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Allmächtiges Google!
21.03.2041, ungefähr halb sieben. Ich wurde vom Krach der Lautsprecher geweckt. Ich bat darum den Ton zu dämpfen, doch Anni, meine allgegenwärtige Systemsprecherin teilte mir mit, dass mein Kredit dazu nicht mehr ausreiche.
So musste ich versuchen meinen Kaffee zu genießen, während die Infomercials in voller Lautstärke durch mein Zimmer dröhnten. Es war noch über eine Woche hin, bis zur nächsten Überweisung, meine Stimmung war im Keller und noch ein Stück weiter darunter. Daran änderte auch der brandneue Coca-Cola-Song nichts, der fröhlich aus den Boxen dudelte und mir versprach, dass mit einer kalten Coke sofort alles besser werden würde. Schön und gut, hätte ich noch Kredit gehabt, hätte ich es vielleicht sogar getestet. So blieb mir nur das leise Fluchen in meine Kaffeetasse und die Frage, was eigentlich aus Pepsi geworden war. Von denen hatte schon seit Ewigkeiten nichts mehr gehört und ich hatte sie immer lieber getrunken als Coke. Aus Langeweile entstandene Neugierde brachte mich dazu einen der Monitore zu fragen. Ich setzte die zeremonielle Kappe auf, legte die Hand auf den Küchentischmonitor und sprach:
„Allmächtiges Google! Sag mir bitte, was aus der Marke Pepsi geworden ist.“
Der Monitor flimmerte kurz, dann erschien das Google-Gesicht.
„Tyler Pusterhofer, Mainz, Deutschland. Ihr Anliegen kann leider nicht beantwortet werden. Für diese Information besitzen sie leider keine Berechtigung. Es tut mir leid“, sagte es mit seiner männlich-weiblichen Hermaphroditenstimme. Dann schloss es die Augen und löste sich wieder auf. Der Monitor wurde kurz grau, bald darauf gingen auch auf ihm die Infomercials weiter.
Es folgte eine personalisierte Werbebotschaft nur für mich. Ich hätte mich geehrt fühlen sollen, tat es aber nicht. Es war ein furchterregender Clip über die negativen Folgen des Alkoholkonsums, den das Konsortium trotz heftiger Bemühungen immer noch nicht komplett ausgerottet hatte. Ich bekam diese Botschaften, seitdem bei der jährlichen Untersuchung Restspuren von Alkohol in meinem Blut gefunden worden waren. Meine Krankenversicherung hatte mir daraufhin im Übrigen gekündigt.
Der Clip zeigte die Opfer alkoholbedingter Verkehrsunfälle, eine zerfressene Leber, mitsamt der dadurch bedingten gelben Augen und natürlich die negativen Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, die der Konsum angeblich mit sich bringe. Er dauert gut fünf Minuten, während der ich meine Augen weitestgehend geschlossen hielt.
Die Botschaft zeigte eindeutig ihre Wirkung bei mir, wenn auch in einer anderen Form, als es das Konsortium beabsichtigt hatte. Ich beschloss, mal wieder meinen alten Freund den Doktor zu konsultieren.
Unter meinem Bett lagerte ich seit einigen Monaten einen Vorrat an Dr. Eyre Whiskey, den ich mir in den Slums besorgt hatte. Wie die meisten anderen harten Alkoholika wurde Dr. Eyre bereits seit fast zwanzig Jahren nicht mehr hergestellt und war selbstverständlich streng verboten. Ich füllte mir ein Glas damit und ließ mich auf meinem roten Kuschelsessel nieder um es zu leeren. Ich trank es mit kleinen Schlücken und genoss, dass der Krach der Infomercials immer gedämpfter, während die Stimme in meinem Kopf langsam klarer und verständlicher wurde. Zusätzlich schluckte ich noch ein paar Pillen, die die Wirkung des Alkohols noch verstärkten.
Im Strom meiner eigenen Gedanken ließ ich mich treiben.
Das Anrufsignal ertönte und sämtliche Monitore im Raum blinkten. SYLVANA war auf ihnen zu lesen. Ich wollte sie nicht sehen, obwohl das nur die halbe Wahrheit war, eigentlich wollte ich nur nicht, dass sie mich zu sehen bekam. Ich hatte das Zimmer seit Tagen nicht mehr verlassen und wusste, dass ich einen erbärmlichen Anblick bot.
Sie war hartnäckig, sehr hartnäckig. In Gedanken beschwor ich ihr Bild herauf und spürte tief in mir, wie sehr ich mich nach ihrem Gesicht sehnte. Ich liebte sie noch immer, aber versuchte dieses Gefühl zu unterdrücken. Ich hasste dieses Gefühl.
Endlich verstummte das Signal und die Monitore zeigten mir an, dass sie gerade eine Nachricht für mich hinterließ.
„Sie haben eine neue Nachricht“, verkündete mir Anni kurz darauf mit ihrer freundlich-teilnahmslosen Stimme.
„Abspielen!“ befahl ich.
Sylvana erschien auf den Bildschirmen. Sie saß in ihrem Wohnzimmer und hatte die Hände schüchtern auf ihren Knien gefaltet. Sie starrte sie eine ganze Zeit lang an, bevor sie tief durchatmete und den Kopf hob.
Als sie direkt in die Kamera blickte, wirkte sie sehr zierlich und zerbrechlich und sah aus, als hätte sie gerade geweint. In dem Moment wurde mir wieder bewusst, warum ich mich einst in sie verliebt hatte.
Sie fing an zu sprechen, dabei zitterte ihre Stimme und Sorge umkreiste ihre Stirn wie ein hungriger Geier.
„Ich habe dich gesehen, Tyler. Ich habe gesehen, dass du dich in den Slums rumgetrieben hast und es gefällt mir nicht. Was ist los mit dir? Ich weiß, dass du daheim bist, warum gehst du nicht ran?“
Sie schluchzte.
„Egal was du dir antust, ich weiß, dass es nichts Gutes ist. Das ist es nicht wert… Ich bin es nicht wert.“
Kurze Pause, sie atmete noch einmal tief durch.
„Bitte melde dich bei mir, wenn du diese Nachricht empfangen hast. Ich mache mir trotz allem Sorgen um dich. Tue einer alten Freundin bitte diesen Gefallen.“
Sylvana rang sich ein schiefes Lächeln ab und beendete die Aufzeichnung.
Ich starrte noch immer auf den Monitor, als lange schon wieder die Infomercials liefen. Diesmal für eine neuartige Pille, die mir das Ende all meiner Schüchternheit versprach. Wie in Zeitlupe griff ich nach Dr. Eyre, der neben mir auf einem kleinen Tisch stand. Ich trank direkt aus der Flasche. Mein Geist kochte auf Sparflamme.
Plötzlich spürte ich ein Wort durch meine Gedanken kriechen. Ein Wort, dass ich in den Slums aufgeschnappt hatte und das dort in aller Munde war. Es war so exotisch und fremd, dass ich mich nur noch darauf konzentrieren konnte. Es hatte mich von dem Moment an fasziniert, als ich es das erste Mal gehört hatte. Es war ein Wort aus einer lange vergangenen Zeit.
Ich beschloss das allmächtige Google zu fragen. Ich hatte eine ungefähre Ahnung, was es bedeuten mochte aber das war mir zu wenig. Ich zog die zeremonielle Kappe an und legte meine Hand auf den Monitor.
„Allmächtiges Google! Sag mir bitte… was ist die Bedeutung des alten Wortes Selbstmord?“
Das Google-Gesicht erschien nach einem kurzen Flimmern.
„Tyler Pusterhofer, Mainz, Deutschland. Ihre Anfrage stellt einen schweren Verstoß gegen drei Paragraphen des Gesetzes dar. Hiermit stelle ich sie unter Arrest. Sie haben an Ort und Stelle zu verharren, bis die Sicherheitskräfte eintreffen. Vielen Dank, dass Sie sich für Google entschieden haben.“
Das Gesicht verschwand und mit ihm auch ein Teil von mir. Ich verharrte an Ort und Stelle, bis die Sicherheitskräfte eintrafen.