Mitglied
- Beitritt
- 05.07.2020
- Beiträge
- 307
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Alltag
Das Rattern der Förderbänder, das Hämmern der Faltpressen, der großen Industrietrockner und Waschmaschinen, alles vermischt sich zu einem Dröhnen. Ohne Unterbrechung von Schichtanfang bis Schichtende. Die Luft ist feucht und heiß, das Atmen fällt schwer. Ich stehe am Band in Halle A und meine Arbeitskleidung klebt mir am Körper. Mit zehn Kollegen sortiere ich gesäuberte Wäsche in verschiedene Großbehälter. Bettbezüge kommen in Grün. Frotteewäsche in Rot. Nachthemden, weiße Hosen und Kittel, alles muss sortiert werden. Wir kommen nicht hinterher. Die Wäsche staut sich. Dann hält das Band. Ein hoher Piepton alarmiert den Vorarbeiter. Der kommt verschwitzt um die Ecke, und mit hervortretenden Halsvenen schreit er uns an. Er verlangt, dass wir uns jetzt ranhalten sollen. Ein Witz. Aber keiner lacht. Keiner flucht und keiner widerspricht. Keiner sagt überhaupt irgendetwas. Dazu fehlt die Zeit. Gebeugt stehen wir über dem Band und versuchen die Berge an Wäsche wegzuschaffen. Immer schneller bewegen wir uns. Immer mehr wird gegriffen, manches jetzt unsauber sortiert; Hauptsache weg. Ein Kittel wiegt nichts, zwei Arme voll davon sind was anderes. Um die Teile ganz hinten greifen zu können, muss man sich nach vorne lehnen. Nach einer Stunde meldet sich der untere Rücken.
Das Band läuft wieder an. Jetzt keine Pause. Keine Unterbrechung. Wir müssen das Tempo halten, damit es nicht wieder zu einem Stillstand kommt.
Im Bus sitzen noch andere, aber nach Schicht kennt man sich nicht. Ich bin müde. Mein Kopf wie Brei. Wir fahren an grauen Häusern vorbei über graue Straßen, irgendwann kommen Felder. Dann die Weststadt. Am Rand haben sie Container aufgestellt. Drum herum haben sie Zäune hochgezogen. Hinter den Zäunen und den Containern stehen große Betonbunker. Dazwischen ist eine Straße mit einem Netto, einem Fitnessstudio und drei Spielotheken. Ich sehe das. Aber nachdenken darüber kann ich nicht mehr. Ich sehe es und habe es auch schon wieder vergessen.
Krotzinger steige ich aus. Den Mülleimer beim Wartehäuschen haben sie abgenommen. Die drei Sitzschalen aus Plastik abgefackelt und mit Edding beschmiert. Was drauf steht, kann ich nicht lesen und es ist mir auch egal. Ich gehe nach Hause, mache mir einen Tee, trinke keinen Schluck davon, weil ich zu müde bin und merke, dass ich vergessen habe, einkaufen zu gehen. Ich müsste noch mal los, aber lasse es bleiben.
Krotzinger steige ich wieder ein. Es ist noch dunkel. Weil es Nacht ist. Und weil Nacht ist, bin ich müde. Von der Endhaltestelle laufe ich frierend die zweihundert Meter über den Bahndamm, rauche eine Zigarette, obwohl sie nicht schmeckt und im Hals brennt, biege auf das Gelände der Wäscherei, gehe über die Treppe in der großen Halle in die Umkleideräume und ziehe mich um. Dreißig Kollegen stehen eng beieinander und schweigen sich an. Von einem Drittel kenne ich den Vornamen. Man nickt sich zu. Das Geraschel der Klamotten, das Klimpern von Gürtelschnallen, das Zuschlagen der Spinde ist zu hören und ich rieche alten Schweiß, schwer, süßlich. Einer hustet. Ein anderer zieht die Nase hoch und ich gehe durch die Tür zur Halle A, wo ich weiß, dass die wieder zu viel über das Band schicken werden, weshalb wir alle viel zu spät hier rauskommen.
Eine der blauen Doppeltüren steht offen. Draußen regnet es. Ich lehne mich gegen den Rahmen. Die kühle Luft, die in die Halle hereinweht, ist angenehm. Regentropfen arbeiten sich langsam den Maschendrahtzaun herunter und ich sehe dabei zu. Die Pappe der Zigarettenpackung ist feucht, aber die Kippen, die gehen noch. Meine Finger sind gereizt und aufgeschwemmt. An den Nägeln löst sich die Haut. Die ständige Feuchtigkeit, dann wieder der Trockenbereich, das ist nichts. Ich nehme einen tiefen Zug. Meine Arme sind schwer. Ich blase den Rauch aus, ziehe die Nase hoch und spucke Schleim in eine Pfütze vor der Halle.
„Was glaubst, was du hier machst?“
Es ist Kohn, der Vorarbeiter. Er steht hinter mir.
„Ich hab dich was gefragt.“
Ich drehe mich um. Sehe ihm ins Gesicht.
„Pause mach ich.“
Er nickt. „Schön, Pause machst also. Und die anderen? Die lässt du dann mal so lange für dich weiterschuften, oder was?“
„Reg dich ab. In zwei Minuten bin ich zurück.“
Er schüttelt den Kopf. „Du gehst jetzt zurück, Sulaiman. Jetzt. Sonst brauchst morgen erst gar nicht mehr wiederkommen.“
Wir sehen uns an. Für einen Moment ist alles offen, das weiß er auch. Ich nehme noch einen Zug, werfe die halbgerauchte Zigarette nach draußen. Dann gehe ich zurück. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich stehe am Band, funktioniere, sortiere mit zitternden Händen die Wäsche und in meinem Kopf rotiert es. Einmal überlege ich noch zu Kohn herüberzugehen. Die Sachen hier einfach liegenzulassen, um die Ecke zu biegen und dann zu sehen, was passiert. Aber ich tue es nicht und schon sitze ich wieder
im Bus. Der Regen schlägt gegen die Scheiben und mit aller Kraft versuche ich meine Augen offenzuhalten, aber ich habe keine Chance. Das Kinn rutscht mir auf die Brust. Ich schlafe ein, schrecke hoch, sehe aus dem Fenster, merke, dass mir die Augen erneut zufallen. Schrecke wieder hoch, merke, dass mir der Mund offenstand wie bei einem Idioten. Verstohlen sehe ich mich um, aber niemanden scheint es zu interessieren. Wo ist die Zeit hin? Drei Monate hier, fünf Monate Lagerlogistik, zwei Wochen spezielle Sortierung für einen Postzulieferer, drei Monate Reinigungsdienst, Getränkelager, Lagerlogistik, Lagerlogistik, Lagerlogistik. Jahre. Wofür? Mit der zusätzlichen Arbeitszeit unter Mindestlohn, egal was sie einem im Büro sagen. Aber der nächste machts auch und weil der vielleicht kein Wort Deutsch versteht, weiß der nichts von Rechtsanspruch, also halt ich meine Schnauze. Jeden Monat, wenn ich auf meinen Schein schaue, rechne ich zusammen und begreife, wie wenig da eigentlich rauskommt. Aber nicht wenig genug, als dass ich es nicht mehr machen würde. Alle neun Monate werden die Karten neu gemischt. Denn dann müssten sie einem zahlen, was sie den Festen zahlen. Also steh ich wieder auf der Matte beim Personaldienstleister, fülle einen Bogen mit meinen Daten aus, obwohl die die doch längst irgendwo in ihrer Kartei haben müssten, und unterschreibe einen Vertrag für die nächsten acht oder zwölf oder sechzehn Wochen. Dieselben alten, abgegriffenen Karten wie beim letzten Mal.
In Halle B stoppt eine der Maschinen. In Halle A kommen wir nicht nach. Also steht das Band. Das Signal alarmiert den Vorarbeiter. Der kommt und schreit und wir Idioten spuren und schuften uns blöde und wenn einer aufs Klo muss, schauen wir ihm böse hinterher, weil wir wissen, dass jede Hand fehlt, auch für die paar Minuten schon. Ein paar meinen, dass es jedes Mal dasselbe ist, wenn die Maschinen in Halle B streiken. Dass dann einfach zu viel bei uns über das Band läuft, und um das auszugleichen wir dann erst recht ranklotzen müssen, um das Pensum zu schaffen, obwohl man eine Stunde mehr sowieso locker wird draufrechnen müssen. Jedes Mal sagen sie und meinen jedes Mal, wenn die Maschine in B den Geist aufgibt. Dabei war es nie anders, seit ich hier bin. An keinem einzigen Tag. Aber statt zu schreien, halte ich die Schnauze. Ich halte mich ran, damit das Band nicht stoppt. Ich fahre müde mit dem Bus in die Weststadt, schaue auf mein Handy, ohne mir zu merken, was ich da sehe und bevor ich weiß, was los ist, ist es auch schon Zeit schlafen zu gehen, sonst wird der Morgen, wenn der Wecker klingelt, zu einer Zeit, an der kein Wecker klingeln sollte, noch schwerer als ohnehin. Ich halte die Schnauze und wenn ich eine rauche und der Vorarbeiter meint, ich solle meine halbfertige Zigarette in den Dreck werfen, dann tue ich auch das. Und wenn beim nächsten Mal die Maschinen in Halle B streiken, werde ich mich darüber beschweren, dass jetzt wieder alles bei uns landen wird, und dass die das nie hinkriegen und dass es jedes Mal dasselbe ist mit diesen Maschinen in B. Dann ist das alles ein kleines bisschen leichter.