbst im schwachen Licht schmerzten die Farben.
„Das mein ich gar nicht.“
„Was dann?“
„Michaela.“
„Die wird kommen.“
„Und wenn sie ihre Meinung geändert hat? Wenn sie nicht mehr zustimmt? Dann ist es echt. Eine echte Vergewaltigung. Scheiße, dann wander ich in den Knast.“
„Erstens, dann wandern wir in den Knast. Und zweitens, warum sollte sie?“
„Naja, seit dem Streit...“ Mit fahrigen Fingern fitzelte er ein Kaugummi aus der Verpackung, drückte sich den rosa Streifen in den Mund. Beim Kauen traten seine Kiefermuskeln vor.
„Ich dachte, sie lässt dich wieder in ihr Zimmer.“
„Aber sie redet nicht mit mir. Sie liegt nur den ganzen Tag im Bett und hört Musik und ich schlafe auf dem Fußboden.“
„Hör zu. Wenn Michaela sagt, sie macht mit, dann ist das Fakt. Die heult nicht rum und kneift.“
Roland sah ihn hilflos an, ein Wrack mit Schatten im Gesicht und entzündeten Augen, und Konstantin fühlte sich befreit – alles würde funktionieren und er würde nach Hause gehen und traumlos schlafen, keine Berührungen mehr im Moos, keine Reibeisenstimme und keine verklebten Laken, keine Sehnsucht mehr am Morgen.
„Aber ...“
„Halt den Rand!“ Er packte Roland am Hinterkopf, zog sein Gesicht heran, bis er das Glitzern von Tränenflüssigkeit in dessen Augen sah, die Augen einer Kuh, treulos und dumm, die Augen eines Kaninchens.
„Wir ziehen die Sache jetzt durch. Kapiert? Nichts wird schief gehen. Das Ganze dauert kaum fünf Minuten und alles ist erledigt. Wir haben unser Filmmaterial und die Sache ist aus der Welt.“
Roland nickte und stolperte zurück, als Konstantin ihn losließ.
„Gib mir mal ein Kaugummi.“
Der Geschmack von Himbeeren füllte Konstantins Mund. Er sah sich um, von Michaela keine Spur, nur ein Männchen im Regencape schob seinen Einkaufswagen voller Plastiktüten über den Platz. Ein Rad klemmte und quietschte erbärmlich. Das Männchen murmelte Unverständliches in seinen Bart. Haare wuchsen wie Tang unter seiner Mütze hervor.
„Scheiße!“
„Was denn jetzt?“
„Ich blute.“ Roland befühlte seine Lippe und Blut ran dick und schwarz wie Teer über seine Finger. Mit der freien Hand wühlte er in seiner Hose nach einem Taschentuch. „Fuck! Was mach ich jetzt?“
„Kommt mit.“ Konstantin zog ihn zum Brunnen. Die Engel schliefen längst und spendeten keinen Wein mehr aus Bronzeamphoren, aber im Becken stand das Wasser knietief, aufgequollene Kippen schwammen darin und am Boden blinkten Münzen, Augen in der Tiefe.
„Los wasch dir das Gesicht.“ Roland patschte ins Wasser und das Blut verteilte sich wie Tinte, traumschöne Formen, schwebende Schleier und Schlieren, und Konstantin bedauerte, seine Kamera nicht eingeschaltet zu haben. Tot und nutzlos hing sie an seinem Kopf, ein ungewohntes Gewicht, das ihn nach vorne zog.
„Nimm das Taschentuch.“
An Rolands Lippe färbte sich das Papier dunkel als würde es sekundenschnell verfaulen.
„Passt soweit alles?“
Roland nickte und nahm auch das zweite und dritte Taschentuch. Inzwischen war das Männchen verschwunden, nur das Quietschen seines Einkaufswagens hielt sich im Ohr, ein feines Fiepen wie das Leck einer Gasflasche.
Ein Polizeiwagen fuhr mit Blaulicht vorüber und wäre Roland los gelaufen, hätte Konstantin ihn nicht festgehalten.
„Reiß dich mal zusammen.“ Er spürte Rolands Zittern durchs Hawaii-Hemd. „Ich kapier ehrlich nicht, was Michaela an dir findet.“
„Sie wird nicht kommen.“ Roland nuschelt mit der Hand vorm Mund. Schweiß perlte auf seiner Stirn, überdeutlich wie im Film.
„Klappe! Und halt dich mal gerade. Du siehst aus wie ein Krüppel.“
Eine Gestalt bog um die Ecke von Karstadt. Gegen die Weite des Platzes wirkte sie klein und schüchtern und hilflos, ein verirrtes Mädchen in der Nacht. Konstantin schaltete seine Helmkamera ein und stieß Roland in die Seite, der das Taschentuch fallen ließ und an seiner Stirn fummelte bis Aufnahmelampe leuchtete.
„Action!“
Und Roland lief quer über den Platz, stürmte auf Michaela zu als wolle er sie umrennen, ein Rugbyspieler auf der Jagd. Konstantin blieb stehen. Er spürte seinen Pulsschlag im Kopf, das Hämmern einer Schmiede.
Wie zwei Billardkugeln prallten Roland und Michaela zusammen und gingen zu Boden. Sie schrie, vielleicht gespielt, vielleicht echt, versuchte ihn mit den Füßen wegzustoßen, zerkratze sein Gesicht. Aber er packte ihre Kehle und schlug ihren Kopf aufs Pflaster. Mit der freien Hand riss er ihren Rock hoch bis zum Brustkorb und fummelte an seiner Hose. Michaela weinte, abgehackt als hätte sie Schluckauf. Aus der Entfernung konnte Konstantin ihr Gesicht nicht erkennen, nur ihren hilflosen Körper unter Rolands Gewicht und ihre Beine, lang und grazil und gespreizt wie bei einem Pornosternchen.
Er wandte sich ab. Im Gehen wurde Michaelas Schluchzen leiser. Er holte sein Handy aus der Tasche und rief Noi an.
„Alles Gute zum Geburtstag.“
„Oh, Konstantin. Toll, dass du anrufst.“
„Ist es okay, wenn ich noch vorbei komme?“
„Natürlich. Ich freu mich.“