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Alltag - Freundschaft
Alltag - Freundschaft
Ich wach auf – Dunkelheit. Endlich Wochenende. Dafür lohnt es sich zu leben. Mit Routine greife ich nach der Packung Kippen und zünde mir eine an. Schau auf die Uhr - es ist Freitag, kurz nach 18:00 Uhr. Ich nehme mein Handy mit zersprungenem Display und zieh mir ne frische Jeans und eins meiner teuren T-Shirts an. Das hier ist eigentlich übertrieben hässlich. Ich habe den Reiz von Markenkleidung noch nie verstanden. Selbst als Kind war es immer schon wichtig, wer denn die neuesten knallbunten Fußballschuhe hatte. Verabscheuungswürdig ist das Ganze. Und doch mache ich genau das Gleiche. Mit ein bisschen mehr Selbstbewusstsein würde ich vermutlich darauf scheißen. Naja, ist ja auch egal.
Plötzlich dämmert es mir. Nervös schau ich in mein Portemonnaie. Nichts mehr da. Das halbe Zimmer wird auf den Kopf gestellt – nichts. Sofort greife ich zum Handy und ruf meinen besten und eigentlich einzigen Freund Louis an. „Ey, alles klar bei dir? Du, bei mir sieht es ganz schön mager aus. Kannst du mir helfen?“, frag ich ihn. Ganz cool sagt er mir, dass das kein Problem sei und lädt mich zu ihm nach Hause ein. Ich zünd mir noch ne Kippe an und mache mich auf den Weg.
Ich klingle dreimal an seiner Haustüre und sehe, wie er durch das kleine Fenster seiner massiven Eichenholztüre schaut. Normalerweise hasse ich die meisten Menschen: alles Lügner, Verräter, arrogante Wichser, die ihre scheiß Komplexe an anderen auslassen. Aber nicht Louis. Nein, nicht er. Auf den kann man zählen. Vor Jahren hatte der Mal richtig Stress mit so breitgebauten Schlägertypen. Wir haben zwar nicht gewonnen, aber danach wusste jeder Bescheid: mit den Beiden, braucht man sich nicht anzulegen. Die halten zusammen wie Pech und Schwefel.
„Was geht, Mann?“ brüllt er, beim Aufmachen. Wir begrüßen uns mit einem Handschlag, der auch von zwei pubertierenden Halbstarken kommen könnte: einschlagen, dreimal mit der Schulter zusammenstoßen, schnipsen und zum Schluss umarmen – einfach nur kindisch. Wir lachen und gehen in seine Bonzen-Villa. Louis Eltern sind reiche Anwälte glaub ich. Er redet kaum über sie. Wir setzten uns auf die weißmatte Ledercouch. Im Fernsehen läuft ein News-Report über ein Brandopfer. Irgend so ein junges Mädchen aus dem ärmeren Nachbarsviertel. Anscheinend kein Unfall. Wir schalten den Fernseher aus. Man will ja keine üble Laune bekommen.
„Wie viel brauchst du denn“, fragt er mit breitem Grinsen. „Das Übliche“, antworte ich und lehn mich zurück. Ganz ruhig holt er das Säckchen raus und legt uns erst mal zwei Nasen. Genüsslich roll ich einen Schein und zieh. Währenddessen knackt er mit den Fingern und packt drei Gramm in ein kleineres Tütchen. Ich gebe ihm das Geld und wir starten mit reichlich Alkohol und einer Brise vom gewissen Etwas in den Abend.
Rein in den Club und gleich an die Bar. „2 Long Island bitte“, sage ich mehr oder weniger verständlich. Mittlerweile sind wir schon relativ gut bedient und gehen mit unseren neuen Starkmachern auf die Tanzfläche. Wir tanzen mit ein paar Frauen, die auf unsere Gesellschaft nicht abgeneigt reagieren.
Ich geh kurz aufs Klo meine Nase pudern. Als ich zurückkomme knutscht Louis schon mit einer herum. Immer wieder, dieser Teufelskerl. Ein paar Meter weiter sehe ich einen Typen, der die Zwei mit ungläubigem Blick anstarrt. Danach greift er zu seinem Handy und geht in Richtung Toilette. Komischer Typ – ich denk mir nichts dabei und fange wieder an zu tanzen, falls man das so nennen kann. Mehr Roboter als Mensch – egal, mit meinem besten Freund zu feiern ist einfach das Geilste. Das ist auch das Einzige, auf das ich mich unter der Woche freuen kann.
„Ich hol uns noch mehr Cocktails“ sagt Louis, der sich seiner Sache mit dem Mädchen mittlerweile schon sehr sicher zu sein scheint. Ich quatsch mit ihr in der Zwischenzeit über belanglose Scheiße, als plötzlich der Typ von vorher mit dem Handy und zwei Freunde von ihm auftauchen, die auch nicht freundlicher aussehen.
Ein Schlag – ich geh zu Boden. Alles ist verschwommen. Die Lichter der Disco scheinen unbeschreiblich weit entfernt zu sein. Sie schlagen auf mich ein. Ich probiere um mich zu treten und schaffe es, aufzustehen. Wo ist Louis? Scheiß auf die Cocktails, Mann! Ich brauch dich! Zu zweit packen wir das. Das Mädchen stellt sich vor die Typen und versucht sie zu beruhigen. Das verschafft mir etwas Zeit, um nach Louis zu sehen. Wahrscheinlich ist es von einem die Freundin oder von einem die Schwester. Ist jetzt auch scheißegal. Sie wird von einem zur Seite geschupst und ich sehe mich schon wieder am Boden. Doch dann sehe ich ihn im Augenwinkel. Meinen besten Freund. Unsere Blicke kreuzen sich kurz, doch dann sieht er auf den Boden und dreht sich weg. WAS? Bevor ich reagieren kann werde ich schon wieder zu Boden getreten. Es vergehen gefühlt mehrere Minuten, bis die Securitys kommen und mir helfen.
Blut spritzt aus meiner Nase, Schmerzen am ganzen Körper, vielleicht auch eine Rippe gebrochen. Die Typen werden zur Seite genommen und ich werde nach draußen eskortiert. Der Security fragt mich, ob sie die Polizei rufen sollen. Natürlich nicht. Was, wenn die einen Drogentest machen? Ne, denn Extra-Stress brauch ich nicht. Und jetzt kommt mein bester Freund. Nach dem Mädchen - nach den Securitys – erst jetzt kommt Louis.
„Fuck! Was ist passiert? Diese scheiß Barkeeper. Die haben ewig für die Cocktails gebraucht“, schwafelt er vor sich hin. Mit ungläubigen Augen starr ich ihn an. So was macht kein Freund. Vor allem nicht dein bester Freund. Und es ist nicht, dass ich ihm schon etliche Male geholfen habe, es ist nicht, dass er mir nicht sofort zu Hilfe geeilt ist. Nicht jeder ist ein geborener Kämpfer oder hat es schon oft genug gemacht, dass die Angst weicht. Was mich am meisten stört, ist, dass er nicht die Eier hat, es zuzugeben und mir ins Gesicht lügt. Nur ein Lügner wie alle anderen. Genauso wie all die anderen „Freunde“. „Ich fahr heim“, sag ich und versuch einfach nur mehr, so schnell wie möglich aus dieser überteuerten Disco rauszukommen. Louis versucht sich noch immer zu rechtfertigen und will nächstes Wochenende wieder die Sau raus lassen. Ich ignorier ihn, meinen besten Freund, meinen einzigen Freund und fahr nach Hause.
Wieder wache ich auf, wieder schau ich, wie spät es ist: 16:00 Uhr. Wieder Wochenende. Das Handy läutet: Louis. Ich schalt das Handy aus und leg mich wieder schlafen. Scheiß auf Wochenende. Scheiß auf Louis. Scheiß auf Freundschaft.