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Almost (Fast)
Almost
Mir war bewusst, dass das Leben manchmal dunkel sein konnte, so dunkel wie die Gewitterwolken, die grade über den Himmel zogen, noch unentschlossen, wo sie ihrer Wut freien Lauf lassen wollten. Es roch schon nach Regen, die Luft war stickig und das atmen fiel mir schwer, als ich durch die engen Gassen joggte, um Schutz vor dem nahenden Unwetter zu finden. Der Boden war dreckig und zu dem Geruch von Rauch und Abgasen gesellte sich der Geruch von Müll und Schimmel.
Ich mochte die Stadt nicht. Hier war alles grau, als hätte man einen Eimer dunkler Farbe genommen und über ihr ausgeleert. Manchmal fragte ich mich, ob es schon immer so war. So grau und leblos, oder ob das nur an mir lag, und wenn, wann das alles angefangen hatte. Um ehrlich zu sein, war dies eine Frage, die ich mir jeden Tag aufs Neue stellte.
Die Glocke über der Tür war meiner Meinung nach zu schrill, tat schon fast in den Ohren weh. Sie verkündete meine Ankunft in einem kleinen, relativ engen Café, welches nur spärlich beleuchtet war. Der Geruch von frisch gemahlenen Kaffeebohnen stieg mir in die Nase, bitter, aber doch süßlich auf eine besondere Art und Weise, fast schon angenehm.
Ohne jemanden zu grüßen schaute ich mich kurz um, richtete dann aber wieder meinen Blick auf den Boden. Bloß keinen Augenkontakt machen, so unauffällig sein wie möglich. So leise wie möglich bewegte ich mich auf die kleine Nische zu, in der ein winziger Tisch mit zwei Stühlen stand, die ich zu meinem Sitzplatz auserkoren hatte. Ich ließ mich auf einen der beiden Stühle fallen, konnte von hier aus aus dem Fenster schauen. Ich sah Schatten zu, wie sie hastig über die Bürgersteige huschten, einen See aus schwarzen Regenschirmen bildeten.
Draußen war nun der Grund meiner Flucht offensichtlich geworden. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet. Strömender Regen ergoss sich sich über der traurigen Stadt, fast als wollte er all das Unheil hinfortwaschen, versuchte durch den grauen Asphalt zu dringen, um nur ein kleines Fünckchen Leben zu schaffen. Vergebens. Welch Ironie. Wir lebten an einem Ort, an dem das Leben für Pflanzen und Tiere fast unmöglich schien. Und doch erdulteten wir es. Wir waren es nicht anders gewohnt.
Erst durch das Klirren eines Löffels wurde ich aus meinen düsteren Gedanken gerissen. Ich schaute auf und sah dich, wie du da saßt, den Löffel zögerlich in deiner Tasse Tee baumeln ließt, schautest gedankenverloren aus dem Fenster. Du sahst müde aus, Augenringe zierten dein Gesicht, deine Haare zerzaust, an deinen Ärmeln Spuren von der Art von Rot, die man nicht hinterfragt, ignoriert, absichtlich übersieht. Wenn ich dir hätte eine Farbe zuordnen müssen, dann wäre es jedoch Blau und nicht Rot. Ein strahlendes Himmelblau, so wie deine Augen, fast versteckt unter schwarzen Haaren.
Du bemerktest meinen Blick und wandtest dich zu mir, ein müdes Lächeln auf den Lippen, es passte nicht in das Bild, kam mir komisch vor, es war so falsch. “Kann ich dir irgendwie helfen?,” fragtest du leise, schon fast entschuldigend. Ich schüttelte den Kopf, schenkte dir ebenfalls ein Lächeln. Eines, das ich nicht fühlte, das sicherlich nicht meine Augen erreichte.
“Passt schon, bewundere nur die Aussicht,” scherzte ich, und du lachtest, und es hätte sich fast echt angehört. Schnell fiel dein Gesichtsausdruck wieder und du wantest dich wieder ab, begannst das Lied mitzusummen, das leise im Hintergrund spielte, dessen Quelle ich jedoch nicht ausmachen konnte. Du sahst verträumt aus und ein bisschen, aber auch nur ein kleines bisschen erinnertest du mich an mich selbst, aber das würde ich niemals offen zugeben.
Ich bestellte mir einen Kaffee, da ich mich etwas schlecht fühlte, hier in einem Café zu sitzen, ohne etwas zu bestellen, und vielleicht auch als Ausrede, um noch eine Weile zu bleiben, denn das Unwetter hatte sich gelegt, die letzten Tropfen versanstalteten ein Wettrennen an der Fensterscheibe und wie ich es aus Kindertagen gewohnt war fieberte ich eifrig mit.
Dein Lachen ließ mich wieder zu dir blicken und diesmal schien es echt zu sein, es erreichte deine Augen, und wenn auch nur für kurze Zeit. “Was ist an ein paar Wassertropfen so interessant?”
“Gute Frage,” antwortete ich, fühlte mich nun dumm für mein kindliches Verhalten.
“Ich will mich nicht über dich lustig machen, keine Sorge, hat mich nur… gewundert.”
Ich nickte, unentschlossen ob du mir nun sympatisch warst oder nicht, jedoch beschloss ich dir eine Chance zu geben und vielleicht nur weil dein Blau so gut zu meinem Rot passte.
“Habe ich auch nicht so aufgefasst”, eine Lüge, wie so oft im Moment, doch du glaubtest mir und schenktest mir ein weiteres Lächeln, eine weitere Lüge. Aber es war okay. Es fühlte sich nicht so falsch an.
Nach diesem kurzen Wortwechsel tauten wir allmählich auf, eh ich mich versah erzähltest du mir über deinen ersten Fisch, der auf kuriose Art und Weise verschwunden war – du vermutetest es war die Katze-, und im Gegenzug bekamst du die Geschichte meines Hamsters zu hören, welcher es bevorzugte in Freiheit zu Leben und auf spektakuläre Art und Weise immer und immer wieder aus seinem Käfig ausbrach. Den Überblick, über wie viele Getränke wir bestellt hatten, hatte ich schon längst verloren, aber das war nicht wichtig.
Draußen wurde es langsam Dunkel und inmitten einer Diskussion wurden wir von einer Angestellten angewiesen, das Café zu verlassen. Aber das war nicht schlimm.
Als wir aus der Tür traten, kam mir der vertraute Geruch von Herbstregen entgegen, leicht süßlich, melancholisch und ich atmete tief ein, schloss die Augen und trotz des Lärms der Autos fühlte ich mich wohl.
Zusammen schlenderten wir durch die Straßen, die Geschäfte hatten die Außenbeleuchtung angeschaltet, Neonschilder ließen die Straßen in buntem Licht erstrahlen, alles war so bunt, ausgelassen und gebannt hing ich an deinen Lippen, versuchte jedes deiner Worte aufzufangen, festzuhalten, als du mir von deinem aktuellen Lieblingsbuch erzähltest.
Und in diesem Moment schien alles so perfekt. Da war Hoffnung, und ich war mir sicher, jeder andere Mensch hätte an meiner Stelle Freude gespürrt. Alles war so farbenfroh, und obwohl es Herbst war, kam es mir vor wie Frühling, alles erblühte wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte und du schienst der Grund dafür zu sein und ich wünschte mir nichts sehnlicher als dich als einen Weggefährten in meinem Leben willkommen heißen zu dürfen.
Wir liefen weiter, bis wir in dem winzigen Stadtpark ankamen, die Anzahl der Bäume hier konnte man an einer Hand abzählen. Den größten von ihnen hatten wir auserkoren. Wir erklammen die Äste und ließen uns weit über dem Boden nieder. Und alles war so schön, ich wünschte, ich könnte diesen Moment festhalten, den Geruch von Laub, Gras und Moos in einem Glas einfangen, um an schlechten Tag grade dieses zu öffnen, um daran zu riechen, um mich an diesen Augenblick erinnern zu können.
Erst nach einigen Minuten fiel mir auf, dass du verstummt warst. Fragend schaute ich dich an.
“Hör mal,” flüstertest du, und ich tat wie geheißen, doch konnte kein Geräusch wahrnehmem.
“Was denn?”, flüsterte ich zurück und kam mir bei der ganzen Sache doch recht bescheuert vor.
“Stille.” Ich schüttelte den Kopf, doch dann fuhrst du fort. “Manchmal ist Stille Gewalt.”
Und ich verstand. Du brauchtest nichts mehr sagen, hattest mit diesem einen Satz so viel über dich selbst offenbart. In diesem Moment wurde es mir.klar.
Du warst blau und ich war rot und zusammen waren wir der perfekte Ton von fast-Lila. Zumindest für diesen einen Moment.
Bis in die frühen Morgenstunden saßen wir in der Baumkrone, zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass ich deine komplette Lebensgeschichte auswendig vortragen könnte, auch wenn da etwas fehlte, wichtige Dinge von denen du entschieden hattest, dass ich noch nicht verdient hatte sie zu hören. Aber das war okay, denn ich war fast glücklich.
Als wir von dem Baum kletterten, von dem wir in der Nacht entschieden hatten, dass er uns gehörte, diskutierten wir grade, wer die schönsten Augenringe hatte und mein Lachen war fast echt.
Es war ein warmer Morgen, hatten wir in den späten Stunden der Nacht noch gefroren, so zog ich jetzt meinen Hoodie aus, unter dem ich ein schwarzes T-Shirt trug, bei dem ich davon ausging, dass es fast die gleiche Farbe wie meine Seele haben musste.
Die Sonnenstrahlen, die schon lange nicht mehr meine Haut berührt hatten, fühlten sich gelb an, warm und einladend. Das bunte Laub knisterte unter unseren Füßen, und selbst ein Eichhörnchen wagte sich in unsere Nähe.
Ich beobachtete dich, wie du dein Gesicht in die Sonne hieltest, das Licht mit deinen Gesichtszügen spielte. Auch du hattest deine Jacke ausgezogen, trugst nun ein farbenfrohes T-Shirt mit wirrem Aufdruck.
Wir wanderten stadteinwärts, wortlos, nicht weil wir uns nichts mehr zu erzählen hatten, sondern weil die Stille so angenehm war. Ich hätte stundenlang so neben dir herlaufen können.
“Du, was ist eigentlich deine Lieblingsfarbe?”, fragte ich nach einer Weile des Nachdenkens.
“Hmm… Lila. Aber nicht zu kräftig.. sondern nur so… fast.”
Ich musste lächeln, doch du hinterfragtest dies garnicht und ich war fast froh draüber.
Wenn ich so darüber nachdachte war fast eines dieser traurigen Wörter. Du hättest fast die Wahrheit gesagt, ich war fast glücklich und zusammen waren wir nur fast-Lila.
Und fast hätte ich dich an der nächsten Kreuzung aufgehalten um dich zu fragen ob du mit mir kommen willst, fast hättest du den Truck gesehen und fast hätte ich deinen Namen gerufen, doch dann wurde mir klar, dass ich den nicht einmal kannte.