Alltag aus der Sicht eines Brotes
Ich habe bestimmt schon einhundert Gramm abgenommen, seitdem ich hier wohne und ich wohne erst seit einem Tag hier. Hier, das ist ein schlichtes Einzimmerapartment ohne Fenster, mit Schiebetür, dafür aber ohne lästige Untermieter und in angenehmer hellgelber Farbe. Ja, ich kann mich nicht beschweren.
Wenn bloß diese lästigen Zweibeiner nicht wären, die jeden Morgen – JEDEN MORGEN – laut keifend vor meiner Wohnung stehen und einen Krach machen, als wären sie hier Zuhause. Tss, ich meine, bitte, es gibt ja wohl so etwas wie Etikette, Manieren, eine ganz normale, höfliche Zurückhaltung würde mir ja auch schon reichen. Aber nein, gequatscht wird in einer Lautstärke, das einem Angst und Bange wird, Geschepper, Geklimper ertönt und Musik wird auch noch angemacht. Und da soll man seinen Schönheitsschlafen halten – unmöglich! Ich habe das Gefühl, dass meine Haut durch die ganze seelische Belastung schon etwas härter geworden ist. Na, da muss man ja seine Elastizität verlieren, wenn man sich jeden Tag – JEDEN TAG – so aufregen muss.
Oh nein!!! Jetzt klappen sie schon wieder meine Schiebetür auf. Sie kommen in MEINE Wohnung. Gestern dachte ich ja noch, okay, sie wollen sich vielleicht vorstellen, so von wegen „Auf gute Nachbarschaft und so“. Schließlich will man ja auch keinen Ärger, ich meine, man braucht ja manchmal etwas, man hilft sich ja gerne aus.
Aber das war gestern. Heute ist heute und so etwas macht man einfach nicht.
NEIN!
Ich meine, ich habe gerade noch geschlafen, bin noch ganz nackt (meine Kleidung muss wohl bei dem Umzug verloren gegangen sein…) und sie haben noch nicht einmal geklopft.
NICHT GEKLOPFT! Das ist gerade so, als ob ich einfach in das Schlafzimmer anderer Leute reinspazieren würde. Ohne Anmeldung. Tss, na ja, versuche einfach gute Miene zum bösen Spiel zu machen und werde lächeln und Gut….
HILFE, jetzt reicht es aber. Jetzt hat mich diese Person einfach aus meiner Wohnung gehoben. Sie wirbelt mich richtig…HILFE…das so etwas nicht auffällt. Da muss einem doch einer zu Hilfe kommen. Auf Niemanden ist mehr Verlass. Man wird einfach im Stich gelassen. Ich wünsche mir ein wenig mehr Respekt und vor allem Courage.
Puh, jetzt liege ich wieder auf festem Boden.
Aber….aber…was hat sie denn jetzt in der Hand? Oh nein, das ist ein Alptraum. Jetzt schneidet sie mir in den Bauch. Oje, ich glaube, das träume ich jetzt nur. Das muss ein Traum sein.
Und noch eine Scheibe. Und dabei hält sie mich mit ihrer anderen Hand, die feucht und schwitzig ist, fest. Puh, ist das eklig.
Ich meine, es ist so entwürdigend. Wenn ich wenigstens gefragt worden wäre. Okay. Es tut ja auch nicht weh, aber es ist wie gesagt, so verdammt entwürdigend.
Das Positive an der ganzen Sache ist, dass ich abnehme, ohne hungern zu müssen. Ich kannte da mal ein Knäckebrot, dass mit mir zusammen in einem zugigen Hochhaus (allerdings mit Sauna ) wohnte. Wir haben uns zwar nicht unterhalten ( mir kam er ziemlich arrogant vor ), aber ich kann mir denken, dass er kaum was gegessen hat. So dünn, wie der war. Da fällt mir ein, wo ist eigentlich mein Lebensmittelvorrat? Der ist bestimmt auch bei meinem Umzug verloren gegangen.
Huch, die hört ja gar nicht mehr auf zu schneiden. Jetzt habe ich schon die Hälfte meines Gewichtes verloren. Gar nicht schlecht, gar nicht schlecht. Erreiche ja richtige Modelmaße.
Ja, ich denke das reicht. So finde ich mich richtig hübsch. Ja, gut, sie können jetzt aufhören.
Wieso hört sie denn nicht auf? Versteht sie mich nicht? Vielleicht spricht sie ja eine fremde Sprache.
HALLO! Bitte aufhören…ich werde ja noch ganz dünn…ganz dünn…hilfe…oh…jetzt….hal mmmhhhmmmpf